Die Fellahs und ihre Verhältnisse
Da es die Zeit noch erlaubte, setzten wir unsern Weg bis zu der ganz kürzlich angelegten Eisenbahn fort, bestimmt, Steine zu den neuen Bauten am Meere zu führen. Hier arbeiteten eine große Menge Fellahs, Männer, Weiber und Kinder, deren Lohn der Vizekönig bei allen öffentlichen Arbeiten eben um einen halben Piaster erhöht hatte. Da ich in den meisten Relationen über Ägypten die kläglichsten Jeremiaden über das Elend dieser unglücklichen Klasse gelesen hatte, so war ich nicht wenig verwundert, meistens kräftige, gesund aussehende und lustige Menschen zu finden, die singend und lachend ihre Arbeit verrichteten, von den Aufsehern höchst nachsichtig behandelt wurden und selbst das Bakschis (Trinkgeld), um das sie uns ansprachen, nur im Scherz zu verlangen schienen. Ihr Ansehen war allerdings zerlumpt, aber wo sieht man es im Orient wie auch in Griechenland anders? Das Klima verlangt so wenig, und Ordnung und Reinlichkeit gehört noch nicht zu den Tugenden dieser Länder. Ich habe später diesem Gegenstand fortwährende Aufmerksamkeit geschenkt und die feste Überzeugung gewonnen, daß die hiesigen Fellahs im Vergleich mit manchen andern ihrer Kameraden in Europa, zum Beispiel den irländischen Bauern, welche doch Untertanen des erleuchtetsten Gouvernements in der zivilisierten Welt sind, oder den armen Webern im Vogtlande, von denen ich erst heute, im Jahre 1843, in den Zeitungen las, daß sie ihren täglichen Verdienst höchstens auf zwei Gröschel bringen könnten, und wenn ihre einzige Nahrung, die Kartoffeln, fehlschlugen, dem Hungertode nahe kämen – daß, sage ich, diese Fellahs sich, obgleich mancher Härte und Willkür ausgesetzt, die ich nicht ableugnen will, doch immer noch in einer Lage befinden, welche viele unsrer Proletarier oft beneiden könnten.
Die Häuser der Fellahs sind meistens kleine Hütten von an der Sonne gedörrten Lehmsteinen oder auch nur von getrocknetem Lehm aufgeführt, ohne eine andere Öffnung als die Türe. Aber diese Wohnungen sind meistens dicht und warm im Winter, immer vor leichtem Regen und Unwetter, was ohnedem so selten hier eintritt, geschützt, schattengebend im Sommer und geräumig genug für die geringen Bedürfnisse dieser Leute, während in Griechenland selbst die Wohlhabenderen unter den Landleuten selten ein Dach besitzen, das nicht Schnee und Regen durchließe, und erinnert man sich vollends der von erstickendem Rauch angefüllten Schweineställe, in denen die armen Irländer hungern und die in jenem verhältnismäßig so kalten Klima fast gar keinen Schutz gewähren, so richtet sich das Mitleid nach einer ganz andern Seite.
Die Fellahs sind arm; aber in den geringsten Dörfern Ägyptens, wo ich hinkam, fand ich fast immer Brot, Milch, Butter, Käse, Eier, Gemüse in Fülle, auch Geflügel, in den größeren selbst Schlachtfleisch, was man uns gern für einen sehr billigen Preis zum Verkauf anbot, sobald nur kein Gouvernementsbeamter dabei war, deren Raubsucht allerdings zu den Kalamitäten Ägyptens gehört – während in Griechenland häufig Zwiebeln und ein fast ungenießbares Maisbrot das einzige sind, was man sich verschaffen kann, auch die Leute selbst dort in der Regel von gleicher Kost leben müssen wie in Irland von Kartoffeln und Whiskey. Endlich hörte ich noch nie, daß ein Fellah verhungert sei, was zur Schande der Menschheit bei den irländischen Bauern notorisch schon öfters vorgekommen ist und vielleicht heute noch möglich sein mag.
Die Fellahs sind ferner höchst elend gekleidet, aber auch hier ist der Vergleich zu ihrem Vorteil, denn erstens bedürfen sie bei dem milden Klima fast gar keiner Kleidung; zweitens habe ich bis jetzt noch nicht gesehen, daß die hiesigen Weiber, gleich den irländischen Frauen und Mädchen der gemeinen Klasse, nicht einmal Lumpen genug besaßen, um ihre Blöße soweit zu bedecken, als es die Schamhaftigkeit gebietet. Im Gegenteil erblickt man die Weiber der Fellahs, wenn auch oft in zerrissenen Gewändern, doch immer wie die übrigen Morgenländerinnen bis an den Mund verhüllt, wozu sie meisten 5-6 Goldstücke, in einer Reihe vorn vom Antlitz bis auf die Brust herab aufgenäht, tragen, was ebenfalls mit der bodenlosen Armut nicht recht übereinstimmen will, von der unsre philantropischen Reisenden uns ein so abschreckendes Bild entwerfen, weil sie wohl den Strohhalm im fremden Auge, aber den Balken im eigenen nicht sehen. Ich glaube, daß mitten in Paris und London teilweise gräßlicheres Elend nachzuweisen ist, als in ganz Ägypten gefunden werden kann. Auch hörte ich nie von Selbstmorden, die bei uns so häufig sind, und die außerordentliche Abneigung der Fellahs, Soldaten zu werden, die sie zu den grausamsten Selbstverstümmlungen treibt, ist gleichfalls kein Beweis, daß sie sich in ihrem jetzigen Zustande so überschwenglich elend fühlten. Wer aber frisch aus Europa hier debarkiert und zum erstenmal das gemeine Volk in Schmutz und Lumpen gehüllt sieht, was im Orient gang und gäbe, in Europa aber nur die Livree des höchsten Elends ist, dessen Einbildungskraft wird zu leicht ergriffen, und er sieht von nun an mit gefärbter Brille, im Fall er nicht gar absichtlich falsch sehen will. Dahin gehören aber viele. Der größte Teil der europäischen Kaufmannschaft zum Beispiel, namentlich in Alexandrien, ist dem Vizekönig aufsässig, aus Brotneid, weil er als einziger Kolossalkaufmann seines Landes sie durch sein System verhindert, die unwissenden Ägypter nach Belieben im freien Handel zu bevorteilen, und dies wohl zum Teil selbst übernimmt, überdies aber die Spekulanten mit überlegner Schlauheit und Macht häufig zwingt, ihm seine eignen Waren teurer abzukaufen, als es ihnen nachher Profit bringt.
Andere Feinde findet der Vizekönig in allen Avantüriers, die in Ägypten ein Eldorado für Stümper und Nichtstuer zu finden hoffen und es, weil sie zu nichts taugen, unverrichteter Sache wieder verlassen müssen; in solchen ferner, die sich zwar im Anfang brauchbar zeigten, aber wegen impertinenter Prätentionen oder zu unverschämten Diebstahls wieder weggejagt werden mußten; dito in obskuren Autoren, die, erstaunt vom Pascha ganz übersehen und unbeachtet geblieben zu sein, obgleich sie ihre Intention, über Ägypten zu schreiben, hinlänglich annonciert, dies Land ohne einen Pfennig Geld, aber voll bittrer Galle verlassen und, in Europa mit dem leeren Säckel wieder angelangt, ihr Mütchen an dem orientalischen Barbaren kühlen wollen; endlich in ehrlichen, aber imbezillen Philantropen, meistens Engländern, die, sobald sie einen Mann ohne Hosen am Leibe und aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne Roastbeef im Magen antreffen, Zeter schreien und die Grausamkeit des Pascha verwünschen, der solche Greuel veranlasse, ohne dabei zu untersuchen, welche Schuld bei allen hiesigen Mängeln den gebieterischen Umständen, eingewurzelten Mißbräuchen und unbesieglichen Nationalfehlern beizumessen ist und welche dem Willen des Pascha. – Noch weniger aber denken sie daran, daß es bei ihnen selbst oft viel schlimmer in dieser Hinsicht hergeht, ohne daß dieselben Entschuldigungsgründe stattfinden. Alle diese verschiedenen Leute nun schreiben oder lassen für ihr Geld schreiben gegen Mehemed Ali, der freilich leicht Antworten bezahlen könnte, aber solche Gegner verachtet, wohl überzeugt, daß über kurz oder lang eine gerechtere Würdigung ihm nicht fehlen wird. Es gibt noch höherstehende Personen mit derselben Tendenz, wiewohl aus andern Gründen, die ich für diesmal übergehe; aber so viel rate ich doch wohlmeinend jedem Fremden: Er höre, wenn er nach Ägypten kommt, auf kein Geschwätz, es komme von seinem Konsul oder seinem Schneider, sondern er sehe selbst, unterrichte sich selbst und urteile dann auch selbst. Es gibt einen neueren Reisenden, der in fließendem Stil und nicht ohne Darstellungstalent alles, gleich Evangelien, niedergeschrieben hat, was ihm seine guten Freunde und sein Dragoman teils erzählend, teils angeblich übersetzend über Mehemed Ali und den Zustand Ägyptens aufbanden. Einem solchen Werk kann man in Europa Beifall und Glauben schenken – denn was weiß dort die Masse vom Orient? Wir sind wahrlich über die dortigen Verhältnisse und Zustände noch heute ebenso unwissend, als es die Franzosen unter Ludwig dem Vierzehnten über alles außer Frankreich waren, und die ganze Welt hat leider hiervon die kläglichsten Beispiele im größten Maßstabe erst kürzlich gesehen, wird auch die Folgen noch lange zu bejammern haben; – wer aber in Ägypten mit solchen Büchern in der Hand reist und die geringste Ader eines Beobachters in sich hat, der möchte oft zweifelhaft werden, ob nicht das Ganze eine Mystifikation sei und die Verfasser, mit Champollion, Burkhard, Belzoni, Cailliaud usw. nebst einigen historischen Werken auf ihrem Schreibtische, ganz ohne diesen zu verlassen, Ägypten beschrieben haben.
Nichts ist seichter als die Urteile, die man über Mehemed Ali täglich lesen oder mit anhören muß, nichts törichter als die Forderungen, welche man an ihn stellt. Man verlangt gewissermaßen, daß er zugleich Romulus, Numa Pompilius und Trajan in einer Person sein soll, man berücksichtigt weder seine Lage noch seine Bedürfnisse, man verschließt seine Augen vor dem Außerordentlichen, was bereits durch ihn geschehen, und mokiert sich in alberner Selbstgefälligkeit über eine Pseudozivilisation, die man für nichts achtet, weil sie noch so entfernt von der unseren ist. Man ist endlich, ich kann es wirklich nicht anders nennen, stupid genug, nicht einzusehen, daß gut Ding Weile haben will und daß eben die wahrhafte Regentenweisheit Mehemed Alis darin liegt, daß er nur tut, was die Zeit und der Zustand seiner Nation erlaubt, ebenso behutsam als kräftig...