EINLEITUNG
Vorwort zur ersten Auflage
dieser Dokumentation
(1992)
NORBERT HANNAPPEL SAC
Am 19. Juni 1941 wurde das Pallottinerkloster in Olpe von der Gestapo besetzt. Am 15. Januar 1942 wurde es als „volks- und staatsfeindliches Vermögen“ enteignet.
Diese beiden Daten sind uns Anlass, am 19. Januar 1992 einen Gedenktag dieser beiden Ereignisse zu begehen.
Von pallottinischer Seite hatten wir Berichte unserer Chroniken zur Hand, in denen mehr die interne Sicht beschrieben ist. Darin sind auch die Demonstrationen der Bevölkerung von Olpe und den umliegenden Dörfern festgehalten. Aber es fehlte uns die Kenntnis der Menschen, die außerhalb des Pallottinerklosters für ihren Glauben, für die Pallottiner und für Gerechtigkeit eingetreten sind.
So machten wir uns während der Vorbereitung dieses Gedenktages daran, Zeitzeugen zu suchen, aufzusuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und das festzuhalten, was heute an lebendiger Erinnerung dieser Ereignisse bei ihnen vorhanden ist. Dabei stießen wir auf immer mehr Menschen, die sich noch lebhaft an die Demonstrationen vor dem Kloster am 19. Juni 1941 und den folgenden Tagen erinnerten.
Viele der Menschen, die damals vor 50 Jahren Widerstand gegen die Gestapo, gegen das Nazi-System durch die Demonstrationen vor dem Pallottinerkloster im Osterseifen geleistet hatten, sind inzwischen gestorben.
Wir lernten erstaunlich viele Menschen kennen, die heute unter uns in Olpe und in den umliegenden Dörfern leben, von denen wir nicht mehr wußten, daß sie damals dabei waren, die als unmittelbar oder über ihre Familienangehörige Betroffene Leid erfahren mußten. Bei einigen hat dieser Tag durch Verhaftung und Gefängnis das Leben grundlegend verändert.
Wir trafen auf viele Menschen, die in großer Selbstverständlichkeit und mit viel Mut auch praktisch geholfen und damit in der damaligen Zeit erhebliche Risiken auf sich genommen haben.
Auf unserer Seite wuchs in jeder Begegnung das Staunen und die Dankbarkeit und die Hochachtung.
So legen wir jetzt diese Schrift vor.
Es ist keine Arbeit, die objektive geschichtliche Wahrheit feststellen und festhalten will. Dazu fehlt die Archivarbeit z.B. im Stadt- und im Kreisarchiv Olpe, in den Archiven in Arnsberg, Paderborn oder Potsdam. Diese zusätzliche Arbeit war in der vorgegebenen Zeit nicht zu leisten. Dazu fehlt auch das kritische Durcharbeiten der vorhandenen Quellen.
Ziel dieser Zusammenstellung ist: das, was heute noch an Erinnerung bei den Menschen lebendig ist, nicht verloren gehen zu lassen. Deshalb hat der Bereich der „Zeitzeugen“ ein großes Gewicht. Diese Zeitzeugen haben sich erinnert und ihre Erlebnisse erzählt.
Deshalb ist die Sprache auch keine Schrift-Sprache, sondern eine gesprochene Sprache, die eigenen Strukturen und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Diese Spontaneität wird beim Lesen sofort deutlich. Einige Berichte wurden uns in Schrift-Form gegeben.
Wir danken allen, die uns ihre persönlichen Eindrücke und Überlegungen für diese Schrift zur Verfügung gestellt haben.
Es gab keine Auswahl der Zeitzeugen. Einige von ihnen haben sich auf Grund eines Zeitungsartikels bei uns gemeldet. Die meisten wurden in Gesprächen genannt und daraufhin besucht oder telefonisch angefragt.
Deshalb stehen die Berichte sicherlich stellvertretend für die vielen Anderen, die damals mit vor dem Kloster gewesen sind und demonstriert haben und heute auch von ihren Erlebnissen hätten erzählen können.
Wir haben zusätzlich zu den Zeitzeugen das Provinzarchiv der Pallottiner in Limburg genutzt. Die meisten der aufgeführten Dokumente: Briefe, Chronikberichte, Aktenvermerke stammen aus diesem Archiv. Diese Zusammenstellung will auch das Umfeld der Demonstrationen vor dem Pallottinerkloster wieder in den Blick bringen, die Lebensumstände, in denen Menschen damals zurechtkommen mußten. Deshalb sind bei den Berichten der Zeitzeugen z.B. auch Erinnerungen aufgenommen, die über die Demonstrationen hinausgehen.
Deshalb sind auch einige Informationen eingestreut, die aus einem Lehrbuch stammen, das zur damaligen Zeit benutzt wurde: „Du bist sofort im Bilde“ – Lebendig-anschauliches Reichsbürger-Handbuch von Max Eichler, 1940 erschienen in Cramer’s Verlag in Erfurt. […]1
Wir möchten, daß diese Schrift auch bei den jungen Menschen dazu beiträgt, daß eine lebendige Verbindung zur Vergangenheit bewahrt oder wieder aufgenommen wird. Wie könnte dies besser geschehen als über Menschen, die unter uns leben.
Vor allen Dingen möchten wir Pallottiner durch diese Schrift der Bevölkerung von Olpe und der umliegenden Ortschaften herzlich danken für den Mut und die Glaubenstreue2, die sie bei den Demonstrationen anläßlich der Besetzung unseres Hauses durch die Gestapo gezeigt hat.
Im Namen der Hausgemeinschaft
des Pallotti-Hauses Olpe
P. Norbert Hannappel SAC
Das Pallottihaus Olpe um 1928 (Reproduktion: Stadtarchiv Olpe)
„Die Feinde deines Kreuzes droh’n …“
Vorwort zur erweiterten Neuauflage
dieser Dokumentation
PETER BÜRGER
„Ja, auch das ist wichtig: die ganze Empörung und der ganze Aufruhr kam von den Laien selbst, spontan aus der Bevölkerung! Es wurde nicht von oben herab empfohlen oder dirigiert. Das ist mir wichtig, festgehalten zu werden. Denn die Kirche hat dabei nicht kommandiert. Sie war zurückhaltend. Der eigentliche Hintergrund, auf dem das alles geschah, war die Bevölkerung. Und vom Kind bis zum Greisenalter: alle waren bei der Demonstration vertreten. Die eigentliche Empörung kam von den Handwerkern, den Arbeitern, den Schülern, den einfachen Leuten. Die haben sich da oben versammelt.“
(Otto Hetzel über die Proteste gegen den „Olper Klostersturm“ 1941)3
Dass maßgebliche „Fraktionen“ im nationalsozialistischen Staat mittel- oder langfristig die authentische christliche Kirche in Deutschland vernichten wollten, konnte wachsamen Zeitgenossen gegen Ende der 1930er Jahre kaum unbekannt sein. Gleichwohl forderten nahezu alle römisch-katholischen Bischöfe die Getauften unter Verweis auf eine angeblich religiöse Gehorsamspflicht auf, sich unter Einsatz ihres Lebens am verbrecherischen Rasse- und Vernichtungskrieg Hitler-Deutschlands zu beteiligen.4 Zu einem vorübergehenden „Burgfrieden“ zwischen NS-Staat und Kirche, den manche Kirchenleitung sich damals wohl erhoffte, ist es dennoch nicht gekommen. Die mörderische Verfolgung von katholischen ‚Laien‘ und Priestern, die sich nicht anpassten, erfolgte jetzt immer öfter unter Verweis auf sogenannte „Wehrkraftzersetzung“. Zudem wurden ab Kriegsbeginn mehr als 300 Klöster und kirchliche Einrichtungen beschlagnahmt, aufgelöst und enteignet.5
Eine Welle von Kloster-Raubzügen im Jahr 1941, die die Gestapo durchführte, betraf vor allem das Rheinland und Westfalen: „Als Begründung wurde diesmal kein bestimmter Nutzungszweck angeführt, sondern den Klosterbewohnern wurde ‚volks- und staatsfeindliches Verhalten‘ vorgeworfen. Konkrete Anhaltspunkte dazu gab es in den seltensten Fällen, zu Anklagen oder Gerichtsverfahren gegen Ordensangehörige kam es im Zusammenhang mit den Beschlagnahmen kaum. Der Vorwurf der Volks- und Staatsfeindlichkeit wurde lediglich pauschal erhoben und bezog sich auf die allgemeine Lebensweise der Ordensleute. Sie mussten ihre Häuser […] verlassen und wurden meistens auch aus ihren Städten oder Provinzen ausgewiesen. Die Klöster gingen in die Hand des Staates über und wurden von den verschiedensten Behörden genutzt.“6
Als ein Kommando der Geheimen Staatspolizei am 19. Juni 1941 das Pallottiner-Kloster in der sauerländischen Kreisstadt Olpe überfiel, zeigten mehrere hundert Bewohnerinnen und Bewohner an drei aufeinanderfolgenden Tagen öffentlich ihren Unmut, in einigen Fällen auf drastische Weise.7 Die ausschließlich von ‚Laien‘ getragenen Protestaktionen wurden weit über die Grenzen des Sauerlandes hinaus bekannt. Höchste Stellen in Berlin erhielten Rapport und sprachen sich später dafür aus, Strafverfahren gegen Beteiligte niederzuschlagen. Die Erinnerung an die Proteste sollte nicht erneut lebendig werden.
Der Aufruhr in Olpe erfolgte mehr als drei Wochen vor jenem Tag, an dem erstmals auch ein westfälischer Bischof – Clemens August Graf von Galen – in einer Predigt (13. Juli 1941) öffentlich gegen die Kloster-Raubzüge Stellung nahm. Der südsauerländische Protest gehört zu den eindrucksvollsten Beispielen für zivilen Ungehorsam angesichts kirchenfeindlicher Maßnahmen des NS-Staates, ist nach 1945 in der „Kirchengeschichtsschreibung von oben“ jedoch weitgehend unberücksichtigt geblieben.8
Die hier in einer erweiterten Neuauflage vorgelegte Dokumentation aus dem Pallottiner-Orden zeigt, dass ein anderes Geschichtsgedächtnis der Kirche, in dem die Perspektive der...