Im Westen des ägyptischen Niltals, auf einem Flächenraum, groß genug, um ganz Deutschland und Frankreich in sich aufzunehmen, breiten sieh Wüsten aus, wie man sie sich abschreckender nicht vorzustellen vermag. Eine derartige Öde und Einförmigkeit, und dazu von solcher Ausdehnung, sucht ihresgleichen auf dem gesamten Erdenrund, und wer sie gesehen, kann sagen, daß ihm die Wüste den Begriff der Unendlichkeit veranschaulicht hat, dem Weltmeere gleich mit seinem unabsehbaren Wasserspiegel.
Die neuere Geographie belegt diese Wüste mit dem Namen der Libyschen. Sie bildet das östliche Dritteil von jenem Meer des Sandes und der Steine, welches man als Sahara im großen und ganzen bezeichnet. – Die Libysche Wüste weist alle Schrecknisse des Durstes, des Hungers, der Ermattung in ihrer furchtbarsten Gestalt auf; sie bleibt in dieser Beziehung wohl außerhalb allen Vergleichs mit anderen Wüstengegenden. Tage, ja wochenlang kann der Reisende umherziehen, ohne etwas anderes zu erblicken, als den unabänderlichen Wechsel desselben blendenden Kalkgesteins und derselben dünenartigen Hügel von gelbem Sande; wiederholt führt der Weg stundenweit über eine Ebene von derartiger Vollkommenheit, daß auf ihr ein Zuckerhut sich ausnehmen würde wie ein Berg, und daß der Topograph Steine abzubilden hätte, wollte er an solchen Stellen seine Karte mit irgendwelchem Detail ausfüllen. Dem Auge des Wanderers bietet sich keine andere Erquickung dar, als das Blau eines nie getrübten Himmels.
Nach dem, was ich vorausgeschickt, wird es den Leser umsomehr überraschen, wenn ich ihm sage, daß selbst die scheinbar ödeste Wüste ihre Bewohner ernährt, und daß die Libysche eine Tierwelt beherbergt, welche sich aus sehr verschiedenen Klassen des Tierreichs zusammensetzt, von der Schnecke und dem Insekt, welche der kärgliche Tau der Nächte beglückt, bis hinauf zu dem hochentwickelten Raubtier, das einer sehr substanziellen Speise bedarf. Alle diese Tiere sind von der Natur mit einem Organismus ausgerüstet, welcher ihnen den Kampf gegen jene lebensfeindliche Starrheit der Wüste ermöglicht, der jedes andere Wesen erliegt. Wie bei den Pflanzen der Wüste, ist das Rätsel ihrer Erhaltung mehr in den Geheimnissen ihrer inneren Organisation als – abgesehen von den Schutzmitteln, welche sie selbst hin und wieder darbietet – in der Natur der äußeren Verhältnisse zu suchen, unter welchen sie leben. Nicht das Quantum oder die Qualität der zu ihrem Unterhalte dienenden Stoffe kommt bei ihrem Dasein in Betracht, wohl aber die Art und Weise, in welcher sie dieselben zu verwerten vermögen, das Maß des aus dem Dargebotenen gezogenen Nutzens. In dieser Hinsicht gleicht der karge Haushalt der Natur in den heißen Wüsten von Sand und Steinen auffallend demjenigen, welchen wir in den Eis- und Schneewüsten der Polarzone wiederfinden. Wo ein Kamel stark und fett wird, da kann das Pferd ebensogut verhungern, wie auf den Weidegründen eines wohlgemästeten Moschusochsen von Grönland.
Dafür genießen aber auch diese von der Natur auf die äußerste Sparsamkeit im Betriebe ihrer Lebensverrichtungen angewiesenen Existenzen, in den Wüsten des Pols so gut wie in jenen der Sahara, gewisser Vorteile, auf welche viele Geschöpfe, die in Fülle und Mannigfaltigkeit der Kost schwelgen dürfen, anderswo verzichten müssen: es sind vor allem auf der einen Seite Ruhe und Ungestörtheit, auf der andern eine immense Weite des Reviers und ihre Leichtigkeit des Fortkommens auf demselben. Gazellen und Wüstenfüchse vermögen auf ihren nächtlichen Streifzügen unglaubliche Entfernungen zurückzulegen.
Aber, wird man fragen, diese einförmigen Flächen, auf welchen der geringste fremde Gegenstand sich von weitem so bemerkbar macht, bieten ihnen doch die größte Gefahr einer gegenseitigen Verfolgung dar? Mit nichten; denn die Natur kleidet alle diese Tiere in das Gewand der "schützenden Ähnlichkeit", erteilt ihrem Kleide die Farbe des Bodens, auf welchem sie sich bewegen. In der Tat kann es im allgemeinen als Regel gelten, daß den Tieren der höchsten Polarzone die Farbe des Schnees, denen der Wüste aber die Farbe des Sandes eigen ist. Man möchte versucht sein, sagt Brehm an einer ähnlichen Stelle, bei Betrachtung der Wüstentiere einmal gläubiger Nachbeter der Zweckmäßigkeitslehre zu sein.
Die Bewohner der Wüste, in Sonderheit die höher entwickelten, wissen aber auch noch durch andere, ihrer Lebensart eigentümliche Regeln den sich dem Dasein entgegenstellenden Gefahren aus dem Wege zu gehen. Sie bedienen sich unterirdischer Wohnungen und suchen sich ihre Nahrung unter dem Deckmantel der Nacht. Zu beidem zwingen sie außerdem die klimatischen Verhältnisse. Diese nördlichen Wüstenstrecken sind nicht nur durch die beispiellose Seltenheit des Regens, sondern auch durch ungewöhnliche Temperaturschwankungen ausgezeichnet. Man kann getrost sagen, daß der Regen in der Libyschen Wüste eine so seltene und lokale Erscheinung sei, wie der Nachtfrost in Deutschland zur Sommerzeit. Im Januar und Februar kann in diesen Wüsten bei Nacht das Thermometer einige Grade unter den Gefrierpunkt fallen; die mittlere Tageswärme dieser Monate bleibt weit hinter dem von Ländern derselben Breite zurück. Die Hitze der übrigen Monate ist groß. Nie eine regenspendende Wolke, nur die Nacht wirft alsdann ihre kühlenden Schatten über die stets durstende Erde, und sehnsüchtig harren die Pflanzen des wiederkehrenden Taus, dem ihnen der Nordwind bringt.
In ihren tiefen Gruben und Löchern genießen die Tiere des Vorzugs einer mittleren Jahrestemperatur; im Winter sind ihr Behausungen warm, im Sommer zur Tageszeit weit kühler als die äußere Luft. Das nächtliche Umherstreifen beschränkt ihren Wasserbedarf auf das niedrigste Maß. Es erklärt sich aus dem Angeführten von selbst, daß alles Tierleben in der Wüste mehr oder minder einen nächtlichen Charakter annehmen muß.
In der absoluten Wüste äußert sich indes das tierische Dasein überall als ein exzeptioneller Notstand; die Tiere fristen daselbst, wie die Pflanzen, eine eigentlich nur der Erhaltung des Individuums, nicht der Vermehrung gewidmete Existenz. Wie nun die Pflanzen gewisser Vegetationsmittelpunkte bedürfen, um die Wüste selbst immer wieder mit frischen Keimen zu versehen, die sich bald hier, bald dort die Bedingungen zu ihrer Existenz zu suchen haben, wie wir das Wüstenkamel alljährlich auf den fetten Kleeweiden des Niltals einer Stärkungskur unterzogen sehen, so schöpft auch das ephemere Tierleben der eigentlichen Wüste aus deren Vorratskammern, den Oasen, stets neue Lebenskraft. Es ist anzunehmen, daß ohne eine solche Schadloshaltung die Art in den meisten Fällen allmählich auf jeden weiteren Fortbestand zu verzichten hätte.
Solche Stützpunkte des Tier- und Pflanzenlebens sind die Oasen, welche gleich einsamen, kleinen Eilanden hin und wider, meist aber in ungeheueren Abständen voneinander, aus den öden Flächen des steinernen Meeres hervorstechen. Strabo vergleicht die Wüste mit ihren Oasen einem gefleckten Leopardenfelle, aber ein derartiges Bild würde, auf die Libysche angewandt, zu den übertriebensten Vorstellungen Anlaß geben, denn diese Flecken sind winzig klein, sehr zerstreut und unregelmäßig verteilt. Die Oasen sind nicht Flecken, sondern Löcher in der steinernen Decke, welche der organischen Schöpfung die Basis eines quellreichen und Pflanzenwachstum ermöglichenden Bodens entzogen hat. Tief unter dem über tausend Fuß hohen Kalksteinplateau, das die Libysche Wüste darstellt, bewegen sich rätselhafte Wasserzüge von erstaunlicher Fülle. Da, wo nun dieses Plateau Lücken darbietet, die durch Einflüsse noch völlig unbekannter Natur entstanden, konnte sich das Wasser aus der Tiefe Bahn an die Oberfläche brechen. Der Mensch siedelte sich an den Quellen an, und indem er der Natur nachhalf, indem er durch künstliche Brunnenschachten einen immer reicher werdenden Wasservorrat erschloß, vermehrte er den Umfang dieser Zufluchtsstätten auch für die Pflanzen und Tiere. Manche Oasen wurden dergestalt zu kleinen, wohlbevölkerten Kulturdistrikten; später, als die Hilfe des Menschen nachließ, als Hunderte von Brunnen verschüttet waren, nahm auch die Wüste wieder von dem ihr abgetrotzten Boden Besitz; die wandelnden Sandhügel bedeckten das gewonnene Ackerland und nur wenig erhielt sich von der ehemaligen Kultur. In dieser Lage befindet sich zu unserer Zeit die Große Oase, welche man einige Tagereisen im Westen von Theben erreicht, und die deshalb auch den Namen der Oase von Theben führt.
Das Vorhandensein eines Restes von Kulturland, welches selbst heute noch immerhin seine fünf- bis sechstausend Menschen ernährt, mußte natürlich daselbst die Bildung der oben erwähnten Verbreitungsmittelpunkte gewisser Tierarten begünstigen, welche wir in weitem Umkreise um die Große Oase, gleichsam strahlenförmig in die völlige Einöde der Wüste hinaus ihren Einfluß ausüben sehen. Zunächst erblicken wir am Rande der Wüste den Boden von zahllosen Löchern kleiner Nagetiere durchfurcht, von denen bei der überraschend großen Anzahl der in der Großen Oase vorhandenen Raubtiere, angenommen werden kann, daß sie einer fast unbegrenzten Vermehrung fähig seien. Es sind Springmäuse und Wüstenmäuse, welche hier ihr Wesen treiben, schwelgend im Überfluß aufgehäufter Lebensmittel, während ihre Artgenossen im Innern der Wüste von den wenigen dort vorhandenen Wurzeln, vom Miste der Zugvögel und dergleichen ihr Dasein fristen müssen und vielleicht nie einen Tropfen flüssigen Wassers zu kosten bekommen. Die großen Haine der Dattelpalme aber,...