Kapitel 2
Strahlung
2.1 Das elektromagnetische Spektrum
Ein entscheidender Unterschied zwischen Laborphysik und Astrophysik besteht darin, dass die Astronomen nicht – wie im aktiv gesteuerten Laborexperiment – die untersuchten Objekte gezielten Experimenten unterwerfen können. Sie müssen vielmehr passiv beobachtend verfolgen, welche „kosmischen Experimente“ ihnen gerade angeboten werden. Wichtigste Informationsquelle über astronomische Objekte oder Vorgänge ist die von diesen Objekten ausgesandte oder von ihnen beeinflusste elektromagnetische Strahlung. Es handelt sich dabei um elektrische und magnetische Wechselfelder, die sich wellenförmig ausbreiten. Dieser Wellencharakter der Strahlung zeigt sich z. B. in den Interferenzerscheinungen. Bei atomaren Absorptions- oder Emissionsprozessen dagegen erweist sich der Teilchencharakter der Strahlung, die man sich dann aus einzelnen Lichtquanten, den Photonen, bestehend denkt.
Elektromagnetische Strahlung breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, deren Wert im Vakuum eine fundamentale Naturkonstante darstellt. Die Wellenlänge λ bzw. Frequenz ν hängen über die Beziehung
(2.1)
miteinander zusammen.
Die Frequenz wird als Zahl von Schwingungen pro Sekunde ausgedrückt. Die Grundeinheit, eine Schwingung pro Sekunde, ist das Hertz Hz; größere Frequenzen werden häufig in Einheiten von 1 MHz = 106 Hz oder 1 GHz = 109 Hz angegeben. Die Wellenlänge wird je nach Bereich in m, cm, nm usw. ausgedrückt. Oft findet man auch noch die Einheit 1 Å = 1 Ångström = 0.1 nm. Die Umrechung von λ in ν und umgekehrt ist leicht über Gl. (2.1) möglich. Beispielsweise hat im optischen Spektralbereich rotes Licht mit λ = 6000 Å = 600 nm = 6 ⋅ 10−7 m die Frequenz ν = 5 ⋅1014 Hz; im Radiobereich entspricht einem λ = 21 cm die Frequenz ν = 1.4 GHz.
Der Energiegehalt eines einzelnen Photons im Teilchenbild entspricht unmittelbar der Wellenlänge bzw. Frequenz der Strahlung im Wellenbild über die Beziehung
(2.2)
wobei h das Plancksche Wirkungsquantum darstellt. Eine für die Beschreibung von Photonenenergien sehr gebräuchliche Einheit ist das Elektronenvolt (eV), wobei 1 eV = 1.6 ⋅ 10−19J. Damit beträgt die Energie eines Photons des sichtbaren Lichts bei λ = 600 nm ziemlich genau hν = 2 eV, während Röntgenstrahlung von hν = 1 keV einer Wellenlänge von 1.2 nm entspricht.
Das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung umfasst etliche Zehnerpotenzen, von meterlangen Radiowellen bis hin zu extrem hochenergetischen Gammateilchen. Einen Überblick über die verschiedenen Bereiche des Spektrums gibt Abb. 2.1, wobei die Grenzen der einzelnen Bereiche natürlich nicht scharf gezogen sind, sondern Konventionen wiedergeben. Teilweise beruht die Trennung einfach auf den unterschiedlichen verwendeten Messtechniken.
Abb. 2.1 Wellenlängen λ und Frequenzen ν in den verschiedenen Spektralbereichen der elektromagnetischen Strahlung.
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts waren astronomische Beobachtungen fast ausschließlich auf den winzig schmalen Bereich des sichtbaren Lichts (350 nm λ 800 nm) beschränkt, da die Erdatmosphäre nur für diesen Bereich (und für Radiostrahlung) durchlässig ist (s. Abschn. 2.6). Inzwischen können astronomische Objekte über das gesamte elektromagnetische Spektrum studiert werden, maßgeblich ermöglicht durch die technische Entwicklung insbesondere von Satelliten- und Ballon-Teleskopen.
2.2 Astrophysikalische Messgrößen
Alle unsere Kenntnis über Objekte und Vorgänge des Kosmos gründet sich auf einige wenige der astronomischen Beobachtung direkt zugängliche Messgrößen. Dazu gehört zunächst einmal die scheinbare Helligkeit eines Objekts. Des Weiteren kann man feststellen, aus welcher Richtung die Strahlung kommt, oder wie die Richtungsabhängigkeit der Helligkeitsverteilung aussieht. Die Frequenz (alternativ: Wellenlänge; Quantenenergie) und ggf. die Polarisation der Strahlung sind weitere messbare Größen. Schließlich stellt auch der Zeitpunkt einer Messung eine Informationsquelle dar. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf elektromagnetische Strahlung, sind aber auch auf andere Teilchenströme anwendbar wie z. B. die kosmische Strahlung oder Neutrinos (s. Abschn. 2.4).
2.2.1 Intensität und Strahlungsstrom
Die fundamentale Messgröße in der Astronomie ist die scheinbare Helligkeit eines Objektes, d. h. die Helligkeit, wie sie am Ort der Beobachtung erscheint. Demgegenüber spricht man von absoluter Helligkeit als einer Kenngröße des Objekts selbst; alternativ wird auch der Begriff Leuchtkraft verwendet. Die scheinbare Helligkeit eines Objekts hängt von seiner absoluten Helligkeit und von seiner Entfernung zum Beobachter ab.
Um die von der Oberfläche einer Strahlungsquelle ausgehende Strahlung ganz allgemein zu charakterisieren, führen wir zunächst den Begriff der Intensität ein. Zur genauen Definition dieser Größe betrachten wir die Energiemenge dE, die von einem kleinen Fleck auf der Oberfläche der Quelle in eine bestimmte Richtung θ,ϕ abgestrahlt wird. Diese Energiemenge ist proportional zur Größe des (infinitesimal kleinen) Flächenelements dA, zum Zeitintervall dt sowie zur Größe des Raumwinkels um den vorgegebenen Richtungsvektor dω ( Abb. 2.2). Die Intensität stellt dann den Proportionalitätsfaktor in der Beziehung
(2.3)
wobei der Wert von I natürlich zeitlich und über die Oberfläche der Quelle schwanken kann.
Um auch noch die spektrale Verteilung der Strahlung zu erfassen, führen wir die „monochromatische Intensität“ über die abgestrahlte Energiemenge pro Frequenzintervall [ν,ν + dν] ein; die erweiterte Definitionsgleichung lautet dann
(2.4)
In SI-Einheiten ausgedrückt, ist Iν also die Energiemenge, die pro Sekunde durch eine Fläche von 1 m2 in Richtung eines Raumwinkels von 1 sterad hindurchfließt, gemessen über eine spektrale Bandbreite von 1 Hz. Analog lässt sich natürlich auch eine auf Wellenlängen bezogene monochromatische Intensität Iλ festlegen.
Ein besonders einfaches Strahlungsfeld liegt für den idealisierten Fall des exakten thermischen Gleichgewichts vor. Die Intensität ist dann unabhängig von der Richtung, das Strahlungsfeld ist „isotrop“; seine spektrale Energieverteilung lässt sich mit der Planckschen Funktion Iν = Bν(T) (s. Abschn. 2.3.2) beschreiben.
Für reale Objekte hängt die Intensität i. allg. jedoch von der Richtung ab, I = I(θ,ϕ). Durch Integration über alle Richtungen „nach außen“, d. h. θ ≤ 90°, erhält man den Strahlungsfluss
(2.5)
d. h. die Energiemenge, die pro Zeiteinheit durch eine Einheitsfläche hindurchtritt und von der Quelle abgestrahlt wird. Die Gesamtstrahlungsleistung (Leuchtkraft) des Objektes, auszudrücken als Energiemenge pro Zeit, ergibt sich dann durch Integration über die Oberfläche. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit setzen wir als Integrationsfläche eine Kugel mit dem Radius R an und erhalten
(2.6)
Ein Beobachter in einer Entfernung r vom Mittelpunkt der Kugel misst den Strahlungsstrom
(2.7)
Alle diese Überlegungen und Begriffe sind gleichermaßen gültig, wenn man den monochromatischen Strahlungsstrom sν betrachtet. sν wird oft in der Einheit Jansky (benannt nach einem Pionier der Radioastronomie) angegeben, 1 Jy = 10−26 W m−2 Hz−1. Dagegen findet man optische Spektren meist durch den Strahlungsstrom pro Wellenlängenintervall sλ ausgedrückt mit der Einheit W m−2 nm−1. Die Größen sν und sλ sind natürlich äquivalent, da sie durch die Beziehungen sν dν = sλ dλ und λ = c/ν miteinander verknüpft sind.
Man beachte, dass der Strahlungsstrom beim Beobachter s und der nach außen gerichtete Fluss an der Oberfläche des Objektes F in den gleichen Einheiten (W m−2 bzw. W m−2 Hz−1 oder W m−2 nm−1) beschrieben werden, dass aber die beiden Größen physikalisch völlig verschiedenartiger Natur sind. Für astronomische Objekte ist nur der Strahlungsstrom eine direkte Messgröße; um den Fluss zu messen, müsste man auf der Oberfläche des...