Vorwort
Mit dem vorliegenden Buch treibt das Herausgeberteam den wissenschaftlichen Diskurs zu Lernen und Bildung im Alter weiter voran und knüpft damit gleichzeitig an vorausgegangene Veröffentlichungen (Bubolz-Lutz et al. 2010) an. Zu diesen Veröffentlichungen zählen Arbeiten aus der Erziehungswissenschaft (z. B. Anding 2002; Schneider 1993; Tippelt u. a. 2009) und der Gerontologie (z. B. Lottmann 2012) ebenso wie Veröffentlichungen aus der Psychologie (z. B. Leipold 2012), der Soziologie (z. B. Kolland/Ahmadi 2010; Sommer/Kühnemund 1999), der Volkswirtschaft (z. B. Menning 2008) oder der Religionspädagogik (z. B. Evers 1999) – um nur einige Disziplinen und Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen. Im Blick sind dabei zunächst die profilbildenden Positionen der verschiedenen Disziplinen und Professionen, für die die einzelnen Autor*innen im ersten theoretischen Teil stehen. Die Einzelbeiträge erscheinen dabei zunächst eher additiv in einer multidisziplinären Logik. Sie eint die Zentrierung um den gleichen Gegenstand – der Bildung im und für das Altern sowie der dafür notwendigen wissenschaftlichen Fundierung. Aber auch das Ringen um Inter- und Transdisziplinarität wird sichtbar, wenn Querverbindungen und Verweise auf die jeweils andere Perspektive vorgenommen und mit der Positionsbestimmung der Geragogik verknüpft werden. Damit stellt das Buch auch einen neuen Meilenstein in der Debatte um die wissenschaftliche Verortung der Geragogik dar und beleuchtet gleichzeitig die Position von Bildungsprozessen im Alter innerhalb der Erziehungswissenschaft.
Die im deutschsprachigen Raum eng mit dem Begriff der Geragogik verbundene Auseinandersetzung mit Bildungsprozessen für das Alter und im Alter und bezogen auf den Prozess des Alterns ist sowohl innerhalb der Erziehungswissenschaft als auch für die Gerontologie und andere Sozialwissenschaften von zentraler Relevanz. Auch wenn die Auseinandersetzung mit geragogischen Fragestellungen erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten erheblich an Präsenz in wissenschaftlichen Diskursen gewonnen zu haben scheint, reicht die Tradition bildungswissenschaftlicher und gerontologischer Arbeiten zu dem Thema deutlich weiter zurück. Die Zusammenführung verschiedener Wissenschaftstraditionen, die sich bis ans Ende des vergangenen Jahrhunderts oft weitgehend unabhängig voneinander mit Bildung im Alter beschäftigten, gehört zu den zentralen Anliegen der Geragogik, wie auch dieser Band verdeutlicht. Dabei kann es nicht darum gehen, die disziplinäre Verortung von Forschungsarbeiten zu negieren, sondern darum, die spezifischen Beiträge unterschiedlicher Disziplinen zum Thema deutlich zu machen und diese diskursiv aufeinander zu beziehen.
Zum Auftakt erscheint ein erziehungswissenschaftlicher Blick aufs Thema aus international-europäischer Perspektive sinnvoll, der auch die historische Entwicklung bestimmter fachlicher Positionen aufzeigt. Dieser Eingangsbeitrag steht für den Blick über die fachpolitischen, disziplinären und nationalstaatlichen Grenzen, der auch durch die Zusammensetzung der Autor*innen des gesamten Bandes insgesamt stark betont wird.
Die Publikation beginnt im ersten Teil mit der Verortung von Bildung und Lernen im Alter an den Schnittstellen zur Gerontologie und zur Sozialen Arbeit. Dabei geht es auch um verschiedene Verständniszugänge und die unterschiedliche Verwendung zentraler Begrifflichkeiten und deren Kontextualisierung. Deutlich wird, dass dabei jeweils auf die Anschlussfähigkeit an die jeweiligen Fachdebatten geachtet wird und dass sich die wissenschaftliche Fundierung der Geragogik nicht außerhalb des aktuellen Wissenschaftsdiskurses bewegt.
Im zweiten Teil des Buches, der auf verschiedene Vorgehensweisen in Forschungsprojekten und deren zentrale Ergebnisse fokussiert, werden zum einen ebenfalls gemeinsame Perspektiven und zum anderen auch Unterschiede in der angewandten Forschungsmethodik sowie verschiedene Blickrichtungen deutlich. Hier zeigen sich deutliche Abgrenzungen und unterschiedliche Logiken, die den Eindruck der Multiprofessionalität in der Geragogik eher verstärken. Im Forschungsbereich stechen die Herkunftsdisziplinen am deutlichsten hervor – ein Umstand, der für die Vielfalt der Zugänge und wissenschaftlichen Bezüge innerhalb der Geragogik steht.
Die mittlerweile hohe Diversität unterschiedlicher Orte der Bildung und der fachlichen Konzepte stehen im Zentrum des dritten Teils der Publikation. Dabei wird ein buntes Kaleidoskop von innovativen Ansätzen sichtbar, die die Vielfalt von Zugängen und Wegen im Bereich geragogischer Bildungsarbeit repräsentieren – es zeigt sich eine eindrucksvolle Zusammenschau von Möglichkeiten im Feld von Lernen und Bildung im Alter.
Im abschließenden vierten Teil wird der Blick auf ganz spezifische thematische Fokussierungen sowie auf eher informelle Bildungssettings gelenkt. Auch hier wird durch die Vielfalt der verwendeten Begrifflichkeiten, die nebeneinander stehen, und den Themenreichtum die Diversität der Geragogik sichtbar.
In der Gesamtschau auf alle Beiträge werden aber auch klare Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten deutlich, die sich wie ein roter Faden durch die Publikation ziehen. So scheint in allen Beiträgen das Ringen um eine Verwirklichung von individuellen Entwicklungspotenzialen auf, die über Lern- und Bildungsarrangements gefördert und damit dem alternden Menschen als Ressource zur Verfügung stehen. Die Förderung von sozialer Teilhabe und Selbstbestimmung ist ein zweiter Aspekt, den alle Autor*innen mehr oder weniger explizit thematisieren. Weiter geht es im Sinne einer Gemeinschaftsorientierung insgesamt zudem um die Gestaltung der Lebensphase Alter im Sinne von »Mitverantwortung für ein ›gutes Leben‹ im Alter« (Kruse 2017, 28). »Teilhabe erscheint somit als Ergebnis eines Zusammenwirkens von personalen, sozialen, kulturellen, kommunalen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren, wobei Bildung als ein zentraler Mechanismus bei der Schaffung teilhabeförderlicher Strukturen gewertet wird« (ebd., 29).
Gleichzeitig verdeutlichen die Beiträge – einmal mehr – die Heterogenität von Alter und älteren Erwachsenen. Angebote für und Forschungen über »die Älteren« greifen deutlich zu kurz und das kalendarische Alter scheint in Bildungskontexten insgesamt nachrangig zu sein – gerade auch gegenüber anderen eng damit assoziierten Konstrukten, wie Lebensphase oder generationeller Zugehörigkeit. Um der Vielfalt des Alters gerecht zu werden bedarf es spezifischer Zugänge, die die jeweilige Lebenssituation, bildungsbiografische Aspekte, soziale Zugehörigkeit sowie individuelle Interessen der Lernenden oder ihre Expertenschaft für eigene Belange ernst nehmen.
Wenn dieses Buch zu weiterführenden wissenschaftlichen Diskursen und Debatten zum Thema Alter(n) – Lernen – Bildung anregt, haben wir als Herausgeberteam ein wichtiges Ziel erreicht. Wir danken allen Autor*innen und den Mitgliedern des AK Geragogik, die uns in den Sitzungen und Tagungen des Arbeitskreises wichtige Impulse geliefert haben, sowie für Impulse aus der Arbeitsgruppe Altern und Bildung innerhalb der DGfE.
Mit Blick in die Zukunft bleibt festzuhalten: »Langfristiges Ziel ist der Aufbau von Bildungsstrukturen, die die Planungs- und Handlungsspielräume des Lernens im Alter in Richtung auf mehr Selbstbestimmung der Lernenden erweitern und festigen« (Bubolz-Lutz 2017, 30). Dafür ist noch ein deutlicher Bedarf zu konstatieren.
Renate Schramek Bochum | Cornelia Kricheldorff Freiburg |
Bernhard Schmidt-Hertha Tübingen | Julia Steinfort-Diedenhofen Köln |
Literatur
Anding, A. (2002): Bildung im Alter. Bildungsinteressen und -aktivitäten älterer Menschen. Beitrag zu einer Bildungstheorie des Alters. Leipzig: Weißenfels.
Bubolz-Lutz, E./Gösken, E./Kricheldorff, C./Schramek, R. (2010): Geragogik. Bildung und Lernen im Prozess des Alterns. Das Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer.
Bubolz-Lutz, E. (2017): Non-formal selbstbestimmt. Selbstbestimmtes Lernen im Alter am Beispiel des ›Denk-Raum 50 plus‹. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 4/2017, 30–32.
Evers, R. (1999): Alter – Bildung – Religion. Eine subjekt- und bildungstheoretische Untersuchung. Stuttgart: Kohlhammer.
Kolland, F./Ahmadi, P. (2010): Bildung und aktives Altern. Bewegung im Ruhestand. – Bielefeld: Bertelsmann.
Kruse, A. (2017): Zur Notwendigkeit eines neuen gesellschaftlichen Entwurfs des Alters. Selbst- und Weltgestaltung in ihrer Bedeutung für Teilhabe im Alter: der Beitrag der Bildung. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 4/2017, 25–29
Leipold, B. (2012): Lebenslanges Lernen und Bildung im Alter. Stuttgart: Kohlhammer.
Lottmann, R (2012): Bildung im Alter – für alle? Altersbilder, Ziele und Strukturen in der nachberuflichen Bildung in...