Einführung
1Das Spanische in der Romania
Das Spanische gehört zur Familie der romanischen Sprachen, die sich im ehemaligen Römischen Reich aus dem gesprochenen Latein entwickelt haben. Die sog. Romania wird in folgende Sprachen untergliedert: Rumänisch, Dalmatisch1, Italienisch, Sardisch, Rätoromanisch, Französisch, Okzitanisch, Katalanisch, Spanisch und Portugiesisch. Aufgrund sprachlicher Merkmale lassen sie sich der Ost- oder Westromania zuordnen, deren Grenze über den Apenninen- Kamm verläuft: zur Ostromania gehören das Rumänische, das Dalmatische und das Italienische mit den Dialekten Mittel- und Süditaliens, zur Westromania die Dialekte Oberitaliens, das Rätoromanische, die Sprachen der Galloromania (Französisch, Okzitanisch) und der Iberoromania (Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch). Das Katalanische wird bisweilen auch als eine Art Brücke („lengua puente“) zwischen Gallo- und Iberoromania angesehen; das Sardische nimmt eine Sonderstellung ein.
Durch die europäische Expansion in der Kolonialzeit wurden romanische Sprachen nach Amerika, Afrika und Asien getragen: das Französische nach Nordamerika, in die Karibik und in Teile Afrikas, das Portugiesische nach Brasilien, Afrika (Angola, Mosambik) und Asien (Macao, Osttimor). Das Verbreitungsgebiet des Spanischen umfasst außer dem europäischen Mutterland und den Kanarischen Inseln die ehemaligen Kolonien in Mittel- und Südamerika von Mexiko bis Argentinien mit der Ausnahme Brasiliens2. Eine große Rolle spielt das Spanische mittlerweile auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, ferner dient es in Äquatorial-Guinea als Amtssprache. In Israel und einigen Balkanstaaten sowie in den USA gibt es noch Sprecher des Judenspanischen. Spanische bzw. iberoromanische Kreolsprachen werden auf den Philippinen (Chabacano), in Kolumbien (Palenquero) und auf den Inseln Curaçao, Bonaire und Aruba (Papiamentu) gesprochen (Berschin u. a. 1995:16–37).
2Die Periodisierung der spanischen Sprachgeschichte
Die Geschichte der spanischen Sprache im engeren Sinne beginnt im Mittelalter, mit der lateinisch-romanischen Diglossie, dem Beginn der Verschriftung des romance und den ältesten Sprachdenkmälern. In der bisherigen Forschung und in den Sprachgeschichten wird sie unterschiedlich in Epochen eingeteilt; häufig findet sich eine Zweiteilun g, die auf Menéndez Pidal zurückgeht, und zwar in eine alte Epoche bis zum 15. Jh. und in die Neuzeit ab dem 16. Jh. (Marcos Marín 1992).
Bei jeder Periodisierung stellt sich natürlich die Frage nach den Kriterien, die man dafür zugrunde legen will: Jahrhunderte, Daten der politischen Geschichte, die Literaturgeschichte, die interne Sprach- entwicklung oder Eingriffe durch sprachnormierende Instanzen wie die 1713 gegründete Real Academia Española. Für die Periodisierung der italienischen Sprachgeschichte ist in jüngerer Zeit von Thomas Krefeld (1988) ein Vorschlag gemacht worden, der von neueren Forschungen zu Mündlichkeit und Schriftlichkeit ausgeht und der Einteilung die verschiedenen Phasen des Ausbaus von Schriftsprachen und der Überdachung der Dialekte zugrunde legt. Mit Sprachausbau sind die Entwicklung einer Schriftsprache und der allmähliche „Ausbau“ der Syntax und des Wortschatzes gemeint, so dass die ausgebaute Sprache für alle kommunikativen Bedürfnisse gerüstet ist. Von Dachsprache oder Überdachung spricht man, wenn ein Dialekt (im Zuge seines Ausbaus) oder eine Sprache andere Dialekte oder Sprachen als Schriftsprache „überlagert“, ohne sie zu verdrängen.
In der Iberoromania würden sich unter diesem Gesichtspunkt vier Perioden begründen lassen:
1.Eine Vorausbauphase reicht von den ersten Sprachdenkmälern bis zur ersten Hälfte des 12. Jhs.;
2.die Ausbauphase beginnt zunächst polyzentrisch ab der zweiten Hälfte des 12. Jhs. und findet für das Kastilische mit der Kodifizierung des castellano drecho am Hofe Alfons‘ des Weisen ihren Abschluss;
3.im 13. Jh. geht die Ausbauperiode über in eine erste Periode der Überdachung, in der das Kastilische sich im Zuge der Reconquista nach Süden ausbreitet und leonesische, aragonesische und mozarabische Dialekte z. T. überdacht, z. T. ganz verdrängt;
4.in der zweiten Überdachungsphase im 16. Jh. hat sich die heutige Sprachlandschaft auf der Halbinsel herausgebildet, das Kastilische ist zum Spanischen und überall dort, wo im spanischen Staat noch andere als kastilische Mundarten gesprochen wurden, zur Dachsprache geworden. Im gleichen Zeitraum verbreitete sich das Spanische in der Neuen Welt (vgl. Koch/Oesterreicher 1990:199–202).
Die Periodisierung in diesem Buch folgt einem Vorschlag von Rolf Eberenz (1991), der ähnlich wie für das Französische, Englische und Deutsche auch für das Spanische drei Phasen der Sprachgeschichte annimmt: Alt-, Mittel- und Neuspanisch. Der Einteilung von Eberenz liegt die interne Sprachgeschichte, also die Entwicklung des Sprachsystems, zugrunde. Aus dieser Sicht ist das bisher als Einschnitt genommene Jahr 1500, das den Beginn der Neuzeit markiert, ohne jede Bedeutung. Beispielsweise ist keine der großen Veränderungen im lautlichen Bereich bis dahin abgeschlossen, und auch in der Morphosyntax gibt es bis weit ins 16. Jh. hinein eine große Formenvielfalt; die Siglos de Oro sind weit davon entfernt, eine Periode sprachlicher Stabilität zu sein. Vieles konsolidiert sich eigentlich erst im 17. Jh. und seine moderne Form erhält das Spanische erst im 18. Jh.
Auf der Grundlage der internen Sprachgeschichte lassen sich drei Etappen herausarbeiten (Eberenz 1991:105f.):
•1200–1450, die „época antigua“ (Altspanisch), die charakterisiert ist durch „relativa estabilidad de las estructuras esenciales de la lengua escrita, dentro de los moldes creados por la reforma alfonsina“;
•1450–1650, eine „etapa media“ (Mittelspanisch): „una transformación más rápida y perceptible de los parámetros fonológicos y morfosintácticos“3;
•1650 bis heute (Neuspanisch): „un sistema esencialmente estable“. Eberenz klammert bei seiner Einteilung sprachexterne Faktoren nicht ganz aus: wichtig sind z. B.die Kodifizierung und Sprachgesetzgebung im weitesten Sinne, vor allem durch Alfons den Weisen und die Real Academia Española.
3Grundbegriffe der diachronischen Sprachwissenschaft
Es liegt in der Natur der Sprache, dass sie in mehr oder minder hohem Maße von Variation geprägt ist, denn beim Sprechen entstehen Varianten. Diese können okkasionell sein – Normverstöße, aber auch Versprecher, die man korrigiert –oder sie können üblich werden. Eine Konstellation solcher Varianten, die innerhalb bestimmter geographischer, sozialer und stilistischer Verwendungsgrenzen üblich geworden sind, konstituiert eine Varietät (z. B. einen Dialekt oder einen Soziolekt).
Um die Varietäten einer Sprache zu benennen und zu klassifizieren, werden im Allgemeinen drei Dimensionen der Variation unterschieden: die diatopische, diastratische und diaphasische. Die diatopische Variation bezieht sich auf regionale Unterschiede (z. B. Leonesisch, Andalusisch), die diastratische auf Unterschiede, die mit der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten oder Gruppen zusammenhängen, und die diaphasische auf stilistische Unterschiede. Die diaphasischen Varietäten, z. B. español coloquial, werden auch als Register bezeichnet. Die Gesamtheit der diatopischen, diastratischen und diaphasischen Varietäten bildet ein sog. ‚Diasystem‘. Im Unterschied zur Struktur der Sprache wird das Gefüge der Varietäten auch Architektur genannt (Koch/Oesterreicher 1990:13).
Zu den drei genannten Dimensionen kommt noch eine weitere hinzu, die für das gesamte Varietätengefüge grundlegend ist: die Unterscheidung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Dabei ist weiter zu unterscheiden zwischen phonischer und graphischer Realisierung (Medium) einerseits und mündlicher und schriftlicher Konzeption andererseits. Viel wichtiger für die Gestalt eines Textes als das Medium ist die Konzeption, „die den sprachlichen Duktus von Äußerungen betrifft“ (Koch/Oesterreicher 1990:5). Zwischen phonischer und graphischer Realisierung besteht eine klare Zweiteilung, es gibt nur die lautliche oder schriftliche Realisierung, nichts dazwischen. Zwischen gesprochener und geschriebener Konzeption ist dagegen nicht scharf zu trennen, d. h. zwischen den Polen Mündlichkeit und Schriftlichkeit besteht ein Kontinuum; es gibt geschriebene Texte, die der Sprechsprache nahestehen, etwa Privatbriefe, und gesprochene, die der Schriftsprache nahestehen, z. B. eine Predigt oder ein Vortrag.
Die...