Nach Alaska!
Goldgräberdenkmal zum Chilkoot Trail
Very important persons
Wir schieben unseren Gepäckwagen durch die letzte Eingangstür der Abflughalle C des Frankfurter Flughafens und fühlen uns sofort „very important“. Der Abfertigungsschalter von Condor findet sich keine 30 Meter weiter und ist so gut wie leer.
Nur für Passagiere, die Premium Economy gebucht haben, steht auf dem kleinen Schild darüber. Ein junger Mann, der es dreist mit seiner normalen Economy-Buchung versucht, wird höflich, aber bestimmt weggeschickt. Wir dagegen genießen den Sonderstatus, den wir uns für ein paar Hundert Euro mehr teuer erkauft haben.
Ein erhebendes Erlebnis!
Keine endlose Warteschlange, in der man mühsam Meter um Meter vorrückt, dafür freundliches Personal, das unser Gepäck entgegennimmt und die Bordkarten ausstellt, ohne dass ich mich mit dem elenden Ticketautomaten herumärgern muss. Nur beim dritten Gepäckstück lässt die Freundlichkeit etwas nach. Zwei Taschen oder Koffer seien auf Reisen nach Kanada oder in die USA erlaubt, jedes weitere Gepäckstück müsse extra bezahlt werden. Die dritte Tasche enthält unsere schweren Wanderschuhe. Wollen wir die als Handgepäck weiter herumschleppen?
Sigrid murrt, als sie hört, dass ein zusätzliches Gepäckstück 40 Euro kosten soll, hat aber auch keine große Lust, die Tasche noch über zwei Stunden herumzutragen. Luxus hat seinen Preis.
Dann vertrödeln wir die Zeit in der Einkaufspassage. Zwei Stunden vor dem Abflug werde ich nervös und dränge darauf, die Sicherheitsschleuse zu passieren. Auch Sigrids spitze Bemerkungen über meinen Drang zur Überpünktlichkeit stimmen mich nicht um. Im Abflugbereich gibt es schließlich auch noch Geschäfte, in denen sie einkaufen kann. Der weitläufige Duty-free-Shop bietet eine große Auswahl alkoholischer Getränke an. Für Alaska passt Whisky. Eine große Flasche Bourbon landet im Einkaufskorb.
„Alle Passagiere für den Flug nach Whitehorse werden zum Gate gebeten.“
Eine alarmierende Durchsage, denn sie betrifft uns. Zwei Stunden vor dem Abflug müssen wir schon den letzten Sicherheitscheck machen.
„Siehste, mein Schatz!“
Den Schatz rührt das nicht besonders, er ist eher unmutig darüber, schon jetzt im Bereich des Gates eingesperrt zu sein. Gott sei Dank öffnet wenigstens ein kleiner Laden seine Türen und man kann noch ein wenig shoppen, vor allem neue Getränke kaufen, da uns die alten wie immer alle beim Sicherheitscheck abgenommen wurden. Der Whisky ging nur durch, weil er eingeschweißt war.
„Nicht während des Fluges öffnen“, wurde uns eingeschärft.
Noch nicht einmal betrinken darf man sich, zumindest nicht mit Getränken aus dem Duty-free-Shop.
Es berührt uns aber dann nicht weiter, denn an Bord stellen wir fest, dass wir immer noch VIPs sind. Wir haben nicht nur 15 cm mehr Beinfreiheit, nein, wir bekommen auch einen besseren Bordservice: ein exzellentes Drei-Gänge-Menü, Metallbesteck statt Plastikgabeln und freie alkoholische Getränke.
Ist das schön, „sehr wichtig“ zu sein.
Wir nutzen das Angebot reichlich. Nach drei Bier schlummert es sich gut, und wir haben viel Zeit, die wir verschlummern können. Achteinhalb Stunden soll der Flug dauern.
Das eintönige Dröhnen der Triebwerke ist einschläfernd, ich schließe meine Augen, genieße die Beinfreiheit und irgendwo über dem Atlantik schlafe ich, an das kleine Fenster gelehnt, dann ein.
Als ich wieder wach werde, ist es ruhig geworden im Flugzeug. Wir haben eine servicefreie Zeit, die meisten schlafen jetzt oder schauen den Spielfilm. Unter uns zieht arktische Landschaft dahin. Packeisfelder säumen die unwirtlichen Küsten Nordgrönlands, dahinter schiebt sich die kanadische Inselwelt ins Blickfeld. Die schroffen kahlen Berge von Ellesmereland, deren Gletscher die Täler ausfüllen, ziehen vorbei, weitere Inseln folgen. Irgendwo dort unten liegt der magnetische Nordpol. Es dauert noch eine Zeit, bis wir die Tundra der Northwest Territories erreicht haben. Der mächtige Mackenzie, dessen silbrig schimmerndes Band in weiten Bögen seinen Weg durch die Ebene sucht, bevor er sich in unzähligen Verästelungen zu einem Delta verzweigt, wird überflogen, dann schwenken wir ab nach Süden und die Landschaft verändert sich. Die Täler, in denen reißende Ströme brausen, zeigen mehr Grün, das zunächst nur die Talgründe, später dann auch zunehmend die Hänge überzieht. Die Flüsse bekommen einen Saum aus Buschwerk, das mit der Zeit von Bäumen abgelöst wird, Wälder beginnen die Berghänge zu bedecken, der Schnee zieht sich in die Gipfellagen zurück. Und dann, nach Stunden über der Wildnis, die ersten Anzeichen menschlichen Lebens: eine Landepiste, daneben ein paar Holzhäuser. Erst viel später zeigt sich auch eine Straße, die Besiedlung nimmt zu.
„Fasten seatbelt!“
Der Landeanflug auf Whitehorse beginnt. Endlose Wälder liegen unter uns, der gewundene Lauf des Yukon glänzt zwischen den Hügeln, Häuser huschen vorbei, ein Highway linker Hand, dann setzt der Jet rumpelnd auf.
Wir haben unser Ziel erreicht.
Am Yukon
Im Airport fühle ich mich sofort heimisch, er erinnert sehr an die kleinen Flughäfen in Schweden: Kiruna oder Östersund. Ein modernes Gebäude mit einfacher, aber ansprechender Architektur, das sehr überschaubar ist: Es gibt nur zwei Gates.
Über eine herangefahrene Treppe verlassen wir unseren Flieger und beeilen uns, möglichst als Erste zur Passkontrolle zu kommen. Der kanadische Beamte prüft kurz unsere Pässe - der Direktflug von Frankfurt bringt fast nur Deutsche -, dann will er es wissen:
„Was wollen Sie eigentlich hier?“
Aus seiner Sicht wahrscheinlich eine berechtigte Frage. Was wollen Menschen aus Europa in dieser gottverlassenen Gegend?
Unsere Erklärung, dass wir eine dreiwöchige Tour mit einem Camper machen wollen, stellt ihn zufrieden und wir bekommen den Einreisestempel.
Ich habe nicht die geringste Chance, ein Taxi zu organisieren, denn die größte Nahverkehrsexpertin aller Zeiten bugsiert mich sofort zu dem kostenlosen Shuttlebus, den sie mit ihren Adleraugen auf den ersten Blick entdeckt, als wir das Terminal verlassen. Eine Viertelstunde lang bemüht sich der umtriebige Fahrer noch, weitere Fahrgäste anzulocken, dann geht es los. Breite Straßen bringen uns hinunter in die Downtown, am Best-Western-Hotel werden ein paar Gäste ausgeladen, dann landen wir zu guter Letzt am High-Country-Inn, in dem wir gebucht haben. Ein überdimensionaler Mounty aus Holz wacht vor dem Eingangsportal.
Das Einchecken verläuft problemlos: Man spricht Deutsch. Kein Wunder, ca. 80 Prozent der Gäste sind Deutsche. Das Zimmer ist einfach, aber ordentlich, wir machen uns breit und überlegen, was wir noch unternehmen, denn die Zeitverschiebung muss ausgetrickst werden, und das bedeutet: Noch so lange wie möglich wach bleiben.
Es gibt zwei favorisierte Ziele: ein Lebensmittelladen, denn wir müssen uns zumindest noch mit Getränken versorgen, und der Yukon, das Ziel meiner Träume, das ich heute noch sehen möchte. An der Rezeption erfahren wir, dass beides kombinierbar ist, denn es gibt eine kleine Grocery in der Nähe des Flusses. Die Grocery ist ein enger Gemischtwarenladen, in dem wir alles finden, was wir suchen. Ein paar Schritte noch, dann stehen wir am Ufer des Yukon.
Der Yukon!
Der einzige Weg in der weglosen Wildnis für alle Goldsucher, die über Skagway nach Dawson wollten, in die Goldstadt. Tausende haben ihn im Sommer mit Booten oder Flößen befahren, viele sind in seinen Stromschnellen umgekommen, wenn ihre selbst gebauten Boote in der reißenden Strömung kenterten. Raddampfer brachten auf ihm Fracht und Goldgräber zu den Goldfeldern am Klondike. Im Winter bot er den Hundeschlittengespannen einen breiten Trail.
„To all those who follow their dreams”
Heute strömt sein kaltblaues Wasser groß und mächtig zwischen den steilen Ufern mit den hohen Abbruchkanten. Abgerutschte weiße Hänge säumen den Fluss. Viele Steilabbrüche des alten Flussbettes prägen das Bild der Stadt, die sie umrahmen. Die gefährlichen Stromschnellen, deren weiße Gischt an die Mähne eines Pferdes erinnert und die der Stadt den Namen verliehen haben, sind längst durch einen Stausee entschärft worden. Ich stehe am Ufer und lasse den Anblick auf mich wirken. Jetzt ist die kleine blaue Linie auf den Atlaskarten für mich endlich zu einer Wirklichkeit geworden.
Eine Weile spazieren wir am Fluss entlang, betrachten die MS Klondike, den restaurierten Raddampfer, den man hier aufgebaut hat, dann treibt uns der...