2 „Leinen los“… die Unterelbe schwingt mit uns in die Nordsee
2.1 Bevor wir ablegen
Unsere Reise beginnt in Hamburg am Kreuzfahrtterminal der Hafen-City (Cruise Center Hafen-City, siehe Abb. 6). Betrachtet man die An- bzw. Ablegestelle unseres Schiffes zunächst nur hydrologisch-formal, so befindet sie sich bei Elbestrom-Kilometer 621. Eine Info, die wenig anschaulich ist…. Menschlich-reisetechnisch gesehen ist das zum Glück aber ziemlich inmitten des Hafens und gleichzeitig sehr nahe zum Stadtzentrum. Eine prima Ausgangslage!
Während von hier die Hamburger Innenstadt (Rathausmarkt) fussläufig in rd. 20 Minuten (1,5km) erreichbar ist, sind es mit dem Schiff bis Cuxhaven bzw. zur Elbmündung doch mehr als 100 Kilometer. Es sind dies viele Kilometer eines Wasserweges, der zunächst entlang einer Grund- bzw. Endmoränenlandschaft (steiles Geest-Ufer zwischen Hamburg-Altona und Wedel) und dann im weiteren Verlauf durch das flache sogenannte Marschenland führt. D.h., die Geografie ist insgesamt geprägt durch die letzte Eiszeit und die heutige Unterelbe damit quasi das Gestaltungs-Resultat der ehemals gewaltigen Schmelzwasserströme, die mit dem Abtauen des mächtigen Inlandeises bis vor rd. 10tsd. Jahren gen Nordsee flossen.
Fraglos, wenn auch in diesem Buch nicht im Vordergrund stehend, ist das Gebiet entlang der Unterelbe kulturlandschaftlich sehr interessant. Schliesslich werden wir mit unserem Kreuzfahrtschiff so bekannte Orte wie Hamburg-Nienstedten (z.B. mit der Elbchaussee oder dem berühmten Hotel Jacob) passieren, dann im weiteren Verlauf Hamburg-Blankenese (wunderschön mit vielen alten Häusern im Steilhang sowie natürlich dem bekannten Süllberg), Schulau (Schiffsbegrüssungsanlage), Glückstadt (die alte dänischstämmige „Matjesstadt“) oder Brunsbüttel (Beginn bzw. Einfahrt zu den Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals) (3).
Auf der gesamten Strecke, soweit sie nicht zu Beginn der Reise von der steilen Geestkante flankiert wird, findet sich hinter der Deichlinie das bereits erwähnte Marschenland. Teils ist es unter NN/unter dem Meeresspiegel gelegen und bei Sturmfluten vor Überschwemmungen nicht 100%ig sicher. Jedenfalls in früheren Zeiten…. Gerade wegen der episodischen Überflutungen in der Vergangenheit und dem damit verbundenen Eintrag ´frischer´, nährstoffreicher Sedimente, kann dieses Land heute landwirtschaftlich intensiv genutzt werden und ist ertragreich: Direkt stromab der Hamburger Landesgrenze liegt beispielsweise auf der linken (südlichen) Seite des Flusses (natürlich ebenfalls per Deich vom Strom der Unterelbe abgetrennt) das „Alte Land“, Europas grösstes und bekannteste Obstanbaugebiet.
Abb. 6: Der Hamburger Hafen mit den drei „Cruise Center“. Ab Altona und dem Zusammentreffen von Norder- und Süderelbe beginnt die Unterelbe (GOOGLE Earth)
Und rechtsseitig, flussabwärts von Schulau, dann die Haseldorfer Marsch, ebenso ein landwirtschaftlich intensiv bewirtschaftetes Gebiet. Hierbei spielt übrigens auch das sogenannte Mikroklima der tiefliegenden Marschen eine grosse Rolle und dabei vor allem der Temperatur-„Puffer“ der in die Elbe entwässernden Gräben (4).
Diese Marschgebiete wurden sämtlichst dem Elbe-Strom ´abgerungen´, d.h. vor dem Bau der Deiche waren die Marschen mehr oder weniger regelmässig bei Hochwasser bzw. Sturmtiden überflutet. Spätestens mit Errichtung der jetzigen Deichlinien allerdings sind die Marschlande nicht mehr wirklich ein Gefahrengebiet… wobei man vielleicht niemals nie sagen sollte, denn wer weiss schon, wie hoch eine zukünftige Sturmflut wirklich werden kann?!
Was uns Kreuzfahrer nun aber auch interessiert und wofür dies Buch ja ´da´ sein soll, ist die Aufdeckung von Vorgängen und Prozessen, die innerhalb des Wasserkörpers der Elbe ablaufen bzw. die ´da unten´ und bereits gleich zu Beginn der Kreuzfahrt (noch im Hafen) stattfinden. In einer Welt „ausser Sicht“….
2.2 Keine Sicht…
Diese dem Passagier zum allergrössten Teil unbekannte „terra incognita“, die da unter dem Rumpf des Schiffes liegt und deren Wasser-´Füllung´ man als erstes beim ´boarding´ des Kreuzfahrtschiffes auch am Rumpf plätschernd hört, ist, das sei vorweg gesagt, nicht bunt. Farben, vor allem in der trüben Strömung eines Tideflusses wie der Elbe, gibt es in dieser Unterwasserwelt, in die nahezu kein Licht dringt, eher nicht bzw. wir können sie nicht wahrnehmen. Denn der auf natürliche Weise sehr hohe Gehalt an feinsten „Schweb“-Stoffen bildet im Wasser eines Tideflusses im wahrsten Sinne des Wortes eine undurchdringliche Wolke.
Der Schwebstoff, der in einem Tidefluss jederzeit und praktisch überall präsent ist, erscheint uns im ersten Moment leider auch mehr als ´Dreck´, dem wir intuitiv misstrauen. Wir vermuten fast sofort, diese ´schmutzige Brühe´ müsse wohl irgendwelche Schadstoffe enthalten… und möchten da weder hinein fassen, geschweige denn hinein springen.
Dass der Schwebstoff der Unterelbe allerdings gefährlich sein könnte, ist nicht mehr der Fall. Dies bedeutet keineswegs, dass wir das Elbwasser unbedenklich trinken oder spontan zu einem Badespass im Hafenbecken starten sollten. Die Zeiten jedoch, in denen das Elbwasser durchaus in Teilen als „giftig“ gelten konnte, sind vorbei.
Nicht ungewöhnlich und ebenso wenig bedenklich ist, dass das Wasser im Hamburger Hafen ganz speziell riecht. Denn die im Wasser vorhandenen Teilchen bestehen neben anorganischen Mineralstoffen ´natürlich´ auch aus organischen Resten, die es in jedem Fluss gibt und die hier zusätzlich mit geringen Anteilen von winzigen ´eingeschleppten´ tierischen und pflanzlichen Meeres-/Nordseepartikeln versetzt sind. Und diese leisten eben einen sehr speziellen Beitrag zur Gesamtgemenge- und damit auch Geruchslage.
Trotzdem und tatsächlich haben wir den bereits benannten Respekt vor diesem trüben Wasser. Sei´s drum, wir wollen sie da nicht mit Gewalt belehren. Dieser „Schweb“ besteht aber wirklich und primär nur aus ungefährlichen Tonpartikeln und sogenannten Schluffen! Die Teilchen sind also überwiegend „anorganisch“ und letztlich nichts weiter als zu ´Staub´ zerriebene Gesteinsreste und in´s Wasser gespülte Bodenbestandteile. Material, das eine Korngrösse von unter 0,063mm Durchmesser besitzt und somit feiner als „Feinsand“ ist (wie die Geomorphologen das Material bezeichnen). Es ist damit so leicht, dass es geradezu schwebt. Mit ihrer Substanz bildet die Gesamtheit der Teilchen dann im turbulenten Wasser die an der Wasseroberfläche gut sichtbar dahinziehenden dunkel-braunen bis -grauen Wolken… sie werden das im Verlauf der Reise von Bord aus sehen!
Abb.7: Von der Antriebs-Schraube eines Kreuzfahrtschiffes beim Anlegemanöver aufgewirbeltes feinkörniges Bodensediment bzw. „Schweb“ (hier nicht in der Tide-Elbe, sondern im Brisbane-River/Australien, aufgenommen vom Verfasser im März 2010)
Bestandteil dieser Trübungswolken sind, wie schon angedeutet, natürlich auch organische „Flocken“. Meist handelt es sich um Bruchstücke abgestorbener Pflanzenreste oder Überbleibsel von Kleinstlebewesen. Unter einem Mikroskop kann man mittels einer Wasserprobe diese Vermengung unterschiedlichster Partikel gut erkennen. Wenn man zum Beispiel im Watt (auch in der Unterelbe gibt es Wattflächen!) den dort abgesetzten „Schlick“ in die Hand nimmt, dann sieht man genau das, was im Wasser der Elbe die „Trübung“ hervorruft. Beziehungsweise umgekehrt: Man sieht im Watt den Schlick, der überwiegend aus genau jenem „Schweb“ besteht, der sich hier in grosser Menge abgesetzt hat, d.h. sedimentiert wurde.
Was auch immer da in der Unterelbe letztendlich quasi schwebend treiben mag: Selbst mit technischen Hilfsmitteln können Menschen in diesem trüben Wasser nichts sehen! Der Einsatz von Tauchern, sollte er denn für bestimmte Zwecke nötig werden (z.B. aufgrund der schnellen Kontrolle eines Schiffsrumpfes o.ä.), ist daher nur sehr eingeschränkt möglich und sinnvoll. Denn Taucher können sich hier nur mit den Händen voran tasten. Die ´Optik´ ist in einem Tidefluss praktisch blind und selbst stärkste Handlampen bringen nur so wenig Licht in´s dunkle Treiben der Schwebstoffwolke, dass vielleicht gerade mal (auf wenige Zentimeter Distanz) Oberflächen diffus erkennbar werden. Der Verfasser weiss, wovon er spricht… er hat es bei wissenschaftlichen Messprogrammen zu seinem Leidwesen immer wieder und selbst feststellen müssen.
Wobei übrigens zu erwähnen ist, dass für menschliche Unterwasserarbeiten in einem Tidefluss ohnehin und generell nur ganz kurze Zeitfenster zur Verfügung stehen. Es sind dies nur rd. 25 Minuten um den „Kenterpunkt“ der Strömung herum. Das ist der Zeitpunkt im Tideverlauf, an dem die (Tide-)Strömung von Ebbe auf Flut bzw. von Flut auf Ebbe ´dreht´, d.h. die vorübergehende Fliessrichtung wechselt und die Strömungsgeschwindigkeit in...