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Adriana Hölszkys Textkompositionen

VerlagSchott Music
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783795786458
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Adriana Hölszky (geboren 1953) gehört zu den prägenden Persönlichkeiten im Bereich des Komponierens. Das Spektrum ihrer Werke für die menschliche Stimme ist bemerkenswert groß. Ihre Musik partizipiert an den gewachsenen Möglichkeiten heutiger vokaler Darstellungskunst, zugleich hat sie einen nennenswerten Anteil an deren Verbreiterung und Ausdifferenzierung. Die Texte des vorliegenden Bandes basieren auf Vorträgen zweier Symposien zum Schaffen der Komponistin, die in den Jahren 2003 und 2005 an der Universität Mozarteum Salzburg sowie an der Hochschule für Musik 'Carl Maria von Webe' Dresden stattfanden. Der Bogen spannt sich von Hölszkys bereits 1977 komponiertem Solostück 'Monolog' über die seit Ende der 1980er-Jahre entstandenen großen Musiktheaterwerke bis zu dem 2005 geschriebenen Ensemblewerk 'Lemuren und Gespenster'.

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Leseprobe

Adriana Hölszkys «Opern»

Theatrale Musiksprache und vokal-instrumentales Theater

Peter Petersen

Adriana Hölszky gehört zu den überaus starken Künstlerpersönlichkeiten der Gegenwart. Ihre Musiksprache ist unverwechselbar und hat doch Teil an dem «unvollendeten Projekt der Moderne» (Habermas), dem sich viele Künstler neben ihr verpflichtet wissen. Nach Werk und Biografie verkörpert Hölszky europäische Identität. Geboren in Bukarest, lebt sie heute in Stuttgart und lehrt sie in Salzburg. Ihr Werk, das sich oft mit Literatur verknüpft, zeigt ebenfalls eine typisch europäische Auffächerung: Bezugs- bzw. Basistexte ihrer Kompositionen stammen u. a. von Ingeborg Bachmann und Gottfried Benn, von Paul Celan und Rainer Werner Fassbinder, von Jean Genet und Ernst Jandl, von Eugène Ionesco und Georg Trakl, von Nietzsche, Shakespeare und Michelangelo. Hölszkys ganzes Kunstkonzept kann aus der Tradition der europäischen Moderne heraus interpretiert werden. Alle Phasen der Musikmoderne – von der freien und gebundenen Zwölftonmusik über Neoklassizismus, Dada, Surrealismus und politisch engagierte Musik der Zwischenkriegszeit bis hin zu den Wegen und Irrwegen, Traditionsanknüpfungen und Experimenten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Serialismus, Musique concrète, elektronische Musik, Aleatorik, Fluxus, Instrumentales und Absurdes Theater, Minimal Music und Postmoderne – sind der Nährboden, auf dem sich Hölszkys Musik entfaltet und individuelle Prägnanz europäischen Zuschnitts gewonnen hat.

Der Werkkatalog von Adriana Hölszky ist so umfangreich wie vielfältig. Nicht zu übersehen ist dabei ihre Neigung zur Bühne und ihre Lust an theatralen Imaginationen. Gesprächsweise hat sie einmal bekannt, dass sie zwischen Musik und Theater kaum trennen könne.1 Hans Werner Henze – selbst einer der wichtigsten Repräsentanten des modernen Musiktheaters – hatte das richtige Gespür, als er in seiner Funktion als Intendant der Münchener Biennale Adriana Hölszky einen Kompositionsauftrag erteilte, der 1988 zur viel beachteten Uraufführung des «Singwerks auf ein Frauenleben» Bremer Freiheit führte. Inzwischen sind vier weitere abendfüllende Bühnenwerke Hölszkys uraufgeführt geworden: Die Wände (1995), Tragödia (1997), Giuseppe e Sylvia (2000) und Der gute Gott von Manhattan (2004).

Die musiktheatrale Dominante im Schaffen Adriana Hölszkys strahlt auf viele ihrer Werke aus, die nicht- oder allenfalls halbszenisch sind. Dazu gehören u. a. Message nach Ionescos absurdem Theaterstück Les Chaises, Der Aufstieg der Titanic, ein Werk, das von der Komponistin zurückgezogen wurde, Flöten des Lichts für eine Sängerin und fünf Bläser, aber auch Solostücke wie Monolog für eine Sängerin mit Pauke nach Zeitungsausschnitten, oder Hörfenster für Franz Liszt für einen Pianisten mit Tom-Toms. Eine Spezialität von Hölszky sind Stücke für vielstimmiges Vokalensemble (als eines der bislang letzten etwa umsphinxt … Ein Rätsel für Raubvögel nach Nietzsche). Sie hat neun Werke für großes Orchester und mehr als zwanzig Kompositionen für mittlere und kleinere Ensembles geschrieben, darunter die berühmten Hängebrücken «an Schubert» für Doppelquartett bzw. zwei Streichquartette. Stücke für ein bis zwölf Schlagzeuger verweisen auf eine Vorliebe Hölszkys für perkussive Klangerzeugung (auch auf Saiten- und Blasinstrumenten bzw. am eigenen Körper). Zahlreiche Kompositionen für oder mit Akkordeon, z. B. on the other side für Mundharmonika, Klarinette, Akkordeon und Orchester, lassen ihre Neugier auf ungewohnte Klangfarbmischungen erkennen. Kein Wunder, dass sie auch gern Zuspielbänder und Verfahren der Live-Elektronik einbezieht.

Es ist nicht leicht, eine Vorstellung vom Klang der Musik Adriana Hölszkys zu vermitteln, ohne ein Stück von ihr «vorspielen», das heißt «zeigen» zu können. Denn so unverkennbar ihr «Sound» ist, zur vollen Wirkung gelangen ihre Kompositionen erst, wenn sie auf einem Podium dargeboten werden, also auch «gesehen» werden können. Es gilt, dass die von ihr vorgeschriebenen Klänge immer auf Handlungen zu verweisen scheinen. Ihre Musik hat einen ausgeprägt gestischen Charakter und ist insoweit immer schon latent theatral.

Klang und Ton

Das auffälligste Merkmal von Hölszkys Musik ist das Überwiegen von Geräuschen. Statt von Tonkunst ist bei ihr besser von Klangkunst zu sprechen. Töne im herkömmlichen Sinn treten zurück zugunsten einer Vielzahl von Klängen ohne bestimmte Frequenz. Die Preisgabe der Qualität «Ton» und infolgedessen der Systeme von Tonbeziehungen im melodischen oder harmonischen Satz wird gutgemacht durch eine schier unendliche Fülle von Farbwerten der Klänge und Klangverbindungen: ein Streichen über die Saiten des Klaviers, das Klappenund Luftgeräusch eines Blasinstruments, das Aufprallen einer Kontrabass-Saite auf dem Griffbrett, die hektischen Rührgeräusche an einem Gong, der erstickte Laut einer Stimme bei zugehaltenem Mund usw. Wenn Hölszky sagt: «Meine Denkweise ist vielleicht nicht musikalisch […] Das Musikalische berührt mich einfach nicht im entscheidenden Moment»,2 dann meint sie damit die auf Tönen basierte Musik der Vergangenheit und Gegenwart, die sie andererseits als Interpretin am Klavier ja so meisterlich zu realisieren vermag.3 Als Komponistin, die das Bedürfnis hat, Neues zu schaffen, noch nie Gehörtes in die Welt zu setzen, geht ihre Fantasie in unbekannte Bereiche. Sie sagt: «Man muss die kleinen Klangräume erarbeiten und dann in Assemblage bringen wie Zellen in einem Organismus.»4

Hölszkys Klangkunst knüpft an Traditionen an, die im 20. Jahrhundert aufgekommen sind. Helmut Lachenmann z. B. bevorzugt ebenfalls die schattenhafte Welt der Klänge und Geräusche gegenüber dem vergleichsweise engen Repertoire an distinkten Tönen. Hölszky begreift die freien Klänge als positive Chance, einer neuen Schönheit zur Wirkung zu verhelfen. Ihre Musik tendiert nicht zum Verstummen, sondern sie gibt sich präsent, aufregend, dramatisch und stets überraschend neu.

Klang und Raum

Ein anderes Merkmal von Hölszkys Musik ist die tatsächliche oder imaginäre Verräumlichung des Klangs, sei es durch Verteilung von Klangzentren am Aufführungsort selber, sei es durch Illusionierung von nahen und fernen Räumen durch die Art der Klangerzeugung. Zum Beispiel das 1989 in Graz uraufgeführte Stück Karawane für zwölf Schlagzeuger: Hier stehen jedem Spieler 24 Instrumente zur Verfügung. Dazu kommen im zweiten Satz mehr als dreißig typisierte Vokalaktionen. Insgesamt gibt es also gut 300 unterscheidbare Klangcharaktere, die mittels Mikrofonen verstärkt werden. Lautsprecher und Schlagzeuggruppen sind um das Publikum herum gelagert, so dass der Hörer von Klängen förmlich eingekreist ist. Eine Spielanweisung zum ersten Satz besagt: «Der Gesamtklang sollte ähnlich einem Urwald sein, wo völlig unterschiedliche Klangsignale und Geräusche (von Insekten, Vögeln und Tieren) unabhängig voneinander entstehen und vergehen.»

Zu dieser Vorstellung eines diffus gefüllten, quasi undurchdringlichen Klangraums kontrastiert der zweite Satz; er scheint den Raum mit geometrischer Präzision auszumessen. Wird der Klang gleichzeitig von den zwölf Klangzentren abgestrahlt, so scheint er den Hörer wie mit Pfeilen zu fixieren. Setzen die zwölf Schlagzeuger dagegen kurz nacheinander ein, fühlt sich der Hörer von Klang umkreist und in einen Strudel hineingezogen. Dazwischen sind unendlich viele Klangmigrationen denkbar, von denen Hölszky je nach Kontext sehr viele nutzt.

Räumliche Wirkungen können aber auch illusionistisch herbeigeführt werden. In einem solchen Fall gibt es nur ein Klangzentrum – also etwa ein Ensemble auf dem Podium –, von dem dann Fern- und Nahwirkungen auszugehen scheinen. In Hölszkys Stück Arena für Orchester lässt sich eine Klangschicht unterscheiden, die ausnahmsweise einmal aus regulären Tönen besteht. An sich lebt die ganze Komposition von Geräuschklängen, die von Bläsern, Schlagzeugern und Streichern hervorgebracht werden. Dieses teilweise sehr heftige und lebhafte Klanggeschehen ist die Hauptsache der Komposition. Hier spielt das Leben, hier befinden wir uns auf der Vorderbühne einer großartigen Klanginszenierung. Wenn nun gelegentlich gehaltene Töne erklingen, so wirken diese ‹wie aus weiter Ferne›. Es ist, als ob ein wunderlicher Gast in der Ferne auftaucht und sich der ‹Arena› nähert. Durch Vervielfachung der gehaltenen...

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