1780.
Wir sind in den letzten Worten diesem Abschnitte vorausgeeilt. Mit dem Antritte seines zweiundzwanzigsten Lebensjahres, nach Vertheidigung der erwähnten Probeschrift, war Schiller im Dezember 1780 bei dem in Stuttgart garnisonirenden Grenadierregiment Augé als Regimentsarzt »ohne Porte-epée« mit der monatlichen Besoldung von 18 fl. Reichswährung angestellt. Sein Freund Scharffenstein, der, früher aus der Akademie getreten, ihn nach anderthalb Jahren zum erstenmal wieder auf der Parade sah, war über die komische Figur, die der neue Regimentsdoktor machte, nicht wenig erstaunt. In die steife, abgeschmackte, altpreußische Uniform eingepreßt; an jeder Kopfseite drei steife, vergipste Rollen; der kleine militärische Hut, kaum den Wirbel bedeckend; um so dicker der lange Zopf, und der schmächtige Hals (den der Dichter auch seinem alter ego Carl Moor geliehen hatte) in eine sehr schmale, roßhaarene Binde eingezwängt; der den weißen mit Schuhwichse befleckten Kamaschen unterlegte Filz den cylinderförmigen Beinen einen größeren Durchmesser gebend, als die in knappe Beinkleider eingepreßten Schenkel hatten. Ohne die Kniee beugen zu können, bewegte sich der ganze Mann wie ein Storch.
Weniger idealisirend, als der früher aufgeführte, schildert derselbe Freund mit plastischem Sinne (er war Dilettant in der bildenden Kunst) des Dichters Gestalt uns ungefähr so: Schiller war von langer, gerader Statur, lang gespalten, langarmig, seine Brust war heraus und gewölbt, sein Hals sehr lang; er hatte aber etwas Steifes und nicht die mindeste Eleganz in seiner Tournure. Seine Stirne war breit, die Nase dünn, knorplich, weiß von Farbe, in einem merklich scharfen Winkel hervorspringend, sehr gebogen, auf Papageienart, und spitzig. (Nach Danneckers Versicherung hatte sie sich Schiller mit der Hand selbst so gezogen.) Die rothen Augenbrauen über den tiefliegenden dunkelgrauen Augen neigten sich bei der Nasenwurzel nahe zusammen, was ihm pathetischen Ausdruck gab, die Lippen waren dünn, die Unterlippe vorragend, energisch, von der Begeisterung im Gefühle vorgetrieben; das Kinn stark, die Wangen blaß, eher eingefallen als voll, sommerfleckig, die Augenlieder etwas entzündet, das buschige Haupthaar dunkelroth, der ganze Kopf eher geisterartig als männlich, aber bedeutend auch in der Ruhe, und ganz Affekt, wenn Schiller deklamirte. Weder die Gesichtszüge noch die kreischende Stimme vermochte er zu beherrschen. »Dannecker,« fügt Scharffenstein hinzu, »hat diesen Kopf unverbesserlich aus Marmor gehauen.«
Die Eleven der Anstalt, aus der Schiller trat, hielten sich so ziemlich alle für bedeutende Geister, und in einem (ungedruckten) Briefe tröstet Schiller Hovens Vater (einen erst ums Jahr 1826 im zweiundneunzigsten Lebensjahre zu Stuttgart verstorbenen Oberoffizier) beim Tod eines jüngern Sohnes mit dem Ueberleben seines ältern »seines großen Sohnes.« Dennoch neigten sich diese großen Männer damals alle schon vor Schiller. »Ich erstaunte,« sagte Scharffenstein, »und mein Geist beugte sich vor der imponirenden Superiorität und den Fortschritten, die ich bei Schiller antraf.«
1781
Die Freilassung aus der Akademie steigerte das Selbstgefühl und den Uebermuth des jungen Sängers. Er bezog in einem Hause, das dem Neugierigen in Stuttgart noch gezeigt wird und am Enthüllungstage seines Standbildes mit einer Inschrift geschmückt war, in der jetzigen Eberhardsstraße, oder, wie es damals hieß, auf dem kleinen Graben, ein Parterrezimmerchen mit dem gleichzeitig aus der Akademie getretenen Lieutenant Kapff, der später in Ostindien starb. Ungedruckte, sehr glaubwürdige Nachrichten schildern diesen letztern als einen verdorbenen Menschen, der unglücklich auf die Sitten des plötzlich entfesselten Jünglings einwirkte, und ihr, wie noch einiger Genossen Leben als ein zügelloses, rohes, nicht selten unordentlicher Lust wild ergebenes. Wie in der Poesie, so suchte damals derjenige, der später in der Kunst der Verkünder des heiligen Maßes wurde, auch im Leben die Freiheit in der Schrankenlosigkeit. Selbst die Stimme der Freundschaft geht diese gefährliche Periode seines Jugendlebens nicht ganz mit Stillschweigen vorüber; anstatt sie weiter zu enthüllen, bedienen wir uns ihrer schonenden Worte: »Sinnentaumel, jugendliche Thorheit übten, nach der so lang entbehrten Freiheit ihre Macht, und Finanzverlegenheiten, ihre natürliche Folge, führten oft sehr trübe Stimmungen für unsern Freund herbei. In einer Stadt, die zu allen Lebensgenüssen einlud, in der das frühere Beispiel des Herrschers das Band der Sitte, besonders in der Hofwelt, sehr locker gemacht hatte, und wo die Familien, in denen alte Zucht und Ordnung herrschte, sich in strenger Zurückgezogenheit hielten, mußten dem Jünglingsalter manche Klippen drohen. Die Nähe der Familie, die auf der Solitude wohnte, und an der er immer mit herzlicher Liebe hing, der Wunsch, ihre Erwartungen nicht zu täuschen, besonders eine Warnung im weichen Liebestone der Mutter, hielt den jugendlichen Leichtsinn in Schranken und stellte das Gleichmaß wieder her. Auch erhielt im Umgang mit aufstrebenden Jugendfreunden, zu denen sich Haug und Petersen gesellten, die Geistigkeit immer die Oberhand über das sinnliche Leben.« Schillers Leben, von Fr. v. Wolzogen, I., 39. 40.
Das Haus in welchem Schiller wohnte, gehörte einer Hauptmannswittwe; nach Scharffenstein war diese ein gutes Weib, das, ohne im mindesten hübsch und sehr geistvoll zu seyn, doch etwas Gutmüthiges, Anziehendes und Pikantes hatte. Jene ungedruckten Nachrichten schildern sie als eine häßliche, magere, sittenlose Frau; die Stunde ist noch nicht gekommen, auch hierüber die Urtheile noch lebender Zeitgenossen zu protokolliren. Diese Person nun wurde, in Ermanglung jedes andern weiblichen Wesens, Schillers Laura, denn der Dichter hatte jenen Trank im Leibe, der den Faust Göthe's in jedem Weibe Helena erblicken ließ. »Schiller entbrannte,« sagt Scharffenstein, »und absolvirte übrigens diesen ohnehin nicht lange dauernden platonischen Flug ganz gewiß ehrlich durch.«
Sein Berufsfach trieb Schiller anfangs mit Ernst und nicht als Nebensache. Aber er hatte sich das Prognostikon ganz richtig gestellt. Er wollte auch hier Kraftstücke liefern, die jedoch weder geriethen, noch zum besten beurtheilt wurden. Das degoutirte ihn, sagt sein Freund, völlig vom Handwerke.
1781.
Die Räuber sollten edirt werden; eine hochwichtige Angelegenheit, wie Scharffenstein erzählt, bei der es manche Debatten gab. Zuerst wurde über eine Vignette deliberirt, und eine solche ohne Mühe gefunden: ein aufsteigender zorniger Löwe mit dem Motto: in Tyrannos, was gratis von einem Kameraden aus den Kupferstechern radirt wurde. Von Hoven und Petersen waren in dieser Angelegenheit besonders thätig. Der letztere, dem Schiller sein Stück mitgetheilt hatte, und von ihm »keine schale und superficielle Anzeige des Guten und Fehlerhaften, sondern eine eigentliche Zergliederung, nach dramatischer Behandlung, Verwicklung, Entwicklung, Charakteren; Dialog, Interesse u.s.w., kurz eine Recension nicht unter sechs Bogen« verlangt hatte, sollte auch für die Herausgabe des Werkes besorgt seyn. Wie Horaz im Scherze versichert, daß ihn, den berupften Kalmäuser, die freche Armuth getrieben habe, Verse zu machen, so schreibt Schiller seinem Freunde lachend, »der erste und wichtigste Grund, warum er die Herausgabe wünsche, sey jener allgewaltige Mammon, dem die Herberge unter seinem Dache gar nicht anstehe.« Wenn der schwäbische Poet Stäudlin für einen Bogen seiner Verse einen Dukaten von einem Tübinger Verleger bekommen habe, warum sollte er für sein Trauerspiel von einem Mannheimer nicht ebensoviel oder mehr erhalten? »Was über fünfzig Gulden abfällt, ist dein. Du mußt aber nicht glauben, daß ich dich dadurch auf einem interessirten Wesen ertappen wollte, (ich kenne dich ja!) sondern das hast du treu und redlich verdient, und kannst es brauchen!« Ein zweiter Grund war ihm das Urtheil der Welt, denn er mochte »natürlicherweise auch wissen, was er für ein Schicksal als Autor, als Dramatiker zu erwarten hätte.« Drittens endlich glaubte er damals in der Welt einmal keine andere Aussicht zu haben, als in einem Berufsfache zu arbeiten; er suchte »sein Glück und seine Beschäftigung in einem Amte, wo er seine Physiologie und Philosophie durchstudieren und nützen könnte.« Poesie und Tragödie wollte er deßwegen, damit sie ihm später bei einer Professur der Medicin nicht mehr hinderlich würden, »hier schon wegräumen.«
So schrieb Schiller, während er und sein Kumpan Kapff des Geldes wirklich sehr benöthigt waren. Nun gings, erzählt weiter Scharffenstein in seiner lebendigen Weise, an den Akkord mit einem subalternen Buchdrucker, der, dem Dinge nicht trauend, es nicht anders, als auf Schillers Unkosten übernahm. Dieser aber, wie wir aus einem andern Berichte wissen, mußte den Betrag dazu borgen. Die erste Edition, »fast Fließpapier, sah aus wie die...