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Aus meinem Leben

Vollständige Ausgabe

AutorPaul von Hindenburg
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl441 Seiten
ISBN9783849627966
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Paul von Hindenburg war ein deutscher Militär und Politiker. Im Ersten Weltkrieg stieg er zum Generalfeldmarschall auf. Die von ihm geführte Oberste Heeresleitung übte von 1916 bis 1918 quasi diktatorisch die faktische Regierungsgewalt aus. 1925 wurde er zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Nach seiner Wiederwahl 1932 ernannte er am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. Dies ist seine Autobiografie.

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Leseprobe

 


Kriegsausbruch und Berufung

 

Die Ruhe meines Lebens gab mir seit dem Jahre 1911 die Möglichkeit, mich den politischen Vorgängen in der Welt mit Muße zu widmen. Die Beobachtungen, die ich dabei machte, waren freilich nicht imstande, mich mit Befriedigung zu erfüllen. Ängstlichkeit lag mir ferne, und doch konnte ich ein gewisses bedrückendes Gefühl nicht los werden. Die Ansicht drängte sich mir auf, daß wir in den weiten Ozean der Weltpolitik hinaustrieben, ohne daß wir in Europa selbst genügend fest standen. Mochten die politischen Wetterwolken über Marokko stehen oder sich über dem Balkan zusammenziehen, die unbestimmte Ahnung, als ob unter unserem deutschen Boden miniert würde, teilte ich mit der Mehrzahl meiner Landsleute. Wir standen in den letzten Jahren zweifellos einer der sich augenscheinlich regelmäßig wiederholenden französisch-chauvinistischen Hochfluten gegenüber. Ihr Ursprung war bekannt; ihre Stütze suchte und fand sie in Rußland wie in England, ganz gleichgültig, wer und was dort die offenen oder geheimen, die bewußten oder unbewußten Triebfedern bildete.

 

Ich habe die besonderen Schwierigkeiten in der Führung der deutschen Politik nie verkannt. Die Gefahren, die sich aus unserer geographischen Lage, aus unseren wirtschaftlichen Notwendigkeiten und nicht zuletzt aus unseren völkisch gemischten Randgebieten ergaben, waren mit den Händen zu greifen. Eine gegnerische Politik, der es gelang, die fremden Begehrlichkeiten gegen uns zusammenzufassen, bedurfte nach meiner Ansicht hierzu keiner großen Gewandtheit. Sie betrieb letzten Endes den Krieg. Auf diese Gefahr uns einzustellen, versäumten wir. Unsere Bündnispolitik richtete sich mehr nach einem Ehrenkodex als nach den Bedürfnissen unseres Volkes und unserer Weltlage.

 

Wenn ein späterer deutscher Reichskanzler schon in den neunziger Jahren mit dem fortschreitenden Zerfall der uns verbündeten Donaumonarchie als mit etwas Selbstverständlichem rechnen zu müssen glaubte, so war es unverständlich, wenn unsere Politik daraus nicht die entsprechenden Folgerungen zog.

 

Den deutsch-österreichischen Stammesgenossen brachte ich jederzeit volle Sympathie entgegen. Die Schwierigkeiten ihrer Stellung innerhalb ihres Vaterlandes fanden ja bei uns allgemein die lebhafteste Teilnahme. Dieses unser Gefühl wurde aber nach meiner Auffassung von der österreichisch-ungarischen Politik allzu weitgehend ausgenutzt.

 

Das Wort von der Nibelungentreue war gewiß seinerzeit sehr eindrucksvoll. Es konnte uns aber über die Tatsache nicht hinwegtäuschen, daß Österreich-Ungarn uns in die bosnische Krisis, auf die dieses Wort gemünzt war, ohne bundesbrüderliche Verständigung überraschend hineingezerrt hatte und dann von uns verlangte, ihm den Rücken zu decken. Daß wir den Verbündeten damals nicht verlassen konnten, war klar. Das hätte geheißen, den russischen Koloß stärken, um dann selbst um so sicherer und widerstandsloser von ihm erdrückt zu werden.

 

Mir als Soldaten mußte besonders das Mißverhältnis zwischen den politischen Ansprüchen Österreich-Ungarns und seinen innerpolitischen sowie militärischen Kräften auffallen. Den ungeheuren Rüstungen des nach dem ostasiatischen Kriege wieder gekräftigten Rußland gegenüber verstärkten zwar wir Deutschen unsere Wehr, stellten aber nicht die gleichen Anforderungen an unseren österreichisch-ungarischen Bundesgenossen. Für die Staatsmänner der Donaumonarchie mochte es sehr einfach sein, sich gegenüber unseren Anregungen auf Erhöhung der österreichisch-ungarischen Rüstungen hinter Schwierigkeiten ihrer innerstaatlichen Verhältnisse zurückzuziehen. Warum aber fanden wir keine Mittel, Österreich-Ungarn in dieser Frage vor ein Entweder-Oder zu stellen? Wir kannten doch die gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit unserer voraussichtlichen Gegner. Durften wir es denn dulden, daß der Verbündete einen großen Teil seiner Volkskräfte für die gemeinsame Verteidigung brach liegen ließ? Was nützte es uns, in Österreich-Ungarn ein nach Südosten vorgeschobenes Bollwerk zu besitzen, wenn dieses Bollwerk nach allen Seiten Risse aufwies und nicht genügend Verteidiger besaß, um seine Wälle zu halten?

 

Auf eine wirksame Waffenhilfe Italiens zu rechnen, schien mir von jeher bedenklich. Eine solche war zweifelhaft, selbst bei gutem Willen der italienischen Staatsmänner. Wir hatten Gelegenheit gehabt, die Schwächen des italienischen Heeres im Tripoliskrieg vollauf zu erkennen. Seitdem waren die dortigen Verhältnisse bei den schwer erschütterten Finanzen des Staates kaum besser geworden. Schlagbereit war Italien jedenfalls nicht.

 

In diesen Richtungen bewegten sich meine damaligen Betrachtungen und Sorgen. Ich hatte den Krieg schon zweimal kennengelernt, jedesmal unter kraftvoller politischer Führung vereint mit einfachen, klaren kriegerischen Zielen. Ich fürchtete den Krieg nicht, auch jetzt nicht! Aber ich kannte neben seinen erhebenden Wirkungen seine verheerenden Eingriffe in das menschliche Dasein zu gut, als daß ich ihn nicht hätte denkbar lange vermieden wissen wollen.

 

Und nun brach der Krieg über uns herein! Die Hoffnungslosigkeit, uns mit Frankreich auf dem bestehenden Boden vergleichen, den Geschäftsneid und die Rivalitätsangst Englands bannen, die russische Begehrlichkeit ohne unseren Bündnisbruch mit Österreich befriedigen zu können, hatte in Deutschland seit langem eine Stimmungsspannung hervorgerufen, in der der Kriegsausbruch fast wie eine Befreiung von einem beständigen, das ganze Leben beeinträchtigenden Drucke empfunden wurde.

 

Der deutsche kaiserliche Heerbann trat an! Eine stolze Kriegsmacht, wie sie die Welt in dieser Tüchtigkeit nur selten gesehen hat. Bei ihrem Anblick mußte der Herzschlag des ganzen Volkes kräftiger werden. Doch nirgends Übermut im Angesicht der Aufgabe, die unserer harrte. Hatten doch weder Bismarck noch Moltke uns über die wuchtende Last eines solchen Krieges im Unklaren gelassen, stellte doch jeder Einsichtige bei uns sich die Frage, ob wir politisch, wirtschaftlich, militärisch und moralisch imstande sein würden durchzuhalten. Doch größer als die Sorge war zweifellos das Vertrauen.

 

In diesen Stimmungen und Gedanken traf auch mich die Nachricht vom Losbrechen des Sturmes. Der Soldat in mir wurde in seiner nunmehr alles beherrschenden Kraft wieder lebendig. Würde mein Kaiser und König meiner bedürfen? Gerade das letzte Jahr war ohne eine amtliche Andeutung dieser Art für mich vorübergegangen. Jüngere Kräfte schienen ausreichend verfügbar. Ich fügte mich dem Schicksal und blieb doch in sehnsuchtsvoller Erwartung.

 

Zur Front

 

Die Heimat lauschte in Spannung.

 

Die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen entsprachen unseren Hoffnungen und Wünschen. Lüttich war gefallen, das Gefecht bei Mülhausen siegreich geschlagen, unser rechter Heeresflügel und unsere Mitte im Vorschreiten durch Belgien. Die ersten jubelatmenden Nachrichten über die Lothringer Schlacht drangen ins Vaterland. Auch aus dem Osten klang es wie Siegesfanfaren.

 

Nirgends Ereignisse, die sorgende Gedanken gerechtfertigt erscheinen ließen.

 

Am 22. August 3 Uhr nachmittags erhielt ich eine Anfrage aus dem Großen Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers, ob ich bereit zur sofortigen Verwendung sei.

 

Meine Antwort lautete: „Bin bereit.“

 

Noch bevor dieses Telegramm im Großen Hauptquartier eingetroffen sein konnte, erhielt ich ein zweites von dort. Danach rechnete man augenscheinlich bestimmt mit meiner Bereitschaft zur Annahme einer Feldstelle und teilte mir mit, daß General Ludendorff bei mir eintreffen werde. Weitere Mitteilungen aus dem Großen Hauptquartier klärten dann die Sachlage für mich dahin auf, daß ich als Armeeführer sogleich nach dem Osten abzugehen hätte.

 

Gegen 3 Uhr nachts fuhr ich, in der Eile nur unfertig ausgerüstet, zum Bahnhof und stand dort erwartungsvoll in der mäßig beleuchteten Halle. Meine Gedanken rissen sich von dem heimischen Herde, den ich so plötzlich verlassen mußte, erst völlig los, als der kurze Sonderzug einfuhr. Ihm entstieg mit frischem Schritte General Ludendorff, sich bei mir als mein Chef des Generalstabs der 8. Armee meldend.

 

Der General war mir bis zu diesem Augenblicke fremd gewesen, seine Tat bei Lüttich mir noch unbekannt. Er klärte mich zunächst über die Lage an unserer Ostfront auf, über die er am 22. August im Großen Hauptquartier Coblenz von dem Chef des Generalstabes des Feldheeres, Generaloberst von Moltke, persönlich unterrichtet worden war. Danach hatten sich die Operationen der 8. Armee in Ostpreußen folgendermaßen entwickelt: Die Armee hatte das XX. Armeekorps, verstärkt durch Festungsbesatzungen und sonstige Landwehrformationen, bei Beginn der Operationen zum Schutze der Südgrenze West- und Ostpreußens von der Weichsel bis an das Lötzener Seengebiet in Stellung belassen. Die Masse der Armee (I. Armeekorps, XVII. Armeekorps, I. Reservekorps, 3. Reservedivision, Festungsbesatzung Königsberg und 1. Kavalleriedivision) war an der Ostgrenze Ostpreußens versammelt worden und hatte dort am 17. August bei Stallupönen, am 19. und 20. August bei Gumbinnen im Angriff gegen die unter General Rennenkampf von Osten her vordringende...

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