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E-Book

Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro

AutorAlfred Russel Wallace
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl624 Seiten
ISBN9783462308075
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Sammler des verlorenen Schatzes. Ein waghalsiger Forscher begibt sich auf eine der abenteuerlichsten Expeditionen, die es je gab: Alfred Russel Wallace und seine Forschungsreise ins Amazonasgebiet. Auf eigene Faust bricht der Naturenthusiast Alfred Russel Wallace im Jahr 1848 von England nach Brasilien auf, um die Tier- und Pf lanzenwelt am Amazonas zu erforschen. Wallace schlägt sich von Pará (heute Belém) aus zu den Oberläufen des Rio Negro durch - und gelangt dabei in Gegenden, die noch kein Europäer vor ihm betreten hatte. Die Beobachtung der Affen- und Schmetterlingsarten an beiden Flussufern bringt ihn erstmals auf die Spur der Evolutionstheorie, die er später zeitgleich mit Charles Darwin entwickeln wird. Die Erträge seiner Expedition sind großartig, das Unternehmen endet jedoch in einer Katastrophe: Von Krankheiten, Sandf löhen (die ihre Eier unter seine Zehennägel legen) und den ewigen Kriebelmücken geplagt, ist Wallace am Ende so ausgezehrt, dass er nur mit der Hilfe der Einheimischen überlebt. Die aber trinken den Alkohol, mit dem eigentlich die Fundstücke konserviert werden sollten; und Horden von Ameisen machen sich über die Sammlung her. Auf dem Rückweg setzt Wallace alles auf eine Karte: Er selbst, seine Aufzeichnungen und Zigtausende Sammlungsstücke treten auf dem Zweimaster Helen die Heimreise an. Auf hoher See bricht an Bord ein Feuer aus. Die Besatzung kann sich auf Beiboote retten. Doch für Wallace' Sammlung, auch für die lebenden Affen und Vögel, die in England an Zoos und Sammler verkauft werden sollten, gibt es keine Rettung. Nur einen einzigen Papagei kann Wallace lebend aus dem Wasser fischen. Der gesamte Ertrag seiner Reise versinkt in den Fluten des Ozeans. Zurück in England, rekonstruiert Wallace seine Erlebnisse anhand von wenigen Notizen und Erinnerungen. Seinen Reisebericht, sowohl Abenteuerroman, Forschungsgeschichte und frühes Zeugnis der Suche nach dem Ursprung der Arten, gab es auf Deutsch nur 1855 in einer stark verstümmelten Fassung - nun, nach über 150 Jahren, wird er endlich für die deutschsprachige Leserschaft erschlossen!

Alfred Russel Wallace (1823-1913) war einer der einflussreichsten Naturwissenschaftler seiner Zeit. Er entwickelte zeitgleich mit Darwin die Theorie von der Entstehung der Arten und begründete die Biogeografie. Nach ihm sind Mond- und Marskrater, Flugfrösche und ganze geografische Regionen benannt. Bei Galiani erschien 2013 die erste deutsche Biografie über Wallace, Am Ende des Archipels von Matthias Glaubrecht.

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Leseprobe

Kapitel I. Pará.


Ankunft in Pará – Äußeres Ansehen der Stadt und ihrer Umgebung – Die Einwohner und ihre Tracht – Vegetation – Sinnpflanzen – Eidechsen – Ameisen und andere Insekten – Vögel – Klima – Nahrung der Einwohner

Es war am Morgen des 26. Mai 1848, dass wir, nach einer kurzen neunundzwanzigtägigen Reise von Liverpool, dem südlichen Ausflusse des Amazonas gegenüber vor Anker gingen, und zum ersten Male Süd-Amerika ansichtig wurden. Nachmittags nahmen wir einen Lotsen an Bord und segelten am nächsten Morgen mit günstigem Winde den Strom hinauf, welcher sich auf fünfzig Meilen hin nur durch seine Ruhe und durch seine farblosen Wasser vom Ozean unterscheidet. Die nördliche Küste blieb unsichtbar und die südliche in einer Entfernung von zehn bis zwölf Meilen. Am 28. früh ankerten wir wieder, und als die Sonne am wolkenlosen Himmel erschien, begrüßten wir die Stadt Pará, umgeben von dichten Wäldern und überragt von Palmen und Pisangfeigen, doppelt schön durch die üppigen tropischen Gewächse in ihrer natürlichen Schönheit, die wir so oft in den Treibhäusern von Kew und Chatsworth bewundert hatten. Die Boote, die mit ihrer gemischten Bemannung von Schwarzen und Indianern an uns vorüberfuhren, die Geier, die über unsern Köpfen kreisten oder langsam am Ufer einherspazierten, das Gewimmel der Schwalben auf den Türmen und Dächern, alles dies und noch viel mehr diente dazu, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln, bis die Zollbeamten an Bord kamen und es uns erlaubt war, an Land zu gehen.

Pará zählt ungefähr fünfzehntausend Einwohner und erstreckt sich über keinen großen Flächenraum; dennoch ist es die größte Stadt an dem größten Flusse der Welt, dem Amazonas, und ist die Hauptstadt einer Provinz, die in ihrer Ausdehnung so groß wie das ganze westliche Europa ist. Es ist die Residenz eines Präsidenten unter dem Kaiser von Brasilien, und eines Bischofs, dessen Bistum sich zweitausend Meilen ins Innere des Landes erstreckt, welches noch mit unzähligen Stämmen unbekehrter Indianer bevölkert ist. Die Provinz Pará ist der nördlichste Teil von Brasilien, und obgleich es der von der Natur am reichsten ausgestattete Teil dieses enormen Reiches ist, so ist es doch der am wenigsten bekannte und bis jetzt von der geringsten kommerziellen Wichtigkeit.

Die Ansicht der Stadt vom Fluss aus, der schönste Anblick, den man haben kann, ist nicht fremdartiger als der von Calais oder Boulogne. Die Häuser sind im Allgemeinen weiß, und verschiedene schöne Kirchen erheben ihre Türme und Dome über ihnen. Die Kraft der Vegetation ist überall vorherrschend. In den Nischen, Spalten und auf den Gesimsen der Gemäuer sieht man Pflanzen, und auf den Mauern und in den Fensterböschungen der Kirchen entsprossen üppige Gewächse und kleine Bäume. Um die Stadt erstreckt sich ununterbrochener Wald, alle kleinen Inseln des Flusses sind bis zur Wasserlinie bewachsen, und viele Sandbänke, die von der Flut überschwemmt werden, sind mit Sträuchern und kleinen Bäumen bedeckt, von denen jetzt nur noch die Wipfel auf der Oberfläche sichtbar waren. Der Anblick der Bäume im Allgemeinen war von denen Europas nicht sehr verschieden, nur da, wo der »federige Palmbaum« seine graziöse Form erhebt; aber unsere Einbildung malte sich geschäftig die wunderbaren Szenen, die wir in den ferneren Teilen zu sehen erwarteten, und wir sehnten uns nach der Zeit, wo es uns vergönnt sein würde, unsere Forschungen zu beginnen.

Wir gingen beim Landen direkt zum Hause des Mr. Miller, des Agenten unseres Schiffes, von welchem wir sehr freundlich empfangen wurden und der uns ersuchte, bei ihm zu bleiben, bis wir uns passend eingerichtet haben würden. Wir wurden hier den meisten englischen und amerikanischen Einwohnern, welche gering an Zahl und alle Geschäftsleute waren, vorgestellt. Während der vier folgenden Tage beschäftigten wir uns damit, die Umgegend der Stadt zu besuchen, präsentierten unsere Pässe, erlangten die Erlaubnis, uns aufhalten zu dürfen, machten uns mit dem Volke und der Vegetation bekannt und bemühten uns, eine für unser Vorhaben passende Wohnung zu finden. Da eine solche aber nicht gleich zu bekommen war, zogen wir nach Mr. Millers »Rosinha« oder Landhaus, welches ungefähr eine halbe Meile vor der Stadt lag und das er so freundlich war, uns zu unserem Gebrauche zu überlassen, bis wir ein passenderes Quartier gefunden haben würden. Betten und Bettstellen sind hier nicht nötig; gewebte baumwollene Hängematten werden im Allgemeinen zum Schlafen gebraucht, die auch der Leichtigkeit wegen, mit der sie transportiert werden können, hier sehr beliebt sind. Diese Hängematten nebst einigen Tischen und Stühlen und unseren Kästen waren alles, was wir an Möbeln hatten und brauchten. Wir mieteten einen alten Schwarzen namens Isidora als Koch und Diener und fingen nun an, eine regelmäßige Wirtschaft zu führen, lernten Portugiesisch und untersuchten die natürlichen Erzeugnisse des Landes.

Meine bisherigen Reisen hatten sich nur auf England und den Kontinent erstreckt, sodass hier für mich alles den Reiz der vollkommensten Neuheit hatte; dennoch fühlte ich mich im Ganzen enttäuscht. Das Wetter war nicht so heiß, das Volk nicht so sonderbar, die Vegetation nicht so auffallend als das glühende Bild, welches mir meine Phantasie heraufbeschworen und worüber ich während der Anstrengungen der Seereise gebrütet hatte. So wird es aber im Allgemeinen und in allem der Fall sein. Eine schöne Szenerie von einem gegebenen Punkt aus gesehen, kann von einem Maler kaum übertrieben werden, und es gibt deren viele, welche alle Ansprüche des erwartungsvollsten Beschauers befriedigen würden; dann ist es die allgemeine Wirkung, die mit einem Mal die Aufmerksamkeit fesselt; die Schönheiten brauchen nicht gesucht zu werden, sie liegen alle vor uns. Mit einem Distrikt oder einer Gegend ist es anders, da sind individuelle Gegenstände von Interesse, welche gesucht, beobachtet und verstanden werden müssen. Der Zauber eines Distrikts erwächst im Verhältnis, wie die verschiedenen Teile hervortreten, und im Verhältnis, wie unsere Erziehung und Gewohnheiten uns befähigen, sie zu bewundern und zu verstehen. Ganz besonders ist dies in tropischen Gegenden der Fall. Einzelne solcher Plätze werden ohne Zweifel als ganz und gar unvergleichlich erscheinen; aber in den meisten Fällen geschieht es nur nach und nach, dass die verschiedenen Sonderbarkeiten, die Tracht des Volks, die fremdartigen Formen der Vegetation und das Neue in der Tierwelt sich uns zeigen werden, um einen bestimmten und zusammenhängenden Eindruck auf uns zu machen. Daher kommt es auch wohl, dass Reisende mit ihren Beschreibungen der Wunder und unbekannten Dinge, die sie in Wochen und Monaten beobachtet haben, durch das Zusammendrängen beim Leser eine falsche Vorstellung hervorbringen und ihm beim Besuch der Gegend so manche Täuschung verursachen. Als ein Beispiel, was ich hiermit meine, will ich nur angeben, dass ich während der ersten Woche unseres Aufenthaltes in Pará, obgleich ich fortwährend im Walde nächst der Stadt umherwanderte, keinen einzigen Kolibri, Papagei oder Affen bemerkte. Und doch gibt es, wie ich nachher gefunden, Kolibris, Papageien und Affen dort im Überflusse, aber man muss sie suchen und eine gewisse Bekanntschaft mit ihren natürlichen Gewohnheiten ist notwendig, um ihre Schlupfwinkel zu entdecken.

Dennoch hat Pará genug, um sich von dem Vorwurf zu reinigen, den ich, wie man glauben möchte, ihm gemacht. Jeder Tag zeigte uns etwas Neues, irgendein neues Wunder, wie wir es nur in der unmittelbaren Nähe des Äquators zu finden hofften. »Eben jetzt bei dem letzten Schimmer der Dämmerung flattert die Vampirfledermaus in meinem Zimmer und zwischen den Balken des Hauses umher (denn hier haben die Zimmer keine Decken) und schwirrt hin und wieder mit einem fast gespensterartigen Geräusch an meinen Ohren vorüber«. Die Stadt selbst ist nach einem sehr ausgedehnten Plan angelegt; viele der Kirchen und öffentlichen Gebäude sind sehr schön, aber Verfall und nachlässige Reparaturen haben ihnen sehr geschadet. Man erblickt zwischen den Häusern hier und da ein Stückchen Garten und wüsten Grund, mit wucherndem Unkraut und einigen Bananen, von halb verfaulten Zäunen umgeben, was für ein europäisches Auge befremdend schlecht aussieht. Die Märkte und öffentlichen Plätze sind teils der Kirchen und schönen Gebäude, welche sie umgeben, teils der verschiedenartigen sie zierenden Palmen wegen, zu welcher sich die Pisangfeige und Banane gesellt, sehr malerisch; dennoch haben sie mehr das Ansehen eines Dorfplatzes als das einer großen Stadt. Fußpfade kreuzen sich in verschiedenen Richtungen durch eine wild verwachsene Vegetation von kräuterartigen Kassien [der Gattung Cassia], staudenartigen Winden der Gattung Convolvulus und der schönen orangenfarbigen Asclepias curassavica, Pflanzen, welche hier den Platz der Schilfe, Ampfer und Nesseln unseres Vaterlandes einnehmen. Die Hauptstraße Rua dos Mercadores (Straße der Kaufleute) enthält die einzigen bedeutenden Kaufläden der Stadt, die in ihrer Front fast ganz offen sind, im Ganzen recht nett und anziehend, wenn auch mit einem etwas gemischten Warenvorrat ausgelegt und dekoriert. Die meisten Häuser sind nur einen Stock hoch, in der Straße findet man hin und wieder etwas Pflaster, doch so wenig, dass nur dadurch der nächste Weg auf rauen unebenen Steinen und in tiefem Sande noch unangenehmer wird. Die anderen Straßen sind...

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