2. Schwerpunkt Rechtsextremismus
2.1. Vorbemerkungen
Rechtsextremismus findet sich in der Mitte der Gesellschaft und allen Altersgruppen wieder. Die Jugend ist eine begehrte Zielgruppe rechtsextremer Organisationen. Beeinflusst durch eine schwierige Situation am Arbeitsmarkt, die Auswirkungen der zunehmenden Globalisierung und die Bedrohung der Umwelt sowie die Veränderung traditioneller Familien- und Sozialstrukturen sieht sich unsere Gesellschaft vor Problemen, die nicht von heute auf morgen gelöst werden können. Hier setzen rechtsextreme Parteien an. Sie bieten vermeintliche Lösungen und geben vor, bei ihnen sei Orientierung und sozialer Halt zu finden:
- Der partielle Rückzug demokratischer Organisationen aus der gesellschaftlichen Verantwortung kann rechtsextremen Politik- und Identitätsangeboten die Möglichkeit der Entfaltung geben.
- Die Veränderung von sozio-kulturellen Milieus, in denen Demokratie gelebt wird, kann die soziale und organisatorische Ausbreitung rechtsextremer Organisationen befördern.
- Der Mangel an Angeboten demokratischer und wertgebundener Jugendarbeit hinterlässt Lücken, die Rechtsextreme nutzen und füllen.
- Die Reichweite demokratischer Institutionen wird dadurch beschränkt. Diese Schwäche der demokratischen Gesellschaft erhöht die Wirksamkeit rechtsextremer sozialer Initiativen.
Rechtsextremismus und Rechtspopulismus gefährden jedes demokratische, auf den Prinzipien von Gleichwertigkeit und Menschenrechten basierende Gemeinwesen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sieht daher hier eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Gefragt ist ein breites und kontinuierliches Engagement möglichst vieler gesellschaftlicher und politischer Akteure. Die Arbeit gegen antidemokratische, fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Einstellungen bildet daher ein Schwerpunktthema der Friedrich-Ebert-Stiftung im Inland wie im Ausland. Konferenzen, Seminare, Publikationen und Ausstellungen bieten Informationen, tragen zur Sensibilisierung bei und erörtern effektive Gegenstrategien.
Die Notwendigkeit einer breit aufgestellten und dauerhaften Arbeit gegen die unterschiedlichen Erscheinungsformen radikal rechten Gedankenguts unterstreicht die Friedrich-Ebert-Stiftung seit 2005 auch durch ihr zentrales, in Berlin angesiedeltes Projekt "Gegen Rechtsextremismus". Es fungiert als Schnittstelle und zentraler Anlaufpunkt der Stiftung zum Themenfeld Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit. Die Projektarbeit begleitet und bereichert aktuelle gesellschaftspolitische Debatten aus bundespolitischer und internationaler Perspektive, bietet Gesprächsplattformen für Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, stellt in seinen Studien und Publikationen Inhalte zur Diskussion und unterstützt die Vernetzung mit Partnerorganisationen sowie mit den Landes- und Auslandsbüros der Stiftung.
2. Was ist Rechtsextremismus?
2.2.1. Versuch einer Definition der Friedrich-Ebert-Stiftung
Bis heute streiten Experten um eine allgemein gültige Definition des Begriffs "Rechtsextremismus".
Die Friedrich-Ebert-Stiftung bat im Jahr 2006 elf führende Sozialwissenschaftler, sich auf eine Beschreibung zu einigen. Dies kam dabei heraus:
"Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen."
Die Friedrich-Ebert-Stiftung weiter:
Rechtsextremistisches Denken ist also eine Kombination von verschiedenen, inhumanen Einstellungen, beispielsweise Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus, von Sexismus (Diskriminierung aufgrund des Geschlechts), Autoritarismus (Befürwortung einer Diktatur) und Chauvinismus (der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe).
Völkische Rechtsextremisten – beispielsweise in der NPD – fordern explizit, dass jeder Einzelne sich und seine Interessen "der Volksgemeinschaft" unterzuordnen hat. Oft beziehen sie sich positiv auf den Nationalsozialismus, dessen Verbrechen sie dabei verharmlosen.
Teile rechtsextremer Ideologien sind in der Bevölkerung weit verbreitet.
Die Studie der Ebert-Stiftung "Vom Rand zur Mitte" ergab hohe Zustimmungen zu rechtsextremistischen Aussagen in allen Bundesländern und in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen – Rechtsextremismus ist kein Ost- und auch kein Jugend-Problem.
Dabei besteht die rechtsextreme Bewegung aus verschiedenen Schichten – differenziert nach verschiedem hohen Ideologie- und Organisationsgrad ihrer Mitglieder:
- Den Organisationskern bilden die Amts- und MandatsträgerInnen der rechtsextremen Parteien, die Neo-Nazi-Kader und die KameradschaftsführerInnen.
- Um diesen Kern herum befinden sich die Mitglieder und die Aktivisten der Szene.
- Das unmittelbare Umfeld dieser Mitglieder und Aktivisten besteht aus MitläuferInnen.
- Dieses Umfeld wird unterstützt vom kulturell-ideologischem Umfeld, den Sympathisanten.
Das verbindende Element aller Rechtsextremisten ist deren Vorstellung von der Ungleichwertigkeit der Menschen und damit die Ablehnung der unantastbaren Menschenwürde.
Pädagogische Präventionsarbeit und Intervention kann nur das unmittelbare Umfeld der MitläuferInnen und der Sympathisanten erreichen.
AktivistInnen, KameradschaftsführerInnen, Mandatsträger und Neo-Nazi-Kader sind ein Fall für die Polizei, den Staatsschutz und die Justiz.
2.2.2. Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Der Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches Gefüge dar. Vielmehr tritt er in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente und mit unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder „Rasse“ entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, welches die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt.
2.2.2.1. Ideologie der „Volksgemeinschaft“
Neben diesen Ideologiefragmenten verbindet Rechtsextremisten in aller Regel ihr autoritäres Staatsverständnis, in dem der Staat und das nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene Volk als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der „Volksgemeinschaft“ sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grandordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, fehlen.
2.2.2.2. Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und Islamfeindlichkeit
Unverzichtbare Ideologieelemente für die überwiegende Mehrheit der deutschen Rechtsextremisten stellen der – offen, unterstellend oder verbrämt geäußerte – Antisemitismus und der Geschichtsrevisionismus dar. Letzteres steht für eine ideologisch motivierte Umdeutung historischer Tatsachen, die eine verfälschende Geschichtsbetrachtung propagieren. In den vergangenen Jahren hat das Aktionsfeld der „Islamfeindlichkeit“ als eine moderne Form der Fremdenfeindlichkeit für die rechtsextremistische Szene an Bedeutung gewonnen. Hierbei versuchen Rechtsextremisten, Überfremdungsängste und Vorurteile gegenüber der Religion des Islam bzw. Muslimen zu erzeugen oder bestehende Ressentiments zu schüren, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Rechtsextremisten verfolgen mit ihrer fremden- und islamfeindlichen Agitation die Idee einer „Volksgemeinschaft“, die als Gegenmodell zur offenen, pluralistischen Demokratie präsentiert wird. Sie propagieren das drohende Aussterben des deutschen Volkes, einen „Volkstod“ durch Geburtenrückgang und Abwanderung auf der einen und Zuwanderung und „Überfremdung“ auf der anderen Seite.
2.2.2.3. Rechtsextremistisches Personenspektrum
Zum rechtsextremistischen Spektrum zählen hauptsächlich subkulturell geprägte Rechtsextremisten, Neonazis sowie legalistisch agierende rechtsextremistische Parteien. Zu diesen gehören etwa die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD), die „Bürgerbewegung pro NRW“ („pro NRW“) oder die Parteien „DIE RECHTE“ und „Der III. Weg“. Die einzelnen Teilspektren überkreuzen sich mitunter in einigen Bereichen, so dass eine trennscharfe Unterscheidung nicht immer möglich ist: so dominieren beispielsweise Neonazis den Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei „DIE RECHTE“, der als Ersatz für verbotene neonazistische Kameradschaften auftritt. Auch in der Partei „Der III. Weg“ ist – insbesondere bei den bayerischen Stützpunkten – erkennbar,...