2 Beziehungsorientierung beim „Delphinverkäufer“
Im Jahr 1996 erschien dann in Deutschland das Buch „Der Delphinverkäufer“17 von Hermann Koch. Das Buch beschreibt keine Verkaufstechniken, sondern bezieht sich auf das große Feld der Selbstmotivation von Verkäufern. Es war eines der ersten deutschsprachigen Bücher mit einem Schwerpunkt auf Beziehungsorientierung im Vertrieb mit einer klaren Abgrenzung zu den Protagonisten der Abschlussorientierung: „Erfolgs-Selling statt Power-Selling“. Koch bezieht sich darin auf den Bestseller von Dudley Lynch und Paul Kordis „Delphin-Strategien“18, das 1988 in den USA erschienen war. Lynch und Kordis entwickeln in dem Buch drei Strategien, die auf typischen menschlichen Verhaltensweisen basieren, und schaffen als Anker eine Analogie zum Verhalten von drei uns allen bekannten Fischarten.
Der „Karpfen“ - immer das Opfer
Die Strategie des Menschen, der sich immer als Opfer sieht und meint, dass er stets den Kürzeren ziehen würde, wird mit dem Karpfen als Anker in Verbindung gebracht. Sein fundamentaler Glaubenssatz lautet: „Ich bin ein Karpfen und ich glaube an den Mangel. Aufgrund dieses Glaubens erwarte ich nicht, dass ich jemals genug alles leisten kann oder haben werde. Wenn ich also dem Lernen und der Verantwortung nicht entkommen kann, indem ich mich davon fernhalte, dann opfere ich mich gewöhnlich.“19
Der „Hai“ - bloß nie zum Opfer machen lassen
Das Verhalten des Menschen, der immer gewinnen will und dabei über Leichen geht, basiert nach der Meinung von Lynch und Kordis ebenfalls auf dem fundamentalen Glaubenssatz, dass es nicht genug gibt für jeden. Diese Strategie wird mit dem Hai als Anker in Verbindung gebracht. Der Hai lebt mit folgendem Glaubenssatz: „Ich bin ein Hai und ich glaube an den Mangel. Aufgrund dieses Glaubens beabsichtige ich, um jeden Preis so viel wie möglich zu bekommen. Zuerst versuche ich, sie zu schlagen, und wenn das nicht gelingt, versuche ich, mich ihnen anzuschließen.“20
Der „Delphin“ - jeder hat die Wahl
Dagegen ist die Strategie des Delphins so charakterisiert: „Ich bin ein Delphin und ich glaube an den potentiellen Mangel und den potentiellen Überfluß. Da ich glaube, daß wir beides haben können - daß es unsere Wahl ist - und daß wir lernen können, das zu multiplizieren, was wir haben, und unsere Ressourcen elegant einzusetzen, mache ich Flexibilität und die Fähigkeit, aus weniger mehr zu machen, zu den Eckpfeilern der Methode, mit der ich meine Welt erschaffe.“21 Die Strategie des Delphins ist somit das Ideal, dem es nachzueifern gilt. Hermann Koch beklagt die einseitige Abschlussorientierung, die von den bislang erwähnten Autoren propagiert wird, und die in vielen Fällen zu Druck und Widerstand führt. Er geht auf die Veränderungen ein, die durch gesättigte Märkte entstanden sind, und argumentiert, dass man dem dadurch entstandenen Druck nicht mit den Regeln und Glaubenssätzen smarter Verkaufstrainer beikommen kann.
Gleichzeitig kritisiert er die traditionelle Grundauffassung vom manipulativen Verkauf: Verkäufer = Manipulator. Der Kunde ist „Mittel zum Zweck“. Der Zweck ist es, Abschlüsse zu tätigen und Waren zu verkaufen. In der Beziehung zum Kunden sind Interessensgegensätze vorherrschend. In der gleichen Tabelle des Buches findet sich die bevorzugte und empfohlene Einstellung der Delphine zum Verkauf22: „Der Kunde wird als Partner und Verbündeter gesehen. Zum Kunden wird eine gleichberechtigte, kommunikative Beziehung hergestellt, um seine Bedürfnisse zu ermitteln. Verkäufer = Kommunikator. Die Produkte und Dienstleistungen sind ‚Mittel zum Zweck’ - um die Bedürfnisse des Kunden zu befriedigen. In der Beziehung zum Kunden sind gemeinsame Interessen vorherrschend.“
Weiterhin gibt Koch viele Anregungen und Tipps, wie man sich besser selbst motiviert, wenn es schwierig wird. Dazu bietet er eine ganze Reihe von NLP-Techniken23 an und fordert den Verkäufer auf, sich Gedanken über seine Werte zu machen.24 Dieser Mix aus Hobbypsychologie, Esoterik, Philosophie, „Human Potential Movement“, Gestalttherapie, Hypnotherapie und einigen anderen Techniken und Methoden wirkt sehr beliebig und hat sicherlich nur wenigen Verkäufern geholfen, ihre Kunden besser zu bedienen.
Ein Beispiel aus dem „Delphinverkäufer“
Koch geht nicht auf das verkäuferische Handwerkszeug ein. Die Hinweise darauf, dass ein Delphinverkäufer aktiv zuhört und mit aufrichtigem Interesse nachfragt, und, wenn er mit einem günstigeren Angebot des Mitbewerbers konfrontiert wird, dieses empfiehlt, bleiben oberflächlich.
Beispiel: „Delphinverkäufer“ im Umgang mit Konkurrenzangebot
„Frau Müller erhielt einen Anruf von ihrem Kunden Herr Bedrowski wegen eines äußerst günstigen Angebots der Konkurrenz. Selbstverständlich nahm Frau Müller sich die Zeit für ein ausführliches Gespräch, in dem dieses Angebot gemeinsam auf Herz und Nieren geprüft wurde (...) Herr Bedrowski wunderte sich, wieso Frau Müller nach anfänglichem Erstaunen ihm offen empfahl, dieses Angebot anzunehmen, weil sie wusste, dass ihre Firma zur Zeit nichts Vergleichbares bieten konnte. Herr Bedrowski betonte, dass er wirklich gern auch in diesem Bereich die Dienste von Frau Müller in Anspruch genommen hätte, da er ja um deren Zuverlässigkeit wisse und das Vertrauensverhältnis ihm sehr wichtig sei.“25 Ein paar Tage früher als verabredet rief Herr Bedrowski bei Frau Müller an, um ihr mitzuteilen, er habe ein längeres Gespräch mit seinem Geschäftsführer gehabt und sie seien zu der Überzeugung gekommen, dass die teurere Lösung der Firma von Frau Müller genommen werden solle, da man den Produkten ihrer Firma einfach mehr Vertrauen entgegenbringe.
Aufgrund der Veränderungen der Einkaufsstrukturen und unserer Kultur kommt man mit dieser Strategie heutzutage nicht mehr weit.
Koch setzt als Erster mit seiner ausdrücklichen Beziehungsorientierung einen klaren Kontrapunkt zu den Vertretern der bereits beschriebenen Abschlussorientierung. Seine Tipps, was Verkäufer tun sollen, bleiben jedoch sehr vage und viele seiner psychologischen Tipps sind schlichtweg Unsinn.
Viele Vertreter der beziehungsorientierten Haltung eines Verkäufers erfinden nichts wirklich neu. Emotionen im Verkaufsgespräch sind demnach zwar erwünscht. Aber auch mit dieser Technik ist es nicht möglich, den Kunden zu verstehen. Man kann ihn auf diese Weise emotional beeinflussen, ihn in eine bessere Stimmung bringen und so bessere Verkaufsergebnisse erzielen - dabei handelt es sich aber um emotionale Manipulation. Die Basis für eine nachhaltige Kundenbeziehung ist dadurch aber noch lange nicht gegeben. Dazu braucht es ein Handwerkszeug, dass es dem Verkäufer ermöglicht, den Kunden in seiner Erfahrungswelt bei der Nutzung des Produkts zu beobachten oder sich die Erfahrungen des Kunden erzählen zu lassen, um aus diesem Erfahrungsbericht die richtigen Details für den Kauf eines neuen Produkts herauszuarbeiten. Es geht um die Erfahrungsebene, nicht nur um die Emotionen. Emotionen sind ein Bestandteil menschlicher Erfahrung, aber Erfahrung alleine auf Emotionen zu reduzieren, wäre eine unnötige Einschränkung.
Die konkrete Vorgehensweise mit den damit einhergehenden Methoden und ihrer Anwendung im Verkauf wird ausführlich im Kapitel über das „Rad der Erfahrung“ beschrieben (siehe Kapitel 18). An dieser Stelle soll aber schon herausgestellt werden, dass es sich dabei nicht um emotionales Verkaufen handelt, wie es in aktuelleren Veröffentlichungen gefordert wird.26 Ziel ist, sich als Verkäufer auf die Erfahrungsebene des Kunden zu begeben und herauszufinden, wie er die Nutzung des Produkts persönlich empfindet und dann die Verantwortung dafür zu übernehmen, die richtige Lösung für den Kunden herauszuarbeiten. In diesem Buch beschreibe ich das Handwerkszeug, wie man dabei vorgeht.
Überholte Vertriebsstrategien - Tarnen, Tricksen, Täuschen
Wenn man sich die bislang beschriebenen Erkenntnisse bewusst macht, ist es nicht erstaunlich, dass Verkäufer und Vertriebsmitarbeiter mit diesen Techniken und den zugrundeliegenden Annahmen darüber, wie man Menschen zum Kauf bewegen kann, ihr Image in der Öffentlichkeit nicht aufpolieren konnten. Power-Selling galt mehr oder weniger als die Norm und aus heutiger Sicht kann man gut nachvollziehen, dass Verkäufern ein Ruf vorausging, der etwas mit Tarnen, Tricksen und Täuschen zu tun hat und sie letztlich nur darauf aus sind, andere Menschen zu übervorteilen, um das zu bekommen, was sie wollen - nämlich einen Auftrag.
Dahinter verbirgt sich die Angst, dass ein Mensch, wenn man ihn frei entscheiden lässt, nicht kauft. Wenn man sich diese Weltsicht bewusst macht, muss man erkennen, dass der Power-Seller davon ausgeht, dass es bei den Kunden einen Mangel gibt und man sie am schnellsten und zuverlässigsten zum Kauf bewegen kann, wenn man sie manipuliert. Die Vertreter der von Koch beschriebenen Beziehungsorientierung wurden häufig nur belächelt. Dass Kunden auch kaufen, weil sie von sich aus etwas wollen und den Nutzen für sich sehen - also jegliche Kontrolle oder Manipulation unnötig ist - taucht in den amerikanischen Konzepten oder denen des Power-Selling meist nur am Rande auf.