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2 Wie empfangen wir den Heiligen Geist?
Ausgerechnet in dieser für den christlichen Glauben zentralen Frage erleben wir in der Christenheit eine tiefe Zerrissenheit, in der Theologie wie in der kirchlichen Praxis. Wird der Heilige Geist in der Taufe vermittelt? Wenn ja, gilt das auch für die Säuglingstaufe? Oder empfangen wir den Heiligen Geist bei der Lebensübergabe an Jesus Christus? Brauchen wir dafür die Geistestaufe als eine zweite Erfahrung? Woran ist der Empfang des Heiligen Geistes zu erkennen? In welchem Status stehen die Menschen, die in einem christlichen Lebensbezug leben, aber nie eine spezielle Erfahrung mit dem Heiligen Geist gemacht haben? Benutzt der Geist Gottes ganz unterschiedliche Wege, um den Menschen zu erreichen und zu erfüllen?
Die charismatische Erneuerung in den Volkskirchen hat die Frage nach dem Entscheidungscharakter des christlichen Glaubens neu in den Mittelpunkt gestellt. Daraus entstand, vor allem in der katholischen charismatischen Erneuerung, eine neue Begrifflichkeit, die ich wegen ihrer Prägnanz und der Verbreitung in der charismatischen Bewegung hier verwenden will. Für die Umkehrerfahrung hat man den Begriff der Lebensübergabe an Jesus Christus gewählt und für den gesamten Prozess des Christwerdens die Formulierung christliche Grunderfahrung geprägt. Sie sind verständlicher als die traditionellen Bezeichnungen Bekehrung und Wiedergeburt.
Apg 2 beschreibt die christliche Grunderfahrung als Folge der Pfingstpredigt des Petrus folgendermaßen:
Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Brüder? Petrus aber sprach zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden! Und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. … Die nun sein Wort aufnahmen, ließen sich taufen; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan (Apg 2,37-38.41).
Dieser Text hat eine grundsätzliche Bedeutung, denn er beschreibt die »Urerfahrung des Christwerdens« und nennt alle Elemente der christlichen Grunderfahrung in einer nachvollziehbaren Reihenfolge. Für die charismatische Bewegung ist dabei besonders wichtig, dass hier der Empfang der Gabe des Heiligen Geistes in das gesamte Geschehen eingeordnet ist. Und so zeigt Apg 2 die fünf Elemente des Christwerdens, welche die christliche Grunderfahrung ausmachen.
Die Botschaft von Jesus Christus als dem Sohn Gottes »traf sie mitten ins Herz« und »wühlte sie auf«, wie man den Text auch übersetzen kann. Obwohl dabei Menschen mitgewirkt haben, etwa der Verkündiger und diejenigen, die sich aufwühlen ließen, kann nur der Heilige Geist bewirken, dass Menschen von der Botschaft bis ins Mark getroffen werden. Sein Handeln – wenn auch im Zusammenhang mit dem menschlichen Tun – steht am Anfang der christlichen Grunderfahrung.
Petrus ruft die Menschen zur Umkehr auf, denn im Text steht metanoéō, und das heißt wörtlich nach-denken. Weil metanoéō auch das Ergebnis des Nachdenkens einschließt, können wir auch von umdenken sprechen. Und weil noéō nicht nur das Denken im engeren Sinn meint, sondern auch das Gefühl und den Willen, spreche ich statt von Umkehr lieber von der Lebensübergabe. Denn diese »Urerfahrung des Christwerdens« beschreibt eine tief greifende Lebenswende, die alle Ebenen des Menschseins umfasst. Und dabei geht es um das Umdenken, also um eine bewusste Entscheidung, die einen mündigen Menschen voraussetzt.
Wer vom Geist Gottes angerührt ist und sich für die Lebensübergabe an Jesus Christus entschieden hat, lässt sich taufen. Weil der Mensch selbst ins Taufwasser steigt, zeigt er seinen Anteil an der Taufe, die Entscheidung zur Nachfolge Jesu. Das Entscheidende in der Taufe geschieht jedoch durch Gott, denn nur er kann Sünden vergeben. Das, was Gott tut, soll der Mensch aber mit allen Sinnen erleben. Und so wird der Täufling durch das Untergetauchtwerden mit Christus »begraben … in den Tod« und im Auftauchen mit der Verheißung beschenkt, als »in Neuheit des Lebens [zu] wandeln« (Röm 6,4).
Nach Apg 2 muss für den Empfang des Heiligen Geistes nichts weiter getan werden, denn der ursächliche Zusammenhang der drei Schritte wird klar zum Ausdruck gebracht: »Kehrt um, jeder lasse sich taufen, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.« Lebensübergabe, Wassertaufe und Geistempfang sind hier zeitlich und von der Erfahrung her unmittelbar verbunden. Allerdings ist der Geistempfang kein unsichtbares Geschehen, sondern soll nach den Berichten der Apostelgeschichte so erfahren werden, dass er vom Täufling und der Gemeinde wahrgenommen werden kann.
Damit ist die christliche Grunderfahrung zwar abgeschlossen, aber noch nicht an ihr Ziel gelangt, denn sie ist zweierlei: der Abschluss des Christwerdens und der Beginn des Christseins. Aus der Ersterfahrung der Geisterfüllung soll die dauerhafte Innewohnung des Geistes werden, damit er uns als Beistand und Berater auf unserem Lebensweg begleiten kann. Und dieser Weg der Nachfolge Jesu ist kein Weg für Alleingänger, sondern braucht die Erfahrung der koinōnía, der Gemeinschaft im Geben und Nehmen. Dabei ist die Gemeinde als Leib Christi genau der Ort, an dem die Gaben des Heiligen Geistes an die koinōnía der Gemeinde angebunden sind – wie es Paulus zum Ausdruck bringt: »Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden, … und sind alle mit einem Geist getränkt worden« (1Kor 12,13).
Bis heute ist es keiner Konfession gelungen, die Weite und Tiefe der christlichen Grunderfahrung voll abzubilden. Und es ist besonders tragisch, dass ausgerechnet in der Frage, wie man zum Glauben kommt, die Theologie und Praxis in den Konfessionen einem »Flickenteppich« gleicht. Die ökumenische Situation, die hinter diesem Problem steht, ist allerdings kompliziert, und eine gründliche Bearbeitung würde den Umfang dieses Buches sprengen. Ich möchte aber wenigstens einen Weg skizzieren, wie aus den bisher trennenden Unterschieden hilfreiche Ergänzungen werden könnten.
Apg 2 zeigt den »Normalfall« des Christwerdens, denn die fünf Elemente (Verkündigung, Lebensübergabe, Taufe, Geistempfang und Eingliederung in eine Gemeinde) bilden eine vollständige christliche Grunderfahrung und bauen sinnvoll aufeinander auf.
Der Weg zum christlichen Glauben kann auf keines dieser Elemente verzichten: Der Ruf Gottes muss uns treffen, wir müssen in den Bund mit Gott einwilligen, ihn in der Taufe besiegeln lassen, uns für den Heiligen Geist öffnen und die koinōnía der Gemeinde in Anspruch nehmen.
Deshalb ist die Vollständigkeit der christlichen Grunderfahrung wichtiger als die in Apg 2 beschriebene Reihenfolge, auch wenn alle Abweichungen von dieser Reihenfolge zu Problemen führen, die es vielen Menschen verwehren, die vollständige christliche Grunderfahrung zu erleben.
Wird die Taufe an Säuglingen oder kleinen Kindern vollzogen, muss die Lebensübergabe »nachgeholt« werden, sobald jemand als mündiger Mensch dazu bereit ist. Das sollte mit einer Feier der Tauferneuerung verbunden werden, damit das Bewusstwerden der Taufe wenigstens in Ansätzen möglich wird.
Fehlt bei der Lebensübergabe und der Taufe die Erwartung und Erfahrung des Geistempfangs, was oft auch bei der Gläubigentaufe der Fall ist, muss auch die Erfahrung des Geistempfangs »nachgeholt« werden. Das kann durch ein Segensgebet mit Handauflegung und der Bitte um die Erfüllung mit dem Heiligen Geist geschehen.
In der Pfingstbewegung wird im Allgemeinen ein Zweistufenschema gelehrt, bei dem die Wiedergeburt von der Geistestaufe unterschieden wird. Bei der Wiedergeburt schenkt der Heilige Geist den Glauben, bei der Geistestaufe wird die »Salbung zum Dienst« erfahren. Sie ist an der Gabe des Zungenredens zu erkennen und zieht meist das Bewusstwerden anderer Gaben des Geistes nach sich. Der wiedergeborene Christ muss selbst etwas dazu tun, damit die Voraussetzungen zum Empfang der Geistestaufe gegeben sind: das eigene Leben bewusst dem Willen Gottes unterwerfen, ernstlich um die Gaben des Heiligen Geistes bitten und die Geistestaufe persönlich erwarten.
Die Verkündigung in den Pfingstgemeinden ist stark auf die Erwartung der Geistestaufe ausgerichtet, vor allem dann, wenn es Menschen in der Gemeinde gibt, die auf dieses Ereignis warten. Dann geschieht häufig Folgendes: Zunächst entsteht durch das Singen von rhythmischen Liedern, oft mit Körperbewegungen verbunden, eine emotionale Atmosphäre. Dann gibt es kurze Ansprachen oder Zeugnisse und drängende Gebete, die schließlich in ein gemeinsames Zungenreden übergehen. Den Menschen, welche die Geistestaufe erwarten, werden die Hände aufgelegt, und meistens dauert diese Phase so lange an, bis auch bei den Neulingen das Zungenreden durchbricht und sie die erwartete Geistestaufe erfahren.
Bei den freien Charismatikern hat die Geistestaufe nicht den festen Platz wie in der Pfingstbewegung, sie wird aber von vielen erwartet und oft bei größeren Versammlungen oder Konferenzen...