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Aus dem Leben und Wirken von D. theol. Gustav Nebe

Generalsuperintendent der Kirchenprovinz Westfalen von 1883 bis 1905

AutorHorst Leweling
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783746071169
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,49 EUR
Gustav Nebe (1835-1919), "Spross eines alten Theologengeschlechtes", war von 1883 bis 1905 Generalsuperintendent der preußischen Kirchenprovinz Westfalen mit Sitz in Münster. Als solcher war er Repräsentant einer vom Staat und seiner Macht abhängigen Kirche, die in Westfalen zwar presbyterial-synodal geordnet war, aber an ihrer Spitze nicht einen von der Synode gewählten Präses hatte, sondern einen vom König ernannten Generalsuperintendenten. Dem oblag, als geistlichem Oberhirten sozusagen, die Begleitung und Betreuung der Pastoren und Gemeinden der Kirchenprovinz und damit eine Aufgabe, für die er genügend eigene "Bewegungsfreiheit" hatte. Aber der Provinzialsynode gegenüber war er der "königliche Kommissar", der die Interessen des landesherrlichen Kirchenregiments vertreten musste. Ins Konsistorium der Provinzialkirche war er durch seine Mitgliedschaft eingebunden, nicht zuletzt als dessen Vizepräsident. Im Rückblick auf das Leben und Wirken von Gustav Nebe heißt es in einem Nachruf des Konsistoriums: "Mit unermüdlicher Arbeitskraft und Hingebung hat er an dem Werke gestanden, das sein Herr ihm befohlen hatte, seine Umsicht und die Klarheit seines Urteils erfüllte die, die in seine Tätigkeit Einblick hatten, mit stiller Bewunderung. Viel Gutes und Bleibendes hat er in unserer Provinz geschaffen. Seine unerschöpfliche Freundlichkeit und sein Wohlwollen haben sich denen, die mit ihm in Verkehr traten, tief in die Erinnerung geprägt."

Horst Leweling, geboren 1937. Nach dem Studium der Ev. Theologie in Münster, Tübingen und Göttingen jeweils mehrjährige Tätigkeiten als Gemeindepfarrer in Soest, als Ausbildungsleiter der Diakonenschule der Westfälischen Diakonenanstalt Nazareth/Bethel in Bielefeld, als Direktor der Ev. Bildungs- und Pflegeanstalt Hephata/Mönchengladbach und als Theologischer Vorstand des Ev. Luth. Wichernstifts in Ganderkesee.

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Leseprobe

2.


GEPRÄGT DURCH ELTERNHAUS,
SCHULE UND STUDIUM


Johannes Friedrich Ferdinand Gustav Nebe wurde am 21. September 1835 in Roßleben an der Unstrut geboren. Er war das siebente von neun Kindern des Pfarrers Johannes Friedrich Nebe und seiner Ehefrau Christiane Franziska geb. Wilhelmi.

Sein Vater war, bevor er Pfarrer in Roßleben wurde, „Divisionsprediger in Coblenz, dann Oberprediger in Wetzlar“, wie es in Gustav Nebes Lebenslauf heißt. Seine Mutter, als „gemütstiefe und humorvolle rheinische Pfarrerstochter“ beschrieben, war – nach dem frühen Tod ihrer Mutter – in St. Goarshausen herangewachsen, im Hause des Dekans Wilhelmi, des späteren hessischen Landesbischofs.

In seinem Roßleber Zuhause durfte sich Gustav „eines glücklichen Familienlebens freuen“. „Bis in mein zehentes Jahr“, so berichtet er, „erhielt ich theils in der Dorfschule, theils in Privatstunden bei meinem lieben Vater Unterricht. Da ich aber als der jüngste Sohn (nachdem meine älteren Brüder die Klosterschule Roßleben zu besuchen angefangen hatten) ganz allein stand und mein Vater durch sein Amt in Anspruch genommen wurde, kam ich Michaelis 1848 nach dem nur eine Stunde von meinem Heimatorte entfernt liegenden Progymnasium in Donndorf.“ Diese Schule, seinerzeit als „Gymnasium zu Kloster Donndorf“ bekannt, verdankt sich einem im 13. Jahrhundert gestifteten Zisterzienserkloster, aus dem nach dessen Auflösung im 17. Jahrhundert eine Lateinschule wurde, später dann das von Gustav besuchte (bis zur Tertia führende) Progymnasium.

An die strenge Zucht dieser „Klosterschule“ konnte sich Gustav nur schwer gewöhnen. Und da er zudem „sehr schwächlich“ und des Öfteren auch akut „leidend“ war, holten ihn die Eltern in Sorge um seine Gesundheit schon nach zwei Jahren wieder nach Hause zurück. Immerhin war er in Donndorf so weit gefördert worden, dass er nun in die unterste Stufe der Roßleber Klosterschule, die Quarta, aufgenommen werden konnte. Doch kaum dass er am Unterricht teilgenommen hatte, wurde er ein halbes Jahr lang an’s Bett gefesselt, „an einer Unterleibsentzündung tödtlich erkrankt“, wie Gustav Nebe mitteilt. Obwohl er wegen seiner Erkrankung dem Unterricht so lange hatte fernbleiben müssen, wurde Gustav („unverdient“, wie er meint) in die Tertia versetzt. Am liebsten hätte er sich, weil er befürchtete, den erhöhten schulischen Anforderungen nicht gewachsen zu sein, in die Quarta zurückversetzen lassen. „Aber ich schämte mich“, heißt es dazu in seinem Lebenslauf. Zuletzt aber verdankte er der ermutigenden (weil offenbar wohl dosierten) Strenge seiner Lehrer die Entdeckung seiner eigenen Stärken. Nach und nach spürte er, dass er mit seinen Klassenkameraden in fast allen Belangen „gleichen Schritt“ halten konnte. In fast allen. „Nur ein Feld war mir ganz unzugänglich: die Mathematik“, bekannte er. Dabei sollte es allerdings nicht bleiben. Als er „eine Zeitlang in Secunda gesessen hatte“, bemerkte er zu seiner großen Überraschung und Freude, dass auch die Mathematik eine nicht geringe Anziehungskraft auf ihn ausübte. Daneben machten ihn Physik und Deutsch „zu einem ganz anderen“, auch das Interesse an Geschichte erwachte. Was ein demnächstiges Studium betraf, so hatte er „schon von Jugend auf“ – spätestens seit er zu Ostern 1852 von seinem Vater konfirmiert worden war – den Wunsch, Theologie zu studieren.

Die evangelische Kirche St. Andreas zu Roßleben
im Jahre 1928 anlässlich ihrer Weihe vor 200 Jahren.

Am 10. April 1854 legte Gustav Nebe an der Klosterschule Roßleben seine Reifeprüfung ab, übrigens als einer von insgesamt sieben Nebes, die im Register der berühmten Schule als Abiturienten verzeichnet sind.

Nicht selten lassen Abituraufsätze die besondere schulische Prägung ihrer Verfasser erkennen. Aber auch umgekehrt gilt: Oft genug verraten Themenstellungen (besonders, wenn sie in Frageform gekleidet sind), in welcher Weise sie im Sinne ihrer Themensteller tunlichst zu beantworten sind. Gustav Nebe hatte im Abitur das Thema zu behandeln: „Was zeichnet Preußens Geschichte aus?“ Und als Motto war dem Thema die Frage Herders beigegeben: „Wer sich selber nicht schützt, ist er der Freiheit werth?“ Der Abiturient Gustav Nebe weiß vieles anzuführen, was in der preußischen Geschichte seitens der Fürsten zugunsten ihrer Untertanen geschehen ist. Sie förderten „den Feldbau und die Gewerbe“, und sie gaben dem Handel dadurch Impulse, dass sie Kaufleute in’s Land ließen, „die entweder durch Naturereignisse oder durch Fanatiker aus ihrer Heimat vertrieben worden waren“. Noch vieles mehr weiß Gustav Nebe zu loben, nicht zuletzt die Nähe der Fürsten zu ihren Untertanen und deren Treue zu ihren Fürsten. Hinsichtlich „Menge, Richtigkeit und Kraft“ habe der Abiturient eine ordentliche Arbeit vorgelegt, war in der Beurteilung zu lesen, angesichts formaler Mängel aber wurde nur ein „befriedigend“ vergeben.

Wiederholt wird in der Arbeit hervorgehoben, die Größe Preußens, die auf dem „Zusammenhalt von Fürst und Volk“ beruhe, könne nicht ohne ihre religiöse Dimension verstanden werden. „Eine so religiöse Nation [wie die preußische] musste auch eine innige Liebe zu seinem so sehr um sie verdienten Herrscherhause fassen“, so der Abiturient; „denn so wie die Liebe zu Gott die erste Pflicht des Menschen ist, so ist die Liebe zu dem von ihm eingesetzten Herrscher die erste Pflicht des Bürgers.“ Schon im Frieden übrigens müsse man sich abwehrbereit halten gegen „räuberische Einfälle habsüchtiger Nachbarvölker“. Nur wer sich schützt, sei ja doch (so Herder) der Freiheit wert. Dem in die Geschichte der Habsburger weisenden Wahlspruch (Gustav Nebe zitiert: „Bella gerant alii, tu felix Austria, nube!“) kann er wenig abgewinnen. Vielmehr komme es doch gerade in für die Nation bedrohlichen Zeiten auf mutiges, kraftvolles Handeln an – und auf das nötige Gottvertrauen erst recht.

Na ja, Gustav Nebe war schließlich Schüler der Klosterschule Roßleben, die sein älterer Bruder August, der dort auch Schüler gewesen war, später mit den Worten charakterisierte: „[In ihr sollten] junge Leute vom reiferen Knabenalter bis zum Übergang zur Universität in klassischer Bildung, evangelischer Frömmigkeit und echter Vaterlandsliebe herangebildet werden.“

Das Roßleber Pfarrhaus „Am Mühlgraben“.

Gleich nach seinem Abitur nahm Gustav Nebe in Halle sein Theologiestudium auf. Ob er wohl von seinem Bruder August mit auf den Weg bekommen hatte, er möge doch in seinem Studium in Halle nur ja nicht verpassen, die Professoren Tholuck und Müller zu hören? Schließlich erinnerte sich August Nebe immer dankbar daran, dass ihm gerade diese Professoren „in kirchlich und theologisch erregter Zeit“ „treue, wegweisende Führer“ geworden waren. August Nebes besondere Nähe zu Tholuck fand darin ihren Ausdruck, dass er seinem verehrten Lehrer „zu dem 2. December 1870, dem Gedächtnistage 50-jähriger akademischer Wirksamkeit“, den dritten Band seiner Perikopen-Auslegung überreichte – „als schwaches Zeichen seiner herzlichen Liebe und Dankbarkeit“.

Friedrich August Tholuck war „ein reiner Erweckungstheologe“. Er hat sich wohl weniger durch seine eher konservativen Veröffentlichungen einen Namen gemacht als durch die seelsorgerliche Begleitung seiner Studenten. „Unzählige Studenten“, schreibt Karl Barth, erlebten bei ihm „eine christliche Seele“ und empfingen „christliche Seelsorge“. Auch Gustav Nebe fühlte sich zu ihm hingezogen und hörte seine Vorlesungen „mit rühmlichstem Fleiß“, desgleichen auch die Vorlesungen der Professoren Jacobi und Müller, die Tholuck anfangs in vielem nahestanden. Auffällig, dass Gustav Nebe den in Halle zu gleicher Zeit lehrenden (als „Rationalisten“ eingestuften) Professoren Wegscheider und Gesenius keinerlei Beachtung schenkte.

Im dritten Jahr seines Studiums zog es Gustav Nebe nach Heidelberg. Dort fand er Gelegenheit, die Professoren Rothe, Schenkel und Umbreit zu hören, die als „Vermittlungstheologen“ von sich reden machten. Ihnen lag in ihrer systematisch-theologischen Arbeit an der Überwindung der Kluft zwischen einem engherzigen Konfessionalismus und einem in der Theologie Platz greifenden wissenschaftlichen Geist, in kirchenpolitischer Hinsicht traten sie ein für eine Union von Lutheranern und Reformierten nach dem Muster des in Preußen dazu erlassenen königlichen Dekrets vom 27.9.1817.

Bei Rothe konnte Gustav Nebe vor allem auf dem Felde der Ethik einiges...

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