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E-Book

Uni-Wissen Grundkurs Sprachwissenschaft

Sicher im Studium Germanistik

AutorAnke Lüdeling
VerlagKlett Lerntraining
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783129391037
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wie ist das Deutsche entstanden? Wie setzen sich Sprachlaute zu Silben zusammen? Wie werden Wörter zu Sätzen kombiniert? Wie kann man die Bedeutung noch nie gehörter Ausdrücke 'errechnen'? - Der vorliegende Band behandelt in 13 Kapiteln zuverlässig und gut verständlich die Bereiche Phonetik, Phonologie, Graphematik, Wortbildung, Syntax, Semantik, Pragmatik und weitere Fragen aus der germanistischen Sprachwissenschaft. Dazu werden formale Grundlagen eingeführt und aktuelle Forschungsthemen ausgewiesen. Mit vielen anschaulichen Beispielen und begleitenden praktischen Übungen!

Anke Lüdeling ist Professorin für germanistische Linguistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Schwerpunkte sind die Korpuslinguisitik und die Morphologie.

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Leseprobe

1Gegenstand und Fragestellungen


1Ziel und Aufbau dieses Buches


Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich auf vielfältige Weise mit der menschlichen oder natürlichen Sprache. Einige Forscherinnen und Forscher untersuchen unabhängig von einer bestimmten Sprache die Sprachfähigkeit von Menschen, den Spracherwerb bei Kindern und Erwachsenen oder die überhaupt möglichen Strukturen in natürlichen Sprachen. Andere interessieren sich für eine bestimmte Sprache oder Sprachfamilie und erforschen die Entwicklung und Strukturen dieser Sprache. Die Untersuchungen zu einzelnen Sprachen sind dann oft wieder eine Voraussetzung für die sprachübergreifenden Themen.

In diesem Buch geht es um die Strukturen des Deutschen. Wir werden an einigen Stellen aber sehen, dass die Erkenntnisse über das Deutsche zu einer allgemeinen Theorie über natürliche Sprache beitragen können. Das erste Kapitel versucht eine erste Annäherung an den Gegenstand der Sprachwissenschaft: Was ist natürliche Sprache? Was ist die deutsche Sprache? Und wie fragt die Sprachwissenschaft nach diesen Gegenständen?

Man kann die Sprache unter sehr vielen verschiedenen Gesichtspunkten und Fragestellungen betrachten. Das führt dazu, dass sich Linguisten und Linguistinnen ständig uneinig sind – wie Sie sehen werden, sogar über grundlegende Begriffe wie ‚Wort’ und ‚Satz’. Das ist an sich nicht schlimm, weil man durch kontroverse Diskussionen Erkenntnisse gewinnen kann. Kontroversen werden in dieser Einführung aber weitgehend außen vor bleiben, weil ich Sie zunächst mit wichtigen Beschreibungsmethoden vertraut machen möchte. Ich werde dabei im Wesentlichen deskriptiv bleiben, da ich es für wichtig halte, dass man sprachliche Phänomene erst genau beschreiben kann, bevor man sie in einem theoretischen Rahmen diskutiert (zum Unterschied zwischen Deskription und theoretischer Modellbildung siehe Kapitel 3). Da dies aber kein ‚Katechismus’ ist, möchte ich Ihnen an einigen wenigen Stellen doch zeigen, wie Wissenschaftler diskutieren. Ich werde auch viele schwierige Daten ignorieren und an einigen Stellen stark vereinfachen.

In eine Einführung gehört eigentlich die Darstellung der Geschichte eines Faches. Da die Geschichte besser zu verstehen ist, wenn bestimmte Hintergründe bekannt sind, habe ich die Kästchen „Hintergrund“ eingefügt. In diesen werden verschiedene Ansätze, wesentliche Fragestellungen und berühmte Vertreter kurz dargestellt. In der kommentierten Literaturliste finden Sie dazu Vorschläge zum Weiterlesen.

2Natürliche Sprache


Was ist natürliche Sprache? Kann man sie von Kommunikationsformen zwischen Tieren und anderen Zeichensystemen unterscheiden? Zunächst bildet die natürliche Sprache ein Zeichensystem, mit dem Menschen sich verständigen. Es gibt viele solcher Zeichensysteme: Verkehrszeichen, Gesten, Noten in Partituren etc. Die Wissenschaft, die sich mit Zeichen und Zeichensystemen beschäftigt, heißt Semiotik. Für eine kurze Einführung siehe das Kapitel ‚Semiotik’ in LINKE/NUSSBAUMER/PORTMANN (2004). Ein Zeichensystem besteht aus Zeichen, in denen eine Form mit einer Bedeutung oder Funktion verknüpft ist. ‚Form’ muss man ganz abstrakt verstehen – eine Form kann graphisch oder lautlich sein. Oft ist die Bedeutung eines Zeichens abhängig von seiner Stellung in einem Kontext, wobei der Kontext innerhalb des Zeichensystems gegeben sein kann oder außerhalb.

Betrachten Sie die folgenden Verkehrszeichen: Das Zeichen „Ende sämtlicher Streckenverbote“ bezieht sich auf den Zeichenkontext – es hebt genau die Verbote auf, die vorher durch andere Verkehrszeichen gegeben waren. Man kann es nur verstehen, wenn man die vorherigen Zeichen kennt. Das Zeichen „Gefahrenstelle“ hingegen deutet auf einen Kontext außerhalb des Zeichensystems hin – irgendeine externe Gefährdung muss beachtet werden.

Auch Tiere nutzen Zeichensysteme, um sich zu verständigen. Man denke etwa an den Schwänzeltanz der Bienen, bei dem eine Biene durch bestimmte Bewegungen den anderen Bienen im Stock mitteilt, in welcher Richtung und Entfernung eine Nahrungsquelle liegt. Auch hier besitzen bestimmte Zeichen, zum Beispiel bestimmte Drehungen, eine Bedeutung, die von innerem und äußerem Kontext abhängt. Die menschliche Sprache unterscheidet sich von diesen Zeichensystemen und auch von vielen anderen Zeichensystemen nicht kategorial: Auch sie verwendet Zeichen, wobei Zeichen hier zum Beispiel Wörter oder Sätze sein können. Diese Zeichen sind mit bestimmten Bedeutungen verknüpft und oft vom Kontext abhängig. Man kann die menschliche Sprache nicht durch ein einziges Merkmal von allen anderen Zeichensystemen unterscheiden, sondern nur durch ein Bündel von Merkmalen, die alle zusammen vorhanden sein müssen. Dies wurde von verschiedenen Autoren formuliert, ein einflussreicher Aufsatz dazu stammt von HOCKETT (1960). Die Merkmale sind:

Bidirektionalität: Menschen können sowohl Sender als auch Empfänger eines beliebigen Sprachsignals sein. In der Kommunikation vieler Singvögel ist das anders: Während die Männchen singen, um ihr Revier zu markieren oder ein Weibchen anzulocken, können die Weibchen oft nicht oder nur wenig singen. Sie verstehen den Gesang der Männchen, können ihn aber selbst nicht produzieren.

Situationelle Ungebundenheit: Menschen können über Dinge kommunizieren, die nicht hier und jetzt stattfinden. So können wir zum Beispiel über die Menüfolge von gestern Abend im 2-Sterne-Restaurant berichten oder die Menüfolge für kommenden Samstag in unserer Wohnung planen. Dies unterscheidet menschliche Kommunikation von vielen Kommunikationsformen bei Tieren.

Rückkopplung: Ein Mensch kann sein eigenes Sprachsignal hören und darauf reagieren, indem er sich zum Beispiel korrigiert.

Diskretheit: Die Zeichen natürlicher Sprache können in kleine, diskrete, also voneinander unterscheidbare, Einheiten zerlegt werden. So kann man zwischen den Wörtern Tisch und Fisch unterscheiden und genau sagen, dass der Unterschied zwischen dem Laut [t] und dem Laut [f] liegt. [t] und [f] sind also diskrete Einheiten. Diese Einheiten bedeuten selber nichts, unterscheiden aber die Bedeutung der Wörter Tisch und Fisch.

Produktivität: Die natürliche Sprache erlaubt es, aus einer begrenzten Menge der diskreten Einheiten wie Lauten und Wörtern neue, komplexe Zeichenketten zu produzieren, zu verstehen (siehe Kapitel 3) und über immer wieder neue Themen zu kommunizieren. Der Schwänzeltanz der Bienen kann dagegen nur eine einzige Funktion erfüllen.

Arbitrarität: Das Aussehen eines Zeichens, zum Beispiel eines Wortes, ist nicht durch das Bezeichnete bestimmt. So können verschiedene Sprachen den gleichen Gegenstand völlig unterschiedlich benennen – ein Gegenstand, der auf Deutsch Tisch heißt, heißt auf Englisch table, auf Polnisch stół, auf Finnisch pöytä etc. Nichts an dem Gegenstand TISCH verlangt die Benennung Tisch. Die Benennung ist nur konventionell, d.h. durch die Sprachgemeinschaft, festgelegt. Beim Schwänzeltanz der Bienen ist das anders: Die Richtung des Tanzes symbolisiert die Richtung der Futterquelle, die Anzahl der Drehungen symbolisiert die Entfernung. Der Tanz ist nicht arbiträr, sondern motiviert.

Insgesamt bildet die natürliche Sprache also ein produktives, bidirektionales, arbiträres und diskretes Symbolsystem. In diesem Buch werden wir uns vor allem zwei dieser Eigenschaften näher anschauen, die Diskretheit und die Produktivität.

HINTERGRUND

Die Frage, ob und inwieweit sich die Kommunikation der Tiere von der menschlichen Kommunikation unterscheidet, wird seit Jahrtausenden diskutiert – oft vor religiösem Hintergrund. Die Forschung der letzten Jahre hat entdeckt, dass zumindest bestimmte Tiere wie Primaten und einige Vögel mit Symbolen produktiv umgehen können. Falls Sie sich für diese Thematik interessieren, könnte DEACON (1997) interessant sein.

1Diskretheit und Produktivität

Dieses Buch blendet viele Aspekte der Sprache zunächst einmal aus und begreift Sprache als ein System, in dem auf unterschiedlichen Ebenen kleine Einheiten zu größeren zusammengefasst werden. Hier einige Beispiele:

►Wir können Sprachlaute zu Silben und Wörtern zusammensetzen. Die Fragen dabei sind: Welche Sprachlaute gibt es in allen natürlichen Sprachen oder in einer bestimmten Sprache? Wie können diese zu Silben...

Blick ins Buch

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