Mit einem Zins wird allgemein der Preis für eine befristete Überlassung von Kapital ausgedrückt, den der Kapitalnehmer dem Kapitalgeber zahlt. In der Regel ist der Zins umso höher, je länger die Kapitalüberlassung dauert. Die durchschnittliche Höhe der am Markt für eine bestimmte Laufzeit genannten Zinssätze wird unter dem Begriff Zinsniveau subsumiert.[13] Die Entwicklung des Zinsniveaus auf den Finanzmärkten wird von mehreren Faktoren bestimmt. In der Literatur werden überwiegend drei zentrale Komponenten genannt, die langfristig gesehen Einfluss auf das Zinsniveau nehmen und in einer Wechselwirkung zueinander stehen.
Der erste Faktor sind die Maßnahmen der Geldpolitik, die zunächst den Interbanken-Handel beeinflussen. Wie jeder andere Markt auch, wird der Interbanken-Geldmarkt durch Preis und Menge bzw. in diesem Fall durch Zins und Bankenliquidität bestimmt. Somit hat die Höhe der umlaufenden Geldmenge und der Leitzinsen eine unmittelbare Auswirkung auf den Interbankenzins. Dieser ist wiederum maßgeblich für die Konditionen der Kreditinstitute gegenüber ihren Geschäften mit den Nichtbanken.[14] Infolgedessen können geldpolitische Maßnahmen Änderungen des allgemeinen Zinsniveaus bewirken. Ein Beispiel für ein geldpolitisches Instrumentarium ist der Erwerb von Staatsanleihen durch die Zentralbank, wodurch das Geldvolumen erhöht wird und infolge des höheren Geldangebotes das Zinsniveau sinkt. Auch durch eine Veränderung der Leitzinsen, zu welchen sich die Kreditinstitute bei Notenbanken Geld beschaffen können, kann die Zinsentwicklung beeinflusst werden. Somit bedeutet die Senkung der Leitzinsen i.d.R., dass die Zinsen für Bankkredite ebenfalls sinken. Die Summe geldpolitischer Maßnahmen, die zur Senkung des Zinsniveaus beitragen, kann als Niedrigzinspolitik bezeichnet werden.[15]
Der zweite Faktor ist die konjunkturelle Entwicklung. Bei einem starken Wirtschaftswachstum erhöhen sich die Investitionen und führen zu einer erhöhten Nachfrage nach Finanzprodukten. Folgend der Angebots- und Nachfragetheorie führt eine starke Nachfrage zu einem Preisauftrieb. Dieser spiegelt sich auf dem Finanzmarkt bei der Zunahme der Kreditnachfrage in einem gestiegenen Zinsniveau wider. Umgekehrt sinkt der Zins in schwachen konjunkturellen Lagen, da die Kreditnachfrage aufgrund geringerer Investitionen ebenfalls fällt.[16] Diese automatische Zinsbewegung kann jedoch geldpolitisch beeinflusst werden. Ein niedriger Zins wird z.B. meist dazu verwendet, um den Konsum und somit das Wirtschaftswachstum zu fördern.[17]
Der dritte Faktor ist die Inflationsentwicklung. Eine steigende Inflationsrate vermindert den Wert des Geldes und erhöht somit die Forderung der Geldgeber nach einem ausgleichenden Zins.[18] Die Inflationsentwicklung kann jedoch ebenfalls mithilfe von geldpolitischen Maßnahmen beeinflusst werden. Für die Geldpolitik der EZB gilt die Wahrung der Preisstabilität sogar als das vorrangige Ziel.[19]
Trotz der separaten Darstellung kann festgehalten werden, dass die Geldpolitik aufgrund ihrer möglichen Einflussnahme auf die anderen Faktoren als dominierende Größe bei der Veränderung des Zinsniveaus betrachtet werden kann. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird deshalb die Geldpolitik mit deren zinspolitischen Maßnahmen als den treibenden Faktor für das aktuell vorhandene Zinsniveau angenommen.
Die Zinspolitik der Zentralbanken spielt, wie bereits im vorangegangenen Unterkapitel genannt, eine entscheidende Rolle bei der Bildung des Zinsniveaus in einem Land. Seit über zehn Jahren verfolgen die wichtigsten Zentralbanken der westlichen Länder und Japans eine expansive Geldpolitik, um die Zinssätze niedrig zu halten. Die Grundidee dabei ist, dass die niedrigen Zinssätze Investitionen für angeschlagene Unternehmen in der Krisenzeit weiter ermöglichen und dadurch zu einem konjunkturellen Aufschwung führen.[20]
Der Vorreiter der expansiven Finanzpolitik ist Japan. Das Land hat 15 Jahre vor Europa einen großen Boom-und-Krisen-Zyklus erlebt und als Folge die (beinahe) Nullzinsgrenze erreicht [21] (Abb. 1). Ausgangspunkt für die expansive Geldpolitik in Japan war der Exporteinbruch nach der Yen-Aufwertung, die das Handelsungleichgewicht zwischen Japan und den USA beseitigen sollte. Die darauf folgenden Spekulationen auf den japanischen Vermögensmärkten, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre durch die expansive Geldpolitik der Bank of Japan ausgelöst wurden, führten zu einem Boom auf den Aktien- und Immobilienmärkten. Um die wirtschaftliche Überhitzung zu drosseln, reagierte die Bank of Japan mit einer Leitzinserhöhung. Diese hat zwar die Spekulationen auf dem Aktienmarkt beendet, führte die japanische Wirtschaft jedoch in eine tiefe Krise. Zu Beginn der 1990er Jahre brachen der Immobilien- und Aktienmarkt zusammen. Um die Konjunktur erneut zu stützen, setzte die Bank of Japan im Jahr 1991 erneut auf eine extrem expansive Geldpolitik. Bis Ende 1995 wurde der Leitzins der Bank of Japan auf 0,5 Prozent gesenkt und seitdem auf diesem Niveau belassen.[22]
Abb. 1: Leitzinsentwicklung in Japan
Quelle: In Anlehnung an Bloomberg (2013a), BOJDTR Index.[23]
In den USA werden niedrige Zinsen von der US Notenbank Federal Reserve (Fed) grundsätzlich zur Bekämpfung von Finanzkrisen eingesetzt. Angefangen mit dem „Schwarzen Montag“ im Jahr 1987, als die Aktienkurse um 22 Prozent eingebrochen sind, hat der damalige Vorsitzende der Fed, Alan Greenspan, die Leitzinsen von 7,5 auf 7 Prozent gesenkt.[24]
Wie in der Abbildung 2 zu sehen ist, hat die Fed auf die Ereignisse der letzten 15 Jahre auch mit einer expansiven Geldpolitik reagiert. So wurde nachdem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 sowie den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 die Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank darauf ausgerichtet, eine drohende Rezession der US-Realwirtschaft zu vermeiden. Mit einer Reduktion der Leitzinsen von 6,5 Prozent im Jahr 2001 bis auf ein Prozent im Jahr 2004 stellte die Fed dem Markt günstige Liquidität bereit. Infolgedessen fragten die Geschäftsbanken mehr Liquidität bei der Zentralbank nach und erweiterten das Kreditgeschäft. Die Zinssenkung sollte einerseits den konjunkturellen Abschwung verhindern sowie die Aktienmärkte stabilisieren.[25]
Nach einer zwischenzeitlichen Zinsanhebung in den Jahren 2004 – 2007, die im Unterkapitel „Wirtschaftliche Folgen des niedrigen Zinsniveaus“ näher thematisiert wird, liegt der Leitzins der amerikanischen Geldpolitik momentan bei 0,00 – 0,25 Prozent (Abb. 2).[26] Die Leitzinssenkung sowie der Erwerb großer Mengen an Staatsanleihen wurden von der Fed als Reaktion auf die Finanzkrise aus dem Jahr 2007 vorgenommen. Die daraus resultierenden niedrigen Zinsen sollten die Investitionen fördern sowie die Finanzierung der Immobilien wieder erleichtern.[27] Laut der Aussage des Vorsitzenden der Fed Ben Bernanke soll die Nullzinspolitik solange fortgeführt werden, bis die US-Arbeitslosigkeit von derzeit 7,6 Prozent[28] auf 6,5 Prozent fällt.[29]
Abb. 2: Leitzinsentwicklung in den USA
Quelle: In Anlehnung an Bloomberg (2013b), FDTR Index.[30]
In der Europäischen Währungsunion war das Platzen der Dotcom-Blase die Ursache für die erste Senkung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank.[31] Auch das gegenwärtige Niedrigzinsniveau in Europa ist auf die geldpolitischen Maßnahmen der EZB zurückzuführen. Die infolge der Staatsschuldenkrise in Not geratenen Banken und hochverschuldeten Krisenländer sollten mithilfe der Zinssenkungen und Aufkaufprogrammen von Staatsanleihen durch die EZB gestützt werden.[32] Wegen der sich immer wieder zuspitzenden Phasen der Schuldenkrise, wie zuletzt in Zypern, werden die Zinsen in Europa voraussichtlich auch in der absehbaren Zukunft noch auf einem niedrigen Niveau bleiben.[33] Hinzu kommt, dass die daraus resultierende Unsicherheit und das Streben nach sicheren Geldanlagen die...