2 ZWISCHEN WHITEHORSE UND BRAEBURN
7. Februar, 14.00 Uhr
Nach den ersten vierzig Kilometern führt die Strecke plötzlich vom Fluss Takhini weg, biegt in einen Wald ab und steigt dann über einen engen Weg in die Berge an.
»Los, meine kleinen Hunde!«
Aber diesen Ansporn brauchen sie gar nicht. Obwohl sie bereits vierzig Kilometer zurückgelegt haben, sind sie immer noch munter und voller Elan. Beim Anstieg überholen wir Kristin Knight Pace, eine 31-jährige »Musherin«, die mit der Nummer 12 startete. Sie macht gerade eine Snacker*-Pause und füttert am Pistenrand ihre Hunde. Im Vorbeifahren mache ich ihr ein aufmunterndes Zeichen, das sie mit einem breiten Lächeln erwidert. Unter »Snacks« verstehen wir Energieriegel, die alle zwei bis drei Stunden an die Hunde verteilt werden, kleine Brocken aus vermengtem Fisch, Fleisch und Kroketten, die jeder nach seinem eigenen Rezept herstellt. Ihre Zubereitung gehört zu den Arbeiten, die bei der Vorbereitung der Food Drops* am meisten Zeit kosten: Beutel mit den Namen der Musher, die zu den verschiedenen Kontrollpunkten geschickt, dort gelagert und dann vom jeweiligen Musher bei der Durchfahrt mitgenommen werden. Diese Beutel waren der Grund für eine völlig ungerechte Disqualifizierung, von der ich beim Rennen im Jahr 1997 betroffen war, nachdem ich als Vierzehnter mit meinem Gespann – kräftige nordische Hunde – die Ziellinie überquert hatte.
Abgesehen vom Inhalt dieser im Voraus an den Kontrollpunkten deponierten Beutel ist keine andere Verpflegung, sind keine weiteren Ausrüstungsgegenstände oder Medikamente erlaubt. Man hat inzwischen die volle Bedeutung dieser Food Drops mit den in ihnen deponierten Versorgungsgütern erfasst. Der Musher muss vorausplanen, was er braucht, und darf nichts vergessen: Nahrung für die Hunde und natürlich für sich selbst, aber auch Ersatzkufen, Batterien für die Stirnlampe, zusätzliche Handschuhe und Socken, kleine Booties für die Ballen der Hunde, Massagecremes für die Pfoten usw. Da die Anzahl der Beutel nicht beschränkt ist – bis auf die Bestimmung, dass das Gesamtgewicht von maximal etwa zwanzig Kilo nicht überschritten werden darf –, nehmen alle mehr mit als erforderlich, für alle Fälle und weil niemand von vornherein weiß, wie lange eine Etappe und die nachfolgende Erholungspause dauern werden. Der Rest, den man nicht verbraucht hat, wird nach dem Aufbruch des Mushers vom Handler abgeholt. Von diesem Moment an darf der Musher, der aus irgendeinem Grund umkehren muss, den zurückgebliebenen Proviant nicht mehr berühren. Man empfiehlt somit den Handlern, erst mindestens eine Stunde nach der Abfahrt ihres Mushers die übrig gebliebenen Vorräte abzuholen, da man weiß, dass Musher häufig umkehren. Im Allgemeinen macht einer kehrt, um einen Hund zurückzubringen, der Probleme hat. Die Rechnung ist einfach: Es ist besser, eine Stunde durch eine Umkehr zu verlieren, als einen Hund, der erschöpft oder verletzt ist, über Hunderte von Kilometern oder mehr im Schlitten mitzuschleppen. Bei der Weiterfahrt an einem Kontrollpunkt zögert man manchmal die Entscheidung noch hinaus. Meist bestätigt sich die Diagnose erst beim Laufen auf der Piste. Daher erfordern gerade die ersten Kilometer große Wachsamkeit.
Auf den gefrorenen Gewässern des Yukon und des Takhini-Flusses dringt die Kälte bis in die Knochen, trotz der Wärme, die die tief stehende Sonne zu geben scheint. Aber im Schutz des Waldes und dank meiner Anstrengungen, von einer Kufe auf die andere zu springen, um den Schlitten zu lenken, öffne ich schnell den Reißverschluss meiner dick gefütterten Jacke. Die Kälte ist ein Gefährte, den ich schon seit Langem gezähmt habe. Wir kennen einander durch und durch. Trotz einiger Querelen ist unsere Freundschaft unzerstörbar. Regel Nr. 1: Um mit diesem Freund und seinem eisigen Temperament gut auszukommen, darf es einem nie zu heiß sein. Also habe ich überall Reißverschlüsse, damit ich die Temperatur ständig regeln kann und ich nie ins Schwitzen gerate. Außerdem muss man versuchen, ein wenig in der Kälte zu bleiben, man darf sich nicht zu weit von diesem Gefährten entfernen, da er es nicht mag, lange vernachlässigt zu werden.
Ich halte Kälte erstaunlich gut aus. Ich schaffe es, bei minus vierzig Grad mit bloßen Händen den Hunden die Booties überzustülpen. Die kleine, einfache Wollmütze, die ich trage, erregt Heiterkeit. »Ah, der kleine Franzose, er hat keine Ahnung, wie kalt es bei uns sein kann! Hast du seine Mütze gesehen?« Ich habe sie letzten Winter vier Monate lang sowohl bei minus fünfzig Grad als auch bei minus zehn Grad getragen.
Nein, die Kälte ist für mich bei diesem Rennen kein Feind. Einigen der anderen Musher jagt sie vielleicht Angst ein, wenn sie die Wettervorhersagen hören. Mich aber lässt sie buchstäblich kalt, auch wenn ich sehe, dass sie den Hunden Energie raubt und ihnen Erfrierungen zufügt, insbesondere an ihrer empfindlichsten Körperstelle – lachen Sie nicht –, dem Penis.
Dagegen bereitet mir der Schlafmangel große Sorgen. Meiner Meinung nach sind dessen negative Folgen viel besorgniserregender als die der Kälte, auch wenn sie noch so schrecklich ist. Während des Quests schlafen die Musher durchschnittlich bestenfalls zwei bis drei Stunden im Verlauf von 48 Stunden. Das ist sehr wenig, zumal sie außerhalb dieser häufig unbequemen Erholungspausen – im Stehen auf dem Schlitten oder im Schnee – bis zur Erschöpfung schuften müssen.
Die Übermüdung nimmt von Tag zu Tag zu, verstärkt sich, erfasst die Musher von Kopf bis Fuß und ruft Halluzinationen hervor, die schon einigen, die sich eine gute Position im Rennen erarbeitet hatten, übel mitgespielt haben. So machte einer von ihnen, der sich an der Spitze befand, kehrt in der irrigen Annahme, auf der Piste jemanden getroffen zu haben, der ihm versichert hatte, dass der Zielort verlegt worden sei und man umkehren müsse. Mein Freund, der große Musher Frank Turner, war ihm begegnet, verstand aber nicht, warum er umkehrte. Der Musher war völlig desorientiert; er wusste nicht mehr, was er glauben sollte, war es Frank oder ein Produkt seiner Halluzination, dem er begegnet war? Schließlich schlief er am Fuß seines Schlittens in seinem Schlafsack ein. Er wurde von zwei nachfolgenden Gespannen überholt. Zwei Stunden später kam er wieder zu sich und setzte seinen Weg zum Ziel fort ...
Schlafmangel lässt keinen klaren Gedanken zu. In einem allgemein verwirrten Zustand häufen sich Fehler, die man unter »normalen« Bedingungen nicht begehen würde. Die Fähigkeit der Musher, mit dem Schlafmangel fertig zu werden, schwankt, ist aber ein ebenso maßgeblicher Faktor für das Gelingen wie Ausdauer oder Geschwindigkeit der Hunde, und genau das macht die Großartigkeit dieses Rennens aus, das so viele unterschiedliche Elemente aufweist. Es genügt nicht, einfach nur ein guter Musher zu sein und gute Hunde zu haben.
Bin ich ein »guter« Musher? Sicherlich verfüge ich, wie Frank Turner meint, dank meiner zahlreichen Expeditionen durch die Weiten des hohen Nordens, bei denen ich Zigtausende Kilometer zurückgelegt habe, über ungewöhnlich viel Erfahrung als Musher und auch als Weltenbummler. Dagegen habe ich von Langstreckenrennen dieses Kalibers eigentlich wenig Ahnung. Auf diesem Gebiet muss ich noch viel lernen, genauso wie die Hunde. Aber ich bin lernbegierig, und vor allem habe ich Lust dazu.
Sind meine Hunde »wettbewerbsfähig«? Da ich sie zuvor noch nie für ein Rennen angeschirrt habe, habe ich keine objektiven Vergleichsmöglichkeiten. Das einzige Rennen, das sie ausgetragen haben, war ein 300 Kilometer langes Rennen in Alaska, das Gin Gin, an dem Fabien mit ihnen teilgenommen hat – mit durchschnittlichem Ergebnis. Ich weiß also nicht genau, wie ich ihren Wert einschätzen soll, aber ich kenne meine Hunde durch und durch und weiß, dass sie gewöhnlich gut zusammen laufen. Sie bilden ein festes, solidarisches Team. Das stellt eine Macht dar, über die viele andere Musher nicht verfügen. Sie trainieren zwar oft bis zu hundert Hunde, um am Ende vierzehn davon auszuwählen, die dann aber keinerlei Teamgeist gelernt haben.
In der Hektik des Starts vergaß ich, mein GPS-Ortungssystem auf null zu stellen, sodass ich jetzt nicht genau weiß, wo wir uns befinden. Aber die drei zurückgelegten Stunden sind ein verlässlicher Anhaltspunkt für mich, da ich ziemlich genau die Geschwindigkeit meines Gespanns einschätzen kann. Im Durchschnitt sind es etwa sechzehn Kilometer pro Stunde. Wir haben inzwischen fast fünfzig Kilometer geschafft. Ich muss also noch vierzig zurücklegen, bis ich eine Stelle wählen kann, wo wir haltmachen. Dort werde ich dann die Hunde füttern und für ein paar Stunden eine Pause einlegen, damit sie sich erholen können und ihre Nahrung verdauen.
Das Licht wird allmählich schwächer, und ich rücke meine Stirnlampe zurecht, um mich nicht von der zunehmenden Dunkelheit überrumpeln zu lassen. Die Hunde trotten munter auf diesem Waldweg weiter, der von Wildgeruch erfüllt ist: Bisons, Wapitihirsche, Hasen und Rebhühner ... Es ist leicht, den Schlitten zu lenken, mit Ausnahme einiger verwinkelter Abschnitte, bei denen man wachsam sein und mit ganzer Kraft erst auf eine Kufe und dann auf die andere drücken muss, um gut mit den Kurven und einigen steilen Abhängen fertig zu werden. Ab und zu öffnet sich die Landschaft, und ein Sumpf oder ein See kommt in Sicht....