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Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung

AutorVanessa Pietsch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl88 Seiten
ISBN9783638295130
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: gut, Christian-Albrechts-Universität Kiel (Lehramt an Sonderschulen), Sprache: Deutsch, Abstract: Zu dem Thema 'Anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung' gibt es meines Wissens - neben einigen Aufsätzen - nur das Buch von E.-L. Damm (1999). Ebenso, wie in den anderen Büchern zur allgemeinen anthroposophischen Kunsttherapie werden dem Leser zwar die Behandlungsanweisungen deutlich - es wird auch dargestellt, worauf sie abzielen - man erhält jedoch nicht ausreichende Informationen über den zu Grunde liegenden Hintergrund: Die Anthroposophie. Das anthroposophische Vokabular wird mit Selbstverständnis verwendet und größtenteils als bekannt vorausgesetzt. Dies erschwert erheblich, die beschriebenen Vorgehensweisen nachzuvollziehen. Daraus ergibt sich die Zielsetzung dieses Buches, die 'anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung' auch 'Nichtanthroposophen' verständlicher und durchschaubarer zu machen. Zum besseren Verständnis ist das vorliegende Buch in drei aufeinander aufbauende Stufen gegliedert. Auf der ersten Stufe sollen die für die Kunsttherapie relevanten anthroposophischen Hintergründe und Begriffe, die auf den Geisteswissenschaften Rudolf Steiners beruhen, erklärt werden. Auf der zweiten Stufe werden die Grundlagen der allgemeinen anthroposophischen Kunsttherapie für Kranke beschrieben, die wiederum die Basis für den Behandlungsansatz, der auf Menschen mit geistiger Behinderung abzielt, darstellt. Auf der dritten Stufe wird das anthroposophische Verständnis von 'Geistiger Behinderung' geklärt. So kann der spezifische Behandlungsansatz der 'anthroposophischen Kunsttherapie für Menschen mit geistiger Behinderung' nachvollziehbar und verständlich dargestellt werden. Zum Abschluss des Buches soll anhand von drei Fallbeispielen veranschaulicht werden, wie dieses Kunsttherapiekonzept mit Menschen mit geistiger Behinderung in der Praxis umgesetzt werden kann. Hinweis: Das anthroposophische Welt- und Menschenbild wird in diesem Buch weder hinterfragt noch beurteilt. Es geht um eine wertfreie Darstellung eines Therapieansatzes.

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Leseprobe

III. Grundlagen der anthroposophischen Kunsttherapie


 

Im Folgenden soll auf die Grundlagen der „anthroposophischen Kunsttherapie“ eingegangen werden. Die Definition Kunsttherapie wird vorangestellt und anschließend die anthroposophische Kunsttherapie erläutert. Hierzu gehört nicht nur der therapeutische Ansatz an sich, sondern auch, wie das künstlerisches Arbeiten allgemein in der Anthroposophie verstanden wird.

 

III.1 Definition: Grundlagen


 

Unter Grundlagen versteht man eine Basis, einen Ausgangspunkt oder Stützpunkt, auf dem man etwas aufbauen kann (Duden, 1999).

 

Im Zusammenhang mit der „anthroposophischen Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ bedeutet dies, dass die Grundlagen der „allgemeinen“ anthroposophischen Kunsttherapie, die für kranke Menschen konzipiert ist, den Ausgangspunkt bietet, auf dem sich die „anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ aufbauen lässt. Daher wird in diesem Kapitel die „allgemeine“ anthroposophische Kunsttherapie dargestellt und auf dieser Basis erst in Kapitel IV die „anthroposophische Kunsttherapie mit Menschen mit geistiger Behinderung“ erklärt.

 

III.2 Definition: Kunsttherapie


 

"In der Kunsttherapie geht es um einen innerpsychischen Formbildungs- und Gestaltungsvorgang, der sich in der bildnerischen Formdynamik eines ästhetischen Mediums spiegelt" (Menzen, 2000 in: www.kunst-therapie.de )

 

Nach M. Levic ist Kunsttherapie eine Therapieform, die über den Einsatz künstlerischer Medien hinaus, den Menschen ganzheitlich fördern kann. Kunsttherapie bietet die Möglichkeit, das gesamte Spektrum künstlerischer Materialien und Techniken anzuwenden (Levic, 1982).

 

Kunsttherapie ist eine nonverbale und prozessorientierte Therapieform, die zum Ziel hat,

 

dass innere Bilder, Gefühle, Wünsche, Bedürfnisse, Vorstellungen und Erfahrungen im Gestaltungsprozess erlebt, durchlebt und belebt werden und so ihren Ausdruck finden können. Auf diese Weise kann man ein „Abbild“ für bewusste und unbewusste seelische Prozesse und Zustände im jeweiligen Menschen erkennen und beeinflussen (Tacke, 1999, S. 25ff). Kunsttherapie kann, je nach Bedarf oder Notwendigkeit, auch in Kombination mit anderen Therapieformen eingesetzt werden.

 

Es gibt verschiedene kunsttherapeutische Ansätze.

 

In dieser Arbeit soll ausschließlich der anthroposophische Ansatz behandelt werden.

 

III.3 Anthroposophische Kunsttherapie


 

III.3.1 Zum Grundverständnis der anthroposophischen Kunsttherapie


 

Kunst wird in dem Augenblick zur „Heilkunst“, wenn man sie so anwendet, dass die Art der Technik, Aufgabenstellung, Umgang mit Form und Farbe etc. sich auf bestimmte Störungstendenzen im Menschen auswirken können (Hauschka, 1989, S. 45f). Grundsätzlich ist bei der Therapie nicht das Kunstwerk das Ziel, sondern der Prozess des Entstehens (Mees-Christella, 1988, S. 8 und Hauschka, 2000, S. 65).

 

Die Gründerin der anthroposophischen Kunsttherapie ist Margarethe Hauschka (1896-1980). Sie war eine deutsche Ärztin, die nach anthroposophischer Heilkunde arbeitete. In den 60er Jahren vereinigte sie die medizinischen und künstlerischen Ideen der Anthroposophie und schuf daraus den Beruf des anthroposophischen Kunsttherapeuten. Die Kunsttherapie wird somit eine Ergänzung zur Medizin. 1962 errichtete Margarethe Hauschka in Bad Boll bei Göppingen die erste Schule für Kunsttherapie auf anthroposophischer Basis. Aus diesem Impuls entstanden weitere Schulen in Deutschland, Holland, Schweiz und England (Mees-Christella, 1988, S.12).

 

Die beschriebenen Geisteswissenschaften Rudolf Steiners und das daraus resultierende Menschenbild bilden den Hintergrund der anthroposophischen Kunsttherapie. Denn, wie aus dem ersten Teil der Arbeit hervorgeht, ermöglicht das Menschenbild Rudolf Steiners einen besonderen Einblick in die Naturreiche und ihre untrennbare Verbindung zum Menschen. Nach anthroposophischer Auffassung kann eine Störung im Gefüge der Wesensglieder den körperlichen und/oder seelisch-geistigen Zusammenhang des Menschen beeinträchtigen (vgl.II.2.3 und II.2.4). Da in einem solchen Fall die „Kraft der Mitte“ nicht mehr in der Lage ist, ein harmonisches Gleichgewicht im Menschen zu schaffen, kann es geschehen, dass sich die Kräftewirkungen der übrigen Wesensglieder vereinseitigen (Treichler, 1996). Dies führt zur Krankheit oder zu Störungen. Je nach Wahl und Einsatz bestimmter künstlerischer Mittel werden bei der Kunsttherapie auf unterschiedliche Weise die Wesensglieder angesprochen.

 

Ist bei einem betroffenen Menschen die Kräftesituation, die hinter der Disharmonie steht, erfasst worden (vgl. IV.4), so wird der Therapeut entscheiden, welches künstlerische Mittel er wie und wann einsetzt, um bei dem Betroffenen die Bereiche anzusprechen und zu aktivieren, die ihm zu einem harmonischen Gleichgewicht fehlen. Denn in der anthroposophischen Kunsttherapie geht es im Vergleich zur „allgemeinen Kunsttherapie“ nicht darum, Überschüssiges, Emotionen oder dergleichen auszuleben, sondern vielmehr darum, dass der Betroffene sich in bestimmte Erfahrungen und Erscheinungen einleben kann, die er aus sich selbst heraus niemals erschließen würde (Mees-Christella, 1988, S.8ff).

 

Um dies in der Therapie erreichen zu können, muss der Therapeut den Klienten anfangs sehr stark anleiten. Würde man ihn zu früh seiner eigenen Ausdrucksfreiheit überlassen, besteht die Gefahr, dass der Betroffene stets mit seinem unausgeglichenen Wesensteil konfrontiert werden würde. Die Therapie zielt darauf ab, die Wahrnehmung des Klienten zu schulen und ihm damit einen neuen, anderen Zugang zur Natur, Schönheit und Harmonie zu eröffnen. Dies soll sich letztendlich auch positiv auf die Seele auswirken. Erst dann wird es laut Mees-Christella möglich, dass der Klient selbst ausgewählte Arbeiten harmonisch-ausgeglichen bewerkstelligen kann (Mees-Christella, 1988, S. 13 und Hauschka, 2000, S. 65).

 

Mees-Christella weist darauf hin, dass die Basis der anthroposophischen Kunsttherapie keine festgelegten Direktiven sind, sondern dass es sich hierbei vielmehr um bestimmte Richtlinien handelt: Die aktive Auseinandersetzung mit Material, Farbe, Form und Linie sollen den betroffenen Menschen zum schöpferischen Umgang mit den Qualitäten der Welt führen (vgl. II.3.2).

 

So werden im Verlauf der Therapie bestimmte Gestaltungsprozesse angeregt und eingeübt, um der Störungsursache entgegenzuwirken und zum Ausgleich zu führen. Anthroposophische Kunsttherapie soll den Menschen ordnen und harmonisieren, um ihn zur Selbstregulation zu führen (Mees-Christella, 1988, S. 12ff).

 

III.3.2 Was bedeutet künstlerisches Arbeiten in der Anthroposophie?


 

Um die Wirkung der anthroposophischen Kunsttherapie verstehen zu können, soll zunächst erläutert werden, welche Bedeutung künstlerisches Arbeiten in der Anthroposophie hat. Beim künstlerischen Tun wird der Mensch in seiner Gesamtheit angesprochen. „Er faßt sich in seiner schöpferischen Mitte vom „Ich“ aus zusammen und prägt seinen Geist dem Stoff ein. Er schafft einen Leib für seine Idee“ (Hauschka, 1989, S.44).

 

Laut Hauschka wird bei jeder Art von künstlerischer Betätigung die Seele des Menschen in einer bestimmten Weise bewegt und angeregt, so dass ein gesunder und lebendiger Austausch zwischen den drei Seelengrundkräften Denken, Fühlen und Wollen stattfinden kann (vgl.II.2.3).

 

Damm beschreibt, dass künstlerisches Arbeiten dem Mensch ermöglicht, seinem inneren Ungleichgewicht heilendes Tun entgegensetzen. Dabei betätigt sich der Mensch seiner Kraft der Mitte und kann sich somit dem Material und seiner Wahrnehmung hingeben. Durch künstlerisches Tun ist es der Seele möglich, zwischen dem Pol der Außen- und dem der Innenwelt zu schwingen, auf die beiden Pole auszustrahlen und sie miteinander zu verbinden (Damm, 1999, S. 11). Denn „Wer mit seiner Seele nicht mehr antworten kann auf das ewig wechselnde Schauspiel der Natur...“, so beschreibt es Hauschka, ist nicht als gesunder Mensch zu bezeichnen (Hauschka, 1989, S. 45). Durch die künstlerische Arbeit soll der Mensch zur Schönheit der Dinge zurückgeführt werden, um seine Seele erneut in Schwingung zu versetzen, damit sie zum Schaffensdrang angeregt wird. „Denn die Schönheit ist eine Lebensspenderin wie der Atem. Sie weitet die Seele, erwärmt das Herz und erfrischt die Lebensprozesse“ (Hauschka, 1989, S. 46).

 

III.3.2.1 Die Bedeutung der Sinne beim künstlerischen Tun

 

Mees-Christella versteht die Kunsttherapie als eine Schulung der Sinne. Denn alles, was wir von der Außenwelt aufnehmen geschieht über die Sinne. So wird auch jede künstlerische Tätigkeit erst durch das Einbeziehen der Sinne möglich. Beim künstlerischen Gestalten sollen mit den Sinnen wahrgenommene...

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