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E-Book

Barbara

Das sonderbare Leben meiner Mutter Barbara Valentin

AutorLars Reichardt
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641226466
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die Biografie einer außergewöhnlichen Frau, erzählt von ihrem Sohn Lars Reichardt.
Sie führte ein ungewöhnliches, ein facettenreiches Leben: Barbara Valentin, deren Karriere als schauspielerndes »Busenwunder« begonnen hatte, erfand sich in der Folge gleich mehrfach neu. Sie gehörte schon bald zur berühmt gewordenen Münchner Schickeria der 1960er und 1970er Jahre und unter Rainer Werner Fassbinder gelang ihr schließlich der Wechsel vom Boulevard ins seriöse Fach. Berühmt wurde darüber hinaus auch ihre jahrelange Freundschaft mit Freddie Mercury. In den 1990er Jahren geriet Barbaras Leben jedoch zunehmend aus den Fugen, bevor sie 2002 mit kaum mehr als 60 Jahren verstarb.

Ihr Sohn, der Journalist Lars Reichardt, begibt sich auf eine Spurensuche und verwebt das spektakuläre, schnelle und rauschhafte Leben seiner Mutter geschickt mit eigenen Gedanken zu seiner ungewöhnlichen Familienkonstellation sowie zahlreichen Ereignissen der Zeitgeschichte. Das intime Buch eines Sohnes über seine Mutter und ein sehr persönliches Porträt einer besonderen Frau.

Lars Reichardt, Jahrgang 1963, studierte Philosophie und arbeitet heute in der Textredaktion des Magazins der Süddeutschen Zeitung. Lars Reichardt lebt in München.

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Leseprobe

1. Tränen

Frühling 2009

Ich schnarche. Ich schnarche und habe kleinere Atemaussetzer während des Schlafs. Mein Homöopath hat mir dagegen Lakadinum C 200 verschrieben. Schlafapnoe sei ein Symptom, das typischerweise auf eine gestörte Beziehung zur Mutter hinweise, und Lakadinum die Mama-Medizin schlechthin. Ob ich mich als Kind vernachlässigt oder ungeliebt gefühlt hätte?

Alfred, den Homöopathen, lernte ich vor Jahren in einem Schwangerschaftskurs kennen. Wir waren beide werdende Väter und sollten uns gedanklich einmal in die Lage unserer Partnerinnen versetzen. Alfred erzählte, dass es ihm sogar gelänge, sich vorzustellen, durch eine imaginäre Vagina ein- und auszuatmen. Ich dachte erst, der Typ spinnt ja völlig. Meine Frau mochte ihn gleich. Seine Mittel dürften laut klassischer Medizin gar nicht wirken, aber es sah schon einige Male so aus, als ob sie es taten. Ich verstehe immer noch nicht, was er eigentlich macht, woran er glaubt, wie das funktionieren soll, aber ich habe seine kleinen Kügelchen genommen, als er sie mir verschrieben hat.

Barbara war keine Parademutter, ganz sicher nicht. Als Kind musste ich mir oft neugierige Nachfragen der Mütter meiner Freunde gefallen lassen, von klein auf: »Wie geht es denn deiner Mutter, Lars? Arbeitet Sie immer noch so viel? … Ach, da hast du sie ja so lange schon nicht mehr gesehen!«

Andere Kinder hatten dagegen normale Mütter zu Hause: Hausfrauen, Sekretärinnen, Lehrerinnen, Krankenschwestern. Barbara war immer etwas anderes, das gaben mir die Mütter meiner Freunde stets zu verstehen. Busenwunder sind schlechte Mütter – das schwang immer mit, und oft genug konnte ich auch Neid heraushören. In dem Münchner Vorort, in dem ich aufwuchs, war Barbara Anfang der siebziger Jahre jedenfalls das Kleinstadtgespräch.

Sie selbst störte das nie, war sie es doch schon früh gewohnt gewesen, im Mittelpunkt zu stehen. Sie hielt das selbst dann noch für selbstverständlich, als sie schon lange nicht mehr wirklich im Mittelpunkt stand. Meine Mutter besaß eine ungeheure Präsenz und ein einnehmendes Wesen und konnte äußerst charmant sein – wenn sie wollte. Sie ging auf Menschen zu und nahm sie im Nu für sich ein. Damals. Sie ließ sich nichts gefallen. Von niemandem, auch später nicht, als sie längst nicht mehr bewundert wurde.

Wer Barbara einmal persönlich kennenlernte, vergaß sie jedenfalls nicht mehr – egal, ob man sie nun mochte oder nicht.

Dem Lakadinum C 200 zum Trotz habe ich mich eigentlich immer von ihr geliebt gefühlt. Der Sohn war nicht eifersüchtig auf die Männer seiner Mutter. Sie gab mir das Gefühl, für mich da zu sein, selbst wenn sie nicht bei mir war.

Sie verwöhnte mich nach Strich und Faden: Spielzeugindianer, ein Tretrennauto, ein neues Fahrrad, alles kein Problem, solange sie Geld hatte – und das hatte sie während meiner gesamten Kindheit.

Natürlich beruhigte sie damit ihr schlechtes Gewissen. Oft war sie wegen irgendwelcher Dreharbeiten für Monate von mir und meiner vier Jahre jüngeren Halbschwester Nicola-Babette, genannt Minki, getrennt. Auch bezeichnend: Den Spitznamen hat ihr ein Kindermädchen verpasst, nicht jemand aus ihrer Familie, nicht ihre Mutter.

Nach der Scheidung von ihrem zweiten Ehemann blieben wir Kinder auch erst mal beide beim Vater. Wieder verließ sie uns. Ja, Minki fühlte sich vernachlässigt, noch heute tut sie das. Ich eher weniger. Vielleicht wirkten die Geschenke bei mir besser, vielleicht war ich auch nur bereits alt genug, um einigermaßen zu verstehen, dass sie ja nicht uns Kinder verlassen wollte, sondern ihren Mann.

Ich schnarche trotzdem. Meine Mutter ist im Frühling 2009 seit sieben Jahren tot, und mein Homöopath behauptet, ich schnarche, weil sie mich vernachlässigt hätte.

Das Nachdenken über die Eltern hört wohl nie auf.

»Schreib das auf!«

Mit diesem Satz liegt mir Robert seit Barbaras Tod im Jahr 2002 in den Ohren. Robert ist ein Freund, ein Kollege. Er war mein erster Textchef, als ich nach dem Studium mit dem Journalismus begann, einer, auf dessen Geschmack und Urteil über Geschichten ich bis heute vertraue. »Sonst tut es ein anderer«, sagt Robert. »Die Geschichte ist zu gut. Sex, Drugs, Rock ’n’ Roll. Du bist Journalist. Du bist ihr Sohn. Musst du machen.« – »Ja, und genau weil ich ihr Sohn bin, möchte ich diese Geschichten nicht breittreten.« Ein Dialog, der sich jahrelang wiederholt. Erzähle ich Robert von irgendeinem Problem oder schlechter Laune, sagt er: »Ärger dich nicht. Schreib endlich das Buch.«

Wie soll das überhaupt gehen? Ein Buch über jemanden, dessen Leben in der Öffentlichkeit einen selbst nie interessiert hat, dessen Tod einen selbst immer noch schmerzt. Barbaras Bekannte und Freunde haben mich größtenteils nie interessiert. Und dann die Drogengeschichte – wie soll ich die in Worte fassen?

Ich weiß zu wenig, immer noch. Von ihr und auch von Drogen. Ich habe keine Lust darauf, das aufzuwärmen. Aber über Barbara schreiben zu wollen, ohne ihre dunklen Seiten zu erwähnen, das haut nicht hin. Es ist eines der zentralen Puzzleteile, ohne das ihr Bild unvollständig bliebe. Keine Ahnung, wie man das angehen sollte. Fachlich und psychisch. Vielleicht so, wie Carlo Feltrinelli, der Sohn des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli, von dem er nie persönlich erfahren hatte, wie sehr dieser in die linke Terrorszene involviert war. Seinen Vater lernte Carlo im Wesentlichen erst nach dessen Tod aus Erzählungen von Freunden und Polizeiberichten kennen. Ich durfte ihn einmal interviewen. Er erzählte mir, was für eine ungeahnte psychische Belastung das Schreiben über seinen Vater für ihn bedeutete und dass er bei der Buchveröffentlichung eigentlich schon nicht mehr drüber reden wollte. »Senior Service« hat er die postume Biografie seines Vaters nach dessen bevorzugter Zigarettenmarke genannt. »Lord Extra« hießen die Zigaretten, die Barbara ein Leben lang rauchte.

Keine Ahnung, warum ich das Ganze noch mal erinnern und durchleben wollen sollte. Durch das Bohren in einer Wunde heilt sie doch nicht. Oder? Eigentlich darf ich mich glücklich schätzen, einen anderen Nachnamen als den meiner Mutter zu tragen. Warum soll ich ihre und meine Geschichte eigentlich öffentlich machen?

Zur Trauerbewältigung? Vielleicht hilft Schreiben ja wirklich. Aus therapeutischen Gründen? Weil ich dann vielleicht aufhörte zu schnarchen? Wohl kaum. Um ihren ramponierten Ruf etwas gerade zu rücken? Mag sein. John, ein anderer Freund, sagt: »Schreib, wenn du glaubst, dass ihr Leben es wert war, erzählt zu werden. Du ehrst sie damit.«

Erzählenswert war ihr Leben auf jeden Fall. Ganz bestimmt möchte ich auch wissen, wer sie wirklich war. Rausfinden, warum alles so gekommen ist. Und ich sträube mich hartnäckig dagegen, die vielen Leitzordner mit Hunderten von Zeitungsartikeln über sie wegzuschmeißen. Sie liegen seit ihrem Tod bei mir im Keller. Ungelesen.

Einfach mal anfangen: mit dem Lesen und Schreiben. Irgendwo. Und sich dann sukzessive durch den Keller, durch die Leitzordner und Videos mit ihren Filmen und den Talkshow-Auftritten arbeiten, die vielen Freunde und Bekannten fragen, wer sie war. Warum sie so war, wie sie war. Weshalb alles so gekommen ist. Schließlich bin ich doch Journalist. Und ich habe ja keine Eile. Einfach mal anfangen also. Wer bist du gewesen, Mama? Warum hast du dich mit Drogen vollgepumpt? Was hast du vor deinen Kindern versteckt?

»Schreib eine Geschichte nach der anderen. So wie im Job«, rät mir Robert.

Also gut. Einen Puzzlestein nach dem anderen suchen und darauf hoffen, dass sich am Ende ein Bild daraus ergibt. Um sie kreisen, immer näher, in der Hoffnung, irgendwann ihr Wesen entdecken zu können. An das Drogenkapitel ihres Lebens, eines Buches erst mal nicht denken. Niemandem was sagen. Der Frau nicht, die ohnehin meint, ich hätte sie und die Kinder während des Jahres, als Barbara im Wachkoma lag, vernachlässigt. Sie hat recht. Auch Minki, meiner Schwester, lieber erst mal nichts sagen. Die fühlte sich ja eh schon immer vernachlässigt. Auch Robert nichts sagen. Damit er mich nicht nervt, falls ich doch nicht weitermachen möchte.

Wo anfangen?

Am Schluss natürlich. Bei unserem letzten Treffen vor dem Koma, bei Barbaras letzten Tränen.

Meine Mutter konnte gut weinen. Sie tat es oft vor der Kamera. Auch in einem Musikvideo von Thomas D. – ein theatralisches Schluchzen, man sieht es nur und hört sie nicht. In meinem Lieblingsfilm mit ihr, »Flammende Herzen« von Walter Bockmayer, spielt sie eine Prostituierte in New York. Die Figur von Peter Kern, dem Hauptdarsteller, hat eine Amerikareise im Preisausschreiben gewonnen. Er lernt sie in der U-Bahn kennen, als sie sich über der Manhattan Bridge auf den Boden wirft und losheult. Hysterisch, laut, verzweifelt, herzerweichend.

Privat weinte sie sehr viel leiser. Meist kullerten ihr nur ein paar Tränen über die Wange. Sie war bemüht, sich ihren Kindern gegenüber nichts anmerken zu lassen. Ich erinnere mich, sie beim Weinen oft rauchen gesehen zu haben. Als ob Nikotin gegen die Tränen helfen könnte. Als Heulsuse, die beim kleinsten Anlass in Tränen ausbricht, habe ich sie nicht in Erinnerung, aber als tief melancholische Frau. In großer Runde sah ich sie allerdings nie weinen. Vielleicht zwei Dutzend Male habe ich sie so erlebt. Ein paarmal verriet sie mir, an wen sie dachte. Verstorbene Kollegen oder Freunde. Meist sagte sie aber: »Ach, ist nichts«, und überspielte uns Kindern gegenüber ihre Trauer.

Auf Kommando zu weinen ist schwierig. Die meisten Schauspieler träufeln sich Glyzerintropfen in die Augen, um bei...

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