In diesem Kapitel werden die Auswirkungen der Einführung von IFRS 9 und IFRS 4 Phase II anhand eines Jahresabschlussmodells verdeutlicht. Die börsennotierte InsuranceCo AG[119] ist ein fiktives Lebensversicherungsunternehmen und bildet die Grundlage für den Modellaufbau sowie für die Untersuchung der Konsequenzen der künftigen internationalen Rechnungslegungsvorschriften für VU. Es wird gezielt das Lebensversicherungsgeschäft gewählt, das aufgrund seiner Eigenschaften für die Darstellung der Interdependenzen zwischen den Aktiva und Passiva in der Versicherungsbilanz geeignet ist. Speziell die Langfristigkeit, die Grund ist für die erhöhte Unsicherheit bei der Bestimmung der Bewertungsparameter, aber auch die hohe Bedeutung des Kapitalanlagegeschäfts eignen sich für eine exemplarische Modelldarstellung.
Zunächst werden für den Aufbau des Jahresabschlussmodells die grundlegenden Annahmen festgehalten und durch die zugehörigen Berechnungen im Anhang belegt. Danach erfolgt ceteris paribus (c.p.) die Modellierung der Aktivseite der Bilanz nach IFRS 9 anhand von Studienergebnissen der EFRAG (European Financial Reporting Advisory Group). Daraufhin werden die Auswirkungen verschiedener Szenarien unter Anwendung der Regelungsvorschläge des ED/2013/7 auf die Passiva simuliert. Dabei sollen die Auswirkungen von Änderungen der Schätzungsparameter auf die Ergebnisse des fiktiven Jahresabschlusses festgestellt werden. Die derzeitigen vorläufigen Entscheidungen des IASB zur Modifikation der Regelungen des ED/2013/7 werden jedoch für die Zwecke der Modellierung vernachlässigt, da bisher noch keine offiziellen Äußerungen des IASB zum genaueren Vorgehen veröffentlicht wurden.[120] Im letzten Schritt werden die Effekte aus der Interaktion von IFRS 9 und IFRS 4 Phase II[121] für ausgewählte Szenarien im Jahresabschlussmodell erläutert und anhand kleinerer Beispiele verdeutlicht.[122] Alle weiteren Größen in dem Bilanzmodell (liquide Mittel, immaterielle Vermögenswerte etc.) werden als konstant angenommen.
Auf die Regelungen des ED zur Bilanzierung von ‚Portfolio Transfers‘,[123] ‚Business Combinations‘[124] und den Eigenheiten von Rückversicherungsverträgen[125] wird im Folgenden nicht eingegangen. Eine Modellierung der retrospektiven Anwendung der Regelungen beim Übergang von den derzeitigen Bilanzierungsvorschriften auf die neuen Vorschriften und die damit einhergehende Komplexität liegt ebenfalls nicht im Fokus dieser Arbeit.
Die Relationen der jeweiligen Bewertungskategorien von Finanzinstrumenten sollen im Bilanzmodell möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da eine ausführliche Bilanzanalyse mehrerer Versicherer und eine Auswertung der Anteile der einzelnen Bewertungskategorien von Finanzinstrumenten im Gesamtbestand der Finanzaktiva nicht den Fokus dieser Arbeit darstellen, wurde zur realistischen Abbildung der Verhältnisse der einzelnen Bewertungskategorien des IAS 39 in einer Versicherungsbilanz auf die Ergebnisse einer in 2010 durchgeführten Untersuchung von Asche/Hartung zurückgegriffen.[126] Die beiden Autoren untersuchten die Ergebnisvolatilität von VU aufgrund der Neuregelungen des IFRS 9 und des damaligen ED/2010/8.[127] Sie untersuchten dabei auch die Relationen der einzelnen Finanzinstrumente-Kategorien des IAS 39 am Gesamtbestand der Finanzaktiva von sechs internationalen Versicherern (siehe Anlage 1). Die in der Studie untersuchten Versicherungskonzerne führen sowohl Komposit- als auch Lebensversicherungssparten. Der Großteil der gehaltenen Kapitalanlagen entfällt jedoch in der Regel auf das Lebensversicherungsgeschäft (siehe auch Anlage 2).[128] Daher wird beim Aufbau des Bilanzmodells der auf die Kompositsparte und auf andere Nicht-Lebenssparten entfallende Anteil an Kapitalanlagen vernachlässigt. Des Weiteren unterliegt die Kategorisierung der einzelnen Finanzinstrumente in die entsprechenden Bewertungskategorien unterschiedlichen Bilanzierungsannahmen und Geschäftsmodellen der jeweiligen bilanzierenden UN. In Anlage 1 wird ersichtlich, dass die Relationen der einzelnen Kategorien bei allen Versicherern sehr ähnlich sind. Da auch Rückversicherungsunternehmen in der Studie berücksichtigt wurden, würde das Verwenden von Durchschnittszahlen ein realistisches Bild weiter verzerren. Das im Bilanzmodell verwendete Verhältnis der jeweiligen Bewertungskategorien von finanziellen Vermögenswerten entspricht daher dem Verhältnis der Finanzaktiva der Allianz SE aus der genannten Studie.
Ein Lebensversicherungsvertrag enthält mehrere Vertragskomponenten. Neben dem reinen Versicherungsvertrag kann auch eine Sparkomponente bzw. Investmentkomponente enthalten sein, die je nach Ausgestaltung und Eigenschaften der Investmentkomponente gegebenenfalls vom Versicherungsvertrag zu entflechten ist (ED/2013/7.9‒11; B31‒B35). Die entflechtungspflichtigen Vertragskomponenten sind laut ED bestimmte Sparkomponenten bei fonds- und indexgebundenen Lebensversicherungen, Dienstleistungskomponenten,[129] die nicht eng mit dem Versicherungsvertrag verbunden sind, sowie eingebettete Derivate, wenn sich die wirtschaftlichen Charakteristiken und Risiken der Derivate nicht mit denen des Versicherungsvertrags decken.[130] Für die in Deutschland angebotenen fondsgebundenen Produkte ist davon auszugehen, dass zwischen dem Versicherungsvertrag und der Fondskomponente ein enger Zusammenhang besteht, da die Leistungen bei Todesfall/Erlebensfall oder die Rentenleistungen von der Fondsentwicklung abhängen.[131] Eine Entflechtung muss daher nicht vorgenommen werden (ED/2013/7.BC91). Aus diesem Grund wird für den Aufbau des Bilanzmodells davon ausgegangen, dass keine Entflechtungen von Vertragskomponenten vorgenommen werden müssen. Zudem sind die Betrachtungen im Modell rein deterministisch, eine Berücksichtigung von in den Versicherungsverträgen gewährten und nicht entflochtenen Optionen und Garantien ist nicht Gegenstand der Untersuchungen.
Die Schätzungen der zukünftig erwarteten Barwerte der Zahlungsströme, der Risikomarge sowie der CSM erfolgen auf Portfolioebene, die nach ED/2013/7.B37 eine Bewertungseinheit bilden.[132] Gegenstand der Betrachtung im Modell ist ein Portfolio aus Rentenversicherungsverträgen mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Ein Lebensversicherungsvertrag in der Realwelt hat im Durschnitt eine längere Laufzeit.[133] Zehn Jahre sind im Modell jedoch ausreichend, um die zu zeigenden Effekte der Rechnungslegung auf den Jahresabschluss von Lebensversicherern zu verdeutlichen.
Der Aufbau der Passiva des Bilanzmodells unterliegt folgenden Annahmen: Zum Zeitpunkt t0 werden an die InsuranceCo Einmalbeiträge in Höhe von insgesamt 300 Geldeinheiten (GE) gezahlt. Jährlich werden Zahlungen von 10 GE als Rente an die VN getätigt.[134] Am Ende der Vertragslaufzeit erfolgt eine Auszahlung in Höhe von 300 GE. Dies ist sozusagen eine Endfällige Leistung im Sterbefall. In den Auszahlungen sind die den Versicherungsverträgen des Portfolios direkt zurechenbaren Abschluss- und Verwaltungskosten sowie sonstige Gemeinkosten, die dem Portfolio zugerechnet werden können, mitinbegriffen. Es wird angenommen, dass die direkt zurechenbaren Abschlusskosten den allgemeinen Abschlusskosten entsprechen, sodass keine weiteren Kosten in der GuV berücksichtigt werden.[135]
Das Bilanzmodell ist statisch, daher werden weitere Ein- und Auszahlungen aus Neugeschäften und damit die Existenz des Neugeschäfts vernachlässigt. Der Jahresüberschuss wird in jeder Periode vollständig thesauriert. Die Risikomarge berücksichtigt die inhärente Unsicherheit der zukünftigen Cashflows und beträgt jährlich
10 % der diskontierten Auszahlungen. Durch die Diskontierung der Auszahlungen verringert sich im Zeitablauf auch die Risikomarge. Dies ist zweckmäßig, da zu erwarten ist, dass sich die Unsicherheit der aus den Versicherungsverträgen resultierenden Zahlungsströme mit der Zeit verringert. Der Diskontierungszins der erwarteten Cashflows aus dem Versicherungsportfolio beträgt 4,4 %. Dies entspricht dem von der Deutschen Bundesbank monatlich veröffentlichten Zinssatz für Pensionsrückstellungen mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren, der derzeit 4,43 % beträgt.[136]
Die folgende Bilanz der „InsuranceCo“ basiert auf den vorgenannten Annahmen unter Einbeziehung der dort genannten Studie für die Kategorisierung der Finanzaktiva.[137] Die Versicherungsverbindlichkeit wird aus Verdeutlichungsgründen bei der Darstellung im Bilanzmodell in ihre Komponenten aufgeteilt. Der Standard jedoch fordert die Darstellung der Versicherungsverbindlichkeit als einzelne Bilanzposition (ED/2013/7. 54). Die Versicherungsverbindlichkeit beträgt beim Erstansatz Null. Da das Portfolio gewinnbringend ist, werden sämtliche Gewinne bei Erstansatz von der CSM erfasst (ED/2013/7.28; BCA105). Anlage 3 zeigt die Berechnung der Versicherungsverpflichtung.
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