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Am Ende des Lavastromes

Durch die Wüsten und Kulturstätten Syriens (1905)

AutorGertrude Bell
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl306 Seiten
ISBN9783853718308
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Begeistert von ihrer Fahrt zu den Wüsten und Kulturstätten Syriens gibt Gertrude Bell im Jahr 1907 das Buch 'The Desert and the Sown' heraus. 1908 erscheint das Buch erstmals in deutscher Übersetzung und wird zum Klassiker der Reiseliteratur. Promedia ediert es im Jahr 1991 neu. 2015 wird Gertrude Bells Leben unter dem Titel 'Queen of the Desert' von Werner Herzog verfilmt. In der Hauptrolle der Forscherin ist Nicole Kidman zu sehen. Viele Orte, die Gertrude Bell vor über 100 Jahren besuchte, sind heute unzugänglich und nach Jahren des Bürgerkriegs zerstört. Somit kann das Buch auch über seine historische und archäologische Bedeutung hinaus als ein Dokument einer Zeit gelesen werden, in der der Nahe Osten nicht vom Krieg überzogen war und die in ihm lebenden Menschen miteinander auskamen. Bells politische Position als eine Agentin des britischen Geheimdienstes hinterlässt bei den Lesenden einen brisanten Beigeschmack, sind es doch auch heute wieder ausländische Mächte, deren Interessen die Entwicklung in der Region entscheidend mitbestimmen.

Gertrude Bell, 1868 als Tochter einer wohlhabenden Industriellenfamilie in Durham geboren, studiert Geschichte in Oxford. Ein akademischer Grad wird Frauen zu dieser Zeit noch nicht verliehen. Früh findet Bell Zugang zur arabischen und persischen Kultur, erlernt die Sprachen und wird zur Spezialistin für arabische Länder. Zusätzlich beschäftigt sie sich mit Archäologie. Ihr Arbeitsgebiet erweitert sich, als der britische Geheimdienst an sie herantritt. Ihr archäologisches Engagement verhindert, dass antike Kunstschätze des Irak in europäischen Besitz geraten. Im Alter von erst 57 Jahren stirbt Gertrude Bell 1926 einsam in ihrem Haus in Bagdad.

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Leseprobe

I.


Das Abenteuer des Reisens * Aufbruch von Jerusalem * Meine Habseligkeiten * Reisebegleiter * Russische Pilger * Die Wüste von Judäa * Frühstück in der Karawanserei * Jericho * Unwirtlichkeit des Jordantals* Die Schlammhänge von Genesis * Nachtlager an der Jordanbrücke * Erste Kunde aus der Wüste * Der Brückenwärter * Auswanderungsgelüste * Salt * Zu Gast bei Jusef Effendi Sukkar * Habib Faris’ Plan *

Dem Angehörigen höherer Stände bieten sich selten Momente freudigerer Erwartung, als wenn er an der Schwelle einer Reise in ferne Länder steht. Die Pforten der Enge öffnen sich ihm; es fällt die Kette vor dem Eingang ins Heiligtum, mit unsicherem Blick nach rechts und links schreitet er vorwärts und blickt – ins Unermeßliche. In die Welt der Abenteuer und großen Taten, die Welt voll schwarzer Wetter und lockenden Sonnenscheins, die in jeder ihrer Falten eine unbeantwortete Frage, einen unlösbaren Zweifel bringt. Du mußt allein hineinschreiten, mußt dich absondern von den Scharen deiner Freunde, die die Rosengärten aufsuchen, mußt den Purpur und das feine Linnen zurücklassen, die den kämpfenden Arm hindern – freudlos, heimat- und besitzlos will sie dich haben, diese Welt der Wunder. Statt der überredenden Worte deiner Ratgeber wirst du das Rauschen des Windes hören, Regenschauer und scharfer Frost werden dir ein stärkerer Ansporn sein als Lob und Tadel, und die Not wird ein entschiedeneres Muß sprechen als die armselige Stimme der Einsicht, die wir Menschen ganz nach Belieben zu befolgen oder zu mißachten pflegen. Du verläßt dein schützendes Heim und fühlst, sobald du den Pfad betrittst, der über die gerundeten Schultern der Erde dahinführt, gleich dem Manne im Märchen; die Reifen lösen sich, die dein Herz gefesselt halten.

Die Moschee von Omar, Jerusalem

Es war ein stürmischer Morgen, der 5. Februar. Der Westwind erhob sich aus dem Mittelmeer, fegte über die Erde dahin, wo die Kananiter Krieg führten mit den hartköpfigen Bergbewohnern Judäas, übersprang die gewaltige Gebirgsmauer, die die Könige von Assyrien und Ägypten vergebens zu überwinden versucht, schrie nach Jerusalem die Kunde von kommendem Regen hinein, jagte weiter über die öden Osthänge hinab, setzte mit einem Sprung über das tiefeingeschnittene Bett des Jordans und verschwand jenseits der hohen moabitischen Höhen in der Wüste. Und die ganze Meute des Sturmes jagte ihm nach, ein kläffendes Rudel, ostwärts jagend und sich des tollen Tages freuend.

Wer, mit frischem Leben in den Adern, möchte wohl an einem solchen Tage zu Hause bleiben? Für mich gab es überhaupt keine Wahl. Schon im grauen Dämmern waren die Maultiere mit all meinen Habseligkeiten ausgezogen. Zwei Zelte, ein Lebensmittelwagen mit so wenig luxuriösen Vorräten für einen Monat, daß selbst der abgehärteste Reisende sich nicht mit weniger behaupten kann, zwei kleine Maultierkörbe voll photographischer Artikel, einige wenige Bücher und ein stattliches Paket Landkarten – das war alles. Mit den aus Beirut mitgebrachten Maultieren und ihren drei Führern war ich zufrieden und beabsichtigte, dieselben auch auf der Weiterreise mitzunehmen. Die Männer stammten alle aus dem Libanon, zwei, Vater und Sohn, beide Christen, aus einem Dorfe nördlich von Beirut. Der Vater – Ibrahim mit Namen – ein altes, zahnloses Individuum, saß rittlings über den Maultierkörben und murmelte fromme Worte, Segenssprüche und Beteuerungen seiner Ergebenheit gegen seinen gnädigsten Auftraggeber, ohne sich jedoch bewogen zu sehen, weitere Anstrengungen zum Wohle der Gesellschaft zu machen. Der Sohn, Habib, zählte zwei- oder dreiundzwanzig Jahre, war dunkel, stämmig, breitschultrig, mit kühnem Blick unter schwarzen Brauen hervor, und einem Profil, das ein Grieche ihm hätte neiden können. Treiber Nummer drei war ein Druse, ein großer, schlottriger, unverbesserlich träger Mensch, ein Schurke im kleinen, der freilich meinen gerechten Unwillen hinsichtlich gestohlenen Zuckers und fehlender Piaster stets durch einen bittenden Blick aus seinen glänzenden Hundeaugen wieder zu bannen wußte. Er zeigte sich gefräßig und stumpfsinnig, Fehler, die bei einer Kost von trockenem Brot, Reis und ranziger Butter freilich wohl schwervermeidlich sind, aber selbst mitten unter seine Todfeinde gestellt, leierte er seine Arbeit weiter und schlurfte mit derselben Miene blöder Gleichgültigkeit hinter seinen Maultieren und seinem Esel her, die er in den Straßen von Beirut zeigte. Er hieß Mohammed.

Das letzte Glied unserer Karawane war Michaïl, der Koch, ein Jerusalemer und Christ, dem die Religion freilich nicht viel Kopfzerbrechen machte. Er hatte Mr. Mark Sykes auf Reisen begleitet und von ihm folgendes Zeugnis erhalten: „Mit Ausnahme dessen, was er bei mir gelernt hat, versteht er nicht viel vom Kochen, aber er macht sich keinen Strohhalm daraus, ob er lebt oder getötet wird.“ Als ich Michaïl diese Worte vorlas, lachte er immer wieder in sich hinein, und ich engagierte ihn auf der Stelle. Es war freilich ein ungenügender Grund, aber ebenso gut, wie mancher andere. Seinen Fähigkeiten entsprechend, diente er mir gut, aber er war ein empfindliches, hitziges Männchen, das mit einer Einbildungskraft, deren Größe ich selbst in unserer dreimonatigen Bekanntschaft nicht ganz ergründet habe, überall und in allem eine beabsichtigte Beleidigung witterte. Unglücklicherweise hatte Michaïl in den Jahren, die seit seinem Schiffbruch auf dem See Wan mit Mr. Sykes verflossen waren, außer dem Kochen auch noch einiges andere gelernt. Es ist typisch für ihn, daß er sich nie die Mühe gab, mir jenes Abenteuer zu schildern, obwohl er einmal, als ich es erwähnte, kopfnickend bemerkte: „Wir waren damals dem Tode so nahe, wie ein Bettler der Armut, aber Exzellenz weiß ja, daß der Mensch nur einmal sterben kann.“ Dagegen traktierte er meine Ohren beständig mit Geschichten von Reisenden, die da behauptet hatten, ohne Michaïls kulinarische Künste nicht in Syrien reisen zu können und zu wollen. Die Arrakflasche war die Schwäche, die ihm verhängnisvoll werden sollte, und nachdem ich alle Maßregeln, von überredender Schmeichelei bis zur Jagdpeitsche, angewendet hatte, entließ ich ihn an der kilikischen Küste2 mit anderm Bedauern als der Sehnsucht nach zähem Ragout und kaltem Pfannkuchen.

Mohammedanische Prozession zieht durch die Gärten des Ölbergs

Ich hegte den Wunsch, den einsamen Weg nach Jericho ganz allein hinabzureiten, wie ich schon zuvor getan hatte, als mein Antlitz auch der Wüste zugewendet war, aber Michaïl war der Meinung, daß sich das mit meiner Würde nicht vertrüge, und ich hegte die Überzeugung, daß selbst seine schwatzhafte Gegenwart diesen Weg nicht der Einsamkeit entkleiden konnte. Um neun Uhr saßen wir im Sattel, ritten um die Mauern von Jerusalem in das Tal des Kidron hinab, vorbei an dem Schmerzensgarten von Gethsemane, und den Ölberg hinan.

Hier hielt ich inne, um mich wieder dem Eindruck hinzugeben, den keine Bekanntschaft mit der Gegend abschwächen kann, dem Eindruck der mauerumgürteten Stadt, die unter einem bleiernen Himmel grau inmitten der grauen Landschaft liegt, und doch vergoldet wird von der Hoffnung und dem unauslöschbaren Sehnen aller Pilger. Menschliches Hoffen, das blinde Tasten der gefesselten Seele nach einem Ziel, das jedem Wunsche Erfüllung, jedem müden Herzen Frieden geben wird – das ist es, was die Stadt gleich einem halb lichten, halb wehmütigen Glorienschein umgibt, den so manche Zähre benetzt, manche Enttäuschung befleckt hat. Der Westwind wandte mein Pferd, und vorwärts galoppierten wir über den Gipfel des Hügels und die Straße hinab, die sich durch die judäische Wüste hinzieht.

Am Fuße des ersten Abstieges liegt eine Quelle, „Ain esh Shems“, das heißt „Sonnenquell“, von den Arabern genannt, während die christlichen Pilger ihr den Namen „Apostelbrunnen“ beigelegt haben. Selten wird man hier während des Winters vorüberkommen, ohne russische Bauern zu finden, die auf ihrem beschwerlichen Wege vom Jordan herauf hier rasten. Tausende überschwemmen alljährlich das Land, alte Männer und Frauen zumeist, die ein Menschenalter lang gedarbt und gespart haben, um die etwa 150 Rubel zu erübrigen, die sie nach Jerusalem bringen sollen. Von den fernsten Grenzen des russischen Reiches kommen sie zu Fuß nach dem Schwarzen Meere, wo sie sich als Deckpassagiere auf den kleinen schmutzigen russischen Dampfern einschiffen. Als einziger Kajütenpassagier habe ich einst mit 300 dieser Pilger die Überfahrt von Smyrna nach Jaffa gemacht. Es war tiefer Winter, stürmisch und kalt für den an Deck Schlafenden, selbst wenn er mit Schafpelz und gefütterten Schaftstiefeln ausgerüstet war. Meine Reisegefährten hatten aus Sparsamkeit ihre Lebensmittel selbst mitgebracht: ein Laib Brot, etliche Oliven, eine rohe Zwiebel waren ihre tägliche Nahrung. Am Morgen und am Abend vereinigten sie sich um ein in der Schiffsküche hängendes Muttergottesbild zum Gebet, und das Summen ihrer Litaneien vereinigte sich auf seinem Wege himmelan mit dem Stampfen der Schraube und dem Plätschern der aufgewühlten Flut.

Russische Pilger

Die Pilgrime erreichen Jerusalem gegen Weihnachten und verweilen bis Ostern, damit sie noch ihre Kerzen an der heiligen Flamme entzünden können, die am Auferstehungsmorgen aus dem Grabe Christi hervorbricht. Zu Fuß wandern sie an alle die heiligen Stätten, Obdach in den großen Unterkunftshäusem findend, die die russische Regierung für sie erbaut hat. Viele sterben infolge von Mangel, Ermüdung und den Unbilden eines...

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