2 Mamas Bedeutung für das Baby
Gibt es Menschen, in deren Nähe Sie sich besonders wohl fühlen? Und haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, woran das liegen könnte?
Möglicherweise haben Sie das Gefühl, dieselbe Sprache zu sprechen, oder dass die Chemie zwischen ihnen einfach stimmt? Biochemische Vorgänge sind die Grundlage für die Entstehung von Leben, und Babys erfolgreiche Entwicklung ist abhängig von ihnen. Für Ihr werdendes Baby ist es also im wahrsten Sinne des Wortes wichtig, dass die Chemie zwischen Ihnen beiden stimmt. Deshalb versucht es, mit Ihnen in Einklang zu kommen und seine Entwicklung, so gut es geht, an Ihnen auszurichten.
2.1 Babys passen sich an
Ihr Baby wird »seine« Schwangerschaft umso besser meistern, je besser es sich an die Bedingungen, die Sie ihm bieten, anpassen kann. Zwar haben Sie und Ihr Partner Ihrem Baby Gene mit dem Bauplan für seine Entwicklung mitgegeben, aber die Natur hat ihm für die verfeinerte Ausgestaltung Freiräume eingeräumt. Warum? Weil die Bedingungen, in die Babys hineingeboren werden, sehr unterschiedlich sein oder sich im Verlauf der Schwangerschaft verändern können. Mit der Fähigkeit, sich an die aktuellen Lebensumstände anzupassen, verbessert das Baby seine Überlebenschancen.
Woher weiß nun ein ungeborenes Baby, woran es sich anpassen soll? Ihr Körper ist die erste Welt, die es kennenlernt. Um sich anpassen zu können, muss es so viel wie möglich über Sie erfahren. Mit allen ihm dafür zur Verfügung stehenden Zellen nimmt es die von Ihnen kommenden Informationen auf, um Sie und Ihre Umwelt dadurch möglichst gut kennenzulernen. Sie sind für Ihr Baby also die Botschafterin der Außenwelt. Ihre Signale dienen ihm als Orientierung für seine Entwicklung und sind seine ursprüngliche Wissensquelle.
2.1.1 Gute Bedingungen
Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise darauf, dass die Entwicklung eines Babys nicht einfach einem genetischen Programm folgt, sondern viel stärker von äußeren Bedingungen beeinflusst wird als bisher angenommen. Die meisten Erkenntnisse gibt es bislang über die Wirkung von Stress auf die kindliche Entwicklung. Hier sprechen einige Indizien dafür, dass negative Bedingungen während der Schwangerschaft der kindlichen Entwicklung schaden können. Diese Erkenntnis übt auf schwangere Frauen einen mächtigen Druck aus. Zumal es ja kaum möglich ist, stressigen Situationen aus dem Weg zu gehen.
Wenn nun Mamas Stress und Angst Einfluss auf Babys Wohlbefinden haben, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass sich Babys Entwicklung auch günstig beeinflussen lassen müsste? Etwa indem ganz bewusst positive Bedingungen geschaffen werden. Schon die Abwesenheit von schädigenden Einflüssen ist etwas Positives, aber sind die Bedingungen damit gleich »gut«? Aus der Bindungstheorie weiß man heute, was Kinder brauchen, damit es ihnen gut geht und sie sich zu starken, sicheren, neugierigen und kompetenten Kindern entwickeln können. Sie bietet daher eine gute Orientierungshilfe für Überlegungen auch zur vorgeburtlichen Entwicklungszeit. Sehen Sie hierzu auch die Tabelle ▶ »Erkenntnisse der Bindungsforschung»
2.2 Bindung – Schutz und Geborgenheit
Eine sichere Bindung ist der Grundstein für eine gute Entwicklung. Jeder möchte geliebt werden. Wie wichtig liebevolle Zuwendung für eine Kinderseele ist, wurde erst in den 1950er Jahren von John Bowlby erkannt. Seine Beobachtungen hat er in seiner Bindungstheorie formuliert. Viele Forscher haben sich seitdem mit seinen Ansätzen beschäftigt. Heute ist Bowlbys Bindungstheorie eine der wissenschaftlich am besten fundierten und nützlichsten Theorien der Entwicklungspsychologie. Aus der Bindungsforschung wissen wir, dass ein Kind unbedingt mindestens eine ihm zugewandte, wertschätzende und Halt gebende Person braucht, um sich gut und gesund zu entwickeln. Fehlt diese seelische Nahrung, sind Kinder schnell überfordert. Sie bauen weniger Widerstandskraft gegen Widrigkeiten des Lebens auf, was sich auf ihre spätere seelische und körperliche Gesundheit auswirken kann.
Auch in der Pränatalforschung wurde beobachtet, dass zum Beispiel unerwünschte Kinder öfter mit einem geringeren Geburtsgewicht und gesundheitlich weniger stabil zur Welt kommen als erwünschte Babys. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Erkenntnisse, die die Bindungsforschung über die Folgen einer gelingenden oder misslingenden Eltern-Kind-Beziehung herausgefunden hat, auch schon vorgeburtlich Gültigkeit haben könnten.
Welche sind die Erkenntnisse der Bindungsforschung, die uns helfen können, über förderliche oder nicht förderliche Entwicklungsbedingungen während der vorgeburtlichen Zeit zu entscheiden? In der Tabelle rechts finden Sie eine Gegenüberstellung, die dabei helfen kann, diese Frage zu beantworten.
Erkenntnisse der Bindungsforschung, die uns helfen können
Erkenntnisse der Bindungstheorie | Übertragung auf die vorgeburtliche Zeit |
Das Bindungsbedürfnis ist genetisch angelegt. | Das Bindungsbedürfnis ist schon vorgeburtlich vorhanden. |
Dem Bindungsbedürfnis (Suche nach Nähe, Schutz) steht das Erkundungsbedürfnis (Neugier, Entwicklung von Autonomie) gegenüber. | Nähe suchen und Verselbständigung sind schon vorgeburtlich auf zellulärer Ebene beobachtbar. Beide Aspekte sind wichtig: Nähe und Schutz, um das Überleben zu sichern; Verselbständigung, um sich zu einem eigenständig lebensfähigen Neugeborenen entwickeln zu können. |
Die Entwicklung der Bindung geht immer vom Kind aus. Das heißt: Die Perspektive des Kindes ist entscheidend. | Die Qualität der Umgebungsbedingungen muss von der Perspektive des Kindes aus bewertet werden. |
Wird das Bindungsbedürfnis des Kindes ausreichend befriedigt, lernt es, seine Gefühle und Verhaltensweisen zielgerichtet zu koordinieren. | Werden die Bedürfnisse des Babys schon vorgeburtlich ausreichend berücksichtigt, kann es seine Entwicklung an günstigen Umgebungsbedingungen orientieren. |
Eine sichere Bindung kann sich entwickeln, wenn die kindlichen Bedürfnisse von den Bezugspersonen überwiegend und in ausreichendem Maße wahrgenommen, richtig gedeutet, zeitnah und angemessen befriedigt werden. | Vorgeburtlich adäquater Umgang mit den kindlichen Bedürfnissen führt erfahrungsgemäß zu stabileren Schwangerschaften und stabileren Gesundheitszuständen der Babys unmittelbar nach der Geburt. |
2.3 Jetzt schon Bindung fördern!
In welchem Maße wir mit unserer Umwelt in Kontakt treten können, ist nicht nur abhängig von unseren kommunikativen Fähigkeiten, sondern auch vom Geschehen in unserem Körperinneren. Es ist viel schwieriger, mit einem Gegenüber in gutem Kontakt zu bleiben, wenn unser inneres Gleichgewicht aus der Balance geraten ist. Vielleicht kennen Sie das: Sie ärgern sich und spüren eine heftige innere Erregung, die Sie anders reagieren lässt als in einem ausgeglichenen Zustand. Warum ist das so und was ist da aus dem Gleichgewicht geraten?
2.3.1 Eine Frage des Timings
Unser Körper ist immer aktiv beteiligt, wenn wir uns mit unserer Umwelt auseinandersetzen. Die instinktiven Reaktionen unseres Körpers stammen noch aus grauer Vorzeit, als es lebenswichtig war, bei Gefahr sofort mit Angriff oder Flucht zu reagieren. Auch wenn wir heute in einer Umwelt leben, in der ein derartiger körperlicher Einsatz zur Überlebenssicherung nicht mehr erforderlich ist, hat sich an unseren Urinstinkten nichts Wesentliches verändert. Grundsätzlich zeigen wir drei Verhaltensweisen: in angenehmer Atmosphäre das ruhige und kooperative Miteinander, in aggressiver Atmosphäre Angriffs- oder Fluchtverhalten und in Situationen, die als überwältigend empfunden werden, unbewegtes Verharren.
Welche dieser drei Verhaltensweisen wir in einer Situation...