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E-Book

Ausstieg aus Verhaltenssüchten

Wie Schematherapie helfen kann Mit CD

AutorHannah Hoppe, Julia Arnhold
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783955718718
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Wenn die Lust zur Sucht wird Haben Sie das Gefühl, bestimmte Aktivitäten in ihrem Ausmaß nicht mehr kontrollieren zu können? Ist zum Beispiel Surfen im Internet, Glücksspiel, Sex, Sport, Einkaufen oder Arbeiten zu Ihrem Lebensmittelpunkt geworden? Kreisen Ihre Gedanken ständig darum, wann Sie diesem Verhalten wieder nachkommen werden? Nicht nur Drogen, sondern auch Verhaltensweisen können süchtig machen. Und diese sogenannten Verhaltenssüchte gehen auf Dauer mit verheerenden gesundheitlichen und sozialen Schäden einher. Dieses Selbsthilfebuch ist zur selbstständigen Anwendung oder auch als Begleitung während einer Therapie geeignet. Auf Grundlage des schematherapeutischen Ansatzes und mithilfe von Reflexions- und Entspannungsübungen lernen Sie, Ihre wahren Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie erarbeiten sich Schritt für Schritt Strategien, mit den Herausforderungen des Lebens konstruktiv umzugehen, anstatt sie durch eine Flucht in die Verhaltenssucht zu kompensieren.

Dr. Julia Arnhold ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis in Berlin. <br /> <br />Hannah Hoppe ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis in Köln und Leiterin des Schematherapie-Instituts Rhein-Ruhr sowie einer Lehrpraxis für Verhaltenstherapie in Köln. <br />

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Leseprobe

2. Ich bin viele: das schematherapeutische Modus-Modell


2.1 Wunde Punkte


Gefühle sind universell und haben wichtige allgemeingültige Funktionen, wie wir in Abschnitt 1.3.1 gelernt haben. Jeder Mensch ist prinzipiell in der Lage, das gesamte Spektrum an Gefühlen zu empfinden. Worin wir uns jedoch unterscheiden, sind unsere „wunden Punkte“ und die Art und Weise, wie wir mit diesen wunden Punkten umgehen. Dass bei Ihnen ein wunder Punkt getroffen ist, merken Sie im Alltag daran, dass Sie emotional in einer so starken Art und Weise reagieren, dass es der Situation nicht mehr angemessen erscheint, weder Ihnen selbst noch anderen Menschen. Von anderen kommt vielleicht eine verwunderte Rückmeldung: „Ich kann schon verstehen, dass es dich trifft, wenn dein Freund kurzfristig eine Verabredung absagt, aber dass du gleich so verzweifelt bist und meinst, er hätte kein Interesse mehr an dir und könnte dich jeden Moment verlassen, das scheint mir doch etwas übertrieben.“ Ihnen selbst erscheint es mit einigem zeitlichen Abstand womöglich ebenso übertrieben. Das Gefühl selbst passt zur Situation und ist nachvollziehbar, die Intensität jedoch nicht. Die Heftigkeit des Gefühls erinnert eher an das Erleben eines Kindes als an das eines Erwachsenen. Und wenn wir den wunden Punkten nachgehen, ihren Ursprung erforschen, kommen wir meist genau dort an: bei dem Kind, das (um in diesem Beispiel zu bleiben) immer wieder erlebt hat, dass wichtige Bezugspersonen nicht verlässlich verfügbar sind oder plötzlich einfach verschwinden. Es hat immer wieder erlebt, wie es ist, verlassen zu sein. Für ein Kind ist Verlassenheit eine sehr starke Bedrohung, da es körperlich wie emotional davon abhängig ist, dass sich jemand um es kümmert und es versorgt (emotionales Grundbedürfnis nach sicherer Bindung, Abschnitt 1.3.2).

Oder denken Sie an einen kleinen Jungen, der von seiner Mutter und / oder einem Lehrer immer wieder herabgewürdigt und gedemütigt wird. Er fühlt sich klein, ungenügend und minderwertig. Schon als Jugendlicher flüchtet er sich in Computerspiele. In den virtuellen Welten erlebt er ein Gefühl von Größe und Erfolg, wenn er immer höhere Level erreicht und Gegner besiegt. Im Erwachsenenalter ist er in seiner Ehe häufig unglücklich, weil seine Frau beruflich und sozial sehr eingebunden und viel beschäftigt ist. Sie ist sehr erfolgreich und beliebt. Wann immer zur Sprache kommt, dass sie ein höheres Einkommen hat und auch häufiger zu sozialen Anlässen eingeladen wird als er, überkommt ihn ein quälendes Gefühl von Kränkung und Unzulänglichkeit. Vor einer Weile hat er neben dem Online-Gaming damit angefangen, in Dating-Portalen im Internet mit anderen Frauen zu flirten. Damit verbringt er inzwischen seine ganze Freizeit, und selbst auf der Arbeit loggt er sich manchmal in das Portal ein. Beim Chatten erlebt er wohltuende Aufmerksamkeit von seiner Chat-Partnerin und fühlt sich plötzlich viel besser, manchmal richtig euphorisch. Der Weg in die Verhaltenssucht ist geebnet.

Wunde Punkte reichen meist bis in die Kindheit zurück

Im Folgenden möchten wir Ihnen das schematherapeutische Modus-Modell im Detail vorstellen. Es macht anschaulich begreifbar, wie aus kindlichen Erfahrungen wunde Punkte werden und was das mit Ihrer Verhaltenssucht zu tun hat. Ebenso geht es darum, wie Sie lernen können, mit diesen wunden Punkten, also mit in Kindheit und Jugend verletzten Gefühlen und vernachlässigten Bedürfnissen, umzugehen.

Nach dem schematherapeutischen Modus-Modell gehen wir davon aus, dass jeder Mensch unterschiedliche Seiten oder Anteile in sich trägt, die durch ihr ganz individuelles Zusammenspiel die Persönlichkeit prägen. Das Modell nennt diese Anteile Modi (Einzahl: Modus). Modus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Art und Weise“. Die Musik differenziert verschiedene Tonarten als Modi, die Technik unterschiedliche Betriebsarten eines Gerätes. So kann auch der Mensch in unterschiedlichen Modi „erklingen“ beziehungsweise „funktionieren“. Das ist vom Prinzip her keineswegs pathologisch, sondern universell (also bei jedem Menschen vorhanden) und äußerst funktional. Man könnte auch sagen „Wir sind viele“ oder „haben verschiedene Gesichter“. Ihr Partner erlebt Sie wahrscheinlich anders als ein Vorgesetzter oder die Kassiererin im Supermarkt. Sie erleben sich selbst im Alltag unterschiedlich, je nachdem, in welcher Situation Sie sich befinden oder wem Sie gegenübertreten. Im alten Job, den Sie seit Jahren erfolgreich ausführen, sind Sie selbstsicher, vor dem Vorstellungsgespräch für eine gänzlich neue Stelle hingegen etwas verunsichert; der besten Freundin gegenüber sind Sie weich und offen, der Fremden auf der Geburtstagsfeier begegnen Sie etwas reservierter. Wenn Sie auf einer Bühne vor Publikum ein Lied vortragen sollen, fühlen Sie sich womöglich unter Druck, während Sie das gleiche Lied zu Hause fröhlich und unbeschwert vor sich hin singen. Betrachten wir dann noch belastende Ausnahmesituationen des Lebens, kann die Art und Weise, wie wir uns fühlen und verhalten, in noch stärkerem Maße von dem Gewohnten abweichen. Eine Trennung, die uns ganz plötzlich eine bisher ungekannte Einsamkeit fühlen lässt, ein Todesfall, nach dem wir neben Leere und Taubheit erst einmal gar nichts empfinden und uns einigeln, obwohl wir sonst sehr lebhaft und gesellig sind.

Nichts anderes ist gemeint, wenn wir davon sprechen, dass Menschen zwischen verschiedenen Modi wechseln. Oftmals sind die Modi völlig unproblematisch und helfen uns dabei, die großen und kleinen Herausforderungen zu meistern. Manchmal können einzelne Modi jedoch auch großes Leid verursachen oder mehr Kosten als Nutzen mit sich bringen. Da Sie dieses Buch lesen, gehen wir davon aus, dass sich bei Ihnen womöglich solche Modi identifizieren lassen.

Das Modus-Modell besteht aus vier Grundkomponenten:

  1. den sogenannten Kind-Modi, die das spontane, unveränderte emotionale Erleben darstellen,
  2. den Strafenden und Fordernden Modi1, in denen sich Regeln, Bewertungen und Haltungen der Bezugspersonen aus der Kindheit widerspiegeln,
  3. den Bewältigungs-Modi, die davor schützen, schmerzhafte Emotionen aus mit Leid assoziierten Kind-Modi vollständig und dauerhaft zu empfinden, und
  4. dem Modus des Gesunden Erwachsenen, der eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnimmt, anerkennt und im Einklang mit den Bedürfnissen anderer Menschen versorgt.

Abbildung 2.1: Das Modus-Modell

2.2 Hilfreiche und problematische Modi


2.2.1 Die Kind-Modi


Ausgangspunkt des schematherapeutischen Modus-Modells (Abbildung 2.1) sind die Kind-Modi. In sehr vielen Fällen ist der Modus des Verletzbaren Kindes entscheidend. Er wird in der Schematherapie auch Modus des Vulnerablen Kindes genannt. Dieser Modus ist beispielsweise dann aktiv, wenn wir wie ein verlassenes Kind tiefe Verzweiflung empfinden, etwa weil unser Partner im Streit einfach das Gespräch abbricht. Genauso können Gefühle von Trauer, Scham, Schuld und Einsamkeit dem Modus des Verletzbaren Kindes zugeordnet werden. Die Art des vorherrschenden Gefühls hängt davon ab, welche prägenden Kindheitserfahrungen dem Modus zugrunde liegen. Eine aktuelle Begebenheit im Erwachsenenleben ähnelt dann prägenden Situationen aus unserer Kindheit, in denen wichtige emotionale Bedürfnisse frustriert worden sind (Abschnitt 1.3.2). Die zugehörigen Gefühle (inklusive der Körperreaktionen!) werden im Hier und Jetzt wieder aktiviert und so intensiv erlebt wie damals als Kind. Wir gehen heute davon aus, dass tatsächlich jene neuronalen Netzwerke im Gehirn aktiv sind, die in der damaligen Ursprungssituation angelegt worden sind (Kapitel 3). Das Verletzbare Kind – das heißt das reale Kind von damals ebenso wie der Modus heute – erlebt unangenehme bis qualvolle Gefühle ganz direkt, weil wichtige emotionale Grundbedürfnisse nicht befriedigt oder verletzt werden. In der Ursprungssituation als Kind waren dafür in der Regel wichtige Bezugspersonen verantwortlich, im Erwachsenenalter stehen oftmals bestimmte eigene Verhaltensmuster der Bedürfniserfüllung im Weg (siehe auch Abschnitte 1.3 und Kapitel 6 bis 8).

Der Modus des Ärgerlichen Kindes äußert sich durch hitzigen Ärger. Wenn Ihr Modus des Ärgerlichen Kindes aktiv ist, dann sind Sie wütend, regen sich auf, toben, werden vielleicht laut oder anklagend, wenn jemand etwas getan hat, das Sie verletzt. Im Nachhinein ist Ihnen Ihr Verhalten womöglich unangenehm, weil es Ihnen selbst „kindisch“ erscheint: Die Äußerung Ihres Ärgers glich dem eines Kleinkindes, das tobt, weil Papa ihm den Saft eingegossen hat, statt ihm Flasche und Glas zu geben, damit es das selbst tun kann (hier wäre das Bedürfnis nach Autonomie verletzt).

Der Modus des Ärgerlichen Kindes kann bei Menschen vorherrschen, die ähnlichen Bedingungen ausgesetzt gewesen sind wie Menschen mit einem starken Verletzbaren-Kind-Modus, die aber eine eher temperamentvolle, gefühlsstarke und nach außen orientierte Persönlichkeit mitbringen. In diesen Fällen wird im Erwachsenenalter durch Situationen, in denen eine Person zum Beispiel Ablehnung empfindet, sehr schnell auch Ärger ausgelöst. Tatsächlich findet man auch bei kleinen Kindern mit starkem Temperament eine Neigung, auf das Erleben von Verlassenheit oder Ablehnung eher mit Wut zu reagieren als mit offenkundiger Traurigkeit. Ein sensibler und dem Kind zugewandter Elternteil wird das erkennen, es entsprechend liebevoll begleiten und ihm Trost spenden können – auch wenn ein handfester kindlicher Wutanfall bei den allermeisten Menschen zunächst...

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