Einleitend bemerkt: Wir sind nichts; wir gehen nirgendwo hin; wir erwarten nichts.
Im Alltag kommt man oft unzufrieden am Ende mancher Tage an. Bei nicht wenigen chronofiziert das mangelnde Einverständnis mit sich selbst. Das heißt, diese dauerhaft vom Mißerfolg ihrer Tage bestraften Zeitgenossen erleben jeden Jahresabschluß als erneute existenzielle Frustration. Jeder Versuch der geistigen oder seelischen Hilfestellung schlägt in der Regel in das Gegenteil der erwarteten Reaktion um. Statt der erwünschten Reflexion, Dankbarkeit für die Zuwendung und Unterstützung oder gar der Veränderung von Einstellungen und Lebenswerten erfährt man eher Ablehnung oder Empörung.
Die Negativbeziehung zum Leben wird als normal, üblich und weit verbreitet gesehen. Jeder, der dem zu widersprechen wagt und das lebenswerte Leben propagiert, wird als Phantast gehandelt und zur gefälligen Kritik herumgereicht.
Hoffähig ist die Sorgenfalte, die für alle sichtbar auf der Stirn getragen wird; kein Problem, wenn statt einer zwei oder mehr vorgezeigt werden. Verdächtig macht sich eher derjenige, der nicht ernst und subdepressiv seine Tage verbringt.
Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, falls sie nicht zu bestimmten Jahreszeiten offiziell verordnet sind, weisen auf eine psychische Desorganisation hin. Therapie scheint angesagt; der/die Betroffene wird nicht als Lebensgewinner-Typus beurteilt sondern als allgemeinheitsgefährlicher Maniker.
Es lebe der Pessimismus; allen fröhlichen Alltagsgenießern sei der Kampf angesagt.
In den Umfragen der Meinungsforschungs-Institute werden die skizzierten Entwicklungen durchgehend bestätigt.
Mehr als zwei Drittel aller Bundesbürger schauen besorgt in die Zukunft. Der Glaube an den Glück und Wohlstand verheissenden Fortschritt ist geschwunden.
Die Mehrzahl der Befragten gleich welcher Altersgruppe - ausser den Kindern, versteht sich - sieht sich selbst als Einzelhelden im Überlebenskampf.
Jeder sei sich selbst der nächste; wer sich nicht durchzusetzen vermag hat seinen Lebensanspruch zurückzustellen und den Verlust seiner selbst anzumelden.
Neunzig Prozent der Deutschen können das Phänomen Lebenssinn nicht konkret fassen bzw. keine spezifischen eigene Antworten vorweisen. Die überwiegende Zahl der christlich-kirchlich orientierten - zumindest ihrem Taufschein entsprechend - erwartet weniger die Erlösung durch den allgegenwärtigen Gott und Heiland als Endlösung des Lebens. Vielmehr fürchtet man das letzte Gericht, Petrus als strengen Wächter an den Pforten des Himmels, das Fegefeuer oder die Höllenqualen nach dem nicht tugendhaften Leben.
Kurzum, die Demoskopen liefern ein düsteres Lebens-, Menschheits- und Hoffnungbild der Gegenwart. Es wird Zeit die Wirklichkeit zu demaskieren.
Denker des Pessimismus seit Schopenhauer und Nietzsche helfen, die Negativauffassung der Existenz zu bestärken.
Jean Baudrillard beurteilt die gesamte Gegenwartskultur als sinnflüchtige Pseudo-Realität. Der Alltag besteht aus Inszenierungen und Zweckentfremdungen. Unser Handeln ist ausgerichtet auf die Wahrung des bloßen Scheins. Wir simulieren Lebenserfolg und Zufriedenheit. Der gesamte perfekt organisierte Lebensablauf ist „Lüge“, die sich selbst wahrlügt. Baudrillard sprich von der „Agonie des Realen“, vom Todeskampf des Wirklichen. Leibhaftigkeit, Fühlfähigkeit, Kommunikation und Menschlichkeit werden geopfert. Der Mensch wurde zum Modellwesen, das Leben zum Kombinations-Spiel degradiert.
Noch deutlicher wird Emile Cioran. Es lohnt sich - wegen der erschreckenden Wirkung - ihn wörtlich zu zitieren;
„Es ist gewiß etwas Besonderes, Mensch zu sein; man erleidet eine der grimmigsten Tragödien, ein beinahe kolossales Drama, denn Mensch sein bedeutet, in einer völlig neuartigen, komplizierten und erschütternden Daseinsordnung als der natürlichen zu leben.“ (E. Cioran: Auf den Gipfeln der Verzweiflung; 1938)
Cioran findet keinerlei positive Argumente für das Leben; er konstatiert eine durchgehende Sinnlosigkeit des Daseins.
Die Schöpfung ist das organisierte Chaos; der Mensch entlarvt sich selbst als „Attentat der Natur auf sich selbst“.
Die Grundstimmung der Menschheit und die dementsprechende Lebenseinstellung sollte bestimmt werden durch die Einsicht in die vollkommene Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit der eigenen Person.
Letztlich sei noch der italienische Denker Cianni Vattino als Zeuge des Pessimismus geladen. Vattino stellt eine Welt des Zerfalls fest. Der Mensch - wenn er dies nur einsehen wollte - ist nirgendwo und nirgenwohin unterwegs. In der Welt selbst gibt es keinerlei erfahrbare oder nutzbare Wahrheit. Das Leben bietet nicht mehr als eine Vielzahl zufälliger Auslegungsspiele.
Sprüchsarnmler, falls sie den Fatalismus und den Skeptizismus auf ihre Fahnen schreiben, fahren reiche Beute ein:
- Die Welt ist ein Jammertal ...
- Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen ...
- Das Leben ist nicht lebenswert.
- Der Mensch hat die hervorragende Gabe - vor aller Kreatur - sich und die Welt zu zerstören ...
- Je dunkler die Gedanken und Gefühle desto (schauerlich) erregender wird das Alltagsleben ...
- Der Wille zum Leben schafft keinen Lebensraum sondern verbaut ihn ...
- Jede Sinnerfahrung entpuppt sich in letzter Konsequenz als Selbstbetrug ...
- Im Alltag belügen sich alle Beteiligten täglich gegenseitig und wiegen sich in der Scheinsicherheit einer ausgewogenen mitmenschlichen Beziehung ...
Der/die Leser(in) sei schon hier beauftragt, sich auf die eigenständige Erfahrungsreise zu begeben. Es sollte kaum Schwierigkeiten bereiten, eine Vielzahl ähnlich gerichteter Lebens- und Alltagskommentare zusammenzutragen. Vielleicht wächst über die offene Konfrontation mit dem weitverbreiteten Lebenspessimismus die Herausforderung zur persönlichen chen Stellungnahme. Die Auseinandersetzung auf je individueller Ebene ist gefragt. Wer sich durch Negativhaltungen mit- und herunterziehen läßt und die Niederungen des Daseins erfahren muß, der könnte eines Tages aufgeschreckt erwachen, wie aus einem bösen Traum. Die durchgehende Verunsicherung schafft dann die Ausgangsbasis für den eigenständigen Lebensentwurf und das subjektive Verständnis der Wirklichkeit. Wenn die verfaßte Wahrheit und die objektive Realität verlorengegangen sind bzw. lediglich vernichtend gedeutet werden, wird der in jedem angelegte Überlebenswille verstärkt seine Forderungen nach bewußter Einkleidung stellen.
Mit der vorliegenden Schrift sollen in mehrfacher Hinsicht Anstöße in dieser Richtung vermittelt werden.
In zwanzig Kapiteln werden die geläufigsten pessimistischen Annahmen, Einstellungen und Gefühle bearbeitet.
Den Lesern wird - hoffentlich - deutlich werden, daß sich die Dinge und die Realität denjenigen nicht entziehen, die sich bewußt mit ihnen bzw. mit ihr auseinandersetzen. Wir sind Gefangene unseres eigenen Denkens sowie unserer Theorien über uns selbst und die Welt. Im fortgeschrittenen Stadium des Nihilismus (= nichts gilt mehr als überdauernd wertvoll und sinnvoll) und der Vorherrschaft vorgeschriebener Alltagsdeutungen fällt es schwer eigene Lebensentwürfe wieder anzunehmen und ernstzunehmen. In der Welt der bunten Bilder und Klischees wird das Wirkliche immer unwirklicher und zunehmend ein Kunstprodukt der jeweiligen gestaltenden Kräfte.
Statt sich treiben zu lassen auf dem Strom des Geschehens, der ständigen Gefahr ausgesetzt, sich selbst zu verfehlen, sind Gegenkräfte gefragt. Die Devise lautet: gegen den Strom schwimmen.
Die praktische „Marschroute“ wird mit dem jeweils gleichen Aufbau der einzelnen Abschnitte aufgezeigt und zur gefälligen persönlichen Nutzung vorgegeben.
In einer modernen Form des thomistischen (Thomas von Aquin, christlicher Philosoph des Mittelalters) Denkens wird jede pessimistische Annahme in einem 6-Satz-Schema aufbereitet und dem Leser zur weiteren konsequenten Auseinandersetzung vorgelegt: Wir stoßen auf die jeweils geläufige Erscheinungsform des Negativurteils über das Leben, die Welt, den Alltag und über uns selbst.
Ein konstruiertes Fallbeispiel des Versagens, Verlierens oder des Verlustes wird vorgestellt.
Wissenschaftlich fundierte und persönliche pessimistische Einschätzungen zum jeweiligen Vorurteil komplettieren das Negativ-Szenario.
Der persönliche Widerstand wird im Gefühl und im je spezifischen Aufbegehren erfaßt und beschrieben.
Die eigene Gegenwehr wird durch wissenschaftliche Erfahrungen und durch die Ergebnisse umfassender Analysen zum Thema gefördert.
Schließlich wird die pessimistische Fehlannahme durch explizit formulierte Vorsätze, Phantassien und Perspektiven nicht nur widerlegt sondern von ihren Wurzeln herkommend angegangen.
Die gewählte Anredeform ist die des „unpersönlichen Ich“. Das heißt, von der Wissenschaftssprache aus- und abgehend wird der Zugang zum Ich über die konkrete Einzelansprache gesucht. Das Ich wird rhetorisch zur...