1. EINLEITUNG
Was treibt den Handel mit Aktien? Die weitaus überwiegende Mehrheit der mit dieser Frage konfrontierten Personen würde wohl antworten: Die Aussicht auf Gewinne! Und was sind Gewinne? Nichts anderes als die positive Differenz zwischen Verkaufspreis und Einkaufspreis. Hierauf weisen schließlich unzählige Börsenweisheiten hin.1
Schon der grundlegenden lexikalischen Definition nach dient die Börse »der zeitlichen und örtlichen Konzentration des Handels von fungiblen Gütern unter beaufsichtigter Preisbildung«. Was liegt demnach näher, als Börsenengagements mit der spekulativen Anlage zum Zweck eines gewinnträchtigen Wiederverkaufs gleichzusetzen? Derart disponierende Anleger setzen sich allerdings fast unabdingbar der stets lauernden Kursgewinnfalle aus. Denn Kursgewinn-Investoren, klassische Spekulanten, die sich dem Wohl und Wehe des Differenzgeschäfts hingeben, stehen gleich vor mehreren Herausforderungen, die langfristig fast immer auf die Performance drücken. Die beiden wesentlichen sind dabei die Wahl des richtigen Kauf- und Verkaufszeitpunktes (Market-Timing) sowie die Titelauswahl (Stock Picking), flankiert von den damit einhergehenden arithmetischen Gesetzmäßigkeiten und emotionalen Fallstricken. Diese lassen sich letztlich kaum umgehen, da eine an Kursgewinnen orientierte Strategie die laufende Reflexion von Ziel- und Stoppmarken beziehungsweise Einstiegs- und Ausstiegssignalen erforderlich macht. Allen kolportierten Börsenweisheiten zum Trotz scheinen die meisten Anleger diesen Schwierigkeiten nicht gewachsen zu sein, wie der Kapitalmarktexperte Claus Vogt nach Sichtung Dutzender Studien zum Thema feststellt: »Was die Finanzmärkte aber von den meisten anderen Lebensbereichen unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Anteil der langfristig erfolglosen Anleger – gerade unter den Privatanlegern – ausgesprochen groß ist. Tatsächlich verlieren die meisten Privatanleger auf Dauer Geld an der Börse.«
Was dem Privatanleger recht ist, ist allerdings auch dem Experten billig. Die Tatsache, dass es eine Mehrheit der Fondsmanager nicht schafft, die ihren Wertpapierportfolios zugrunde liegenden Vergleichsindizes zu schlagen, ist fast schon ein Gemeinplatz. Das heißt, relativ betrachtet verlieren auch die Professionellen der Zunft auf lange Sicht und nach Kosten Geld. Dieser empirisch umfassend belegten und finanzmathematisch unausweichlichen Tatsache zum Trotz dominiert der latente Informationsbedarf potenzieller Kursgewinn-Investoren die Schlagzeilen einschlägiger Medien sowie die Buchtitel gängiger Finanzpublikationen.
Weitaus weniger Aufmerksamkeit wird in dieser Beziehung hingegen investiv orientierten Anlegern zuteil, die heute mehr denn je einer Alternative zu den klassischen Standards passiver Einkommenserzielung bedürfen, also der Möglichkeit, Arbeitszeit und Einkommen zu entkoppeln.
Zahlreiche Geldwerte innerhalb wie außerhalb der Eurozone sind durch den politisch eingeschlagenen Pfad einer (Staats-)Schuldenreduktion mittels finanzrepressiver Maßnahmen zumindest mittelfristig der Realzinssklerose anheimgefallen.2 Dies umfasst aus dem Spektrum der noch als relativ sicher geltenden Anlagen einerseits sämtliche Spareinlagen wie Tages- und Festgeld sowie Sparbücher, die aber ohnehin eher der Reservebildung und Liquiditätshaltung dienen.3 Andererseits sind jedoch auch Investitionszwecken dienende kurz-, mittel- und selbst langfristige Staatsanleihen hochgradig infiziert4, welche direkt und indirekt über Kapitalsammelstellen gehalten werden. Zu Letzteren zählen dabei nicht nur Rentenfonds, sondern aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen de facto auch Kapitallebens- beziehungsweise Rentenversicherungen, Riester- und Rürupverträge, Betriebsrenten respektive sämtliche Durchführungsformen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) sowie Versorgungswerke, welchen zudem in aller Regel eine unvorteilhafte Kostenstruktur sowie ein Mangel an Transparenz anhaftet. Höhere Anleiherenditen müssen innerhalb der Eurozone mit einem zum Teil auch politisch unkalkulierbaren Emittentenrisiko und außerhalb derselben zudem noch mit einem Fremdwährungsrisiko erkauft werden. Alternative Anlageformen wie etwa das Crowd-Investing oder P2P-Kredite sind relativ junge Erscheinungen, denen es (noch) an einer aussagekräftigen Datenbasis und langfristigen Performance-Historie mangelt.
Selbst auf Kapitalerhalt abzielende Anleger kommen daher um sachwertorientierte Anlageklassen wie Rohstoffe, Aktien und Immobilien kaum herum, wobei vor allem die beiden Letzteren für die Erwirtschaftung akzeptabler Ausschüttungsrenditen prädestiniert sind (wie noch zu zeigen sein wird, ist dies allerdings auch bei Rohstoffen möglich). Allerdings weisen auch hier zahlreiche klassische Investitionsmöglichkeiten ein wenig vorteilhaftes Rendite-Risiko-Profil auf. So ist direktes Immobilieneigentum mit hohen Transaktionskosten beziehungsweise Standortrisiken behaftet und stellt je nach Objekt und Region selbst für relativ wohlhabende Anleger ein Klumpen- und Kostenrisiko dar. Ferner ist die Bereitschaft zur Aufnahme von Fremdkapital meist ebenso unabdingbar wie die Furchtlosigkeit gegenüber den damit einhergehenden großen Zahlen. Dem mit diesem Renditehebel verbundenen Haftungsrisiko mag sich vermutlich nur eine Minderheit aussetzen, gleiches gilt für die Aneignung des recht umfassenden Know-hows. Die in Deutschland jahrzehntelang äußerst beliebten offenen Immobilienfonds durchlebten in jüngerer Zeit die schwerste Krise ihrer Geschichte und bescherten ihren Anteilseignern teils herbe Verluste. Zahlreiche der einst über 30 Fonds mussten seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2007 mit zum Teil horrenden Einbußen liquidiert werden. Geschlossene Sachwertanlagen wie Immobilien-, Schiffs- oder Flugzeugfonds wiederum operieren meist mit hohem Fremdkapitaleinsatz, sind intransparent und oft hochkomplex, in der Regel nur mit erheblichen Abschlägen vor Laufzeitende veräußerbar und bringen hohe Verwaltungs- und Vertriebskosten in Abzug, welche die Einlage unmittelbar schmälern. Zudem erweist sich die Güte des über die Laufzeit prognostizierten Zahlenwerks immer wieder als problematisch.
Zu guter Letzt sollte bei Beherzigung des kaufmännisch gebotenen Niederstwertprinzips je nach Alter bestenfalls mit Zahlungen in Höhe der Grundsicherung aus dem als Ponzi-Schema konzipierten und nie gegengezeichneten »Generationenvertrag« kalkuliert werden. Neben der Rentenhöhe sind die Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung zudem hinsichtlich sämtlicher bedeutenden Parameter dem politischen Willensbildungsprozess auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Letzteres gilt übrigens auch für alle oben aufgeführten Varianten steuerbegünstigter Spar- und Altersvorsorgeverträge, deren Klauseln unter Missachtung des Bestandsschutzes bereits öfter mit richterlichem Segen rückwirkend modifiziert wurden – vor allem zu Ungunsten der Kunden versteht sich.
Es verbleiben mithin im Wesentlichen Aktienengagements. Tatsächlich greift die Auffassung der (Aktien-)Börse als Plattform für Differenzgeschäft historisch wie auch funktional viel zu kurz. Über die längste Zeit ihrer Existenz wurden Aktien vor allem deshalb gehandelt, um ein laufendes Einkommen zu generieren. Allerdings ist diese Erkenntnis heute weitestgehend verblasst, zumal sich im kollektiven Gedächtnis leider nur die historischen Exzesse, allen voran der niederländische Tulpenwahn (1636/1637), die englische Südseeblase (1720), der französische Mississippi-Schwindel (1719/1720), der Dotcom-Crash (2000 bis 2003) sowie die Weltfinanzkrise (2008 bis 2009), haben festsetzen können. Sie alle stellen jedoch die berüchtigten wie punktuellen Ausnahmen von der historischen Regel dar. Die Tatsache, dass Börsen und Wertpapierhandel über eine lange Zeit und jenseits der augenfälligen Kurskapriolen als Instrument eines regelmäßigen Einkommensbezugs dienten, hatte hingegen ganz handfeste Gründe: Sie stellten schlichtweg eine effiziente und kostengünstige sowie oftmals die einzige Möglichkeit der selbstbestimmten (Alters-)Vorsorge dar. Historisch lassen sich entsprechende (Versorgungs-)Einrichtungen sowohl für die Antike als auch erneut ab dem Frühmittelalter in Europa nachweisen.
Dieses Konzept der Einkommenserzielung rückte mit dem Aufkommen der Sozialversicherung im 19. Jahrhundert – im Deutschen Reich fast parallel zum Gründer- beziehungsweise Börsenkrach von 1873 – erstmals und wohl kaum unbeabsichtigt ein Stück weit in den Hintergrund. Dennoch sollten die durchschnittlichen Dividendenrenditen für weitere gut 100 Jahre regelmäßig über denen entsprechender Anleihen notieren. Ihren Einkommens- respektive Versorgungscharakter verlor das börsennotierte Produktivkapital weitestgehend zu Beginn des letzten großen Boom-Zyklus in den frühen 1980er-Jahren. Er läutete bezeichnenderweise nicht nur den Fall der Dividendenrenditen und die Ära der Konzentration auf Kursgewinne, sondern auch eine Phase ausgeprägter Volatilität ein, also spektakulärer Höhenflüge, gefolgt von ebenso plötzlichen wie dramatischen Abstürzen. Der stille Abschied von der dividendenorientierten Unternehmenspolitik wurde dabei durch ökonomische, steuerrechtliche sowie regulatorische Anreize forciert. An dieser Stelle sei exemplarisch zum einen auf die (empirisch widerlegte) Annahme verwiesen, die Auszahlung von Dividenden könne nur auf Kosten des Unternehmenswachstums erfolgen, zum anderen auf die langjährige Ungleichbehandlung von Dividenden und Kursgewinnen sowie schließlich auf die Deckelung der Managementgehälter in den USA in Verbindung mit Einführung der erfolgsabhängigen Vergütung...