Erster Teil: Das Zukunftskonto als Förderprodukt
1 Grundfragen
1.1 Wozu dient das Zukunftskonto?
1.1.1 Definition
Das Zukunftskonto ist zunächst die notwendige zugkräftige Bezeichnung des politischen Anreizprogramms für die Adressaten und die Öffentlichkeit.
In dem hier interessierenden, finanztechnischen Sinne bezeichnet der Begriff Zukunftskonto dagegen eine virtuelle Zusammenfassung von in verschiedener Form angesparten Geldbeträgen (Sparvermögen) einschließlich der darauf bezogenen Forderungen auf Zahlung staatlicher Förderung (Prämienanwartschaften), die während einer nachschulischen Bildungszeit vom Begünstigten verbraucht werden können.
Damit soll zusätzlich zu den bisherigen finanziellen Säulen wie Elternförderung, BAföG, Studienstiftungen, betriebliche Unterstützung, Eigenverdienst der Studierenden sowie einer Kreditfinanzierung über den Markt eine Vorsorgemöglichkeit bestehen, bei der ein entsprechend gefördertes Finanz-Bildungsvermögen aufgebaut wird.
Der Sparvorgang wird anfänglich mit einer Prämienanwartschaft von 150€ bei einer Einlage von 20€ bezuschusst und dann jährlich bis zum 18. Lebensjahr mit einer Prämienanwartschaft in Höhe von 33% des gesparten Betrages (max. 100€) bedacht, so dass 7.350€ zuzüglich der auf die eingezahlten Beträge entfallenden Zinsen als gefördertes Startkapital erreicht werden können.
Abbildung 1: Verfahrensablauf nach BMBF Modell Bildungssparen
1.1.2 Welche bildungspolitische Bedeutung soll es haben?
Das Zukunftskonto soll einen Anreiz schaffen, für nachschulische Bildung finanziell so vorzusorgen, dass damit die Wahrscheinlichkeit gerade bei eher bildungsfernen Schichten zur nachschulischen Bildung deutlich steigt. Es wird somit Elternförderung, BAföG, Förderungen von Stiftungen und Stiftern ergänzen und den Kreis der Begünstigten erweitern helfen. Um die zutreffende Form der Förderung sowie der geförderten Spar- und Finanzprodukte festlegen zu können, muss ein grober Überblick über die voraussichtlichen Wirkungen verschafft werden.
1.1.2.1 Finanzieller Nutzen für den/die Studierende(n)
Nach den Sozialerhebungen des Hochschulinformationssystems HIS, die zuletzt für das Jahr 2006 vorliegen, verfügen Studierende monatlich im Durchschnitt über eine Betrag zwischen 742€ (niedrige soziale Herkunftsgruppe) und 790€ (hohe soziale Herkunftsgruppe), wobei zwischen 2003 und 2006 die Differenz beider Gruppen von 35 auf 48€ angestiegen ist. Gleichwohl liegen anders als die übrigen Einkommen in der Gesellschaft die Ausgaben der Studierenden aller Schichten in den Durchschnittswerten recht eng beieinander, so dass insgesamt von einem Bedarf um 750€ monatlich ausgegangen werden muss, der sich allerdings je nach Studienrichtung und Region (Stadt/Land) stärker differenzieren kann.
Geht man von einem Masterabschluss aus, so dürften einschließlich zweier Examenssemester mindestens 11 Semester zu finanzieren sein, woraus sich ein Gesamtbetrag von rund 50.000€ an Studienkosten errechnet.
Ein Ansparbetrag von 7.750€, bei dem der Sparprozess im Alter von ½ Jahr1 des zukünftig Studierenden mit einer Rate von 300€ pro Jahr2 beginnen würde3, ergäbe bei dem zuletzt festgestellten Durchschnittseintrittsalter von 18 Jahren4 eine Spardauer von 17 ½ Jahren und bei Ausnutzung der maximal möglichen Förderung von 100€ pro Jahr sowie einer Anfangsprämie von 150€ und einer angenommenen durchschnittlichen Verzinsung von 2%5 (allein auf den Sparbetrag, da die Prämienanwartschaften unverzinslich sein werden), einen zu Studienbeginn verfügbaren Gesamtbetrag von 8.122€. Dies wären immerhin 16,2% des Finanzierungsbedarfs im Studium. Wir errechnen daher überschlägig die folgenden Werte in der nachfolgenden Tabelle, wobei eine kleine Förderdifferenz von 50€ (1.850€ zu 1.900€) hier verbleibt.6
Tabelle 1: Erträge des Zukunftskontos
1.1.2.2 Bildungspolitischer Nutzen für den Zugang bildungsärmerer Schichten
Machen einkommensschwache Schichten vom Zukunftskonto Gebrauch, so könnte dadurch eine finanzielle Studienbarriere deutlich gesenkt werden, zumal aus der Überschuldungsforschung bekannt ist, dass die Überschuldung häufig durch einen relativ unbedeutenden Liquiditätsabfall erfolgt, bei dem ein Teil der Kreditrate nicht bezahlt und damit das gesamte System zum Einsturz gebracht werden kann.7 Leider sind die Daten hier nicht sehr hilfreich. Die HIS-Erhebungen beziehen sich nur auf Studierende, d.h. solche, die ihren Studienwunsch realisiert haben, während es hier darum gehen würde, bei denjenigen, die eine Hochschulberechtigung haben und gleichwohl davon keinen Gebrauch machen, schichtenspezifisch die Gründe zu erfahren. Wir haben gleichwohl die Daten über die Studierenden zugrunde gelegt und dabei in Kauf genommen, dass die schichtenspezifische Verteilung der Hochschulzugangsberechtigung dadurch unberücksichtigt bleibt. Wir erhalten dadurch ein grobes Bild von dem Nutzungsgrad der nachschulischen Bildung an Hochschulen nach Schichtenzugehörigkeit. Leider sind auch die neueren Daten zur Schichtung bei Studierenden nach der HIS-Untersuchung mit den Daten des Statistischen Bundesamtes zur Sozialstruktur grob nicht kompatibel. Wir haben sie für unsere Zwecke vergleichbar gemacht und können damit auf jeden Fall ein deutliches Defizit in der nachschulischen Bildung bei der Arbeiterschicht feststellen, das sich auch bei genaueren Zahlen (entsprechend abgeschwächt) erhalten dürfte.8 Danach wären Angestellte und Beamte ähnlich ihrer Proportion bei den Studierenden vertreten, die Selbständigen deutlich überrepräsentiert und die Arbeiter um ca. die Hälfte (40% (West) bzw. 55% (Ost)) unterrepräsentiert.
Abbildung 2: Unterrepräsentation von Arbeiterkindern im Studium
Ob dies nur finanzielle Gründe hat und welche Rolle etwa die Nähe der Eltern zu einer höheren Ausbildung hat, mit der der hohe Anteil derjenigen erklärt wird, deren Eltern bereits Akademiker sind, kann hier nicht entschieden werden. Wir referieren zur Bedeutung der Finanzierungsquellen den Studienanfänger-Report der HIS9:
„Studienanfänger/innen, die Studienbeiträge zahlen, finanzieren diese mehrheitlich mit finanzieller Unterstützung von Eltern, Verwandten oder eines Partners / einer Partnerin (75%). 17 Prozent finanzieren die Beiträge ausschließlich über diese Quelle. Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist das Jobben neben dem Studium. Eine Mehrheit der Studienanfänger/innen (51%), die Studienbeiträge zahlen, bringt die finanziellen Mittel (teilweise) selbst auf. Diesbezüglich bestehen erhebliche herkunftsspezifische Unterschiede: Erstimmatrikulierte mit akademischem Bildungshintergrund erhalten überdurchschnittlich häufig Unterstützung von den Eltern (85% vs. 66% derjenigen ohne akademischen Bildungshintergrund). 24%von ihnen finanzieren die Studiengebühren ausschließlich mit elterlicher Hilfe; unter jenen aus nicht-akademischen Familien sind dies gerade einmal elf Prozent. Erstimmatrikulierte, deren Eltern über keinen Hochschulabschluss verfügen, bringen die finanziellen Mittel indes häufiger selbst auf (57% vs. 44%; als ausschließliche Quelle: 5% vs. 4%), finanzieren den Betrag über einen Kredit (13% vs. 6%) oder nutzen andere, nicht näher spezifizierte Finanzierungsquellen (23% vs. 13%).
Abbildung 3: Finanzierungsquellen der nachschulischen Bildung
Da nachschulische Bildung für wirtschaftlich relativ schwache Bevölkerungsgruppen oftmals die Überlegung der Kreditaufnahme erforderlich macht, ist bezüglich der Wirkungen auch auf Erkenntnisse zur Abhängigkeit der Verschuldungsbereitschaft vom sozialen Status zurückzugreifen. Ausgangspunkt sind empirische Befunde, wonach die Bereitschaft, für die Bildung Schulden aufzunehmen, unter anderem in einer Abhängigkeit von der Selbsteinschätzung steht, ob die Schulden mit Sicherheit zurückgezahlt werden können und ob sich die Bildungsinvestition „lohnt“. Die Verschuldungsbereitschaft für Bildung ist demzufolge in sozial schwächeren und eher bildungsfernen Schichten und Milieus vergleichsweise gering10 und im Übrigen nach bestimmten Befunden in Bezug auf Frauen zudem geringer als in Bezug auf Männer, was entsprechenden negativen Einfluss auf die soziale Mobilität...