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Einleitung
1.1 Eine Mücke ist Nanotechnologie
Sicher haben Sie schon einmal eine Mücke erschlagen, die sich Ihnen in unmissverständlicher Absicht näherte. Und Sie haben die Befriedigung erlebt, eine verwerfliche Tat, nämlich das Blutsaugen, verhindert zu haben. Aber kann man der Mücke wirklich »Bösartigkeit« unterstellen? Sie handelt nicht mit der Absicht, Sie zu quälen, sondern füllt nur ihre ökologische Nische in unserem Lebensraum aus. Was aber auf alle Fälle bleibt, ist das Gefühl, als Mensch dem einfachen Wesen »Mücke« überlegen zu sein. Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass dieses scheinbar so unbestreitbare Gefühl der Überlegenheit auf tönernen Füßen steht. Eine Mücke (Abb. 1.1) ist vom technischen Standpunkt aus gesehen eine Maschine, deren Bau und Funktion weit jenseits dessen liegt, was Menschen erschaffen können. Auch mit fortschrittlichster Elektronik und Ultrafeinmechanik können Menschen keine künstlichen Mücken bauen. Eine Mücke wiegt ein Tausendstel eines Gramms. Gibt es so leichte, von Menschen gebaute Maschinen? Nein. Aber selbst wenn der Mensch eine solche Maschine bauen könnte, könnte sie dann auch fliegen? Hätte diese Maschine Augen? Könnte sie sich selbst ernähren? Nein. Und das, obwohl eine künstliche Mücke für das Militär unbezahlbar wäre. Denn eine solche Maschine könnte unbemerkt hinter die feindlichen Linien dringen, Gespräche abhören oder Unterlagen kopieren. Und sie bräuchte nicht zurückzukehren, denn sie kann sich selbst auftanken. Aber so etwas gibt es nicht. Noch nicht? Oder wird es niemals künstliche Mücken geben?
Das ist das Thema dieses Buches: Wie weit ist die Menschheit davon entfernt, winzige Maschinen von der Leistungsfähigkeit künstlicher Mücken zu bauen? Und wie sähe die Welt aus, wenn das irgendwann einmal möglich sein sollte?
Abbildung 1.1: Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Mücke. © Janice Carr [1]
Betrachtet man eine Mücke rein technisch, also als biologische »Maschine«, so ist sie ein Produkt hochentwickelter Nanotechnologie. Natürlich sind Pflanzen und Tiere lebendig und unterscheiden sich grundsätzlich von Maschinen. Aber wenn man diesen Unterschied einmal außer Acht lässt, ist eine Mücke ein hochkomplexer Mechanismus, der viele Funktionen einschließlich der eigenen Wartung, Reparatur und Reproduktion ausführen kann und nur ein Milligramm wiegt. Mücken bestehen wie alle Pflanzen und Tiere aus Zellen. In den Zellen, den Nanofabriken der Natur, erfüllen Proteine, also große Moleküle, vielfältige Funktionen und sie ähneln auf gewisse Weise den Maschinen aus der uns bekannten makroskopischen Welt. Im Zellkern befindet sich der Bauplan eines Lebewesens in Form der Erbsubstanz. Diese Erbsubstanz besteht aus sehr langen Molekülen, auf denen wie auf einem Magnetband der Bauplan als langer »Text« aufgeschrieben ist. Diese langen »Bücher« des Lebens nennt man Chromosomen. Sie haben einen Durchmesser von einem Nanometer und eine Länge von einigen Millimetern. Eine menschliche Zelle hat 46 solcher Fäden mit einer Gesamtlänge von knapp 2 Metern. Damit diese Moleküle in einen Zellkern passen, der nur einen Hundertstel Millimeter groß ist, muss der Faden aufgewickelt werden. Ab und zu muss die Zelle bestimmte Stellen des Fadens »lesen«, und dann beginnt ein komplizierter Prozess. Zunächst wird die gewünschte Information vom Chromosom auf ein kürzeres Molekül (die RNA) umkopiert und aus dem Zellkern heraustransportiert. Dann wird die Information von einem »Lesekopf«, dem Ribosom (Abb. 1.2), ausgelesen. Das ist ein großes Protein, das an dem Faden entlang gleitet.
Es gibt noch viele weitere Analogien zwischen Lebensfunktionen und Maschinen. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: In einem Lebewesen sind diese »Maschinen« extrem klein. Es sind Nanomaschinen. Ein Größenvergleich verdeutlicht dies: Ein heutiger Computerspeicher wiegt 10 Gramm und kann 1000 Gigabyte speichern. Das entspricht 0,01 Gramm für 1 Gigabyte. Der Zellkern wiegt nur 0,0000000001 Gramm und dort ist ebenfalls rund 1 Gigabyte an Information gespeichert. Die Natur ist uns also immer noch millionenfach voraus.
Abbildung 1.2: Wie ein Lesekopf liest ein Ribosom (bildfüllende, rundliche Struktur, Durchmesser 20 nm) die Erbinformation aus. Diese Information ist auf der RNA wie auf einem Magnetband gespeichert. Mit dieser Information baut das Ribosom ein Protein, ein neues Eiweißmolekül (nach links laufende Helix). © (2009) Nature Publishing Group [2]
Dieser große Vorsprung der Natur offenbart sich zum Beispiel darin, dass es in der Natur Mücken gibt und in der Technik nicht. Auch der Mensch lebt nur deswegen, weil ständig eine Unzahl von Prozessen in jeder seiner 100 000 Milliarden Zellen abläuft. In jeder Zelle ist die komplette Erbinformation gespeichert und es gibt Kraftwerke für die Energieerzeugung, es gibt Förderbänder für den Warentransport und viele andere kleinste »Maschinen«. Nanotechnologie ist also eigentlich etwas Natürliches.
1.2 Was ist Nano?
Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet Zwerg. »Nano« meint zunächst einmal »sehr klein« – genauer: tausendmal kleiner als »Mikro«. »Mikro« ist die Abkürzung für ein Millionstel. Ein Mikrometer ist also ein millionstel Meter oder ein tausendstel Millimeter. Eine Nähnadel ist etwa 1 Millimeter dick (Abb. 1.3 links). Ein Tausendstel davon, also ein Mikrometer, ist eine bereits unvorstellbar kleine Länge. Die Haut einer Seifenblase ist beispielsweise 1 Mikrometer dick. Ein menschliches Haar ist viel dicker, nämlich 50 Mikrometer (Abb. 1.3 Mitte). Die Information auf einer CD ist in einem Strich-Punkt-Muster gespeichert, das im Elektronenmikroskop sichtbar wird. Auch diese Striche haben eine Dicke von etwa 1 Mikrometer. Biologische Zellen wie die in Abb. 1.3 dargestellten Lymphozyten sind ebenfalls einige Mikrometer groß. All das ist zwar klein, aber immer noch tausendfach größer als wirkliche Nanoobjekte.
Abbildung 1.3: Ein Elektronenmikroskop offenbart viele Details aus der Welt des Kleinen, auch bei millimetergroßen Objekten wie einer Nähnadel (links). Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von 50 Mikrometer und ähnelt bei ausreichender Vergrößerung einem Baumstamm (Mitte). Das Strich-Punkt-Muster einer Musik-CD und die zwei Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) mit einem Durchmesser von etwa 5 Mikrometern wirken daneben winzig (Einschub Mitte unten und rechts). Nanoobjekte sind noch mal tausendmal kleiner als Zellen oder die Striche auf der CD und wären bei den hier verwendeten Vergrößerungen des Elektronenmikroskops nicht erkennbar. © Nähnadel: Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ming H. Chen, University of Alberta [3–5]
Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat der Mensch heute noch keinen Zugriff auf die Nanoebene und seine Fähigkeiten enden meist beim Einritzen der mikrometerdicken Striche auf einer CD. Die Natur geht viel weiter. Im Innern der Lymphozyten offenbart sich bei höchster Vergrößerung des Elektronenmikroskops ein komplexes Innenleben mit einer großen Vielfalt von Nanoobjekten, die verschiedensten Aufgaben nachgehen und vom Zellkern gesteuert werden. Und es gibt noch viel kleinere Lebewesen. Viren haben eine Größe von 100 Nanometer und in der Wissenschaft wird diskutiert, ob Viren lebendig sind oder nicht. Sie stehen am Übergang vom Molekül zum Lebewesen.
1.3 Milli–Mikro–Nano
In der Physik spielen Größenordnungen eine wichtige Rolle. Eine Änderung um eine Größenordnung bedeutet eine Änderung um einen Faktor Zehn. So ist zum Beispiel eine Ameise (3 Millimeter Länge) rund tausendmal oder drei Größenordnungen (10 × 10 × 10 = 1000) kleiner als ein Auto (3 Meter Länge). Ein Millimeter, ein Mikrometer und ein Nanometer unterscheiden sich jeweils um den Faktor 1000, also um drei Größenordnungen. Millimetergroße Objekte wie zum Beispiel Schneeflocken sind mit bloßem Auge noch erkennbar (Abb. 1.4 links). Die nur wenige Mikrometer große Feinstruktur eines Tonminerals ist nur im Mikroskop sichtbar (Abb. 1.4 Mitte). Nanopartikel wie zum Beispiel das C60 (Abb. 1.4 rechts), ein kugelförmiges Molekül aus 60 Kohlenstoffatomen (»Nanofußball«), sind selbst mit höchstauflösenden Elektronenmikroskopen nur noch verschwommen zu erkennen. Unser direkter Erfahrungsbereich – also der, der Händen und Augen unmittelbar zugänglich ist – reicht aber nur hinab bis zu Strukturen, die maximal ein zehntel Millimeter (0,1 Millimeter) groß sind. In den letzten hundert Jahren ist uns durch die Entwicklung des Lichtmikroskops und durch die Verfügbarkeit immer...