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Arzt werden

Eine Erzählung über Studenten und Ärzte

AutorErich Schröder
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783744825481
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Wie fühlt es sich an, vor 20 jungen und neugierigen Medizinstudenten und Studenten zu stehen, um ihnen etwas aus der eigenen Lebenserfahrung für ihren Arztberuf mitzugeben? Dr. med. Erich Schröder, Ingenieur, Arzt, Journalist und Lebenskünstler wollte es genau wissen. Und das Experiment wurde zu einer richtigen Erfolgsgeschichte! Zwar hatten die jungen Studierenden meist ganz andere Erwartungen an ein Seminar mit dem Titel 'Grundzüge ärztlichen Denkens und Handelns'. Aber nach einer ersten Überraschungsphase konnten sie von den vielen kleinen und großen, erfreulichen und schmerzhaften Erlebnissen, Anekdoten und Erfahrungen aus dem Leben eines Arztes in seiner Hausarztpraxis und anderen ärztlichen Tätigkeiten kaum mehr genug bekommen. Ihnen eröffnete sich eine menschliche und meist heitere Seite des Arztberufes neben der wissenschaftlichen Medizin. Statt einer Vorlesung gab es viele Geschichten, aber auch Gedanken über das heute schwieriger gewordene ökonomische und rechtliche Umfeld der ärztlichen Tätigkeit. Der Autor und Dozent aus Leidenschaft führt diese Eindrücke in einer Erzählung zusammen, die nicht zuletzt dem Respekt vor großen ärztlichen Vorbildern gewidmet ist.

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Leseprobe

Ankunft in Berlin mit einem Auftrag


Mein erster Kurstag an der Charité begann in diesem Semester erst um 16 Uhr und zum Glück hat das Flugzeug mich rechtzeitig in Berlin abgesetzt – ich musste ja aus Düsseldorf dorthin und nahm die „Luftbrücke“. Das Flugzeug ist – frühzeitig gebucht – nicht nur das schnellste, sondern auch das preisgünstigste Verkehrsmittel auf dieser Strecke. Wie die meisten treuen Lufthansa-Flieger bin ich allerdings nicht gut darauf zu sprechen, dass man uns Düsseldorfer kurzerhand von der Lufthansa abgekoppelt und mit der Billigfluglinie Germanwings bestraft hat. Wir sind hier alle der Auffassung, dass wir das nicht verdient haben.

Der TXL-Bus vom Flughafen Tegel (TXL) nach Berlin-Mitte ist oft unpünktlich und meist auch sehr voll, aber er fährt in kurzen Abständen und ist eine selten günstige Anbindung einer Großstadt an einen Flughafen. Bis zum Karlplatz, wo bereits das vom Bildhauer Fritz Klimsch 1910 geschaffene Denkmal von Robert Virchow auf die nahegelegene Charité hinweist, fährt der TXL gut 20 Minuten und von dort sind es noch vielleicht 5 Minuten Fußweg auf der Luisenstraße bis zu den wichtigsten Gebäuden der Charité, die links und rechts entlang der Straße liegen. Vorbei geht es am Haus Nr. 57, wo Robert Koch im damaligen Kaiserlichen Gesundheitsamt tätig war, eine Gedenktafel erinnert heute daran. Schließlich passiert man auf der rechten Seite das erst 1982 erbaute 21-Etagen-Bettenhaus, ein markantes Gebäude in der Berliner Stadtsilhouette. Danach endet die Luisenstraße auf dem Robert-Koch-Platz mit dem Denkmal des berühmten Arztes und dem anschließenden Platz vor dem neuen Tor. Das Robert-Koch-Denkmal wurde 1916 von Louis Tuaillon in Carrera-Marmor gestaltet.

Aber bevor ich mich wieder einmal auf ein weiteres Semester in den Hörsaal im Robert-Koch-Haus wagte, wollte ich in der Nähe der Charité noch etwas essen. So begab ich mich zum chinesischen Schnellimbiss in der Luisenstraße, wo es ein leckeres Entengericht gibt, wie ich schon einmal ausgetestet habe. Zwar weiß ich als Arzt gesundes Essen zu schätzen, andererseits bin ich auch Journalist über gesundheitspolitische Themen und muss daher oft die schnelle Küche nehmen, wenn ich rechtzeitig am „Ort des Geschehens“ zu sein. Und heute habe ich wieder einmal das Glück und die Ehre, junge Mediziner in dem Haus unterrichten zu dürfen, in dem schon Robert Koch gewirkt hat. Um ihnen vom „Abenteuer Arztleben“ zu erzählen, reise ich eigens aus meiner Heimatstadt hierher.

Ein ehrwürdiges Haus mit Schweißgeruch

Die Ehre, in einem historisch so bedeutsamen Gebäude unterrichten zu dürfen, hat natürlich auch ihren Preis. Der erste Eindruck erweckt das Gefühl, dass hier in Gedenken an Robert Koch kein Handwerker mehr den Meißel an den Putz gelegt hat. Das mag übertrieben klingen, aber wer moderne Konferenzräume gewohnt ist, der wird sich ein Jahrhundert zurückversetzt fühlen. Mein Kurs war immer auf 20 Teilnehmer limitiert und fand in einem kleinen Seminarraum statt, wo man eng zusammenrücken musste, wenn 20 Personen Platz finden sollten. Alte Zweifach-Holzfenster mit kleinen Scheiben in Richtung der viel befahrenen Luisenstraße sorgten – sofern geschlossen – immerhin für passablen Schallschutz. Eine Klimaanlage kannte Robert Koch natürlich noch nicht, und auch nachträglich befand man eine solche Einrichtung offenbar als inkompatibel mit dem Gesicht der historischen Stätte. Jedenfalls hat man hier regelmäßig die Wahl zwischen Autolärm bei geöffneten und Schweißgeruch bei geschlossenen Fenstern, was manche Zwangslüftungspause erforderlich macht.

Ärzte und Ökonomen – wer managet wen?

Doch wie kam ich überhaupt dazu, in diesem Gebäude über das aufregende Leben als Arzt plaudern zu dürfen? Nun, offenbar befand man, dass man sich in unserer turbulenten Zeit mit über hundert medizinischen Nebenzweigen wieder aufs Wesentliche konzentrieren sollte, weshalb an der Universität der Lehrbereich „Grundzüge des ärztlichen Denkens und Handelns“ entstand. Ich durfte dort über die „Medizinische Versorgung in Zeiten knapper Kassen“ reden. Das Thema hört sich nach einem betriebswirtschaftlichen Sparkurs an und den gibt es auch in der Tat. Dafür gibt es inzwischen eine zunehmende Anzahl von medizinischen Kalkulationsakrobaten, die sich irgendwo zwischen Ökonomie, Management und Politik bewegen. Inzwischen haben wir zwar einen erheblichen Mangel an Ärzten und Krankenschwestern, dafür aber eine wahre Schwemme von diesen neuen Gesundheitswissenschaftlern, die sich scheinbar alle vorgenommen haben, unser Gesundheitswesen von Grund auf neu zu organisieren. Die eigentlich wichtigste Beziehung im Gesundheitssystem, nämlich die zwischen Patient und Arzt, gerät dabei leicht in den Hintergrund. Der Patient wird dann zum Kunden in einem Dienstleistungsbetrieb, was mich bei einem Vortrag dazu verleitet hat, ein altes Indianerzitat wie folgt abzuwandeln:

„Erst wenn alle Patienten Kunden sind, wenn alle Ärzte durch Manager ersetzt sind, wenn jedes Wort nach Kosten und Nutzen bewertet und jeder Furz evidenzbasiert geblasen wird, dann werden die Menschen merken, dass Gesundheitsmanagement nicht gesund, sondern krank macht.“

Natürlich ist das etwas polemisch, aber es fand spontanen Beifall und löste eine Diskussion aus. Und lesen wir nicht immer wieder Klagen von Patienten, Krankenschwestern und Ärzten über schlimme Zustände in Kliniken, wo massiv an Personal gespart wird? Pflegemängel und Behandlungsfehler sind oft die Folge, wenn eine Klinik allzu streng nach wirtschaftlichen Kriterien geführt wird. Auch der Deutsche Ethikrat hat sich bereits in einem ausführlichen Gutachten mit diesem Problem auseinandergesetzt. Dabei teile ich durchaus die Auffassung, dass der extrem komplexe Moloch des deutschen Gesundheitswesens geradezu nach mehr Management schreit. Ob dies allerdings von frischgebackenen Bachelors gestaltet werden sollte, die – meist jung und gesund – das komplexe Beziehungsgeflecht um Krankheit und Medizin bestenfalls vom Hörensagen kennen, wage ich doch sehr zu bezweifeln. Ein intelligenter Rat sollte natürlich immer willkommen sein, allerdings wollen diese Manager und Ökonomen auch gut bezahlt werden, was die Kosten des Systems erst einmal steigen lässt.

Der Arzt und die Gesundheitsmanagerin – gute Freundschaft geht trotzdem!

An dieser Stelle möchte ich eine gute Freundin erwähnen, nennen wir sie Jana. Als Jana mich das erste Mal anrief, war sie noch Ökonomiestudentin und brauchte für eine Seminararbeit Informationen über die ökonomischen Strukturen im Gesundheitswesen. Ich lud sie zu einem meiner Vorträge ein, wo Arzneimittelverordnungen und ihre Kosten im Fokus der Diskussion standen. Sie saß mit mir auf dem Podium und staunte über den Eifer der Ärzte in der Diskussion. Dabei lernte sie ihr ziemlich fremde Argumente kennen: Nie hätte sie vorher gedacht, dass ein Arzt für die Kosten seiner Verordnungen, an denen er selbst nichts verdient, von den Krankenkassen in Regress genommen werden kann. Aber schon bald mischte sie sich in die Diskussion mit ein. Es war der Beginn einer Freundschaft, in der ich anfangs die Rolle eines Mentors einnahm, aber recht bald holte sie mächtig auf. Ich verfolgte mit Freude ihr Diplom, die Promotion und später auch die Habilitation. Zwischendurch lernte und forschte Jana in den USA weiter, im „Homeland of Managed Care“. Als Junior Professor in den USA erhielt sie bald auch den Ruf einer deutschen Hochschule, um dort als Professorin zu forschen und lehren. Und wir diskutieren weiter – und wie! Ihre Managementlehre und mein eher konservatives ärztliches Berufsbild sind oft wie Feuer und Wasser, was unsere regelmäßigen Treffen und Diskussionen nie langweilig werden lässt und unsere Freundschaft weiter vertieft. Besonders intensiv verläuft unsere Diskussion immer bei den Themen Entscheidungsspielraum des Arztes und ärztliche Honorare. Regelmäßig wehre ich mich dann dagegen, die ärztliche Entscheidungsfreiheit einem kaufmännisch orientierten Manager oder Geschäftsführer unterzuordnen oder das ärztliche Honorar an einen wie auch immer definiertes Behandlungsergebnis zu knüpfen. Was in einer Autowerkstatt vielleicht ganz gut funktioniert lässt sich eben nach meiner Auffassung nicht auf die ärztliche Tätigkeit übertragen. Es würde an der Vielfalt der menschlichen Individualität scheitern, jeder Patient ist anders und jeder Fall ist anders.

An einem warmen Sommerabend saßen wir in Köln in einem Bistro auf der Straße und redeten. Als Jana einmal kurz verschwand, sprach mich ein älterer Herr, ein bekannter Rundfunkjournalist, vom Nebentisch aus an: „Was sind Sie beide für ein tolles Paar! Sie reden hier schon eine Stunde miteinander und haben noch nicht einmal auf Ihr Smartphone geschaut.“ In der Tat, auf die Idee, während dieses Gesprächs mit dem Smartphone zu spielen, wären wir nicht gekommen....

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