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E-Book

Am Ende aller guten Hoffnung - Sterbehilfe im Mutterleib?

AutorSandra Wiedemann
VerlagEdition Riedenburg E.U.
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783902943620
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die vierunddreißigjährige Sandra ist überzeugte Optimistin mit schier unerschütterlichem Vertrauen ins Leben. Den vermeintlich "guten Draht nach oben" will sie sich zunutze machen und bittet um die Erfüllung ihres Herzenswunsches: Nach dem putzmunteren Sohn soll eine kerngesunde Tochter das Familienglück krönen. Das Universum "liefert" zwar unverzüglich - allerdings mit einem furchtbaren Fehler, wie sich in der 25. Schwangerschaftswoche herausstellt. Die brutale Prophezeiung der Ärzte, das vollkommen gesund geglaubte Kind sei nicht lebensfähig, bringt die heile Welt der werdenden Mutter zum Einsturz. Gleichzeitig wird eine schier unmenschliche Entscheidung von der Schwangeren gefordert: untätig abwarten, bis das Schlimmste eintritt - oder dem Schicksal vorgreifen und ihr ungeborenes Baby erlösen. "Am Ende aller guten Hoffnung - Sterbehilfe im Mutterleib?" ist der ehrliche Erfahrungsbericht einer jungen Mutter zum Thema Schwangerschaftsabbruch.

Sandra Wiedemann (*1978) ist dreifache Mutter. Ihr erstes Buch, "Am Ende aller guten Hoffnung - Sterbehilfe im Mutterleib?", sorgte medial für Aufsehen, denn selten zuvor wurde aus Sicht einer Betroffenen so ehrlich und aufwühlend über die innere Zerrissenheit Pro und Contra Spätabbruch geschrieben. Mit "Zurück zum guten Bauchgefühl" legt die Autorin nun die Fortsetzungsgeschichte über ihre heiß ersehnte Folgeschwangerschaft vor.

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Leseprobe

Die Marathon-Woche


Tag der Wahrheit (Donnerstag, 13. Dezember 2012)


Endlich, nach genau einer Woche Wartezeit, ist er da: Der Tag der „genaueren Untersuchung“ in der großen Stadt.

Pränataldiagnostik – aber diesen Begriff sollte ich erst später kennen (und verfluchen) lernen. Ich hatte ja bisher nie etwas von zusätzlichen Untersuchungen in der Schwangerschaft, die es wie Sand am Meer zu geben scheint, gehalten.

Fruchtwasseruntersuchung. Nackentransparenzmessung. Chorionzottenbiopsie. Amniozentese. Feinultraschall.

Alle diese Begriffe sind nicht unbekannt für mich. Schließlich habe ich mich über das Thema Schwangerschaft umfassend informiert und tausche mich auch regelmäßig mit anderen Gleichgesinnten in „meinem“ Internetforum aus. Aber so etwas selbst durchführen lassen? Nein. Wozu auch?

Ich habe meine Prinzipien. Eine Abtreibung wäre sowieso undenkbar für mich. Das war mir immer schon klar gewesen.

Bereits im zarten Alter von sechzehn Jahren habe ich mir gesagt: „Wenn es passieren sollte, dass ich jetzt ungewollt schwanger werde, dann würde ich in den sauren Apfel beißen und das Kind bekommen. Sicher wird es nicht einfach werden. Aber deswegen ein Mord? Das geht doch gar nicht! Wie sollte ich mit sowas für den Rest meines Lebens klarkommen können?“

Außerdem habe ich Vertrauen. Vertrauen ins Leben und in meinen persönlichen Schutzengel, der nur das Beste für mich und meine Familie will. Ich habe ja Gott sei Dank schon ein kerngesundes Kind: deinen Bruder Niklas. Das gibt mir die Gewissheit, in der ersten Schwangerschaft alles richtig gemacht zu haben.

Also brauche ich diesmal nur alles wieder genau so zu machen, und es wird als Ergebnis wieder ein gesundes Kind rauskommen. Du – meine kerngesunde Wunschtochter. Genau, wie beim Universum bestellt.

Diesen Termin heute nehm ich eigentlich nur auf Bitte meiner Frauenärztin hin wahr. Wenn sie hinterher beruhigt ist, ist doch alles wunderbar. Und als angenehmer Nebeneffekt wird dann auch meine eigene Unsicherheit verschwunden sein, die mich seit dem 3D-Ultraschall in der 20. Schwangerschaftswoche unterschwellig begleitet hat und seit dem letzten Frauenarzttermin heute vor einer Woche richtig massiv geworden ist. Auch wenn ich es in den letzten Tagen – besonders mit Hilfe deines Papas, der mir gut zugeredet hat – irgendwie geschafft habe, diese Sorge zu verdrängen und mich selbst zu beruhigen.

„Zum Glück ist der Termin nicht am Freitag den dreizehnten, sondern an einem Donnerstag. Ansonsten würde es Unglück bringen“, habe ich noch zu ihm gesagt. Ohne zu ahnen, wie sehr ich mich damit irren sollte …

Ich bringe den Tag heute irgendwie rum und hinterlasse meinen Forumsfreundinnen noch einen Beitrag, dass sie mir bitte für die heutige Untersuchung die Daumen drücken sollen. Die vielen aufbauenden Antworten beruhigen mich und machen mir Mut.

„Daumen sind ganz fest gedrückt. Bestimmt ist alles gut. Freu Dich drauf, Deine Tochter ganz genau in Großaufnahme sehen zu können. Vielleicht bekommst Du sogar ein paar schöne Bilder …“

Super! Bei so vielen positiven Gedanken kann ja gar nichts mehr schief laufen! Wenn der Termin gut verläuft – wovon ich jetzt einfach ausgehe –, wollen wir danach auf dem Heimweg noch schön bei „unserem“ Mexikaner essen gehen. Ich freue mich drauf.

Um vier Uhr nachmittags bringt deine Oma mich zu Papa in die Firma. Er macht gleich Feierabend, und wir fahren dann mit seinem Auto weiter Richtung Großstadt. Zuerst haben wir – weil es direkt auf dem Weg liegt – aber noch etwas anderes zu erledigen.

Wieder einmal darf ich mein Auto nach über zwei Wochen im Autohaus abholen, wo wir es erst im März dieses Jahres gekauft haben. Diesmal hat es hoffentlich die letzte Reparatur für lange Zeit hinter sich! Ich habe sie so satt, diese unendliche Geschichte.

Scheinbar ließen dein Papa und ich uns beim Kauf ziemlich über den Tisch ziehen und waren echt leichtgläubig. Aber damit ist jetzt Schluss! Nachdem ich in einer anderen Vertragswerkstätte in einem anderen Ort von den gravierenden Mängeln erfahren habe, die früher oder später zum Motorschaden führen können, wollte ich nicht mehr locker lassen. Leider war mit den „netten“ Menschen im Autohaus nicht wirklich zu reden. Erst nach meinem Schreiben und der Androhung, alles einem Anwalt zu übergeben, haben sie eingelenkt.

Heute soll ich also mein kostenlos repariertes Fahrzeug abholen können und zusätzlich eine Gutschrift von gut zweihundert Euro für eine bereits bezahlte Rechnung erhalten. Ziemlich nervös komme ich zusammen mit Papa im Autohaus an. Ich bin nämlich nicht halb so cool und abgebrüht, wie ich es in meinem Brief rüber bringen wollte. Aber das soll jetzt niemand merken.

Das Gespräch verläuft bestens, der Geschäftsführer ist scheißfreundlich. Er erklärt uns alles ganz genau und zeigt uns sogar das ausgetauschte Teil. Dann bekommen wir noch anstandslos das ausstehende Geld ausgezahlt, das wir mit einem innerlichen Grinsen einstecken. Anschließend verabschieden wir uns von dem netten Herrn – hoffentlich auf Nimmerwiedersehen!

„Super!“, sage ich optimistisch und bestens gelaunt zu deinem Papa, als wir mein Auto ein paar hundert Meter weiter auf einem Parkplatz abgestellt haben und mit seinem Skoda weiter in Richtung der großen Stadt düsen. „Nachdem das jetzt alles so toll geklappt hat, kann der weitere Tag ja nur noch ein Erfolg werden!“

Die letzten Kilometer der Fahrt werden zur Qual für mich. Kurz vor der Stadtautobahn der übliche Stau. Dort, am Nadelöhr, wo aus zwei Autobahnspuren eine wird. Die Kolonne schiebt sich unerträglich langsam vorwärts. Nicht, dass wir es eilig hätten. Wir liegen ausnahmsweise mal super in der Zeit – richtig untypisch für uns.

Aber meine Blase plagt mich auf einen Schlag wieder dermaßen, dass ich beinahe in Panik verfalle. Das gibt’s doch gar nicht! Ich war gerade eben noch bei deinem Papa in der Firma und im Autohaus auf dem Weg. Und jetzt muss ich schon wieder zur Toilette! „Wo soll das noch hinführen?“, frage ich mich verzweifelt. „Wie wird das erst im neunten Monat sein, wenn es jetzt schon so schlimm ist?“

Endlich sind wir auf dem Ring unterwegs, und der Verkehr bewegt sich wieder einigermaßen flüssig. Laut Navi nur noch wenige Kilometer bis zu unserem Ziel. Durchhalten! Schaffe ich das noch?

Wir kommen an einer Polizeiwache vorbei. Ich bin kurz davor, daneben anzuhalten, damit ich rein stürmen und nach einer Toilette fragen kann. Aber das wäre dann doch irgendwie zu peinlich! Es wird schon noch gehen – es muss einfach! Endlich meldet das Navi: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“

Die verschneite Straße ist „abseits vom Schuss“ und sieht richtig verlassen aus. Ein Glück! So bekommen wir ohne Probleme einen Parkplatz direkt davor. Das Gebäude wirkt mehr wie eine historische Stadtvilla als eine Praxis. Das Schild am Eingang bestätigt uns aber, dass wir hier richtig sind.

Fast panisch stürme ich hinein und frage die Dame am Empfang erst einmal nach der Toilette. Danach kann ich endlich aufatmen und in Ruhe die Aufnahmemodalitäten erledigen. Ich fülle ein Formular aus und beantworte einige Fragen zu meiner Vorgeschichte, die mir gestellt werden. Dann schlucke ich auf Anraten der Empfangsdame einige Magnesiumtabletten, die den Bauch weich und bei der anschließenden Ultraschalluntersuchung dadurch alles besser sichtbar machen sollen.

Dein Papa und ich nehmen auf Stühlen im Wartebereich Platz. Ein separates Wartezimmer gibt es nicht. Alles ist ein einziger großer Raum mit hoher Decke. Ich sehe eine junge Ärztin, die gerade ein anderes Paar in eines der beiden Untersuchungszimmer holt. „Sym-pathisch“, denke ich mir und habe gleich ein gutes Gefühl.

Wenig später wird schon unser Name aufgerufen. Erwartungsvoll stehen wir auf und gehen um den Empfangstresen herum, wo uns ein älterer Mann mit schütterem Haar entgegen kommt und sich als unser zuständiger Arzt vorstellt. Mir läuft es sofort kalt den Rücken hinunter, ohne dass ich genau erklären könnte warum. Vielleicht ist es schlichte Antipathie, vielleicht überfällt mich in diesem Moment auch eine plötzliche Vorahnung.

Im Behandlungsraum fordert er mich auf, mich auf die Liege zu legen. Als ich dies folgsam tun will, werde ich schnippisch zurechtgewiesen: „Ich würde es von der anderen Seite aus probieren, weil hier stehe ja ich!“

„Was ist das denn für ein Unsympath? Das geht ja schon gut los!“, denke ich bei mir, während ich kleinlaut um die Liege herum trotte und von der anderen Seite aus draufklettere.

Leider wird der Herr Doktor während der Ultraschalluntersuchung nicht mehr freundlicher. Er macht ziemlich wortkarg seine Messungen und murmelt dabei in seinen nicht vorhandenen Bart. Immer wieder gibt er mir barsche Anweisungen, meine Lage zu verändern, drückt mit dem Kopf des Ultraschallgerätes grob auf mir herum. Ich komme mir vor wie ein Stück Vieh.

Wie musst du in meinem Bauch dich jetzt fühlen? Traurig starre ich auf die Leinwand. Sehe dich herumzappeln. Du scheinst flüchten zu wollen, aber es gibt kein Entkommen. Ich fühle mich schuldig, als würde ich dich verraten. Muss an alles Negative denken, das ich jemals über Ultraschalluntersuchungen gehört habe. Wie unerträglich laut sie für das Ungeborene sind. Dass sie vielleicht sogar Schädigungen am Kind anrichten können.

War es ein Fehler herzukommen? Hätte ich auf unsere Kursleiterin Gitti hören sollen? Meine Schwangerschaft weiterhin unbeschwert genießen, dir einfach vertrauen, meinem Bauchgefühl vertrauen? Aber genau dieses Bauchgefühl war es doch, das mich schon vor

fünf Wochen...

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