|21|2 Wie kann ein Ärgerproblem erkannt und wann sollte es verändert werden?
2.1 Wann spricht man von einem Ärgerproblem?
Von einem Ärgerproblem spricht man, wenn eine Person sehr häufig und intensiv Ärger erlebt und hohe gesundheitliche oder soziale Kosten, wie Probleme am Arbeitsplatz, Partnerschaftsprobleme oder Probleme in Freundeskreis und Familie, aufweist.
Die Definition des „Ärgerproblems“ hängt auch sehr stark von einer Person selbst ab, d. h., ob jemand für sich selbst die Folgen seines Ärgers als nicht mehr tragbar empfindet und erkennt.
Manchmal leiden hauptsächlich die Mitmenschen unter dem erlebten Ärger einer anderen Person. Die Mitmenschen würden vielleicht sagen, die Person habe ein Ärgerproblem, während die betroffene Person selbst kein Problem erkennt. Vielmehr weist die betroffene Person es häufig weit von sich, dass sie ein Ärgerproblem habe und sieht daher auch keine Veränderungsnotwendigkeit ihres Verhaltens.
Selbst Personen, die durch beleidigendes Verhalten oder Gewaltausbrüche in Konflikt mit der Justiz geraten sind, sehen häufig das Ärgerproblem nicht bei sich selbst, sondern machen andere für die Situation verantwortlich.
Andere Personen erkennen wiederum, dass sie ein emotionales Problem haben, jedoch ist ihnen nicht bewusst, dass es sich dabei um chronischen Ärger handelt. Dieses Phänomen tritt besonders bei den „Ärgerunterdrückern“ auf. Diese Personen spüren hauptsächlich die körperlichen Begleiterscheinungen des Ärgers und vielleicht auch schon körperliche Langzeitfolgen (z. B. Bluthochdruck), wissen jedoch nicht, dass der Grund dafür möglicherweise ihr Ärgerproblem ist.
Die meisten Personen, die dieses Buch lesen, gehören vermutlich eher zu denjenigen, die annehmen, dass sie ein Ärgerproblem haben und daher etwas an sich verändern möchten. Oder sie kennen jemanden, von dem sie vermuten, dass er ein Ärgerproblem hat und möchten ihn besser verstehen oder unterstützen, dieses Ärgerproblem zu bewältigen.
|22|2.2 Wie erkennt man ein Ärgerproblem?
In Kapitel 4.2 wird eine Methode vorgestellt, wie man seinen Ärger genauer unter die Lupe nehmen kann. Vorgestellt wird dort ein Tagebuch, anhand dessen man Ärgerepisoden genauer analysieren kann, um zu verstehen, was in einer solchen Episode abläuft, wie man sich verhält und welche Konsequenzen dieses Verhalten hat. Gelernt wird, Ärger „unter die Lupe“ zu nehmen, um sich darauf aufbauend alternatives Verhalten anzueignen.
Mit Hilfe eines Tagebuches kann somit erkannt werden, ob das Problem tatsächlich der erlebte Ärger ist und ob andere Probleme eine Rolle spielen.
Von Psychologen werden im Rahmen der Behandlung von Ärgerproblemen auch noch andere Methoden der Ärgerdiagnostik eingesetzt. Häufig wird hierbei der Fragebogen, Stait-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar verwendet. Mit diesem Fragebogen kann die „Ärgerneigung“ des Betroffenen, also die Neigung, in vielen Situationen mit Ärger zu reagieren, die Ausprägung der Ausdrucksformen Ärgerunterdrückung und Ärgerausbruch sowie die gedankliche Ärgerkontrolle erfasst werden.
Daneben wird von Psychologen auch häufig der Fragebogen zu Ärgerbezogenen Reaktionen und Zielen eingesetzt. Dieser erfasst die Häufigkeit und Intention, mit denen unterschiedliche Bewältigungsformen von Ärger eingesetzt werden, z. B. ob jemand verstärkt bei Ärger mit Humor reagiert, über den Ärger „brütet“ oder Schuldgefühle hat.
2.3 Ist ein Ärgerproblem gleichzusetzen mit einer Ärgerstörung?
Um psychische Störungen einordnen zu können, werden im Rahmen von medizinischen und psychologischen Behandlungen vorrangig zwei Diagnosesysteme eingesetzt. Zum einen handelt es sich um das von der American Psychiatric Association herausgegebene „Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen (DSM-5)“ (APA/Falkai et al., 2015), und zum anderen um die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene „Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10)“ (WHO/Dilling et al., 2010). Diese beiden Diagnosesysteme ähneln sich in |23|weiten Teilen, weisen aber auch Unterschiede in der Bezeichnung und Einordnung psychischer Störungen auf.
Obwohl einige Forscher fordern, Ärger, unter Berücksichtigung festgelegter Kriterien, als klinische Störung zu definieren, hat sich bisher in keinem der beiden Diagnosesysteme (ICD-10, DSM-5) eine eigenständige diagnostische Kategorie Ärgerstörung durchgesetzt.
Probleme im Umgang mit Ärger spielen jedoch bei vielen psychischen Störungen eine bedeutsame Rolle, z. B. bei Depressionen. Dies mag erstaunen, da Depressionen häufig nicht unbedingt mit Ärger in Verbindung gebracht werden. So findet sich z. B. bei den Depressionen eine Form, in der ausgeprägte Wutausbrüche eine Rolle spielen, die disruptive Affektregulationsstörung. Diese Störung ist gekennzeichnet durch schwere, wiederkehrende Wutausbrüche, die sich verbal (z. B. verbales Toben) und/oder im Verhalten (z. B. körperliche Aggression gegenüber Personen und Gegenständen) zeigen, und in ihrer Intensität und Dauer in Bezug auf die Situation und den Anlass völlig unangemessen sind. Die Aggressionen sind dem jeweiligen Entwicklungsstand nicht angemessen und die Stimmung zwischen den Ausbrüchen ist über die meiste Zeit des Tages anhaltend reizbar oder ärgerlich.
Explizit erwähnt wird Ärger auch in den diagnostischen Kriterien für die „Störung mit Oppositionellem Trotzverhalten“. Unter Kriterium A wird hier auf „Ärgerliche oder gereizte Stimmung“ verwiesen, die sich folgendermaßen äußert: (1) Wird schnell wütend, (2) Ist häufig reizbar und lässt sich leicht ärgern, (3) Ist häufig verärgert und beleidigt.
Bei den diagnostischen Kriterien der sogenannten „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ wird erwähnt, dass es zu „unangemessener Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)“ kommen kann.
Unangemessener Ärger und dessen Bewältigung gelten außerdem als wesentliche Bestandteile u. a. von psychotischen Störungen, Persönlichkeits-, und Impulskontrollstörungen, Entwicklungsverzögerungen, Demenz sowie Posttraumatischen Belastungsstörungen. Ärger wird hier teilweise explizit als ein Diagnosekriterium aufgeführt, kommt jedoch meist nur als randständiges Symptom vor, welches weder als hinreichendes noch notwendiges Kriterium der Störung angesehen wird.
|24|Ärger spielt demnach bei einer Vielzahl von psychischen Störungen eine wichtige Rolle. Diese Störungen werden dann auch als ärgerbezogene Störungen bezeichnet.
Merke:
Als ärgerbezogene Störungen werden diejenigen psychischen Störungen angesehen, in denen Ärgerreaktionen einen bedeutsamen Teil der Störung darstellen. Ärger ist hierbei häufig ein potenzielles Symptom der jeweiligen Störung. Ärger wird somit nicht als eigenständige Störung betrachtet, sondern spielt in einer Vielzahl von anderen gut definierten Störungen eine Rolle.
2.4 Wann ist es sinnvoll den Ärger zu verändern?
Veränderungen im Erleben und im Umgang mit Ärger sind immer dann sinnvoll, wenn im oben beschriebenen Sinne ein Ärgerproblem vorliegt, entweder für sich allein stehend oder in Zusammenhang mit einer diagnostizierten psychischen Störung.
Das heißt Veränderungen sind sinnvoll, wenn:
- a)
der Ärger sehr häufig und intensiv erlebt wird und schwerwiegende Auswirkungen am Arbeitsplatz, in der Partnerschaft, in der Familie und oder auf andere soziale Beziehungen hat, die der Betroffene oder Andere als nicht mehr tragbar empfinden. Auch können gesundheitliche Folgen, z. B. Bluthochdruck oder ein Herzinfarkt es notwendig machen, sich mit dem Thema Ärger auseinanderzusetzen und etwas zu verändern.
- b)
eine psychische Störung mit Ärgeranteilen vorliegt, sogenannte ärgerbezogene Störungen.
Schwierig ist die Situation, wenn die Mitmenschen einer Person mit Ärgerproblem unter dem Ärgerverhalten (z. B. Wutausbrüche mit Worten, Angriff gegen Personen oder Sachbeschädigung) leiden, die Person selbst jedoch kein Ärgerproblem bei sich erkennt. Diese Personen sind häufig schwer zu bewegen, etwas von sich aus zu verändern und reagieren erst, wenn erhebliche negative Folgen...