Der Begriff Amok findet im Alltag eine sehr häufige und vielfältige Verwendung. Neben Tötungshandlungen, werden auch stark übertrieben wahrgenommene Handlungen im Allgemeinen sowie extreme Gemütszustände mit dem Terminus umschrieben und bestimmte Situationen illustriert. Demgegenüber wird Amok im Zusammenhang mit schwerwiegenden Taten, wie der Tötung ganzer Familien durch ein Elternteil, Mehrfachmorden sowie der willkürlichen Tötung unbekannter Personen, auf offener Straße verwendet.[3]
Etymologisch leitet sich der Begriff Amok aus dem Malaiischen von meng-âmok ab, wird mit wütend oder rasend übersetzt und ist ein spontaner, ungeplanter Gewaltausbruch mit meist tödlichen Folgen für das Opfer. So wird Amok nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation als
„eine willkürliche, anscheinend nicht provozierte Episode mörderischen oder erheblich destruktiven Verhaltens, gefolgt von Amnesie und Erschöpfung verstanden. Viele Episoden gipfeln im Suizid. Die meisten Ereignisse treten ohne Vorwarnung auf, einigen geht ein Zeitraum mit intensiver Gewalt oder Feindseligkeit voraus“.[4]
Um die Begrifflichkeit genauer definieren zu können wird dieses Gewaltphänomen im Spektrum der Mehrfachtötungen nach Scheithauer/Bondü eingeordnet und somit eindeutiger definiert. Mehrfachtötungen werden zunächst in die drei wesentlichen Formen Massenmord, Serienmord oder Spree killing unterteilt. Bei Serienmorden werden mindestens drei Personen in größeren zeitlichen Abständen ermordet, wohingegen bei Spree Killings an mehreren Orten mehrere Personen umgebracht werden. Bei Massenmorden fallen an einem Ort mindestens vier Personen dem oder den Tätern zum Opfer. Desweiteren werden Amokläufe, opferspezifische Massenmorde, terroristische Anschläge sowie zivile Massaker den Massenmorden untergeordnet. Amokläufe sind jedoch von opferspezifischen Massenmorden zu unterscheiden, die in der Regel in einem nicht öffentlichen Rahmen, wie zum Beispiel in Familien, stattfinden. Ebenfalls davon abzugrenzen sind terroristische Anschläge sowie zivile Massaker, die meistens wiederholt durch eine Mehrzahl von Tätern erfolgen und gegenüber individuellen Motiven oftmals religiöse oder politische Absichten verfolgen. Auf Basis dieser Einordnung kann die folgende Neudefinition des Terminus Amoklauf vorgenommen werden: bei einem Amoklauf handelt es sich um die versuchte Tötung mehrerer Personen durch einen Einzelnen, der mit tödlichen Waffen in einem zumindest teilweise öffentlichen Raum agiert.[5]
Dennoch werden Taten weiterhin häufig, sowohl in öffentlichen als auch wissenschaftlichen Diskursen, mit dem Terminus Amok oder Amoklauf bezeichnet, die zwar den genannten Kriterien entsprechen, sich aber trotzdem in Bezug auf Täter, Tatort und Opfer stark voneinander unterscheiden. Daher folgt eine weitere Untergliederung des Begriffs Amoklauf in School Shootings, die im nächsten Kapitel weiter erläutert werden, Workplace Violence sowie der klassische Amoklauf. Letzteres findet in den meisten Fällen durch einen erwachsenen Täter statt, der zunächst ohne erkennbaren Grund an einem öffentlichen Ort, wie beispielsweise auf der Straße oder im Einkaufszentrum, scheinbar wahllos Personen tötet. Bei Workplace Violence handelt es sich um Gewalttaten am Arbeitsplatz, woraus resultiert, dass die Täter in der Regel ebenfalls Erwachsene sind, die den Arbeitsplatz bewusst als Tatort auswählen, da hier breitgefächerte, individuelle Motive entstehen können.[6]
In den letzten Jahren ist der Ausdruck Amok, für die Bezeichnung von Mehrfachtötungen durch jugendliche Täter in Bildungseinrichtungen, im alltäglichen Sprachgebrauch und in der öffentlichen Diskussion populär geworden. Der zuvor definierte Aspekt einer spontanen Handlung, trifft jedoch für diese Taten der Jugendlichen nicht zu. Denn es handelt sich weder um plötzliche, ungeplante Taten noch ist eine folgende Amnesie festzustellen. Daher sind diese Betrachtungen ausschließlich historisch interessant und werden nicht weiter ausgeführt. Da sich die Merkmale der ursprünglichen Bedeutung also in wesentlichen Punkten von den hier thematisierten Tötungshandlungen jugendlicher Täter in Bildungseinrichtungen unterscheiden, wird in der Fachliteratur die Bezeichnung School Shooting, als eine Subform von Amok, auch für den deutschen Sprachraum übernommen.[7]
School Shootings benennt Tötungen oder Tötungsversuche durch Jugendliche an Schulen, die die Bildungseinrichtung bewusst als Tatort auswählen. Die Tat wird durch individuell konstruierte Motive im direkten und zielgerichteten Bezug zu der jeweiligen Schule begangen. Dieser Bezug richtet sich entweder gegen mehrere mit der Schule assoziierte, zuvor ausgewählte Personen oder gegen eine einzelne Person, die aufgrund ihrer Funktion an der Schule als potentielles Opfer ausgesucht wird.[8]
Daraus resultiert, dass School Shootings durch bestimmte Erlebnisse im Schulkontext entstehen und somit die Schule vorsätzlich als Tatort sowie die Personen innerhalb dieser Einrichtung bewusst als Opfer ausgewählt werden. Prinzipiell kann es sich bei den Tätern auch um erwachsene Personen handeln, die ehemalige Schüler dieser Schule waren und an ihre alte Schule zurückkehren, um die Tat zu verüben. Solche Fälle stellen allerdings Ausnahmen dar, sodass es sich in der Regel bei den Tätern um Kinder und Jugendliche handelt.[9]
Darüber hinaus werden School Shootings von gravierenden Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen, von Affekthandlungen, terroristischen Anschlägen, Suiziden im Schulkontext sowie von anderen Taten außerhalb der Bildungseinrichtung abgegrenzt. School Shootings werden zusätzlich mehrfach auch als besonders extreme Form der schweren, zielgerichteten Gewalt an Schulen bezeichnet, worunter jeder zielbewusste Angriff auf ein oder mehrere Opfer im Schulzusammenhang verstanden wird. Demnach schließt der Terminus der schweren, zielgerichteten Schulgewalt nicht nur Tötungsdelikte sondern auch andere extreme Gewalttaten, wie beispielsweise gezielt im Schulkontext geplante Geiselnahmen.[10]
Die Begrifflichkeit des School Shootings, für die zur Zeit keine sinngemäße deutsche Übersetzung existiert, steht aufgrund seiner etwas irreführenden Bedeutung unter Kritik, da mit School Shootings automatisch Tötungsdelikte mit Schusswaffen assoziiert werden, was jedoch nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Auch andere Waffen, wie Klingen oder explosive sowie brennbare Stoffe, können bei den Taten zum Einsatz kommen. Zum Beispiel verwendete der Täter des School Shooting in Ansbach 2009 sowohl brennbare Stoffe als auch eine Axt. So wird, wie eingangs bereits erwähnt, sehr häufig der Begriff Amok oder Amoklauf an Schulen synonym zu School Shootings verwendet. Trotz vieler Ähnlichkeiten zwischen den beiden Bezeichnungen, sind die Taten dennoch nicht immer gleichzusetzten. Basierend auf der zuvor beschriebenen Definition von School Shootings, werden im Folgenden Gründe für eine Abgrenzung der beiden Begrifflichkeiten angeführt: zwar gibt es School Shootings bei denen, wie es bei Amokläufen üblich ist, mehr als drei oder vier Menschen getötet werden, diese entsprechen jedoch nicht unbedingt dem Regelfall. Denn gemäß der obigen Definition, werden ebenfalls Taten als School Shootings bezeichnet, die weniger Opfer fordern. Hiermit sind die relativ häufigen Angriffe gegen einzelne Lehrpersonen sowie gegen einzelne Mitschüler gemeint.[11]
Desweiteren sind School Shootings meist lange und präzise geplante Handlungen, die aus individuellen Beweggründen, wie Hass- und Rachefantasien, resultieren und zum Teil im ebenfalls geplanten Suizid enden. Teilweise sind solche Entwicklungen sogar schon lange im Vorfeld zu beobachten. Dennoch zeigen jugendliche Täter, im Gegensatz zu üblichen Gewalttätern, im Vorfeld keine oder lediglich geringe aggressive Verhaltensauffälligkeiten.[12]
Ferner können Amokläufe grundsätzlich an vielen verschiedenen, öffentlichen Orten, wie auf offener Straße, in Restaurants oder am Arbeitsplatz stattfinden, sodass Bildungseinrichtungen mögliche Tatorte unter vielen sind. So können Amokläufe an Schulen auch von Personen verübt werden, die keinerlei persönlichen Bezug zu der jeweiligen Schule haben. Beispielsweise bietet die Schule eine besondere Tatgelegenheit, weil sich dort viele Menschen aufhalten oder aber sie suchen die schulischen Einrichtungen auf, um an einer dort beschäftigten Person Rache zu nehmen. In solchen Fällen stellt die Schule lediglich einen öffentlichen Tatort wie jeder andere dar. Resultierend daraus scheint die Bezeichnung Amoklauf an Schulen zu unpräzise und dem Phänomen der School Shootings nicht gerecht zu werden. Demzufolge ist ein eigener Begriff für die geplanten und gezielten Tötungshandlungen an Schulen, durch Schüler oder Ehemalige, unabdingbar.[13]
Da jedoch die Bezeichnung School Shooting der in dieser wissenschaftlichen Arbeit behandelten Thematik am nächsten kommt,...