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Arbeit mit lernbehinderten Jugendlichen in der beruflichen Ausbildung. Möglichkeiten und Grenzen sozialpädagogischer Unterstützung

AutorRamona Berlin
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2005
Seitenanzahl91 Seiten
ISBN9783638451024
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Fachhochschule Potsdam, 24 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Lernbehinderte Jugendliche haben es vom Übergang von der Schule in die Arbeitswelt schwerer als Gleichaltrige nichtbehinderte Jugendliche. Zum einen liegt das an der allgemein schlechten Lage auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Lernbehinderte Menschen haben außerdem oft mit Vorurteilen zu kämpfen und verfügen zudem nicht selten über unzureichende persönliche Kompetenzen, die ihre Situation noch verschlimmern. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Sozialpädagogin in der Benachteiligtenförderung. Erstmals in diesem Jahr betreue ich Jugendliche in der beruflichen Rehabilitation. Meine persönliche Motivation ist es, diesen jungen Menschen das notwendige Handwerkszeug für den Übergang in die Arbeitswelt, der so genannten großen Schwelle, zu geben, um gut darauf vorbereitet zu sein. In der folgenden Diplomarbeit möchte ich mich mit dem Begriff der Lernbehinderung, deren Formen und möglichen Ursachen auseinander setzen. Ich werde mich mit der Jugendphase, den Entwicklungsaufgaben und insbesondere der Bedeutung von Arbeit und Beruf beschäftigen. Dabei ist es erforderlich, den derzeitigen Arbeitsmarkt zu beleuchten und die Besonderheiten der lernbehinderten Jugendlichen auch zukünftig im Auge zu behalten. Spielen Schlüsselkompetenzen eine größere Rolle als fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten? Mein Ziel ist es zu untersuchen, welchen Beitrag professionelle Hilfe und Beratung beim Übergang ins Arbeitsleben leisten kann. Ich stelle eine überbetriebliche Bildungseinrichtung vor. Außerdem mache ich den Leser mit den Aufgabengebieten in der reha-spezifischen Ausbildung und den besonderen Aufgaben und Methoden der sozialpädagogischen Begleitung bekannt. Dabei werden sich, begründet in meiner beruflichen Tätigkeit, meine Untersuchungen vorwiegend auf lernbehinderte Jugendliche beim Übergang von der Ausbildung in den Arbeitsmarkt beziehen. Ich möchte anhand von Interviews untersuchen, inwieweit sich lernbehinderte Jugendliche auf den Übergang in ihre berufliche Laufbahn ausreichend vorbereitet und unterstützt fühlen. Lässt sich aus den Antworten der Auszubildenden eventuell etwas ableiten, wie der Übergang besser gestaltet werden kann? Abschließend möchte ich Möglichkeiten und Grenzen der sozialpädagogischen Begleitung innerhalb einer reha-spezifischen Ausbildung aufzeigen, die den Übergang in die Arbeitswelt unterstützen oder hemmen können. Die Namen der interviewten Auszubildenden wurden im Text und in der Transkription, die sich im Anhang befindet, geändert. [...]

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Leseprobe

3. Jugend und Beruf


 

3.1  Entwicklungsaufgaben im Jugendalter


 

Die Lebensphase Jugend wird heute als eigenständiger Abschnitt im Lebenslauf verstanden. Es kann von einer Untergliederung in drei Abschnitte ausgegangen werden:

 

frühe Jugendphase: die 12–17-Jährigen in der pubertären Phase

 

mittlere Jugendphase: die 18–21-Jährigen in der nachpubertären Phase

 

späte Jugendphase: die 22–27-Jährigen in der Übergangszeit zur Erwachsenenrolle (Hurrelmann 2004).

 

Im Unterschied zur Kindheit wird in der Jugendzeit eine Bewältigung der Aufgaben und Anforderungen nur dadurch möglich, dass sich der Jugendliche von den zentralen Bezugspersonen, meist Vater und Mutter, innerlich ablöst und eine Autonomie der Persönlichkeitsorganisation aufbaut.

 

Die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben steht im Jugendalter im Vordergrund. „Unter einer Entwicklungsaufgabe werden die psychisch und sozial vorgegebenen Erwartungen und Anforderungen verstanden, die an Personen in einem bestimmten Lebensabschnitt gestellt werden. Die Entwicklungsaufgaben definieren für jedes Individuum die vorgegebenen Anpassungs- und Bewältigungsschritte, denen es sich bei der Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Anforderungen stellen muss.“ (Havighurst 1956, 1982, in: Hurrelmann 2004, S. 27).

 

Entwicklungsaufgaben können ineinander übergehen.

 

Für die Jugendphase lassen sich vier zentrale Entwicklungsaufgaben benennen:

 

1. Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, um eigenverantwortlich schulischen und später beruflichen Abforderungen nachzukommen. Ziel ist es, eine berufliche Erwerbsarbeit aufzunehmen und dadurch die Basis für eine selbständige Existenz als Erwachsener zu sichern.

2. Entwicklung des inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit, Akzeptieren der veränderten körperlichen Erscheinung, Aufbau einer sozialen Bindung zu Gleichaltrigen des eigenen und des anderen Geschlechts, Aufbau einer heterosexuellen oder homosexuellen Partnerbeziehung, die in der Regel die Basis für eine Familiengründung bilden kann.

3. Entwicklung selbständiger Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes einschließlich der Medien und der Fähigkeit zum Umgang mit Geld, mit dem Ziel, einen eigenen Lebensstil und einen kontrollierten und bedürfnisorientierten Umgang mit den Freizeitangeboten zu entwickeln.

4. Entwicklung eines Werte- und Normsystems und eines ethischen und politischen Bewusstseins, das mit dem eigenen Handeln und Verhalten übereinstimmt, so dass die verantwortliche Übernahme von gesellschaftlichen Partizipationsrollen als Bürger im kulturellen und politischen Raum möglich wird.

 

(Hurrelmann 2004)

 

Aus psychologischer Sicht ist Jugend als eigenständige Lebensphase anzusehen, weil durch die Bewältigung elementarer Entwicklungsaufgaben ein Prozess der selbständigen und selbstbewussten Individuation einsetzt und zu einem vorläufigen Abschluss kommt. Unter Individuation versteht man die Entwicklung einer besonderen, einmaligen und unverwechselbaren Persönlichkeitsstruktur. Dadurch wird das Individuum in die Lage versetzt, sich durch selbständiges, autonomes Verhalten mit seinem Körper, seiner Psyche und mit seinem sozialen und physischen Umfeld  auseinander zu setzen.

 

Individuation ist verbunden mit der Entwicklung der Identität, des Empfindens und Erlebens situations- und lebensgeschichtlicher Kontinuität.

 

„Identität ist das Erleben des Sich-Selbst-Gleichseins“ (Krappmann 1979, in: Hurrelmann 2004, S. 30).

 

Individuation und Identität gelingen nur, wenn die vier genannten Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, aufeinander bezogen, gelöst werden.

 

Die Prozesse Individuation und Integration kommen im Jugendalter zu einem zumindest vorläufigen ersten Abschluss. Sie bilden damit die Basisstruktur für spätere Weiterentwicklungen und Umformungen (Seiffge-Krenke 1995, in: Hurrelmann 2004).

 

Aus soziologischer Sicht steht die Frage im Vordergrund, in welchem Grad und in welchen Bereichen der Prozess der Übernahme von verantwortlichen gesellschaftlichen Mitgliedsrollen erfolgt. Die Jugendphase ist der schrittweise Übergang von der unselbständigen Kindheit in die selbständige Erwachsenenrolle. Man spricht von einem Positionsübergang (Statuspassage).

 

Für alle vier psychologischen genannten Entwicklungsaufgaben lässt sich aus soziologischer Sicht die Erweiterung des Handlungs- und Rollenspektrums benennen (Hurrelmann 2004).

 

1. Leistungsbereich: Die Erfüllung der ersten Entwicklungsaufgabe, die das Ziel hat, eine berufliche Erwerbsarbeit aufzunehmen und dadurch die Existenz zu sichern, ist nur möglich, wenn die individuellen Leistungskompetenzen anwachsen. Der Übergang vom Kindesalter in das Jugendalter ist dadurch charakterisiert, dass die Lernleistungen unabhängig von ihren Eltern erbracht, auf einem immer komplexeren und anspruchsvolleren Niveau  ablaufen. Der Übergang erfolgt in qualitativen Sprüngen. Im Normalfall führen diese zu einer selbständigen Bestimmung der eigenen Leistungsfähigkeit und zu Verantwortung für das Ergebnis der Schullaufbahn.

2. Familienablösung und Gleichaltrigenkontakte: Die psychologische Entwicklungsaufgabe „Ablösung von den Eltern“ hat ihren soziologischen Bezug in einer Verselbständigung der sozialen Kompetenzen und Kontakte und in einer Anreicherung des sozialen Rollengefüges. Die größte Unterstützung bei der Ablösung von der Herkunftsfamilie leistet die Gleichaltrigengruppe, da sie sich in der gleichen Situation befindet.

3. Konsum- und Warenmarkt: Gleichaltrige bieten auch Unterstützung bei der Bewältigung gesellschaftlicher Anforderungen im Konsum- und Warenbereich. Der heutige Konsumsektor bietet eine Vielzahl von Medien, die so verlockend wirken, dass klare Handlungsmuster notwendig sind. Erste Schritte im Umgang mit diesem Markt werden bereits im Kindesalter gelernt.

4. Ethische und politische Orientierung: Im Jugendalter erfolgt ein Schritt zur Selbständigkeit der ethischen, wertgesteuerten, moralischen und politischen Orientierung und zur Mitgestaltung in wichtigen öffentlichen Räumen. Eine Selbstdefinition des sozialen und des politischen (Bürger)Status ohne direkten Einfluss der Eltern ist möglich.

 

Der Statusübergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen gilt dann als vollzogen, wenn folgende Rollen erreicht und übernommen wurden:

 

die Berufsrolle als ökonomisch selbständig Handelnder

 

die Partner- und Familienrolle als verantwortlicher Familiengründer

 

die Konsumentenrolle einschließlich der Nutzung des Mediensektors

 

die Rolle als politischer Bürger mit eigener Wertorientierung.

 

Sind die vier psychologischen Entwicklungsaufgaben bewältigt und damit in allen relevanten Handlungsbereichen ein dem Erwachsenenstatus entsprechender, zumindest weit reichender Grad der Autonomie und Eigenverantwortlichkeit des Handelnden erreicht, ist der Übergang in das Erwachsenenalter vollzogen.

 

Die tatsächliche Struktur der Statusübergänge weicht heute in westlichen Industriestaaten vom Idealtyp ab.

 

Folgende Abweichungen fallen auf:

 

Für einen Teil der Jugendlichen ist die ökonomische Selbstversorgung nicht möglich, weil keine Erwerbsarbeitsplätze zur Verfügung stehen. Andere hingegen verdienen schon in der Schulzeit Geld mit legalen oder illegalen Tätigkeiten, für die sie nicht ausgebildet sind.

 

Bei vielen Jugendlichen gehören Heirat und eigene Kinder nicht mehr in die Lebensplanung.

 

Durch den frühen Umgang mit Geld können sich Jugendliche, ohne dass sie rechtlich gesehen voll geschäftsfähig sind, den Konsum- und Freizeitmarkt erschließen.

 

Für die politische Beteiligung gilt Ähnliches. Formal kann sie erst mit dem Erlangen des Wahlrechts ausgeübt werden, aber faktisch wirken Jugendliche auch schon davor an der Gestaltung in öffentlichen und privaten Lebensbereichen mit (Hurrelmann 2004).

 

Wie bereits erwähnt, weicht der Übergang in das Erwachsenenalter heute stark von traditionellen Mustern ab. Typisch für die Jugend ist, dass sie im Bereich der Konsumbeteiligung und politischen Partizipation schon sehr früh in die Rolle des Erwachsenen einrücken kann, im Bereich der Familienrolle und der Erwerbstätigenrolle hingegen sehr spät, teilweise gar nicht den Erwachsenenstatus erreicht.

 

Allgemein kann man davon ausgehen, dass es zu krisenhaften Belastungen im Jugendalter kommt, wenn der...

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