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E-Book

Aus meinem Leben

Vollständige Ausgabe

AutorEmil Fischer
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl303 Seiten
ISBN9783849612719
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Emil Fischer gilt als Begründer der klassischen organischen Chemie und erhielt 1902 den Nobelpreis für Chemie für bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Zuckerchemie. Die 'Fischer-Projektion' ist ein wichtiges Hilfsmittel bei der Festlegung räumlicher Molekül-Strukturen. Dies ist seine Autobiografie.

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Leseprobe

Die Eltern


 


 

Mein Vater Laurenz Fischer wurde am 4. November 1807 in Flamersheim geboren, war also fast 45 Jahre älter wie ich. Seine Geburtsurkunde ist in französischer Sprache ausgefertigt; denn damals stand das linke Rheinufer unter französischem Regiment und die Funktionen der heutigen Standesämter waren schon damals dem »Maire« übertragen.

 

Flamersheim ist ein kleiner Ort am Fuße der Eifelberge, aber noch in der fruchtbaren Ebene gelegen, etwa 7 km von Euskirchen entfernt.

 

Es besaß eine alte protestantische Gemeinde mit dem Sitz des Pastors, der zu meiner Zeit auch die kleine Gemeinde in Euskirchen mitbesorgte. Die Protestanten waren wie überhaupt in dem katholischen Rheinlande durchgehend gebildeter und betriebsamer als die katholische Volksmasse und erfreuten sich deshalb auch eines verhältnismäßig großen Wohlstandes. Ihre geschäftlichen Unternehmungen hatten auch dem Ort Flamersheim eine über seine Einwohnerzahl weit hinausgehende Bedeutung verschafft. Dazu kam, daß der größte Grundbesitz des Ortes, die sogen. Burg mit dem stattlichen schloßähnlichen Wohnhause, hübschen Park und reichen Ländereien dauernd im Besitz eines protestantischen Herrn blieb.

 

Der Überlieferung nach war diese Burg aus einer Meierei Karls des Großen hervorgegangen. Sie soll zahlreiche Vorwerke gehabt haben, von deren speziellen Aufgaben Sachverständige die Namen der umliegenden Dörfer, wie Schweinheim (Schweine), Stotzenheim (Stuten), Roitzheim (Rosse), Buellesheim (Bullen), Kuchenheim (Kühe) ableiteten. Ob diese Interpretation historisch berechtigt oder ob sie ein Erzeugnis der lebhaften rheinischen Phantasie ist, vermag ich nicht zu sagen.

 

Genug, dieses Flamersheim war mehrere Jahrhunderte der Sitz meiner Vorfahren; der älteste in den Kirchenbüchern genannte ist Johann Fischer, der im Jahre 1695 fast gleichzeitig mit seiner Ehefrau geb. Hermany zu Flamersheim starb.

 

Mit meinem Großvater wäre beinahe der männliche Stamm erloschen. Denn er hat erst mit 49 Jahren geheiratet, und die Familiensage berichtet, daß diese Ehe ein zufälliges Ereignis gewesen sei. Er lebte nämlich mit einer unverheirateten Schwester zusammen, die ihn offenbar tyrannisierte und ihm eines Tages den Schlüssel zum Weinkeller versagte, als er unerwartet einen Gast mitgebracht hatte. Darauf soll er den Entschluß gefaßt haben, sich durch Heirat selbständig zu machen. Seine Wahl fiel auf Fräulein Helene Conrads aus Mülheim am Rhein, ebenfalls einer Kaufmannsfamilie entsprossen. Die Ehe war mit vier Söhnen und einer Tochter gesegnet.

 

Mein Vater war das zweite Kind. Die beiden letzten, mein Onkel August und Tante Elisabeth kamen 1812 als Zwillinge zur Welt. Ihre Geburt hat der Mutter das Leben gekostet. Auch der Vater ist verhältnismäßig früh mit 61 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben.

 

Die fünf verwaisten Kinder würden wahrscheinlich ein trauriges Lebenslos gehabt haben, wenn sich nicht die unverheirateten Geschwister der Mutter, zwei Brüder und eine Schwester, ihrer in rührender Weise angenommen hätten.

 

Der älteste, Onkel Hermann Conrads, gab seine behagliche Tätigkeit in Mülheim auf und zog nach Flamersheim, um den Kindern das väterliche Geschäft zu erhalten. Er behielt die beiden jüngsten Kinder (Zwillinge) bei sich. Die drei anderen Brüder Friedrich Arnold, mein Vater und Otto Fischer kamen nach Mülheim am Rhein und wurden hier vorzugsweise von der Tante erzogen. Diese Frau spielte in den Jugenderinnerungen meines Vaters eine große Rolle. Sie war ungewöhnlich begabt, verkehrte nur mit Männern, am liebsten im Disput mit Studierten, besonders Theologen. Sie hatte sich mit der lateinischen Sprache vertraut gemacht und wollte im Alter sogar noch Hebräisch lernen, um die Bibel im Urtext zu lesen, ob schon sie als geistiges Kind der französischen Revolution ganz atheistisch dachte.

 

Sie führte hauptsächlich das Geschäft in Mülheim und nicht minder das Regiment im Hause, wo der gute Onkel Heinrich, ein ungewöhnlich starker Mann, nichts zu sagen hatte.

 

Die drei Knaben, die ihrer Obhut anvertraut waren, wurden in keiner Beziehung verwöhnt, sondern frühzeitig abgehärtet und zur Selbständigkeit angehalten.

 

Als sie bereits erwachsen und verheiratet waren, pflegte die Tante sie noch immer mit »Burschen« anzureden und jeden Widerspruch gegen solche Titulatur oder ihre scharf ausgeprägten Ansichten auf das lebhafteste zu bekämpfen.

 

Trotzdem waren die Knaben ihr in Dankbarkeit zugetan, genau so, wie sie die beiden Oheims als ihre Beschützer verehrten. Mein Vater und sein älterer Bruder Friedrich Arnold waren von vornherein zum Kaufmann bestimmt, und das entsprach, besonders bei meinem Vater, durchaus der Veranlagung. In der Schule hatte er keinen großen Erfolg, verließ sie deshalb schon mit 14 Jahren und wurde als Lehrling in einem kaufmännischen Geschäft in Luettringhausen bei einem Herrn Moll untergebracht.

 

Hier erhielt er frühzeitig Gelegenheit, sich als Verkäufer auf Reisen zu betätigen, was ganz seinen Neigungen und auch der folgenden mehr als 70-jährigen Geschäftstätigkeit entsprach.

 

In späteren Jahren pflegte er oft scherzhaft zu sagen, er habe mehr im Wirtshaus als in der Schule gelernt. Aber er war doch klug genug, die Lücken der Schulbildung zu empfinden und hat sich deshalb später durch Privatunterricht im Französischen und in der Beherrschung der deutschen Sprache, sowie in rechtlichen und gewerblichen Dingen ansehnliche Kenntnisse erworben.

 

Im Alter machte er noch den Versuch, Englisch zu lernen, da er öfter zum Ankauf von Wolle nach London fahren mußte. Aber dazu war es doch zu spät; sein Englisch hat niemand verstanden.

 

Bei der Prüfung für den einjährig-freiwilligen Militärdienst, der damals schon in Preußen eingerichtet war, fiel er durch, aber ein vermeintlicher körperlicher Schaden, der sicherlich nichts weiter als eine falsche ärztliche Diagnose war, bewahrte ihn vor der Notwendigkeit, drei Jahre Soldat zu sein. In Wirklichkeit war er ein Mann von ungewöhnlich kräftiger Konstitution und Gesundheit. Es wird davon später noch die Rede sein.

 

Als er 18 Jahre alt geworden war, übergab der Onkel Conrads ihm und dem Bruder Friedrich Arnold das väterliche Geschäft zu Flamersheim und zog sich nach Mülheim a. Rh. zurück.

 

Die beiden jungen Leute waren sich ihrer Verantwortung wohl bewußt und haben mit großem Fleiß und kaufmännischem Geschick die für ihre Jahre doch ziemlich schwierige Aufgabe in Angriff genommen. Es ist ein schönes Zeichen geschwisterlicher Eintracht, daß der Geschäftsgewinn nicht den beiden Brüdern allein, sondern allen fünf Geschwistern gleichmäßig zufiel.

 

Der dritte Bruder Otto war ein ausgezeichneter Schüler, bekundete frühzeitig die Neigung zum Studieren und wurde nach Absolvierung des Gymnasiums zu Duisburg Mediziner. Nach Erledigung des medizinischen Staatsexamens, das damals in Berlin abgelegt werden mußte, ging er auf 1 Jahr nach Paris und entschloß sich dazu, Chirurge zu werden. Nicht lange nachher wurde er der leitende Arzt in der chirurgischen Abteilung des städtischen Hospitals zu Cöln.

 

Einen später an ihn ergangenen Ruf als Professor der Chirurgie nach Bonn lehnte er ab, weil ihm die dortigen Hilfsmittel und das Krankenmaterial zu dürftig erschienen.

 

In seiner Stellung zu Cöln hat er sich während einer mehr als 40 jährigen Tätigkeit durch glänzende Operationen und überaus sorgfältige Nachbehandlung der Kranken großen Ruf erworben und war ein paar Jahrzehnte hindurch wohl der gesuchteste Arzt am Niederrhein. Selbst aus Holland, Belgien und Frankreich wurde seine Hilfe in Anspruch genommen.

 

Als Persönlichkeit war er ein Original, ein Volksmann im besten Sinne des Wortes, um den die geschäftige Phantasie der cölnischen armen Leute eine Reihe von Legenden geflochten hat.

 

Der vierte Bruder August erhielt auch eine gute Schulbildung. Nachdem er die kaufmännische Lehre durchgemacht und bei dem Pionierbataillon zu Cöln als Einjähriger seiner Dienstpflicht genügt hatte, trat er ebenfalls in das Geschäft zu Flamersheim ein.

 

Ungefähr um dieselbe Zeit heiratete die Zwillingsschwester Elisabeth einen Herrn Dilthey aus Rheydt. Ursprünglich gewillt, Theologe zu werden, war dieser durch den frühzeitigen Tod seines Vaters genötigt worden, mit seinem Bruder Wilhelm das väterliche Geschäft, Seiden- und Sammet-Fabrikation, zu übernehmen, und aus dieser Ehe stammt die zahlreiche Familie Dilthey in Rheydt und Umgegend. Von seinen sechs Söhnen und drei Töchtern sind nur der Jurist Richard Dilthey...

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