|7|Vorwort
Historisch gesehen finden sich Menschen in Mitteleuropa in einer ungewöhnlich stabilen und friedlichen Situation: Not, Hunger und Krieg, die in anderen Teilen der Welt bis heute tragischerweise häufig vorkommen und die auch in Mitteleuropa frühere Generationen sehr beeinträchtigt haben, gehören in der heutigen Zeit nur für eine Minderheit von Menschen zu ihrem Alltag. Auch wenn Benachteiligung und Diskriminierung für viele Menschen auch heute noch von Bedeutung sind, sind die materiellen Bedürfnisse der meisten Menschen gedeckt. Vor diesem Hintergrund mag es erstaunlich erscheinen, dass psychische Belastungen für viele Menschen eine sehr große Rolle spielen. Psychische Beschwerden beziehen sich häufig auf Gefühle der Überlastung und des Gestresstseins. Sie finden sich in unterschiedlichen Schweregraden – vom Zustand des phasenweisen Gestresstseins oder der Tendenz zum Grübeln bis hin zu psychischen Störungen wie Ängsten und Depressionen.
Wie kann es in einer Zeit relativer Sicherheit und Stabilität dazu kommen, dass viele Menschen zum Teil erheblich unter diesen genannten Belastungen leiden? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass einzelne Faktoren dieses Leiden vollständig erklären können – bekannt ist beispielsweise, dass Menschen in prekären Verhältnissen (z. B. Arbeitslosigkeit, alleinerziehende Eltern) besonders häufig betroffen sind. Neben diesen – ausschließlich politisch zu beeinflussenden – sozialen Faktoren scheinen jedoch auch psychologische Faktoren eine erhebliche Rolle zu spielen: Die neuere Forschung hat beispielsweise überzeugende Hinweise dazu geliefert, dass häufig gerade die Mittel und Wege, mit denen aus Sicht der Betroffenen ein bestimmtes psychisches Problem, wie z. B. Depression oder Ängstlichkeit, überwunden werden soll, dieses aufrechterhalten.
|8|Hinweis: Versuche, sich aus Problemen „herauszugrübeln“, verschlimmern diese häufig
Wenn ich etwa versuche, den Dingen, die mich belasten, „auf den Grund zu gehen“ kann dies einerseits zu hilfreichen Einsichten führen, die eine erfolgreiche Veränderung bewirken können. Der Versuch, Dingen auf den Grund zu gehen, kann aber auch fruchtlose Grübelspiralen in Gang setzen, die zu einer Aufrechterhaltung von Depressionen oder Ängsten beitragen können und dazu, dass aus belastenden Gefühlen, die phasenweise auftreten, dauerhafte psychische Störungen werden.
So vielschichtig die Ursachen für ein verstärktes Erleben von Stress, Ängsten, depressiven Verstimmungen und häufigem Grübeln sein mögen so komplex sind sicherlich die Möglichkeiten, diese günstig zu beeinflussen. Neben einer sozialen Unterstützung betroffener Menschen in schwierigen Lebenssituationen wurde eine Reihe psychologischer Methoden entwickelt, die Menschen helfen können mit Belastungen umzugehen. Im Zentrum dieses Ratgebers steht eine dieser Methoden, die in jüngerer Zeit sehr erfolgreich dazu eingesetzt wurde, Menschen bei der Bewältigung der genannten Probleme zu unterstützen und für die eine Vielzahl wissenschaftlicher Wirkungsnachweise vorliegt. Wir wollen Ihnen in diesem Buch das Prinzip der Achtsamkeit vorstellen und nahebringen, in der Hoffnung, dass Sie es bei der Bewältigung Ihrer psychischen Belastungen nutzen können.
An wen wendet sich dieser Ratgeber?
Dieser Ratgeber wendet sich an alle Menschen, die schon mehrfach an depressiven Schüben gelitten haben und akut nicht depressiv sind. Aber auch an Menschen, die unter chronischen Ängsten leiden oder an einer immer wiederkehrenden, chronischen Unzufriedenheit verbunden mit dem Gefühl, nur noch zu funktionieren, aber nicht wirklich lebendig zu sein.
Wir möchten Ihnen hier einen Weg aufzeigen, mit dessen Hilfe sie aktiv etwas tun können, um mit schwierigen Gefühlszuständen anders umzugehen sowie den Teufelskreis der Hilflosigkeit angesichts automatisierter, depressiver Rückfälle oder Angstzustände zu durchbrechen. Wir möchten an dieser Stelle |9|auch bereits darauf hinweisen, dass es häufig sehr hilfreich ist, sich für den Weg der Achtsamkeit Unterstützung zu suchen. Hinweise zu Unterstützungsmöglichkeiten werden wir Ihnen im weiteren Verlauf des Buches geben.
Hinweis: Achtsamkeit kann dabei helfen, Vermeidungstendenzen und die Tendenz zu grübeln, die häufig zu psychischen Schwierigkeiten führen, zu verändern
Viele Menschen neigen dazu
über emotionale Probleme zu grübeln und sich zu viele Sorgen bezüglich der Vergangenheit oder Zukunft zu machen.
Gepaart ist dies häufig mit der Tendenz, unangenehme Erfahrungen, Erinnerungen oder Gedanken und Gefühle zu vermeiden oder zu verleugnen.
Die Einübung von Achtsamkeit kann dabei helfen, sich dieser beiden grundlegenden psychischen Tendenzen, die bei vielen Menschen immer wieder ungewollt zu einer Depression oder anderen emotionalen Problemen führen, bewusst zu werden. Zudem kann durch Achtsamkeit schrittweise geübt werden, alternative Wege des Umgangs mit diesen Tendenzen zu erlernen.
Sie müssen jedoch nicht ernsthaft erkrankt sein, um das Üben von Achtsamkeit hilfreich zu finden. Sie können auch von den Anregungen in diesem Ratgeber und von den vorgestellten Übungen profitieren, wenn Sie unter stressbedingten Unruhezuständen leiden oder einfach das Gefühl haben, dass Sie mehr Zugang zu einer tieferen Lebendigkeit und Unmittelbarkeit in Ihrem Leben finden möchten oder wenn Sie erfahren wollen, was Achtsamkeit eigentlich ist und wie sie helfen kann, das Leben zu bereichern.
Was ist, wenn ich akut in einer Depression stecke? Kann ich dann trotzdem Achtsamkeit üben? Es gibt mittlerweile Hinweise darauf, dass das Üben von Achtsamkeit auch für Menschen hilfreich sein kann, die gerade akut depressiv sind. Aber, wenn es Ihnen im Moment wirklich sehr schlecht geht und wenn Ihnen die nötige Konzentration, die Sie für die Übungen aufbringen müssen, gerade nicht zur Verfügung steht, dann seien Sie gut zu sich selbst. Setzen Sie sich nicht unter Druck. Es mag vielleicht jetzt nicht die richtige Zeit sein, mit dem Erlernen einer neuen Methode zu beginnen. Es kann in einer solchen Situation eher ein Akt der Selbstfürsorge sein, zu warten, bis es Ihnen wieder ein wenig besser geht und Sie sich stabiler fühlen. Vergegenwärtigen Sie |10|sich immer wieder, dass der Zustand, in dem Sie sich jetzt befinden, Teil Ihrer Erkrankung ist und sich (früher oder später) auch wieder verändern wird. Wenn Sie sich doch entscheiden, in einer solchen Phase mit dem Üben zu beginnen, dann tun Sie es ganz behutsam und jeweils nur für einige Minuten, so lange Sie es gut vermögen. Erwarten Sie nicht zu viel von sich, gehen Sie so freundlich wie möglich mit sich um und bleiben Sie doch dran, so gut es geht.
Aufbau des Ratgebers
In diesem Ratgeber finden Sie zuerst einige Informationen zu Stress, Depression und Angststörungen. Unsere Hinweise dazu, was diese Zustände charakterisiert, sollen Ihnen eine Möglichkeit geben, zu schauen, ob Sie vielleicht unter einer solchen Störung leiden. Darüber hinaus werden wir Ihnen einige Informationen zur Entstehung solcher Störungen geben.
Den Schwerpunkt dieses Bandes stellt dann das Thema Achtsamkeit dar. Wir werden Erläuterungen zu den Hintergründen von Achtsamkeit und ihren Wurzeln geben, und Ihnen Hinweise geben, wie man selbst Achtsamkeit üben kann und was es bewirkt, wenn man achtsamer ist.
Konkret werden wir uns auch der Frage zuwenden, wie Achtsamkeit helfen kann, mit schlechten Stimmungen, häufigem Grübeln, Ängsten und Depressionen anders umzugehen und wie Sie einen Rückfall in depressives Erleben vermeiden oder abschwächen können.
Wenn Sie Achtsamkeit üben, können Sie eine neue Sichtweise auf sich und Ihr Leben gewinnen. Sie können wieder Zugang zu positiven Kräften in Ihrem Leben finden, zu mehr Lebendigkeit, Lebensfreude und Kraft sowie Erkenntnissen über die Hintergründe und aufrechterhaltenden Mechanismen Ihrer Schwierigkeiten. Dieser Weg ist aber nicht immer einfach und es gibt auch Zeiten, in denen Sie vielleicht das Gefühl haben, dass sich nichts wirklich Entscheidendes für Sie ändert oder dass Sie „nicht weiter kommen“. Manchmal kann man auf diesem Weg sogar vorübergehend das Gefühl haben, es gehe einem schlechter als zuvor. Das hat häufig damit...