Die erstaunliche Welt der Proteine
Leben beruht auf der chemischen Aktivität von Proteinen.
Prof. Dr. Andrei Lupas, Max Plack Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Proteine, auch Eiweiße genannt, sind ganz erstaunliche Substanzen. Sie lösen chemische Reaktionen aus, die am Ursprung des Lebens stehen. Proteine stellen die lebenswichtigen Enzyme her, bilden Hormone, Neurotransmitter und die Geschlechtshormone. Als wesentlicher Bestandteil des Immunsystems erkennen und eliminieren sie schädliche Eindringlinge. Sie verschließen Wunden mittels der Blutgerinnung, transportieren lebenswichtige Substanzen, binden als Hämoglobin den Sauerstoff in den roten Blutkörperchen und regeln den Sauerstofftransport. Haut und Knochen bestehen aus dem Faserprotein Kollagen, Haare und Nägel aus Keratin. Auch die Muskelbildung hängt von Proteinen ab, die dafür sorgen, dass wir unseren Körper bewegen können. Überall im Körper bauen sie die Zellen auf, wirken im Erbgut und lassen die Strukturen unseres Körpers entstehen. Jede Zelle enthält Tausende von Proteinen, und jedes Protein ist meist aus mehr als hundert Aminosäuren aufgebaut. Von den Geweben, Organen über die Muskelfasern, das Blut und die Knochen bis zum Gehirn sorgen Proteine als unermüdliche Arbeiter für Substanz und richtiges Funktionieren. Dabei sind sie hochspezialisiert: Jede Aufgabe wird durch ein ganz spezielles Protein ausgeführt.
Eiweiß ist nach Wasser der wichtigste Baustein in unserem Körper. Wir brauchen deshalb täglich genügend hochwertiges Eiweiß für unser Leben und Überleben.
Zusammen mit Fett und Kohlenhydraten gehören Proteine zu den Makronährstoffen und damit zu den drei wichtigsten Nährstoffen im Körper. Da sich unsere Körperzellen ständig erneuern, brauchen sie eine regelmäßige Zufuhr von Proteinen. Entscheidend ist dabei nicht nur die Menge, sondern auch die Qualität.
Wasser, Eiweiß, Fett … woraus besteht der menschliche Körper?
Prozentuale Verteilung bezogen auf das Gesamtgewicht eines gesunden Menschen:
© Schutterstock: Ciripasca
Die individuelle Zusammensetzung variiert nach körperlichem Zustand und Alter. Bei jüngeren Menschen ist der Wasseranteil deutlich höher. Direkt nach der Geburt sind es etwa 80 Prozent, nach dem ersten Lebensjahr rund 60 Prozent, und mit 15 Jahren ist der Anteil auf 55–57 Prozent gesunken. Je älter wir werden, desto mehr Flüssigkeit verlieren die Zellen. Es ist also sehr wichtig, ausreichend Flüssigkeit aufzunehmen. Mit den Jahren nimmt auch der Proteinanteil ab. Der Fettanteil dagegen nimmt zu. Bewegung, Sport, Krafttraining und die richtige Ernährung, vor allem bezogen auf Eiweiß, können diesen Prozess aufhalten, in jedem Fall aber verlangsamen.
Aminosäuren – die Bausteine der Proteine
Mit den Aminosäuren gehen wir eine Stufe tiefer, direkt an die Wurzel, an der alles Leben beginnt, denn Proteine bestehen aus Aminosäuren. Sie sind die Urbausteine alles Lebendigen. Fast alle lebensnotwendigen Substanzen werden aus Aminosäuren zu Peptiden und Proteinen aufgebaut. Peptide sind kleine Proteine – Moleküle, bei denen die Aminosäuren durch eine sogenannte Peptidbindung verknüpft sind.
Die richtige Mischung aus Aminosäuren wirkt wie eine Aufbaukur von innen.
Mit einer verblüffenden Akribie zerlegt der menschliche Körper die Nahrungsproteine im Darm in ihre Bestandteile, die Aminosäuren, und nimmt sie in den Blutstrom auf. Das tut er mithilfe von Verdauungsenzymen, die ebenfalls Proteine sind und folglich auch aus Aminosäuren aufgebaut werden. Damit die Verwertung funktionieren kann, muss der Körper also erst einmal Verdauungsenzyme herstellen. Über das Blut werden die Aminosäuren dann zu den Stellen des Körpers transportiert, wo sie zu körpereigenem Eiweiß zusammengesetzt und eingebaut werden. So entstehen alle Strukturen des Körpers wie Haut und Muskulatur, Hormone wie Insulin, Geschlechtshormone und Neurohormone wie Serotonin und Melatonin, Gerüsteiweiße wie Kollagen, Transporteiweiße wie Hämoglobin und Albumin. Aus Aminosäuren werden die Antikörper der Immunabwehr und die Blutgerinnungsfaktoren zusammengesetzt, die Vielzahl unterschiedlicher Enzyme, die DNS und grundsätzlich sämtliche Zellen. Als eine Art Reservenahrung stellen Proteine bei Diäten und in Hungerperioden Energie bereit. Eine Beschreibung der Aufgaben von Aminosäuren würde ein ganzes Buch füllen.
Ein wenig Biochemie: Was sind Aminosäuren?
Aminosäuren sind organische Verbindungen, die aus Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff aufgebaut sind. Sie enthalten mindestens eine Aminogruppe und eine Carboxylgruppe, die diese Bestandteile zur Verfügung stellen: Aminogruppen bestehen aus einem Stickstoff- und zwei Wasserstoffatomen; Carboxylgruppen enthalten ein Kohlenstoff-, zwei Sauerstoff- und ein Wasserstoffatom. Immer wenn Kohlenstoff anwesend ist, wird von einer organischen Verbindung gesprochen. Aminosäuren bilden Ketten. Je nach Länge der Aminosäurenkette spricht man von Peptiden (bis zu hundert Aminosäuren) und Proteinen (mehr als hundert Aminosäuren).
© Shutterstock: molekuul_be
Entscheidend ist der Stickstoff, ohne den es kein Leben gibt. Bauern düngen ihre Felder mit Stickstoff, damit die Pflanzen leben, wachsen und gedeihen. Das gilt ebenfalls für den Menschen – auch wir kommen nicht ohne Stickstoff aus. Stickstoff ist nicht nur der wesentliche Baustein in Aminosäuren, er kommt zudem in Nukleinsäuren vor, das heißt im Erbgut, und spielt damit eine zentrale Rolle in der DNS, in der sämtliche Bauanleitungen für Proteine enthalten sind. Durch Vererbung werden diese Bauanleitungen von Generation zu Generation weitergegeben. Falls Sie sich übrigens fragen, was der Unterschied zwischen DNS (Desoxyribonukleinsäure) und DNA (Deoxyribonucleic Acid) ist: Es gibt keinen. DNS ist der deutsche Begriff, DNA der englische. Beide werden in deutschsprachigen Texten verwendet.
Nun gäbe es ja mehr als genug Stickstoff in der Luft, da sie zu fast 80 Prozent aus Stickstoff besteht. Aber wir können ihn in Gasform nicht verwerten. Unser Stickstoffbedarf muss über die Nahrung gedeckt werden. Dies erfolgt in Form eines Kreislaufs: Pflanzen nehmen Stickstoff über den Boden auf, wo er sich durch Regen und weitere Vorgänge anreichert. Menschen und Tiere essen diese Pflanzen und erhalten so Stickstoff über die Nahrung. Tierprodukte enthalten daher ebenfalls Stickstoff. Der Stickstoff steckt in den Nahrungsproteinen, die unser Körper während des Verdauungsvorgangs in ihre Bestandteile, die Aminosäuren, zerlegt, um sie dann erneut zu Proteinen zusammenzusetzen. Dabei bilden sie Ketten, durch die unterschiedliche Eigenschaften zustande kommen. Aminosäuren haben eine weitere wertvolle Eigenschaft: Sie können als Basen oder Säuren wirken und weisen unterschiedliche Ladungen auf.
Essenzielle, semi-essenzielle und nicht-essenzielle Aminosäuren
Von allen Aminosäuren in unserem Erbgut sind zwanzig in der Lage, Proteine zu bilden. Sie werden deshalb als proteinogen bezeichnet und spielen die zentrale Rolle für zahlreiche Lebensfunktionen, den Aufbau und die Regeneration unseres Körpers. Mit diesen Aminosäuren befassen wir uns in diesem Buch. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die acht essenziellen Aminosäuren, die unser Körper nicht selbst herstellen kann und die er deshalb zugeführt bekommen muss. Die zwanzig proteinogenen, also proteinbildende Aminosäuren sind in drei Gruppen unterteilt: essenzielle, semi-essenzielle und nicht-essenzielle Aminosäuren.
Acht Aminosäuren sind essenziell:
Isoleucin
Leucin
Lysin
Methionin
Phenylalanin
Threonin
Tryptophan
Valin
Zwei Aminosäuren sind semi-essenziell:
Diese beiden Aminosäuren müssen nur in bestimmten Situationen mit der Nahrung aufgenommen werden. Im Normalfall kann der Körper sie selbst bilden.
Zehn Aminosäuren sind nicht-essenziell:
Alanin
Asparagin
Asparaginsäure
Cystein
Glutamin
Glutaminsäure
Glycin
Prolin
Serin
Tyrosin
Diese Aminosäuren kann unser Körper grundsätzlich selbst bilden. Sie müssen nur unter besonderen Bedingungen zugeführt werden. Wir müssen sie dann mit der Nahrung aufnehmen beziehungsweise die Ernährung so ausrichten, dass besonders viele dieser Aminosäuren enthalten sind. Alternativ kann der zusätzliche Bedarf mit einem (hochwertigen) Produkt ausgeglichen werden.
© Shutterstock: Anton Khrupin
Die Einteilung in essenziell, semi-essenziell und nicht-essenziell sagt lediglich etwas darüber aus, ob die betreffende Aminosäure vom menschlichen Körper selbst hergestellt werden kann, oder nicht. Jeder Organismus ist anders und hat einen anderen Eiweißbedarf. Auch die Fähigkeit des Körpers, semi-essenzielle und nicht-essenzielle Aminosäuren zu bilden, ist unterschiedlich. Faktoren wie Alter, große körperliche oder geistige Belastungen, gesundheitlicher Zustand, Erkrankungen und Umweltbedingungen beeinflussen die Fähigkeit zur Eigenproduktion. Die logische Konsequenz ist, dem Körper die Synthese so einfach wie möglich...