1 Amazon ist nicht nur ein Kunde und daher strategisch zu betrachten
»If you don’t have an Amazon strategy …
you don’t have a brand strategy«,
Larry Pluimer, ehemaliger Amazon-Mitarbeiter und Agenturgründer
Wie ist es möglich, dass ein einzelnes Unternehmen eine solch starke Relevanz aufbauen konnte, und das in fast allen Bereichen der Industrie, angefangen bei der Logistik über den Dienstleistungssektor, das Kaufverhalten und den stationären Handel bis hin zu Film und Fernsehen in nahezu jedem privaten Haushalt?
Gestartet als einfacher Buchversand, konnte man Amazon anfangs leicht als virtuellen Marktplatz definieren, auf dem – vom Marktplatzbetreiber unterstützt – Geschäftstransaktionen durchgeführt werden. Natürlich trat Amazon schon als eigener Händler in Erscheinung, doch zusammenfassend kann man insbesondere die Anfangszeit unter dem Motto »mein Regal – deine Bücher« zusammenfassen.
Zügig entwickelte sich jedoch eine erweiterte Wahrnehmung von Amazon als Plattform. Frei nach dem Ansatz »mein Platz – meine Regeln« baute Amazon eine gemeinsame Basis für die Weiterarbeit aller am Marktplatz teilnehmenden Strukturen auf. Dabei war jedoch das übergeordnete Ziel von Anfang an, selbst die ultimative Kontrolle des Endkundenzugangs zu erreichen.
Doch für viele ist aktuell der wichtigere Schritt hin zur Infrastruktur bereits erfolgt. Das bedeutet, wer jetzt eine Plattform oder einen Marktplatz als strategisches Ziel ausgibt, wird zwangsläufig oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern oder ewig Follower hinter Amazon bleiben.
Die Amazon-Infrastruktur umfasst mittlerweile alle erdenklichen Bereiche. Weltweit sind Amazon Web Services (AWS) eine Basis für alle Arten von Rechenleistung, Datenbankspeicher, Inhaltsbereitstellung oder andere Funktionen, die beim Aufbau anspruchsvoller Anwendungen mit steigender Flexibilität, Skalierbarkeit und Zuverlässigkeit unterstützen.
Im Detail sind über 150 Angebote verfügbar: angefangen bei Datenverarbeitung, bei Tools für Verwaltung und Developer über Medienservices oder maschinelles Lernen und wissenschaftliches Rechnen bis hin zu Streaming, Augmented und Virtual Reality (AR und VR), Gaming sowie Internet of Things (IoT).
Interessant wird es ab dem Punkt der genauen Definition von Infrastruktur. Sie umfasst alle Elemente, die für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar sind. Dazu gehören zum Beispiel Daten, Kommunikation, Warenflüsse oder Logistik sowie Banken und Versicherungswesen. Im Spezifischen sind sogar Bereiche wie Energieversorgung, Individualverkehr, Finanz- und Bankensysteme, aber auch Fürsorgedienstleistungen wie Kinderbetreuungseinrichtungen Teil davon. Nicht ohne Grund werden der Prime-Kindergarten oder das Prime-Ticket für Nah- und Fernverkehr immer wieder heiß diskutiert.
Blickt man in die anwendungs- und branchenspezifischen Angebote von AWS, findet man sofort Strom- und Energieversorgung, Kraftfahrzeuge, Bildung, Gesundheitswesen, Finanzdienstleistungen, Blockchain und vieles mehr, in Summe also alle relevanten Bereiche einer vollständigen Infrastrukturdefinition.
Im selben Schritt hat sich um Amazon eine Vielzahl an Ökosystemen und Begleitstrukturen entwickelt: Agenturen, Tools, Repricer, Berater, Logistiker, Fulfillment-Anbieter, Lieferanten, Agenten, Blogs, Podcasts, Gruppen, Konferenzen, Bücher und vieles mehr. Sie alle profitieren mehr oder weniger direkt vom Erfolg Amazons. Versucht man, gleiche Strukturen von Dienstleistern, Tools oder Beratern für andere Märkte zu finden, wie zum Beispiel eBay, wird es schwer, sowohl quantitativ als auch qualitativ.
Dieses ständige Wachstum und das Streben nach absolutem Kundenzugang auf allen Ebenen erforderten gleichzeitig eine Fähigkeit, wie man sie mit Wörtern wie innovativ oder flexibel kaum beschreiben kann. Einzigartig sind sowohl die Geschwindigkeit als auch die Erfolgsquote und der Umgang mit Misserfolg. Es wird schlicht und ergreifend getestet und durchgeführt, fallen gelassen oder ausgebaut.
Beispielhaft ist hier das Vorgehen von Amazon mit Produktbewertungen. Ende 2016 nahm die öffentliche Kritik zu angeblich gefälschten oder nicht verifizierten Bewertungen deutlich zu. Das Vorgehen von Amazon sucht bis heute seinesgleichen – innerhalb weniger Wochen wurden fast alle identifizierbaren und als nicht korrekt eingestuften Bewertungen schlicht gelöscht. Sämtliche Anbieter von Bewertungsportalen entwickelten neue Wege, und so ging Amazon ein Jahr später den nächsten Schritt und unterband das wahllose Abgeben von Bewertungen durch neue Richtlinien. Es wurden neue Berechnungsgrundlagen für die empirische Zusammensetzung des Sternerankings eingeführt.
Sätze wie
»Amazon berechnet die Sternbewertungen eines Produkts mithilfe eines maschinell gelernten Modells anstelle des Durchschnitts der Rohdaten. Das maschinell gelernte Modell berücksichtigt Faktoren wie das Alter einer Bewertung, die Beurteilung der Nützlichkeit durch Kunden und ob die Bewertungen aus geprüften Einkäufen stammen.«
oder
»Leider können wir Ihre Bewertung dieses Artikels nicht annehmen.«
zeigen, wie unberechenbar Amazon arbeitet und dass es immer für eine Überraschung gut ist.
Amazons Verhalten kann man dabei konsequent zusammenfassen als Verbessern, Verändern, Korrigieren, Erweitern. Dies erkennt man zum Beispiel am Amazon Fire Phone, das bis heute als größter Flop der Amazon-Geschichte gilt. Doch betrachtet man das Produkt als ultimativen Prototyptest, wurde daraus tatsächlich das Kindle Paperwhite und die FireHD-Serie aufgebaut. Die Lernkurve und der technologische Fortschritt durch dieses Projekt gelten als wegweisend.
Betrachten Sie von dieser Warte aus weitere Amazon-Projekte, sehen Sie die Dinge mit völlig anderen Augen. Während die Bewertungsflut gestoppt wurde, etablierte Amazon ein eigenes Influencer-Programm und das Early Reviewer Program zur Unterstützung der Bewertungsgenerierung in der Startphase von Produkten. Mittlerweile gibt es neben Vine (kaufbare Bewertungen aktuell für Vendoren, also Händler oder Hersteller, die direkt an Amazon verkaufen) mit »Born to Run« ein eigenes Launchprogramm direkt für Vendoren.
Auf der logistischen Ebene kämpft Amazon um die »letzte Meile«, also die direkte Verbringung von Waren zum Kunden. Um dieses Problem zu lösen, baut Amazon eine eigene, unabhängige Logistikflotte auf: Amazon Logistics. Amazon kaufte zudem unter anderem die Firma Ring (Spezialist für Kameras und Türklingeln) und schloss Kooperationen mit Volvo und einigen Großstädten in den USA, um Pakete direkt in den Kofferraum liefern zu können. Dies war neben den eigenen Locker-Boxen ein weiterer Schritt zur kundenindividuellen Anlieferung zu jeder Zeit, mittlerweile können sich erste Kunden individuell Liefertage auswählen.
Wofür das Ganze? Was mag der große Denkansatz dahinter sein? Anfang 2018 eröffnete Amazon das erste voll vernetzte Alexa-Modellhaus und kaufte Ende 2018 eine Fertighaussparte. Neben den Entwicklungen einer eigenen Datenbrille, eines TV-Geräts und zum Beispiel eines Mixed-Reality-Spiegels wird Amazon so der ultimative Zugang zum Endkunden gesichert – in jeder Lebenssituation. Die neuen Alexa-Produkte wie eine Mikrowelle zeigen die Zukunft auf. Diese Entwicklung ist atemberaubend oder für manche auch erschreckend, doch letztendlich der logische Schluss, um als Infrastruktur eine Unersetzlichkeit aufbauen zu können. Diese Entwicklung führt dazu, dass aktuell und in Zukunft immer mehr Menschen mit Zugang zum Internet auch auf die eine oder andere Weise in Kontakt mit Amazon kommen werden.
1.1 Warum Content wichtig ist
Hauptsächlich werden es die alltäglichen Bedürfnisse sein, die es zu befriedigen gilt – einerseits in der Sprachsuche und Kommunikation, andererseits in der textuellen Suche per Eingabe oder anderer Interface-Interaktion. Hier entsteht direkt ein Übergang zu sinnvollem oder schlicht auffindbarem Content und Marketing. Aus meiner Sicht müssen Sie sich noch nicht absolut auf die Sprachsuche für die Positionierung oder den Verkauf Ihrer Produkte fixieren. Die stetig steigende Zahl von Suchabfragen per Stimme (oder englisch Voice) erreicht zwar Monat für Monat Rekordwerte, doch niemand differenziert dies nach Informations- oder Produktsuchintention aus. Nur weil statistisch gesehen alle Suchabfragen plötzlich von drei bis vier Wörtern auf fünf bis sieben Wörter anwachsen, heißt das nicht, dass sofort Änderungen eingeleitet werden müssen. Im einfachsten Fall überlegen Nutzer beim Eingeben von Suchen, was Sie schreiben würden, und kommunizieren bei der Sprachsuche mit mehr Füllwörtern.
Die Sprachassistenten heißen nicht ohne Grund Assistenten. Obwohl der technologische Fortschritt in der linguistischen Deutung durch Computer exponentielle Fortschritte macht, gibt es aus meiner Sicht einen grundsätzlichen Denkfehler. Aufgrund mangelnder weltweiter Standardisierung von Produkten und Anforderungen kann eine allgemeine Sprachsuche nicht ausreichen. Allein die Abfrage zum Kauf von Toilettenpapier endet unweigerlich in einer längeren Diskussion über Anzahl der Rollen, Anzahl der Lagen, Papierqualität, Musterung und mittlerweile sogar Geruch. Dieses Dilemma lässt sich in alle Bereiche des Lebens übertragen – im Besonderen beim Suchen nach oder Kaufen von Produkten. Oder wissen Sie...