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E-Book

Baby, warum isst du nicht?

Essprobleme verstehen und lösen

AutorJosephine Schwarz-Gerö
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843602877
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Ein Essproblem bei Babys und Kleinkindern kann sich auf vielfältige Weise äußern. Ein Baby verweigert die Brust, ein Kleinkind hat scheinbar gar keinen Hunger, ein anderes Kind ist ein »Picky Eater«, es isst nur ganz bestimmte Lebensmittel, sonst nichts. Für jedes Essproblem bei Babys und Kleinkindern kennt Josephine Schwarz-Gerö eine Lösung. Es geht darum, die Signale des Kindes wahrzunehmen, denn mit einem Essproblem macht es auf seine Bedürfnisse aufmerksam. Diese sensibel zu beantworten, ist der wichtigste Schritt hin zu einem normalen Essverhalten.

Dr. Josephine Schwarz-Gerö war jahrelange Leiterin der Säuglingspsychosomatik an der Kinderabteilung Wilhelminenspital in Wien und ist derzeit niedergelassene Psychotherapeutin und Kindertherapeutin mit einer Lehrtätigkeit an der Universität Wien und der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität.

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Leseprobe

Erster Puzzlestein: Gesundes Essverhalten


Gesundes Essverhalten beinhaltet im Wesentlichen drei Schritte:

  1. Wissen, wann man hungrig ist.
  2. Essen genießen können.
  3. Spüren, wann man satt ist.

Es gibt eine Menge Erwachsener (und folglich auch Eltern), die sich selbst bei einem oder mehreren dieser Punkte nicht oder zumindest zeitweise nicht so sicher sind. Gar nicht so selten tritt ein Fütterungsproblem nämlich während einer Gewicht-Reduktionsdiät der Mutter auf. Will man Gewicht abnehmen, ist es sinnvoll, seinen Appetit zu zügeln und Hunger – wenn möglich – gar nicht zu spüren. Isst man doch etwas, so tut man es meist mit schlechtem Gewissen. Essen genießen zu können, fällt dann für einige Zeit flach. In Kombination mit dem Faktum, dass liebende Mütter »ihrem Baby alles geben wollen, wovon sie spüren, dass sie es selbst brauchen«, kann das gemeinsame Projekt »Füttern« schon aus dem Ruder geraten. Es ist äußerst selten, dass das Baby das Gewicht zunimmt, das die Mutter verlieren will!

Setzen Sie Prioritäten. Verschieben Sie Ihre Diät. Beginnen Sie erst wieder damit, wenn das Fütterungsproblem gelöst ist. Zum Abnehmen reichen vielleicht auch gemeinsame Aktivitäten. Mutter-Kind-Turnen oder Tanzen macht vielleicht beiden Spaß.

Wenn Eltern selber an manifesten Essstörungen litten oder noch leiden, stellt sich natürlich die Frage, wie man einem Baby ein gesundes Essverhalten vermitteln kann, wenn man es selbst nicht kennt. Wer selbst Schwierigkeiten mit gesundem Essverhalten hat, kann sein Kind in dieser Hinsicht schwerlich aus dem Problem herausführen. Wer selbst Probleme hat, sein Hungergefühl zu spüren, überträgt dieses Problem sehr schnell auf sein Baby. Wer selbst kein Sättigungsgefühl kennt, wird seinem Baby schwerlich zutrauen können, seine Sattheit zu spüren. Wer selbst nicht Spanisch spricht, kann es seinem Kind nicht beibringen. Eine Lösung aber wäre, es gemeinsam mit seinem Kind zu erlernen!

Frau F. litt in ihrer Jugend an Bulimie (Ess- und Brechsucht) und hat deshalb auch eine Psychotherapie gemacht. Sie lernte ihre Heißhunger-Attacken zu kontrollieren und nicht jedes aufkeimende Gefühl als Hunger zu interpretieren und sofort zu essen. Sie konnte ihr Gewicht auf diese Weise gut halten. Sogar nach der Schwangerschaft hatte sie bald wieder ihre ursprüngliche Figur. Trotzdem regulierte sich ihr Appetit nicht von selbst. Noch heute, so sagt sie, könnte sie in jeder Situation essen, wenn sie sich nur ließe. Als ich sie kennen lerne, ist sie sehr bemüht darum, ihr Kind vor einer ähnlichen Störung zu bewahren. So, wie sie es für sich selbst erfolgreich gelernt hat, macht sie es auch gezielt bei ihrem Sohn Swen. Sie zögert den Essbeginn so lange als möglich hinaus. Der dreimonatige Swen bekommt seine Flasche auch nicht, wenn er unruhig wird und die letzte Mahlzeit schon mehr als drei bis vier Stunden zurückliegt. Frau F. trägt ihn vorher herum oder spielt mit ihm oder lenkt ihn ab, solange es nur irgendwie geht. Swen bekommt die Flasche nur, wenn er richtig losbrüllt und nicht mehr anders zu beruhigen ist. Swen trinkt die Flasche auch immer auf einen Zug leer. Sein Gewicht ist im Normbereich. Aber natürlich ist das alles sehr anstrengend. Und weil Swen so viel schreit, gerät seine Mutter in einen großen Erschöpfungszustand. Swen wird ein Schreibaby und seine Mutter kann ihn kaum mehr selbst versorgen.

Als ich Frau F. vorschlage, Swen die Flasche früher zu geben und zusätzlich so weit zu füllen, dass er auch einmal etwas übrig lassen würde, ist sie in großer Sorge. Was, wenn er gar nicht hungrig ist und die Flasche nur aus Langeweile trinkt? Sie ist felsenfest überzeugt, dass er »selbstverständlich und immer« alles austrinken würde.

Frau F. hat Recht – zumindest für die nächsten fünf Tage. Swen trinkt und trinkt – und trinkt. Er nimmt innerhalb dieser ersten Tage fast vierhundert Gramm zu! Dann ist allerdings Schluss mit dem Spuk. Swen hat genug aufgeholt. Er beginnt völlig selbstständig vom Überangebot auch einmal etwas übrig zu lassen. Sein Gewicht entwickelt sich wie mit dem Lineal gezogen auf der vorgeschriebenen Gewichtskurve, nur eben in der nächsten höheren Gewichtsklasse. Swen schreit auch nicht mehr.

Aus dieser Geschichte kann man mehreres lernen. Zum Beispiel, dass man sich mit Hunger- und Sattheitsgefühlen nicht anlegen sollte. Zwar führt es nicht direkt zu einem Essproblem, wenn man weniger füttert, als das Kind eigentlich essen würde. Ein Schreiproblem ist allerdings auch keine Alternative!

Verlassen Sie sich auf Ihr Kind! Es spürt als Erstes, ob es hungrig ist. Es spürt auch als Erstes, wann es satt ist und genug hat. Was Ihr Baby aber brauchen kann, ist Ihre Bestätigung. »Ja, ich glaube dir, dass du hungrig bist«, »ja, ich verstehe, dass du satt bist.«

Wie viel muss ein Baby essen?


Ich hatte einmal einen sehr lieben Kollegen, ebenfalls ein Kinderarzt, der wie ich Nachtdienste im Krankenhaus machte. Nachtdienst bedeutet vierundzwanzig Stunden Dienst, und so nimmt man meist auch etwas zu essen und zu trinken mit zur Arbeit. Eines Tages, als mein Kollege mich ablöste, fiel mir auf, dass er drei prall gefüllte Säcke voll Nahrung mit sich schleppte. »Was willst du mit all dem Essen?«, fragte ich ihn. »Das ist mein Proviant!«, entgegnete er. »Okay, aber gleich drei Säcke??« Ich konnte es gar nicht glauben. Mein Kollege war nämlich keinesfalls dick. Ganz im Gegenteil!

Umgekehrt habe ich eine Freundin, die seit jeher mit ihrem Gewicht zu kämpfen hat. »Ich brauche ein Stück Schokolade nur anzuschauen«, pflegt sie zu sagen, »schon habe ich wieder ein Kilo oben!« Auch das konnte ich anfangs nicht glauben.

Die Wissenschaft ist bei diesem Thema etwas weitergekommen. Es ist keineswegs nur die Essensmenge und Kalorienanzahl allein, die für das Gewicht verantwortlich ist. Ebenso wie bei der Wirkung von Medikamenten spielt auch bei der Gewichtszunahme eine Rolle, wie der Körper und dessen Stoffwechsel die zugeführten Stoffe verarbeitet. Hier gibt es zweifellos beträchtliche individuelle Unterschiede.

Bei Babys ist das nicht anders. Zwar gibt es empfohlene Trink- und Essmengen. Aber diese Mengen sind eben nur durchschnittliche Angaben. So, wie viele Werte und Parameter der Kinderheilkunde – zum Beispiel Gewicht, Blutbild oder Blutdruck – nur Durchschnittsangaben sind. Was die empfohlenen Essmengen betrifft, liegt man damit nicht wirklich falsch. Aber ob man damit bei einem bestimmten Kind wirklich richtig liegt, zeigt einem erst das Kind selbst.

Über Schreibabys, die in den ersten Monaten eventuell etwas mehr als die empfohlene Menge trinken wollen, habe ich weiter oben am Beispiel von Swen bereits berichtet. Ebenso gibt es aber auch Kinder, die mit weniger als der empfohlenen Menge auskommen. Wirklich aussagekräftig ist also nicht die Trinkmenge, sondern der Gewichtsverlauf.

Die empfohlenen Mengenangaben auf den Packungen der Milchnahrungen können immer wieder beträchtliche Verwirrung stiften. Wichtig in dieser Hinsicht ist vor allem, dass Sie sich an das dort angegebene Verhältnis von Wasser und Pulver halten. Regelmäßig ein bisschen mehr Pulver – weil man es doch gut meint! – kann für Ihr Baby äußerst ungesund sein. Die erhöhte Konzentration kann sowohl die Nieren belasten als auch zu relativem Flüssigkeitsmangel führen. Trinkt Ihr Baby von der richtig zubereiteten Nahrung aber weniger, als auf der Packung geschrieben steht, so können Sie sich entspannen. Passt das Gewicht und ist das Kind zufrieden und gesund, so besteht kein Grund zur Sorge.

Manche Kinder haben auch einen Drei-Tages-Rhythmus. Zwei Tage essen sie relativ geringe Mengen und jeweils am dritten Tag eine Riesenportion. Nicht die Essensmenge an sich, sondern die Gewichtszunahme pro Woche und später pro Monat gibt Auskunft über die angemessene Menge. Bitte kontrollieren Sie das Gewicht Ihres Kindes aber nicht selbst. Überlassen Sie das dem Kinderarzt.

Vergessen Sie (vorerst) die vorgeschriebene Portionsgröße. Eine lustvolle Kleinmahlzeit ist wertvoller als eine gestresste Vorschriftsportion. Bei einer lustvollen Kleinmahlzeit kann Ihr Baby nämlich ganz wichtige Erfahrungen machen: Dass man aufhören darf, wenn man nicht mehr mag, und dass Essen eigentlich doch angenehm ist. Damit sind Sie schon beim ersten Schritt zum gesunden Essverhalten. Die richtige Portionsgröße ergibt sich danach meist ganz von allein.

»Mein Baby hat keinen Hunger«


»Mein Kind hat einfach keinen Hunger!«, ist eine häufige Klage bei Fütterungsproblemen. Manchmal folgt leise die verunsicherte Frage: »Kann es das überhaupt geben, dass man keinen Hunger spürt?«

Jein. Eigentlich nicht. Die Fähigkeit, Hungergefühle wahrzunehmen, ist angeboren. Zwar kann bei Hunger der Magen knurren und die Verdauung angeregt werden, trotzdem ist Hunger doch eine zentral gesteuerte Funktion. Hunger sitzt im Gehirn!

Die Fähigkeit, Hunger zu spüren, kann aber gestört und irritiert werden. Erwachsene, die fasten oder Hungerdiäten über längere Zeit durchhalten, kennen das. Wird das Hungergefühl übergangen, kann es einem vor Hunger übel werden. Eine solche hungerbedingte Übelkeit kann sogar so groß werden, dass man zunächst gar nicht mehr essen will und einem so paradoxerweise – vor Hunger – der Appetit vergangen ist. Natürlich hält dieser Zustand nicht lange an und bald wird eine neuerliche Hungerattacke an die notwendige Mahlzeit erinnern.

Wird Hunger...

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