2 Theorien und Modelle zur Integration von Arbeit und Lernen
2.1 Theoretische Zugänge zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens
Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, findet arbeitsorientiertes Lernen sowohl direkt in Arbeitsprozessen als arbeitsintegriertes Lernen als auch in speziell gestalteten Lernumgebungen als arbeitsbezogenes Lernen statt. Diese breite inhaltliche Auslegung macht deutlich, dass es die Theorie zur Erklärung und Beschreibung arbeitsorientierten Lernens nicht geben kann. Vielfältige theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen der Psychologie können herangezogen werden, um das Verständnis von Lernprozessen, sowohl arbeitsintegrierten als auch arbeitsbezogenen, in Organisationen zu verbessern. Theoretische Modelle der Instruktionspsychologie sowie arbeits-, personal- und organisationspsychologische Konzepte liefern Ansatzpunkte zur Erklärung und Beschreibung arbeitsorientierten Lernens (vgl. Tab. 2.1).
Die in der Tabelle aufgeführten Konzepte unterscheiden sich in ihren Akzentuierungen, hinsichtlich der Auslösung und Intention des Lernens, der Lerninhalte und Lernergebnisse sowie modellierter lernrelevanter Prozesse und Strukturen im Arbeitskontext.
Werden Fragen nach Auslösern bzw. der Intention von Lernprozessen in Organisationen gestellt, so finden sich als Kriterien die Verbesserung der Arbeitsleistung (z. B. arbeitsimmanentes Lernen), die Anpassung an veränderte Anforderungen der Arbeit (z. B. Anpassung bei der Arbeit), das Eröffnen von Karriereperspektiven (z. B. karrierebezogenes kontinuierliches Lernen, karrierebezogenes Selbstmanagement), die Umsetzung arbeitsbezogener Verbesserungen (z. B. taking charge) oder die Entwicklung der beruflichen Identität (z. B. job crafting oder organisationale Sozialisation). Aus der Perspektive der eigentlichen Lerninhalte oder Lernergebnisse zeigen sich deutliche Unterschiede in den Schwerpunktsetzungen der verschiedenen Theorien. Die betrachteten Ergebnisse reichen von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (situiertes Lernen, Beobachtungslernen), über Einstellungen, Motive und Werte (arbeitsimmanentes Lernen, Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen) bis hin zur beruflichen Identität (job crafting, organisationale Sozialisation).
Tab. 2.1: Auswahl theoretischer Konzepte zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens
Ansatz | Lernrelevante Prozesse und Strukturen | Lernergebnis/Lernintention |
Arbeitspsychologische Theorien |
Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen (Hacker, 2005; Volpert, 1985) | Sensibilisierung der Sinnessysteme, Psychische Automatisierung, Verbalisierung, Intellektuelle Durchdringung | Ausdifferenzierte psychische Regulationsgrundlagen |
Arbeitsimmanentes Lernen (Baitsch, 1998; Bergmann, 1996; Frei, Duell & Baitsch, 1984) | Auseinandersetzung mit Arbeitsaufgabe, Technik und sozialem Umfeld | Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Einstellungen, Werte (= Kompetenzen) |
Instruktionspsychologische Theorien |
Situiertes und problemorientiertes Lernen (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001) | Lernen als aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver und sozial verankerter Prozess | Transferfähiges Wissen Teilhabe an einer Expertengemeinschaft |
Beobachtungslernen (Bandura, 1977) | Aufmerksamkeitsprozesse, Behaltensprozesse, motorische Reproduktionsprozesse, Motivationsprozesse | Aneignung und Ausführung von Modellverhalten |
Selbstgesteuertes Lernen (Friedrich & Mandl, 1997; Schiefele & Pekrun, 1996) | Strukturelle und prozessuale motivationale und kognitive Komponenten | Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen |
Personalpsychologische Theorien |
Karrierebezogenes kontinuierliches Lernen (London & Smither, 1999) | Lernvorbereitung, Lernphase, Anwendungsphase | Karriererelevante Kompetenzen Eröffnen von Karriereperspektiven |
Karrierebezogenes Selbstmanagement (Kossek, Roberts, Fisher & DeMarr, 1998) | Einholen von entwicklungsorientiertem Feedback Vorbereitung auf Karrieremöglichkeiten | Aktives Gestalten der eigenen Karriere Verbesserte Beschäftigungschancen |
Job crafting (Wrzesniewski & Dutton, 2001) | Veränderung aufgabenbezogener, kognitiver und sozialer Grenzen der Arbeit | Verändertes job design Entwicklung beruflicher Identität |
Taking charge (Wolfe, Morrison & Phelps, 1999) | Veränderung von Aufgaben, Prozessen, Strukturen und Rollendefinition | Implementation von arbeitsbezogenen Verbesserungen |
Organisationspsychologische Theorien |
Anpassung bei der Arbeit (Chan, 2000a, b) | Adaptive Expertise Flexible Situations-Verhaltens-Kombinationen Lernzielorientierung | Erfolgreiche Anpassung an veränderte Arbeitsanforderungen |
Organisationale Sozialisation (Heinz, 1998; Moser, 2004) | Fremd- und Selbstselektion Auseinandersetzung mit sozialer und kultureller Umwelt | Normen, Werte, Identität |
Auch in der Charakterisierung der lernrelevanten Prozesse und Strukturen zeigen sich verschiedenartige Zugangsweisen der Konzepte. In einigen Ansätzen werden konkrete lernrelevante Verhaltensweisen von Lernenden benannt (karrierebezogenes kontinuierliches Lernen, job crafting oder karrierebezogenes Selbstmanagement), andere Ansätze konzentrieren sich eher auf grundlegendere Prozesse der Informationsverarbeitung (Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen) bzw. auf motivationale Prozesse und Strukturen (Beobachtungslernen, selbstgesteuertes Lernen).
Betrachtet man die verschiedenen Theorien im Vergleich, so fällt auf, dass sowohl im Grad der Elaboration als auch in der Anwendungsbreite deutliche Unterschiede bestehen. So zählen beispielsweise die Theorie des Beobachtungslernens oder die Handlungsregulationstheorie zu den hoch elaborierten Ansätzen. Dagegen haben Ansätze wie job crafting oder taking charge den Charakter von Modellbildungen. Eine hohe Anwendungsbreite besitzen die Ansätze zum situierten und problemorientierten Lernen. Theorien zum situierten oder problemorientierten Lernen können beispielsweise als...