VORWORT
VON WILFRIED ERDMANN
Joshua Slocum hat von 24. April 1895 bis 27. Juni 1898 auf der Spray die Welt umrundet. Als erster Mensch hat er allein in einem Boot mehr als 46.000 Seemeilen zurückgelegt. Das hat ihn berühmt gemacht. Sein Verdienst ist aber ein größeres als die seglerische Leistung und der Mut, der zu solch einer Reise nötig ist. Der Pioniergeist, der feste Glaube an die Gesetze der Natur und die Bescheidenheit gegenüber dem Meer machen die Größe von Joshua Slocum und die Bedeutung von „Sailing alone around the World“ aus. Diese Geschichte voller Salz und Wind ist ein Vermächtnis an Segler, die wie er die Ozeane besegeln. Also, allemal für Segler wie mich, die die Ozeane besegeln wollen. Paradoxerweise habe ich Slocums Geschichte erst nach meiner ersten Weltumseglung gelesen. Von dem großen Segler gehört jedoch schon etwas früher. Und zwar in Alicante 1965 als eine rote Ketsch mit dem Namen Joshua am Kai festmachte. Es war Bernard Moitessiers Joshua. Erstaunt fragte ich ihn damals: „Wer ist Joshua?“ „Das ist der Vorname von Slocum. Er war der erste, der allein die Welt umsegelt hat. Ein Amerikaner, eigentlich Kanadier von der Bay of Fundy.“ Die Bucht war mir aus meiner Seefahrerzeit bekannt. Berüchtigt für zehn Meter und mehr Tidenhub und folglich kritischen Strömungen. Das Buch sollte ich lesen, empfahl Moitessier. Nur, in Alicante war es nicht zu kriegen. Also dauerte es. Doch dann legte ich Slocums Geschichte nicht mehr zur Seite. Auf unnachahmliche Weise geht er auf die Poesie des Meeres ein. Nicht selten verschmelzen bei ihm Humor und Dramatik. Das war Weltumsegeln aus erster Hand.
Als Alleinsegler hat er mich bestärkt und ermutigt, ein gestecktes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, dabei auf das Elementare zu setzen und mit einfachen Mitteln um die Welt zu segeln. Dieser Maxime bin ich bis heute treu geblieben. Selbst bei meinen Nonstop-Reisen stand Einfachheit von Schiff und Ausrüstung im Vordergrund.
Mit nur wenigen Dollars in der Tasche hatte Slocum sich von seinem Heimathafen Boston auf den Weg nach Gibraltar gemacht und auf den folgenden Etappen rund um die Welt alle Schicksale gemeistert, die sich ihm zu der Zeit in den Weg stellten. Vor den lebendigen Eindrücken der Natur und seiner Geschöpfe verblasst das große Ziel der Reise: Das Beobachten der Tiere, die Begegnung mit Menschen, aber auch die Reflexion über gute Seemannschaft rücken stattdessen in den Mittelpunkt des Erzählten. Das Zurücklegen der unzähligen Meilen erscheint zunehmend nebensächlich. Diese Aufgabe überlässt er im Laufe seiner Reise scheinbar mehr und mehr seinem Boot, der Spray. Slocum wird zum Beobachter seiner Reise, die ihn selbst in Erstaunen zu versetzen scheint.
Die Spray und ihr Kapitän bilden auf ihrer Reise von Anfang an eine unzertrennliche Einheit. Die Symbiose resultiert keineswegs nur aus Slocums Einsamkeit auf hoher See, in der er natürlich auf die Seetüchtigkeit seines Schiffs angewiesen ist und in der nicht nur das Universum, sondern auch leblose Gegenstände zu Gefährten werden können. Die Spray ist vielmehr das Werk Slocums: In sie hat er all seine seemännische Erfahrung und sein schiffsbauerisches Können gelegt. Als Slocum 1892 das Schiff als Geschenk angeboten bekommt, ist es ein Wrack. Historiker vermuten, dass die Spray 1801 als Austernfischer vom Stapel lief. Als sie in Slocums Besitz gelangte, war sie also schon fast 100 Jahre alt. Mit einem Budget von 553,62 Dollar machte er die Spray nicht nur wieder seetüchtig, sondern er schuf das perfekte Schiff für seine Zwecke. Zahlreiche Nachbauten haben seitdem die Weltmeere befahren. Ihre Länge maß 36 Fuß und neun Zoll (11,03 Meter) und ihre Breite 14 Fuß und zwei Zoll (4,25 Meter). Sie galt als schnell, unkenterbar und ideal für einen Einhandsegler, da sie gute Selbststeuereigenschaften besaß. Es gab Seestrecken, auf denen Slocum Tausende von Seemeilen zurücklegte, ohne die Pinne in die Hand nehmen zu müssen. Das erinnert mich an meine Passage über den Indischen Ozean, wo über Wochen hinweg kein Griff an die Pinne nötig war, um auf Kurs zu sein. Meine Kathena steuerte sich unter zwei Vorsegeln selbst.
Joshua Slocum hat seine Weltumsegelung im Alter von 51 Jahren begonnen. Der Zenit seines beruflichen Werdegangs war zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren überschritten. Seine Laufbahn hatte als 12-jähriger Schiffsjunge begonnen und mit 17 Jahren verfügte er bereits über das Patent des 2. Offiziers. Sein erstes Kommando übernahm er 1869 im Alter von 25 Jahren. Er war bis in die späten 80er Jahre hinein nie ohne ein Kommando. Und wenn er keine Fracht zu transportieren hatte, dann widmete Slocum sich dem Fischfang oder der Otterjagd. Slocum wurde stets von seiner Familie begleitet. Seine Frau Virginia teilte nicht nur notgedrungen sein Los auf den Frachtseglern, sie war selbst dem Abenteuer zugetan und folgte ihm mit Freude auf fast jedes neue Schiff. Ihre sieben Kinder, von denen allerdings drei früh starben, gebar sie sämtlich auf Schiffen. Als seine Frau Virginia 1884 im Alter von nur 34 Jahren an Bord starb, schien Slocum an einen Wendepunkt gelangt zu sein. Zwar hatten auch zuvor Krankheiten, Havarien, Piraterie, Meutereien und Gerichtsprozesse immer wieder für Aufregung gesorgt, aber nun nahmen die kleineren und größeren Katastrophen ein nahezu absurdes Ausmaß an. Rentable Geschäfte in der Frachtsegelei wurden immer schwieriger. Die Dampfschifffahrt hatte an Bedeutung gewonnen. Die goldenen Zeiten der Segelkapitäne, die wie Slocum das Kommando auf dampfbetriebenen Schiffen ablehnten, waren vorbei. Es drohte Joshua Slocum der finanzielle Ruin.
Es war aber immer schon eine von Slocums Stärken gewesen, sich aus misslichen Lagen zu befreien und all seine Schaffenskraft in ein neues Ziel zu stecken. So ging er bald mit seinem Sohn Victor daran, aus verbliebenen Wrackteilen der in Brasilien auf Grund gelaufenen Aquidneck ein Boot zu bauen, das ihn und seine Familie nach Hause nach Boston bringen sollte. Es entstand die Liberdade, eine Art Segelkanu. Auf dem 35 Fuß langen Boot erreichten Slocum und seine Familie nach 53 Tagen schließlich amerikanisches Festland. Sie hatten insgesamt in diesem provisorischen Schiff über 5000 Seemeilen zurückgelegt.
Diese Reise mit der Liberdade markierte eine erneute Wende in Slocums Leben. Dies war sein erster privater Törn. Er war ohne Kommando, ohne Crew und ohne Fracht unterwegs. Trotz all der erlebten Schwierigkeiten, ging Slocum ganz in dieser Reise auf. Er genoss das Gelingen des außergewöhnlichen Törns wie einen Triumph und ließ alles Ungemach, das sie mit sich brachte, unerwähnt: „Da war sie wieder, diese besondere Stimmung beim Segeln, die Liebe zu der Sache an sich, die mich überkam, als das kleine Schiff auslief.“ Dass diese Unternehmung bei der Presse wohlwollend und staunend aufgenommen wurde, trug sicher dazu bei, dass er einen Bericht mit dem Titel „Die Reise mit der Liberdade“ niederschrieb. Slocum suchte in Boston nach neuen Aufgaben und erwägte auch ein bürgerliches Leben mit seiner zweiten Frau Hettie. Sie hatte ihren Mann bereits drei Jahre lang auf seinen Fahrten begleitet und ihre Tapferkeit unter Beweis gestellt. Aber langfristig behagte ihr wohl die Perspektive eines Lebens auf hoher See nicht. Das häusliche Glück blieb den Slocums allerdings verwehrt: Der Kapitän fand an Land keine Tätigkeit.
Als Slocum schließlich die Spray geschenkt bekommt, fasst er den Plan einer Weltumseglung. Sein Ziel war es, die Reise so zu vermarkten, dass sie ihm einen Gewinn einbrachte, der den Kauf einer Farm für sich und seine Familie ermöglichte. Durch seine bisherigen Erlebnisse, die immer wieder für Aufregungen in der Öffentlichkeit gesorgt hatten, verfügte er über einige Kontakte zu Zeitungen und Journalisten. Zudem verband ihn eine tiefe Liebe zur Literatur. Er kannte die großen Seefahrer und ihre Geschichten, die sie in der Literatur hinterlassen hatten. Nicht nur die großen Romane, sondern auch die Reiseskizzen und wissenschaftlichen Abhandlungen waren ihm vertraut. Er, der selbst als Kind nur selten die Schule besucht hatte und schon im Alter von zehn Jahren seinen Lebensunterhalt selbst verdienen musste, war ein wissbegieriger Autodidakt. Die großen Seefahrer hatten ihn auf seinen Reisen oft unterhalten, und er hatte viel von ihnen gelernt. Warum nicht selbst eine Reise unternehmen und davon erzählen? Es gelang ihm mit der Century Company eine Absprache zu treffen: Seine Geschichte erschien zwischen September 1899 und März 1900 in Fortsetzungen im Century Illustrated Magazine und wurde im April 1900 in der Century Company als Buch veröffentlicht. Und obwohl gerade in seinem Heimatland viele Zweifler die Ehrenhaftigkeit seiner Großtat in Frage stellten und ihn der Lüge bezichtigten, war er ein gefragter Redner, der auf zahlreichen Vorträgen von seiner sagenhaften Reise berichtete. Er kaufte eine Farm in Fairhaven und lebte dort mehrere Jahre mit seiner Ehefrau Hettie. Slocum, der das wechselvolle Leben gewöhnt war, vermochte dort aber keine Wurzeln zu schlagen. Es zog ihn unweigerlich zurück auf den Ozean. Auf der Spray unternahm er Törns entlang der Küste und in die Karibik.
Die Weltumseglung mit der Spray war das Meisterstück des Kapitäns Joshua Slocum. Nur mit Sextant und Wecker fand er seinen Kurs übers Meer und trotz schlechter Seekarten die Routen durch Magellan- und Torres-Straße; nur ausgerüstet mit den damals üblichen anfälligen Baumwollsegeln und ohne Hilfsmotor. Alles Umstände, die auch meine erste Weltumseglung 1966 begleiteten.
Er war ein hervorragender Schiffsbauer,...