1. Ordnung des Diskurses
Wenn dieser Tage immer wieder vom bedingungslosen Grundeinkommen die Rede ist, dann handelt es sich dabei um einen Vorschlag von geradezu provozierender Schlichtheit. Jeder Bürger eines Gemeinwesens soll, so der Vorschlag, lebenslang ein existenzsicherndes Einkommen beziehen, das ihm als individueller Rechtsanspruch ohne etwaige (Arbeits-)Pflicht oder (Bedürftigkeits-)Prüfung gewährt wird. Alter, Bildung, Beruf, Vermögen – all das soll dabei keine Rolle spielen.[1] So radikal dieser Vorschlag klingt, so umstritten ist er auch. Es gibt Unternehmer und Gewerkschafter, die ihn lautstark befürworten – und ebensolche, die ihn lautstark ablehnen. Er findet ebenso liberal und konservativ wie kapitalistisch und sozialistisch gesinnte Unterstützer – und nicht minder Skeptiker, die ihm aus all diesen Lagern entgegentreten. Das Grundeinkommen bildet, wann und wo immer es diskutiert wird, neue Bündnisse und stellt alte infrage. Wer es fordert, will mit 12denen, die es ebenfalls proklamieren, oftmals nichts zu tun haben, und wer es verwirft, dem ist sein Nachbar, der es ihm gleichtut, noch längst nicht geheuer.[2]
Dass das Grundeinkommen heutzutage dermaßen polarisiert und integriert, hängt damit zusammen, dass es zwar einerseits in einem bestimmten Sinne radikal, andererseits aber auch äußerst unbestimmt ist. So einfach der Vorschlag, so vielfältig die Wege und Ziele, die damit verbunden sind – von seiner politischen und ökonomischen Ausgestaltung bis hin zu diesen oder jenen erhofften oder befürchteten individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen.[3] Das Grundeinkommen spiegelt dabei vieles wider, was weniger mit ihm selber als mit den gehegten Träumen seiner Anhänger und den gepflegten Vorurteilen seiner Gegner zu tun hat. Dieser Umstand soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es natürlich auch das Grundeinkommen selber ist, welches diese Träume und Albträume hervorruft, indem es sich teilweise quer zu gängigen Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit stellt und den gewohnten Zusammenhang von Arbeit und Einkommen, Leistung und Verdienst grundsätzlich hinterfragt.[4]
Will man den Grundeinkommensdiskurs ordnen, lassen sich drei Hauptgründe ausfindig machen, die immer wieder für ein Grundeinkommen angeführt werden. Außerdem lassen sich drei Haupteinwände aufzeigen, mit denen es sich regelmäßig konfrontiert sieht. Beginnen wir mit den drei dafürsprechenden Gründen: Das bedingungslose Grundeinkommen wird erstens als wirksames Mittel zur Armutsbekämpfung, zweitens als sinnvolle Antwort auf bestehende oder bevorstehende Arbeitslosigkeit und drittens als Freiheitsgarant und Gerechtigkeitserfordernis angesehen. Was hat es mit diesen drei Gründen genau auf sich?
13Erstens: Armut kommt ein Gemeinwesen teuer zu stehen, nicht zuletzt wegen ihrer Folgekosten (Krankheit, Kriminalität etc.). Es gilt als unbestritten, dass ein Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe Armut in finanzieller Hinsicht beseitigt. Je gewichtiger die Armut, desto eher wird mit diesem Argument für ein bedingungsloses Grundeinkommen geworben. Ob ein solches Grundeinkommen jedoch auch ein effizientes Mittel zur Armutsbekämpfung darstellt, ist äußerst umstritten. Wäre ausschließlich Armutsbekämpfung sein Ziel, dürften es all diejenigen nicht erhalten, die nicht arm sind. Dennoch könnte es sich unter Umständen lohnen, es allen auszuzahlen, denn die Verwaltungskosten individueller Leistungsbewilligung bei anspruchs- und bedarfsprüfenden Hilfsprogrammen sind um ein Vielfaches höher als bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Außerdem könnte es Armut wirksam vorbeugen helfen, indem es auch diejenigen finanziell absichert, die derzeit nicht von Armut bedroht sind. Es könnte also dazu beitragen, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen, anstatt sie später umständlich zu bekämpfen.[5]
Zweitens: Was für Armut gilt, das gilt ganz ähnlich auch für Arbeitslosigkeit. Sie bringt ungeheure gesellschaftliche Folgekosten (Dequalifizierung, Desintegration etc.) mit sich und wird dieser Tage eher verwaltet als verhindert. Die teils umständliche, teils unwürdige Ersatzleistungsbürokratie, die nicht nur Anspruch und Bedarf andauernd überprüft, sondern die Betroffenen unter Androhung von Sanktionen auch zu jedweder Arbeitsaufnahme nötigen kann, führt in vielen Fällen gerade nicht zu steigender Leistungsbereitschaft und zum erwünschten Vermittlungserfolg. Und wenn 14doch, dann sorgen exorbitante Transferentzugsraten nicht selten dafür, dass viele Arbeitslose nach Wiederaufnahme einer regulären Beschäftigung finanziell noch schlechter dastehen als zuvor. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zunächst einmal die finanziellen Risiken der Arbeitslosigkeit abfedern, indem es das Existenzminimum sanktionsfrei garantiert. Außerdem könnte es die finanziellen Anreize zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung erhöhen, insofern Erwerbseinkommen damit nicht oder nur geringfügig verrechnet würden. Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen allerdings effizient gegen Arbeitslosigkeit vorgeht, darf durchaus bezweifelt werden, da es eben nicht nur arbeitslose, sondern sämtliche Bürger adressiert. Wobei zu bedenken bleibt, dass es auch hier von Vorteil sein könnte, auf kostspielige, demotivierende, stigmatisierende Kontrollen der Sozialbehörden zu verzichten und stattdessen dem Einkommensverlust bei Arbeitslosigkeit allgemein vorzubeugen. Dies ist vor allem angesichts des Strukturwandels der Arbeit im Zeitalter von Individualisierung und Digitalisierung relevant, der den bismarckschen Sozialstaat der Industrialisierung herausfordert – ganz abgesehen davon, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Gesellschaft neu verhandeln ließe, inwiefern Erwerbsarbeit überhaupt wünschenswert ist und was jenseits davon als sinnvoller Beitrag zum Gemeinwesen, mithin als anerkennenswerte Tätigkeit verstanden werden kann.[6]
15Drittens: Ganz anderer Natur ist das Argument, welches ein bedingungsloses Grundeinkommen als Freiheitsgarant und Gerechtigkeitserfordernis ansieht. Es ist nicht vorrangig sozialpolitisch, sondern grundrechtlich motiviert. Jedem Einzelnen, so heißt es, stünde unabhängig von Bedarf und Verdienst ein gerechter Anteil der natürlichen Ressourcen bzw. des kulturellen Erbes der Menschheit zu, der sich in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens manifestieren bzw. kapitalisieren ließe. Dabei handelt es sich explizit nicht um eine Sozialleistung der Starken für die Schwachen, der Reichen für die Armen, sondern um ein gleiches Anrecht aller auf einen Teil der Früchte von Natur und Kultur. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens wird in diesem Zusammenhang nicht bloß pragmatisch, sondern normativ begründet. Ähnlich verhält es sich mit der Freiheitsgarantie: Während Freiheitsrechte den Bürgern bestimmte Freiheiten formal zusichern (Allgemeine Handlungsfreiheit, Berufsfreiheit etc.), könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen dafür sorgen, dass diese Freiheiten nicht bloß formal, sondern auch real gewährt werden. Freiheit wird dabei nicht nur ideell als eine Frage des Rechts, sondern auch materiell als eine Frage der Ausstattung begriffen. Wer nicht über die Ressourcen verfügt, von seinen Freiheitsrechten Gebrauch zu machen, dem sind sie de facto verwehrt. Da es sich jedoch um unveräußerliche Grundrechte handelt, ist von vornherein sicherzustellen, dass sie jedem Einzelnen tatsächlich gewährt werden. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens entspricht in diesem Sinne der Garantie der Freiheit. Wer diesem Verständnis von Freiheit und Gerechtigkeit nicht folgt oder bezweifelt, dass das Grundeinkommen ihm entspricht, der lehnt es ab.[7] Jedenfalls kann man kaum für 16oder gegen das Grundeinkommen argumentieren, ohne sich dabei auf Freiheit und Gerechtigkeit zu beziehen.[8]
17Kommen wir nun zu den drei...