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Angepasst

Die Geschichte eines Lebens - Erstes Buch

AutorOtto-Ernst Schaut
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783741203916
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Aufgeschrieben wurde die Geschichte eines Lebens. Es begann kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges. Kindheitserinnerungen - als Halbwaise - an die Zeit, als der Krieg an seinen Ursprungsort zurückkehrt. Der Schulbesuch während der Zeit des Dritten Reichs und in der Nachkriegszeit im Ostteil Deutschlands. Ein Leben als gelernter DDR-Bürger. Die Anpassung an die Lebensverhältnisse und das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern zieht sich als roter Faden durch die Schilderung. Das Leben als Jungerwachsener bringt neue Herausforderungen und das Ende der familiären Geborgenheit.

Der Autor wurde 1937 als erstes von drei Kindern in einem kleinen Ort in der Mark Brandenburg geboren. Er besuchte die Grundschule und erlernte den Beruf des Maurers. Nach seinem Wehrdienst wurde er Mitarbeiter der Zollverwaltung. Er ist Vater von vier Kindern. Seit 1998 schreibt er autobiografische Abhandlungen und Essays.

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Leseprobe

Bevor es richtig beginnt – ist es schon vorbei


Als Vater in den Krieg ziehen musste, fehlte er mir sehr. Obwohl ich natürlich keine klare Vorstellung davon hatte, welchen konkreten Gefahren ein Soldat im Krieg ausgesetzt ist, machte ich mir doch Sorgen um meinen Vater. In den Gesprächen der Erwachsenen war fast nur noch die Rede von der Lage an den Fronten, von Verwundeten, Vermissten und Gefallenen aus ihrem Bekanntenkreis. Die Zeitung brachte täglich Seiten voller Todesanzeigen. Das war eine Zeit des Hoffens, Bangens und der Verzweiflung. Einige wenige Feldpostbriefe von Vater kamen. Die waren aber meist schon Wochen oder Monate unterwegs, ehe sie in der Heimat ankamen. Immer öfter stellte ich mir die Frage danach, wann endlich wir unseren Vater wieder sehen werden?

An einem sonnigen Tag im Juli 1942 stand er in Uniform und mit seiner militärischen Ausrüstung vor der Tür. Er erschien mir viel größer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Auch wirkte er irgendwie fremd auf mich. Er war sehr ernst geworden. Bevor er seinen Karabiner in den Wohnzimmerschrank wegschloss, durfte ich diesen einmal berühren. Ich war enttäuscht. Warum und was ich erwartet hatte, ich wusste es nicht.

Dann kamen die Nachbarn und es wurde viel über den Krieg und seinen Verlauf gesprochen. Von all dem verstand ich kaum etwas. Heute weiß ich, dass es wohl nicht gut aussah für das >Volk ohne Raum<*. Volk ohne Raum, eine der Parolen Hitlers, die den Beginn des 2.Weltkrieges rechtfertigen sollten. Doch die Rechnung von der Eroberung der Welt ging nicht auf und die Menschen fingen an, sich mehr und mehr Sorgen über ihre Zukunft zu machen. Sorgen darüber, dass sie nun wohl für das begangene Unrecht büßen müssen.

Viel zu schnell waren die zwei Wochen Heimaturlaub vorbei. Am letzten Tag wurden noch einige Fotos von der Familie gemacht und dann musste Vater wieder an die Front. Was niemand damals ahnte, es war sein letzter Urlaub. Wir haben unseren Vater nicht wieder gesehen. Am 21. August 1942 war er für ... ja für was ... gefallen. >Gefallen für Führer, Volk und Vaterland<, so wurde das sinnlose Sterben von Menschen in einem ebenso sinnlosen Krieg bezeichnet. Gefallen, als ob der Betroffene nur wieder aufzustehen brauchte. Vor Moskau fand Vaters Leben sein Ende. Die Umstände, die zu seinem Tode führten, wurden nie ganz geklärt. Er war Pionier und weit hinter der Front eingesetzt.

Mutter bekam mit seinen persönlichen Dingen ein Foto von einem Grab zugeschickt. Die Inschrift auf dem abgebildeten Grabkreuz war nicht lesbar.

Wahrscheinlich wurde das Foto wiederholt verwendet. Dies, und die sich widersprechenden Angaben seines Vorgesetzten und seiner Kameraden waren schuld daran, dass unsere Mutter in ihrem ganzen Leben nie zur Ruhe kam. Sie hat unseren Vater wohl auch so sehr geliebt, dass es ihr nicht möglich war, seinen Tod nur einfach zur Kenntnis zu nehmen.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als die Nachricht von Vaters Tod kam. Es war zur Gewohnheit geworden, die Todesnachricht, sie war als solche äußerlich erkennbar, nicht den betroffenen Familien persönlich auszuhändigen. Der Postzusteller gab sie bei den Nachbarn oder bei Freunden ab. Die übernahmen es dann, den Hinterbliebenen, in den ersten schweren Stunden, den notwendigen Beistand zu geben. Es war eine schlimme Zeit. Wir Kinder verstanden zwar, was vorging, die Tragweite des Geschehens haben wir jedoch noch nicht begriffen.

Eines Tages war es auch für uns so weit Unsere Nachbarin kam weinend mit dem Brief in der Hand zu uns. Sie brauchte nicht mehr viel zu sagen. Die beiden Frauen weinten lange. Dann erklärte uns Frau Linus, dass unser Vater nicht mehr aus dem Krieg zurückkehren wird. Mein Bruder hat es mit seinen knapp vier Jahren wohl noch nicht einordnen können. Seine größte Sorge war, wer nun den Weihnachtsmann macht.

Wie sollte es nun weiter gehen mit unserem Familienleben? Es hatte kaum begonnen, da war es schon vorbei. Die Familie war zerstört. Leichtfertig wird so eine Situation oft als Schicksalsschlag bezeichnet. Ich denke, das trifft es nicht. Für uns war es schlichtweg eine Tragödie. Sicher, das Leben ging für uns weiter. Doch nichts war mehr so, wie es einmal war. Mutter trug schwer daran. Zu diesem Zeitpunkt fehlte uns Kinder noch der Verstand dafür, das ganze Ausmaß der Situation zu begreifen. Und für den Moment war es auch gut so. Später hat dieses Erlebnis einige Entscheidungen in meinem Leben beeinflusst.

Wie schwer die Todesnachricht den Frauen psychisch zusetzte, macht folgendes Verhalten deutlich: Immer wieder sprachen betroffene Frauen darüber, dass sie nachts geheimnisvolle Geräusche oder Stimmen gehört hätten. Die Frauen verbanden dies zu gern mit der Vorstellung, dass die Seelen ihre toten Männer nach Hause gekommen seien. Auch Mutter war davon nicht ganz frei. Sie und Frau Linus sahen in der Tatsache, dass meine Schwester den Daumen ihres Vaters beim Abschied nicht loslassen wollte, ein Zeichen dafür, dass sie ihn nicht gehen lassen wollte.

Mutter versuchte uns den Verlust des Vaters so wenig, wie nur möglich, spüren zu lassen. So weit dies möglich war, ist es ihr auch gelungen. Sie war immer für uns da, wenn wir sie brauchten. Sicher, ersetzen konnte auch sie den Vater nicht. Streng achtete sie darauf, dass wir uns anständig verhielten, gesund blieben, immer sauber gekleidet waren und satt zu essen hatten. Sie liebte ihre Kinder. Und wir Kinder gaben ihr Halt in der schweren Zeit und die Kraft, das Leben weiter zu meistern.

Aus dieser Zeit sind mir einige Rituale in Erinnerung geblieben, die sich immer wiederholten. So war jeden Freitag Badetag. Mutter heizte den Waschkessel in der Waschküche an. In der Küche wurde eine Zinkwanne auf zwei Stühle gestellt und die Badetücher bereitgelegt. Wenn das Wasser warm war, wurde damit die Zinkwanne gefüllt und wir darin gebadet. Wer fertig war, wurde in ein Badetuch gehüllt und auf den Küchentisch gesetzt. Waren alle gebadet, bekamen wir den Feinschliff. Die Ohren wurden mit einem Handtuchzipfel gereinigt und die Finger- und Zehennägel beschnitten.

Das Frühstück bestand in dieser Zeit des Mangels, in der Lebensmittel nur in bescheidener Vielfalt und Menge zur Verfügung standen, in der Regel aus einer Milchsuppe. Ein besonderes Ereignis war es für uns Kinder, wenn Mutter die Suppe mit farbigem Zucker süßte. Toll fanden wir es auch, wenn Mehlklümpchen in der Milchsuppe schwammen. Wir nannten die Suppe >Klütersuppe<*.

Aus heutiger Sicht entwickelten wir manchmal einen eigenartigen Geschmack. So standen getrocknete Zuckerrübenschnitzel, ein als Pferdefutter vorgesehenes Abfallprodukt aus der Zuckerproduktion, bei uns hoch in der Gunst. Sozusagen als Ersatz für Bonbons.

Ich erinnere mich auch noch ganz anschaulich, dass Mutter uns beim Auftreten einer der damals noch häufig ausbrechenden Kinderkrankheiten zusammen ins Bett steckte. Sie provozierte praktisch den Ausbruch der Krankheit, um eine Immunisierung auch bei den Gesunden zu erreichen. Impfschutz, wie heute üblich, war damals noch nicht möglich.

Der Sommer 1943 wäre fast der letzte in meinem noch so jungen Leben gewesen. Spielkameraden hatten mich zum Baden abgeholt. Da es diesmal zum etwa fünf Kilometer entfernten Sperenberger See ins Strandbad gehen sollte, brauchte ich Eintrittsgeld. Fünf Reichspfennige kostete damals der Eintritt für Kinder.

Da es lästig war, den >Sechser<, so nannte man damals das Fünfpfennigstück, in der Hand zu tragen, transportierten wir unser Geld im Mund. Das erschien uns praktisch, man konnte es nicht verlieren, durfte es nur nicht verschlucken. Beim Baden geriet ich dann in eines der >Pferdelöcher<, die so genannt wurden, weil sie wohl beim Baden der Bauernpferde entstanden waren. Es war nämlich üblich, dass die Bauern den Pferden nach der anstrengenden sommerlichen Feldarbeit abends ein kühlendes Bad gönnten. Das geschah in unmittelbarer Nachbarschaft zum Strandbad. Ich war wohl etwas unvorsichtig bei meinen Tauchübungen im eigentlich sehr flachen Wasser gewesen und in eines der Löcher geraten. Schwimmen konnte ich noch nicht und geriet in Panik, als ich mein Missgeschick begriff. Mir wurde die Luft knapp. Ich hatte wohl auch schon eine gehörige Portion Wasser geschluckt und dachte, dass es wohl das Ende wäre, als ich wie von Geisterhand aus dem Wasser gezogen wurde. Zum Glück hatte einer der Bademeister meinen Kampf mit den Elementen beobachtet. Ich war noch einmal davongekommen - hatte Glück gehabt.

Im August 1943 begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ab sofort war ich ein Schulkind und sollte Schreiben, Lesen sowie Rechnen lernen. Vom Tag der Einschulung ist mir nur in Erinnerung geblieben, wie ich im Vorgarten unseres Hauses fotografiert wurde. Ich hatte große Probleme, meine große Schultüte richtig zu halten. Nun, so sagte man mir, begänne für mich der Ernst des Lebens. Das mit dem Ernst des Lebens habe ich die gesamte Schulzeit nicht so gesehen, wie noch zu berichten sein wird.

Als Erstes waren die materiellen Grundlagen für den Schulbesuch sicher zu stellen. Eine Schulmappe wurde von befreundeten Nachbarn gestiftet. Die Mappe war aus Rindsleder und diente mir acht Jahre. Des Weiteren war eine Schiefertafel zu beschaffen. Auch hier half Familie Tinius. In ihrem...

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