Vorwort
„Nichts wird je real, solang es nicht erlebt wird.“
John Keats
In diesem Buch geht es darum, eine achtsame Führungsperson zu werden. Wie Wheatley und Kellner-Rogers (1996) schreiben:
„Das Leben ist in ständiger Bewegung, ,in stetem Werden‘. Die Bewegungen des Lebens wirbeln nach innen zur Schaffung des Selbst und nach außen zur Schaffung der Welt. Wir wenden uns nach innen, um ein Selbst hervorzubringen. Das Selbst dann wendet sich nach außen, anderes suchend, sich vereinend.“ (Ebd., S. 88)
Führungsperson zu werden ist unbedingt notwendig, weil Leadership der Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsversorgung ist und bitterer Mangel an Leadership herrscht. Während der vergangenen zehn Jahre haben Weißbücher der Regierung in Großbritannien eine dynamische Leadership gefordert, um Reformen der Gesundheitsversorgung voranzubringen. In einem Rundschreiben an NHS-Trusts im Oktober 2009 zur letzten Qualitätsinitiative formulierte der Geschäftsführer des NHS, David Nicholson, die Notwendigkeit des richtigen Fokus auf Leadership und der richtigen Leadership (Department of Health, 2009a). Nicholson erkannte zwar die Notwendigkeit, lieferte aber über den Hinweis, es ginge im Wesentlichen um die Sicherung von Qualität und Dienstleistung, hinaus keine Vision – ein etwas enggefasster und funktioneller Ansatz. Die Qualität der Dienstleistungen sicherzustellen ist zwar eindeutig eine wichtige Leadership-Aufgabe, aber eher etwas, das eine Führungsperson tut. Es geht weniger darum, wer eine Führungsperson ist.
Leadership befasst sich im Wesentlichen mit Beziehungen statt mit Ergebnissen, deren Bedeutung indessen nicht geschmälert werden soll, schon gar nicht in einer Gesundheitsversorgungskultur, die auf Ziele und Ergebnisse fixiert ist. Wenn Sie jedoch den Prozess richtig verstehen und gut hinbekommen, werden bei höherer Qualität, Produktivität und Zufriedenheit auch die richtigen Ergebnisse erzielt.
Leadership ist der lebendige Geist einer Organisation. Leuchtet er hell, strömen die Menschen über vor Kreativität, Enthusiasmus und gutem Willen zu einem gemeinsamen Ziel. Ohne Leadership stolpern Organisationen im Dunkeln dahin. Fragen Sie sich also: „Warum wurde Leadership in der Gesundheitsversorgung bislang so wenig kultiviert?“ Es scheint, als gebe es eine dreifach irrige Annahme, dass…
- … Praktiker über Leadership-Fähigkeiten verfügen.
- … die Natur von Leadership missverstanden wird.
- … Leadership bereits vorhanden ist.
Also solche ist Leadership in der transaktionalen Kultur von NHS-Organisationen mit ihrem Mantra von Kommando und Kontrolle eine seltene Qualität. Angehende Führungspersonen in der Gesundheitsversorgung sind sich daher nicht sicher, was es bedeutet, eine Führungsperson zu sein, weil sie nur selten Leadership erleben.
Aufgrund ihrer Kultur kann die transaktionale Organisation Leadership nicht integrieren – zumindest nicht auf einem realen Niveau. Nicht nur das, diese Organisationen wehren sich sogar gegen Leadership, weil diese ihre eigenen erlernten Arbeitsmuster, von denen sie beherrscht wird, bedroht. Insofern herrscht ein Spannungsverhältnis zwischen der Vorstellung von Leadership und deren gelebter Realität. Diese Spannung zu verstehen und auf ihre Lösung hinzuarbeiten, bildet die Grundlage dafür eine Führungsperson zu werden, wie ich im Text eingehend darlegen werde. Ich lade den Leser ein, mit ebendieser Spannung in Dialog zu treten, mit ihr zu gehen und hoffentlich mit ihr zu wachsen.
Jeder Mensch hat das Potenzial zu einer Führungsperson, ganz gleich, aus welcher Berufsgruppe er stammt oder welche Rolle er in der Organisation spielt. Ich habe bereits die Gefahr erwähnt, davon auszugehen, Praktiker hätten die Fähigkeiten zur Leadership (Alimo-Metcalfe, 2002). Dem stimmen auch Bennett und Robinson (2003) zu, indem sie betonen, Organisationen und Pädagogen träfen in Bezug auf Leadership zu viele Annahmen über bestehendes Wissen und vorhandene Fähigkeiten. Diese Autoren argumentieren, persönliche Wertvorstellungen, Überzeugungen und Einstellungen zu ändern sei ebenso wichtig wie die Entwicklung von Wissen und Fähigkeiten, um Praktiker für ihre erweiterte Rolle fit zu machen. Wenn diese Veränderungen in theoretisches und praktisches Wissen integriert werden sollen, muss man sich klarmachen, dass sich das Lernen über Leadership unmöglich vom Lernen über das eigene Selbst trennen lässt.
Wenn ich an große Führungspersönlichkeiten denke, fällt mir sofort Nelson Mandela ein. Dies sage ich nicht aus Trauer über seinen Tod im November 2013, sondern einfach aufgrund seiner enormen Präsenz auf der Weltbühne. Er sagte: „Es ist besser, aus dem Hintergrund zu führen und andere in den Vordergrund zu stellen, vor allem, wenn man einen Sieg feiert, wenn angenehme Dinge geschehen. Man geht nach vorn, wenn Gefahr besteht. Dann werden die Menschen Ihre Führung würdigen.“
Diese Worte deuten auf eine Leadership, die hinter der Bühne tätig ist und ein Umfeld der Leistung und des Erfolgs schafft. Wenn nötig, tritt sie vor und übernimmt die Führung, sodass die Menschen sich sicher fühlen.
Da ich in Cornwall lebe, amüsierte mich ein Bild von Nelson Mandela auf einem Bierdeckel, eine Fleischpastete in der Hand und mit den Worten: „Ein guter Kopf, ein gutes Herz und eine gute Fleischpastete sind immer eine grandiose Kombination.“ (www.cornish.co.uk). Anders gesagt, müssen Führungspersonen ihre guten Köpfe und guten Herzen stets in geeigneter Weise nähren. Fleischpasteten haben den Bergarbeitern dieser Region bei ihrer harten Arbeit über Jahrhunderte Kraft gegeben! Dieses Buch gleicht einer Fleischpastete aus Cornwall, die Führungspersonen Kraft gibt, sich auf ihrem Weg zur Führungsperson durchzubeißen.
Mein Interesse an Leadership ergab sich aus meiner Stellung als Geschäftsführer am Burford Community Hospital, als ich mir meine Rolle als klinischer Leiter eines im Krankenhaus tätigen Primary-Nursing-Teams näher betrachtete. Meine eigene Leadership-Entwicklung hatte bis dahin nicht stattgefunden. Irgendwann einmal hatte ich einen Kurs für Management auf der untersten Führungsebene absolviert. Wohlgemerkt, es war ein Management-, kein Leadership-Kurs. Vielleicht glaubt man, Leadership sei angeboren oder würde durch bloße Diffusion erlernt, wenn man erst einmal lange genug der Praxis ausgesetzt war. Den Ausführungen von Porter-O´Grady (1992, S. 18) zufolge „haben die meisten Führungspersonen keine Leadership-Ausbildung und haben es bei ihrem Job gelernt“. Würde indessen nicht jede Organisation, die ihre Humanressourcen wertschätzt, in ihr Personal investieren, um dessen Leistungsvermögen zu optimieren? Angesichts der Kosten für die Humanressourcen wäre es sinnlos, dies nicht zu tun. Fragen eines optimalen Leistungsvermögens sind untrennbar mit Fragen der Qualität und der Clinical Governance verknüpft. In seinem Weißbuch A First Class Service definierte das Department of Health (1998) Clinical Governance als “… einen Bezugsrahmen, dem gegenüber Organisationen für die kontinuierliche Verbesserung der Qualität ihrer Dienstleistungen und die Aufrechterhaltung hoher Versorgungsstandards verantwortlich sind, indem sie ein Umfeld schaffen, in dem vorzügliche Leistungen in klinischer Versorgung gedeihen können.“
Dies vermittelt eine andere Botschaft: einen Schwerpunkt auf Menschen statt auf Ergebnissen.
Jaworski (1998, S. 66) stellt fest: „Leadership dreht sich um das Freisetzen menschlicher Möglichkeiten.“ Diese Worte erfassen etwas von der Größe von Leadership und ihrem moralischen Bestreben. Solche Worte inspirieren mich, wenn ich Leadership in meinem eigenen beruflichen Handeln zu realisieren suche, ob als Pädagoge oder als Therapeut, der mit Patienten in einem Hospiz arbeitet. Es kommt nicht darauf an, ob ich Menschen manage oder nicht. Wichtig ist, dass ich Teil eines Teams bin und Verantwortung dafür übernehme, mich als Teil dieses Teams zu gerieren, indem ich kooperativ auf die Verwirklichung einer gemeinsamen Vision hinarbeite.
Struktur des Buches
Das Buch ist angelegt, Sie in neue Betrachtungsweisen von Leadership hineinzuziehen. Es gründet auf den Narrativen angehender Führungspersonen als Teil kollaborativen forschenden Lernens, wie man eine Führungsperson wird. Jede Führungsperson stimmte zu, ihr Narrativ der Analyse und eventuellen Publikation zugänglich zu machen. Es wurden mehr als 80 Narrative erstellt, die eine reiche Datenquelle bilden, um meine Erkenntnisse über die Realisierung von Leadership in verschiedenen Disziplinen von NHS-Organisationen darzustellen. Es scheint, als zeige sich daran, dass Leadership im Allgemeinen als weich und weiblich betrachtet wird, wogegen Management als hart und männlich gilt. Betrachtet man die patriarchale Natur von Gesellschaft, ergibt dies einen Sinn. Die Narrative sind überzeugend und fesselnd, weil sie das Ringen der Führungspersonen um Überwindung sowohl eigener als auch in normalen Mustern organisationaler Beziehungen eingebetteter Barrieren und um Realisierung wünschenswerter Leadership aufzeigen. Unabhängig von der Disziplin bleibt der Grundtenor – wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen – derselbe. Die transaktionale...