Gründe für das Autogene Training mit Kindern
Kinder in der heutigen Zeit
In fast jeder Klassengemeinschaft gibt es Kinder, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe:
In der heutigen Zeit sind bereits Grundschulkinder immens hohen Leistungsanforderungen und Stress ausgesetzt. Viele Eltern vergleichen ihre Kinder mit anderen und stellen früh hohe Erwartungen an ihre Sprösslinge. So können die meisten Kinder schon vor Schuleintritt ihren Namen schreiben, kleinere Summen addieren und bis hundert zählen.
Zu Hause dagegen sitzen viele Kinder oft stundenlang vor dem Fernseher oder dem Computer. Sie lassen sich von den Massenmedien regelrecht berieseln. Die Folge: Fantasie und Kreativität verkümmern. Kinder verlieren den Bezug zur Natur, zu ihrer Umwelt und werden körperlich träge. Durch die in der Stadt häufig ungünstigen Wohnbedingungen spielen Stadtkinder zudem immer seltener im Freien und haben wenig Gelegenheit, ihren natürlichen Bewegungsdrang auszuleben. Am Vormittag in der Schule sind sie dann hibbelig, unkonzentriert und können kaum still sitzen, um sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren.
Manche Kinder sind tagsüber sich selbst überlassen, weil beide Elternteile berufstätig sind und sich aufgrund der Doppelbelastung abgearbeitet und überfordert fühlen. Kaum ein Elternteil hat tagsüber Zeit, dem Kind eine Geschichte vorzulesen, mit ihm in den Wald zu gehen oder etwas anderes zu unternehmen.
Viele Pädagogen stehen den aggressiven, lauten und unruhigen Kindern hilflos gegenüber. Die großen Klassen lassen ihnen kaum Raum dafür, sich um einzelne Schüler zu kümmern, die dringend Hilfe benötigen würden. Diesen Kindern fehlt ein Ausgleich, die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und sich zu entspannen. Und genau dies kann das Autogene Training Kindern bieten!
Stress bei Kindern und seine Folgen
Alle der im letzten Kapitel genannten Faktoren lassen Kinder erheblichen Stress erleben. Viele Kinder sind überfordert, können sich aber nicht gegen den Stress wehren.
Die Terminkalender von Schulkindern platzen oft regelrecht aus allen Nähten: Schwimmunterricht, Flöten- oder Klavierunterricht, Bastelnachmittage, Nachhilfestunden, AGs, Turngruppe, Ballettschule und und und … Hinzu kommen natürlich noch täglich zu erledigende Hausaufgaben oder das Üben für bevorstehende Klassenarbeiten.
Auch besuchen immer mehr Kinder eine offene Ganztagsschule oder die Schulbetreuung und sind somit häufig erst am Nachmittag wieder zu Hause. Tagsüber sind diese Kinder also einer allein durch die Anwesenheit vieler anderer Kinder meist lauten und unruhigen Umgebung ausgesetzt. Einen Rückzugsort oder ein Zimmer, in dem ein Kind ganz allein und ungestört verschnaufen kann, gibt es oft nicht.
Viele Kinder haben heutzutage nur noch wenig Zeit zum freien Spielen. Die Freizeit wird oftmals durch „engagierte“ Eltern, die ihren Kindern etwas bieten wollen, ver- und durchgeplant. Dabei wäre es für das Kind oft das Beste, gemeinsam mit seinen Eltern Erfahrungen zu sammeln und etwas zu unternehmen. Damit sind keine aufwendigen, teuren Unternehmungen gemeint, sondern ein gemeinsamer Spaziergang, das Vorlesen aus einem Lieblingsbuch auf dem Sofa, ein vergnügter Nachmittag mit Gesellschaftsspielen – oder, bei gutem Wetter, ein paar entspannte Stunden im heimischen Garten. Denn in solchen Situationen können Kinder einfach einmal die Seele baumeln lassen, zu sich kommen und/oder ihre Aufmerksamkeit bewusst auf einen Gegenstand richten, wie beispielsweise auf eine am Himmel vorbeiziehende Wolke oder eine Schnecke, die langsam durch das Gras kriecht. Diese Momente sind zwar oft nur von kurzer Dauer, aber sie haben einen meditativem Charakter, der den Kindern für kurze Zeit tiefe Ruhe schenkt und ihnen dabei hilft, innezuhalten und abzuschalten.
Immer häufiger führt der Stress, dem Kinder ausgesetzt sind, zu psychosomatischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Magen-Darm-Problemen, Allergien, Kopfschmerzen oder Herzproblemen. Solche Erkrankungen sind Hilferufe des Körpers, die oft lange unbeachtet bleiben. Wird schließlich Stress als die Ursache erkannt, so gleicht die Behandlung der Stresssymptome für die betroffenen Kinder (sowie deren Eltern oder Sie als Lehrkraft) einem mühsamen, beschwerlichen Weg, der viel Zeit und eine große Portion Geduld kostet.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto: Das Auto fährt und fährt … Irgendwann muss das Auto eine Pause machen, um zu tanken! Oder das Auto fährt rasend schnell – dann wird es schwer, auf Kommando anzuhalten und zu stoppen. Langsam, Stück für Stück muss gebremst werden, bis der Wagen schließlich steht. So ist es auch beim Kind. Ist es erst einmal unruhig und hibbelig, muss die Bezugsperson ihm geduldig helfen, Schritt für Schritt den Weg zurück zur Ruhe zu finden.
Überlegen auch Sie einmal einen Moment, wann Sie Ihren Körper das letzte Mal ganz intensiv gespürt und wahrgenommen haben. Die meisten Menschen gehen mit ihrem Körper sehr unachtsam um. Solange der Körper Leistung erbringt, ist alles in bester Ordnung. Doch werden dem Körper zu wenig oder gar keine Ruhe- und Erholungsphasen gegönnt, meldet er sich irgendwann, indem er schmerzt. Erst wenn der Körper Ruhe und Erholung bereits bitter nötig hat, spüren die meisten Menschen, wo sich welche Körperteile befinden. So verlieren häufig auch Kinder sehr früh die positive Einstellung zu ihrem Körper: Sie spüren sich und ihre Grenzen nicht mehr, werden aggressiv und verletzen andere, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu spüren.
Das Autogene Training
Das klassische Autogene Training entwickelte der Berliner Nervenarzt Prof. J. H. Schultz. Er fand heraus, dass Patienten, die er zuvor hypnotisiert hatte, anschließend von einem angenehmen und sehr wohltuenden Schwere- und Wärmegefühl in ihren Gliedmaßen und von einem Gefühl tiefster Entspannung, Ruhe und Ausgeglichenheit erfüllt waren. Schultz war zudem mit der Technik der fernöstlichen Meditation vertraut. Aus diesen Erfahrungen heraus entwickelte er das Autogene Training, das in seinen Anfängen von vielen äußerst kritisch begutachtet wurde.
Mittlerweile gehört es zu den bekanntesten und verbreitetsten Entspannungsmethoden überhaupt.
Das Autogene Training ist eine Methode der konzentrativen Selbstentspannung, die es dem Übenden ermöglicht, sich zu jeder Zeit, an jedem Ort und ohne besondere Kleidung nur mithilfe der eigenen Konzentration und einer Reihe von feststehenden Formeln zu entspannen.
Da das Autogene Training sich Stück für Stück aus mehreren Übungen zusammenfügt, überfordert es den Übenden in keinster Weise und lässt sich gerade mit Kindern problemlos umsetzen. Die sechs Grundübungen lassen sich gut nacheinander erlernen und sind leicht nachzuvollziehen.
Mit den einzelnen Übungen nehmen wir Einfluss auf unser vegetatives Nervensystem. Die meisten Funktionen unseres Körpers werden von ihm gesteuert, wie beispielsweise der Kreislauf, die Atmung, der Herzschlag oder unsere Verdauung. Das vegetative Nervensystem ist in den Sympathikus auf der einen und den Parasympathikus auf der anderen Seite gesplittet. Diese jedoch stehen immer in enger Wechselwirkung. Ist der eine aktiv, so tritt der andere in den Hintergrund.
Der Sympathikus ist für all die Abläufe im Körper zuständig, die mit Anspannung zu tun haben. Zum Beispiel sorgt der Sympathikus dafür, dass unsere Herztätigkeit und die Atmung in Stresssituationen beschleunigt werden, der Kreislauf sich der Situation anpasst, die Muskeln angespannt werden und wir konzentriert und aufmerksam arbeiten können.
Der Gegenpol vom Sympathikus, der Parasympathikus, ist für die Entspannung und Erholung zuständig. Er sorgt dafür, dass sich die Muskeln wieder entspannen, das Herz nicht mehr so schnell arbeiten muss und der Stoffwechsel sich reguliert.
Im Normalfall sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Sympathikus und dem Parasympathikus herrschen: Der Mensch benötigt zum Leben ein gewisses Maß an Anspannung, aber auch ausreichend Entspannung.
Nun gerät dieses ausgewogene Verhältnis bei vielen Menschen aus dem Lot, da der Stress und die Hektik des Alltags sie oft völlig vereinnahmen. Überwiegend tritt dann der Sympathikus in Kraft. Es fehlt den Betreffenden an Erholung; die meisten von ihnen nehmen die Anspannung sogar mit in den Schlaf hinein. Am nächsten Morgen fühlen sie sich dann wie gerädert und als hätten sie kein Auge zugetan. Das geschieht deswegen, weil sie sich nicht mehr entspannen können und die Anspannung sich in den Muskeln verankert hat.
Das Autogene Training bietet als Entspannungsmethode einen wunderbaren Ausgleich für den anstrengenden Alltag. Wendet man die Übungen regelmäßig an, so wird das gesamte Immunsystem gestärkt: Der Körper wird gleichmäßiger und besser durchblutet. Man fühlt sich gestärkt und frisch, ausgeglichen und lebenslustig. Problemen und Stress gegenüber reagiert man gelassener. Gleichzeitig wird man aufmerksamer und sensibler – sich selbst und auch anderen gegenüber. Auch die Fantasie und die Kreativität werden angeregt. Sogar Schmerzen können durch die Übungen zum Teil gelindert und teilweise auch ganz beseitigt werden.
Falls Sie dieser Entspannungsmethode immer noch nicht so recht trauen und für fragwürdig halten, dass Sie mit Ihrer bloßen Vorstellung Ihren Körper beeinflussen können, empfehle ich folgendes Experiment:
Machen Sie es sich so richtig bequem! Setzen oder legen Sie sich gemütlich hin und schließen Sie Ihre...