II
Spuren – Wege und Irrwege: Zur Vorgeschichte
A. Spuren der Geschichte geistig-kultureller Relativierung in Deutschland:
1. Aufsatz: Die großen Kulturrevolutionen und ihre Integration
Die Verabsolutierung von ideologischen Relativierungen sind letztendlich auch nur “Windhauch und Luftgespinst“.
Die großen Kulturrevolutionen und ihre Integration
Während der vergangenen fünfhundert Jahre hat unsere Welt unter anderen fünf bedeutsame Revolutionen durchlaufen, die bis heute nachwirken und zwar folgende:
Reformation
Marxismus
Nationalismus
Gegenkulturrevolution
Kulturrevolution
Wahrscheinlich wäre der Begriff Regression in vieler Hinsicht angebrachter, wenn man das Unheil bedenkt, das diese fünf Ideologien verursacht haben und auch heute noch weltweit tun. Die Ideen die durch sie in die Welt gesetzt wurden, leben weltweit fort und verursachen, gleich einem Virus, weltweiten Schaden bei all den Menschen und Kulturen, die situationsbedingt anfällig dafür sind. Ein Organismus ist für ein Virus anfällig, wenn er nicht genügend Abwehrkräfte hat. Die Abwehrkräfte bestehen hier, vergleichbar mit einer prophylaktischen Impfung oder in einer digitalen Systemumgebung, einer aktualisieren Antivirussoftware, die die neuesten Mutationen und Entwicklungen des Virus erkennt und Antikörper oder dafür bereitstellen kann, in einer geistigen Disposition die die mentalen Mechanismen entlarvt und davor schützen kann, daß man in ihren Sog mit den oft irreversiblen Konsequenzen gezogen wird.
Alle haben große Menschenopfer gefordert gleich einem heidnischen Gott, der einen unersättlichen Hunger nach Menschenopfer hat. In der Tat, der Gott ist hier kein persönlicher oder ein übernatürliches Prinzip, das es zu besänftigen gilt, aber doch ein abstraktes mentales Prinzip, das verabsolutiert, also nicht vergöttlicht, sondern vergötzt wird. Somit sind sie alle Formen des Götzentums, und insofern eine heidnische Regression. Das klingt schmerzlich in den Ohren von Menschen die all ihre Hoffnung auf diese Götzen gesetzt haben und häufig und millionenfach mit ihrem Leben dafür bezahlt haben.
Sie haben allein im zwanzigsten Jahrhundert vielleicht ebensoviele Menschenleben gefordert, wie das vereinte Deutschland Einwohner hat. Sie basierten auf dem Prinzip des Götzentums und waren dialektische Pendelgegenbewegungen zum Status Quo im Bereich des Religion, der Politik und der Kultur: enormer Kollateralschaden eines Götzentums, das auf mentalen Mechanismen beruhte und nicht durch den Überlebenskampf mit einer unbeherrschbaren Naturgewalt höher Ordnung bedingt war, sondern eher auf der ebenso unbeherrschbaren und noch verheerenderen Naturgewalt des Mentalen des Menschen gründete. Heidnisch, weil die Götzen nicht externalisiert, sondern internalisiert, aber den denselben Absolutheitsanspruch hatten und keinen anderen Götzen neben sich duldeten.
Der Mensch hat einen strukturellen und funktionellen Bedarf nach geistiger und seelischer Integration in einem Einheitsprinz, äußerlich, wie innerlich. Er verabsolutiert das äußere, um seine innere Integration und Einheitserfordernis, seine Widerspruchsfreiheit, deren permanente Spannung er nicht ertragen würde, zu realisieren.
Es erhebt sich die Frage, wie der Mensch die alles überragende Bedingung der inneren Konsistenz und Widerspruchsfreiheit, die seine geistig, psychosomatische Einheit gewährleistetet auf einem Weg erreichen kann, die nicht dialektischer Natur ist und keine Pendelbewegung von konkurrierenden Kräften initialisiert, die alle ihre Ideologien verabsolutieren wollen, in der Hoffnung die strukturell, funktionelle Integration ihres gesamten Wesens dadurch zu erlangen. Diese wird sehr oft höher bewertet als der Wert des Lebens selbst. Doch auf dem Weg der Reaktion und Gegenreaktion gibt es nur Relatives. Und solange das Absolute im Relativen zu finden gehofft wird, schwingt das Pendel von Reaktion und Gegenreaktion weiter und weiter durch die Jahrhunderte, durch ganze Zeitalter, ja selbst durch die gesamte bekannte Menschheitsgeschichte.
Wie kann dieses Pendel der dialektischen Götzenverabsolutisierung, das seinen gesetzmäßigen retrospektiv verifizierbaren und vorhersehbaren Tribut fordert, ins Lot gebracht und das Prinzip der dialektischen Reaktion und Gegenreaktion, die einen endlosen Kreislauf bilden, gesteuert und beherrscht werden? Das ist die Frage, die sich unter dem Strich, als Bilanz der Erkenntnis aus der Analyse und Betrachtung der verschiedenen Revolutionen ergibt, die aber alle dem einen und demselben Prinzip gehorchen, also einer Gesetzmäßigkeit? Es handelt sich nicht um eine äußere Gesetzmäßigkeit, sondern um eine Gesetzmäßigkeit des menschlichen Geistes mit dramatischen Folgen in der äußeren Welt. Die tatsächliche Ursache der Revolutionen liegt nicht im Äußeren, dort liegen nur die auslößenden Motive, sondern in den mentalen Prozessen als Reaktion auf die vermeintlichen Ursachen.
Wie kann der Mensch sein Bedürfnis und somit die Erfordernis einer Gesamtintegration bei gleichzeitiger Beherrschung der Dialektik stillen und erlangen? Das wäre eine konstruktive metarevolutionäre Frage:
Es ist eine Frage der Steuerung der vermeintlichen revolutionären Prozesse, so, daß der dialektische Kreislauf der endlosen Reaktion und Gegenreaktion aufgehoben und die innere Einheit und Widerspruchsfreiheit gewährleiste, und somit kein weiterer pseudorevolutionärer Bedarf mehr besteht. Dies erfordert eine Betrachtung des menschlichen Geistes, um die den Mechanismen zugrundeliegenden Prinzipien zu erforschen, zu erkennen und zu steuern.
Die Pendelbewegung, die durch die Reformation, den Marxismus und den Nationalismus und den heutigen religiös-kulturellen „Kulturalismus“ ausgelöst wurden, pflanzen sich gleich Wellen auf dem Meer der Menschheitsgeschichte endlos fort, verursachen selbst Tsunamis, wenn das geologische Fundament zusätzlich erschüttert wird und noch tiefere strukturelle Schichten des Menschen als die ideologischen bewegt werden. Dann kann es zu verheerenden Verwüstungen und Kriegen kommen
Das Auftreten von Tsunamis im Zeitalter der Phase des Kulturalismus (Kulturkampf und religiöser Fundamentalismus), der kulturell und religiös bedingten Konflikte, ist eine interessante Parallele. Beide sind fundamental. Der Tsunami ist durch das Fundament des Meeres bedingt und erfährt dadurch eine Potenzierung. Der kulturell-religiöse Fundamentalismus ist deshalb fundamental, weil er eine extreme Form einer Ideologie ist die gleichermaßen verheerende Konsequenzen hat und deren Wirkungs- und Ausbreitungsgrad unüberschaubar ist und gleich den Tsunamis ganze Teile der Erde verwüsten kann, besonders jene, deren Lage sehr exponiert und daher gefährdet ist, das heißt, keinerlei höher gelegene für die Flutwelle unerreichbare Erhebungen hat. Ebenso erfordert der Schutz gegen den sogenannten Fundamentalismus eine geistig höhere Positionierung, die für den fundamentalen kulturell-religiösen Fanatismus unanfällig macht; eine höhere geistige Verankerung. Und das gilt auch die anderen Formen der revolutionären, verabsolutierenden Götzenverehrung von Ideologien sozialer, politischer, kultureller und religiöser Art. Demnach wäre die Frage dahingehend umzuformulieren, wie sich der Mensch eine geistige Plattform errichten und sich im Meer der endlosen dialektischen Prozesse so verankern kann, daß der nicht von den Wellen erfaßt und mitgerissen werden kann, denn diese haben kein Ende. Sie transzendieren den Menschen um zahllose Generationen, pflanzen sich in die Endlosigkeit fort, wo doch der Mensch als Krone der Schöpfung so ausgestattet ist, daß er alles, inklusive sich selbst, beherrschen könnte.
Die Dialektik ist endlos, der Mensch dagegen ist endlich. Seine eigene materielle Endlichkeit sollte ihm schon angesichts des ihn überdauernden Meeresgetöses zur Vorsicht mahnen. Gleich einer Welle wird er in der Flut verschwinden. Doch das Spiel der Wellen und Ideologien wird nie enden, sondern nimmt nur stets neue Formen an.
Die ideologischen Dialektiken reihen sich in eine endlose Schnur von Dialektiken mit zahllosen Perlen größerer oder kleinerer Umbrüche und Paradigmenwechsel bis hin zu den historischen Revolutionen ein. Das Prinzip der Perlenschnur oder Perlenkette ist ein Kette, die schicksalhaft um des Menschen Hals gelegte Kette, eine Schlinge, in der er gefangen ist und die ihn bisweilen zu ersticken droht. Von dieser Perlenkette scheint es kein Entrinnen zu geben. Das ist die condition humaine. Die zentrale Frage ist daher, ob es eine Möglichkeit gibt, den Hals aus der Schlinge zu ziehen und die Perlenschur, die ja eine Schlinge ist, abzulegen und sie in die Schmuckschatulle der Evolutionsgeschichte abzulegen. Kann die Endlosschleife durchbrochen werden, das Programm des menschlichen Geistes, der in einer dialektischen Endlosschleife...