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E-Book

Margarete Schneider

Die Frau des Predigers von Buchenwald

AutorPaul Dieterich
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783775174305
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sie wurde von allen nur Gretel genannt: Margarete Schneider, die Ehefrau des Buchenwaldpredigers Paul Schneider. Er war der erste Geistliche, der von den Nazis hingerichtet wurde, weil er nicht den neuen Führerkult predigte sondern Gott. Gretel stand treu an seiner Seite. Stark und bescheiden, gradlinig im Glauben, gefasst und doch leidenschaftlich überbrachte sie nach dem Tod ihres Mannes die gemeinsamen sechs Kinder, sein Erbe und seine Botschaft den nachfolgenden Generationen. Ihr Leben ist ein Zeugnis von dem, was Dietrich Bonhoeffer sagte: 'Die letzte Verantwortung ist nicht, wie man sich heroisch aus der Affäre ziehen kann, sondern wie eine kommende Generation weiterleben soll.' Eine Lebensgeschichte der leisen Töne - genauso heldenhaft, genauso eindrücklich.

Paul Dieterich, geb. 1941, ist der Neffe von Gretel und Paul Schneider und befasst sich besonders mit der Frage, was Christen der 'Bekennenden Kirche' uns heute sagen. Als Theologe und früherer Prälat ist er im Predigtdienst tätig, setzt sich für die Ökumene ein und arbeitet als Autor von Biografien. Er lebt mit seiner Frau in Weilheim a. d. Teck.

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Leseprobe

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

2. Hänsel und Gretel – Kindheit und Jugend im Pfarrhaus


Karl Dieterich fand die neue Pfarrstelle in Wildberg im Schwarzwald, wo die Familie – Sohn Karl wurde kurz vorher, am 20. Oktober 1900, in Auenstein geboren, der Aufzugstermin wurde um einige Wochen verschoben – im Januar 1901 festlich aufzog.

Wildberg wird im Mittelalter als Castrum Viliberch 1188 zuerst erwähnt und von Eduard Paulus41 zu den Kunst- und Altertumsdenkmalen des Königreichs Württemberg gezählt. Er nennt Wildberg »eine der merkwürdigsten und altertümlichsten Burgstädte auf schmalem, ins Nagoldtal vorspringendem Bergrücken.« Ganz oben, in breitem Viereck die Burg, eine jener großartigen Kastellanlagen aus der Hohenstaufenzeit, über die Eduard Paulus geradezu ins Schwärmen kommt.42 Das Städtchen Wildberg, das um 1900 etwa 1350 Einwohner hatte, war bis 1905 Sitz des königlichen Forstamts und zum Teil durch die Schafzucht, teils durch kleinbäuerliche Betriebe sowie eine erstaunliche Vielfalt städtischer Gewerbebetriebe geprägt. Es hatte bis 1922 auch eine Lateinschule, zeitweise auch eine Realschule. Fast alle Bewohner waren evangelisch, die wenigen Katholiken waren nach dem nahen Rohrdorf eingepfarrt. Das Vereinsleben war reich (unter anderem Turnverein, Schwarzwaldverein, Gesangverein, Schützenverein, Kriegerverein). Seit 1855 gab es in Wildberg auch ein »Haus der Barmherzigkeit«, in dem alten, armen, erwerbsunfähigen Landesangehörigen ohne Unterschied der Konfessionen eine Zufluchtsstätte im Sinne wahrer christlicher Nächstenliebe gewährt wurde.

Offenbar fühlte sich die Familie in Wildberg von Anfang an wohl. Mutter Marie berichtet:

»Die größeren Kinder machten Entdeckungsreisen im Städtchen und kamen hochbefriedigt heim. Es ist aber auch etwas Eigenartiges um dieses Städtchen, mit seinen gepflasterten, steilen Gassen, seinen altertümlichen Häusern, seinen Überresten aus alter Zeit, dem hochgebauten Schloss, damals Sitz des Forstmeisters, jetzt Sanatorium, seinen schönen Ausblicken von der ›oberen Stadt‹ ins Nagoldtal hinunter zum Kloster Reutin. Wir fühlten uns an einer historischen Stätte und wir beide interessierten uns für die Vergangenheit! Und es waren doch auch Annehmlichkeiten, einen Arzt und eine Apotheke am Ort zu haben, eine Lateinschule, Läden, Metzger und Bäcker, welch Letzteren wir viel zu verdienen gaben! Unsere Kinder fanden bald Kameraden und nachdem sie noch einige Zeit in die ›Vorbereitung‹ gingen, kamen Konrad, Ernst und Wilhelm in die Lateinschule in nächster Nähe des Pfarrhauses.«43

Karl Dieterich fand in Wildberg den Höhepunkt seines Wirkens als Pfarrer. Zwar kam er den »oberen Kreisen« der Kleinstadt nicht näher, da er von Anfang an die Einladung zum »Herrenabend« dankend ausschlug. Er hatte offenbar eine Abneigung gegen die Leute, die sich selbst als »Herren« verstanden. Aber »umso freundschaftlicher stand er zu den Bürgern und besonders zu den vielen Armen, auch mit den vielen Insassen des Hauses der Barmherzigkeit.«

»Vater sagte oft, hätte ich nur eine Million, hier wüsste ich sie zu verwenden! Und er tat so oft als möglich seine milde Hand auf. Wir mussten dann im Haushalt umso mehr sparen, und oft wurde das Beste von der Suppe samt Fleisch zu den Armen getragen, und Amei musste mit ihrer Schüssel die steilen Gassen auf und ab steigen.«44

Auch seine Frau Marie betätigte sich, obwohl sie bereits neun Kinder zu versorgen hatte, zugunsten der Armen. Sie trat dem »Frauenverein« bei, übernahm in ihm sogar den Vorsitz, nicht zuletzt weil in ihm bei Kaffee und Kuchen Geld gesammelt wurde für Weihnachtsgeschenke für die Armen.

Wildberg mit der guten Mesnerin, die an jedem Samstag ehrerbietig fragte: »Haben der Herr Stadtpfarrer etwas zu besorgen?« Mit der stets geselligen Kaufmannsfamilie Frauer, deren Sohn Ferdinand Theologie studiert und dann des Pfarrers älteste Tochter Johanna geheiratet hat. Wildberg mit dem alten Warther, einem Pietisten, der den unpietistischen Pfarrer kniend in der Sakristei überrascht und dann fürbittend in sein Herz geschlossen hat. Wildberg, wo der Herr Stadtpfarrer für seine und andere Mädchen eine Privattöchterschule gründete, in der er selbst den Rechenunterricht gab. Wildberg: Krankenpflegeverein, Suppenverein, Kirchengesangsverein, Turmmusik – und überall der Pfarrer als Gründungsvater.

Übrigens: »seine Wenigkeit!« Der Schulmeister hatte einmal in der Gegenwart des Stadtpfarrers ein Grußwort zu sprechen. Er verhaspelte sich und begrüßte »seine Wenigkeit«, den Herrn Pfarrer. Der konnte sich nachher zu Hause nicht genugtun, über den Versprecher zu lachen: Nennt der mich eine »Wenigkeit«, er, der Schulmeister!

Hier in Wildberg kam am 8. Januar 1904 Margarete Berta, das zehnte und letzte Kind des Karl Dieterich und seiner Frau Marie, geb. Rüdiger, zur Welt. Über die Einzelheiten ihrer Geburt wissen wir nichts Näheres. Spätestens beim zehnten Kind ist der chronistische Elan der Eltern erlahmt. Aber zur Taufe dichtete der Vater ein ganzes Epos. Das Märchen »Hänsel und Gretel« stand im Hintergrund. Und er widmete diese nachgedichtete Erzählung zugleich seinem dreieinhalbjährigen Sohn Karl. Denn für ihn hatte er am Ende des Jahres 1900 kein Taufgedicht zustande gebracht. Der unmittelbar bevorstehende Umzug von Auenstein nach Wildberg hatte ihm dazu einfach keine Zeit gelassen. Vielleicht hat die Tatsache, dass er Karl und Gretel dasselbe Gedicht widmete, auch ein wenig dazu beigetragen, dass beide später bei aller Verschiedenheit ihrer Charaktere sich besonders an einandergewiesen wussten. In seinem kleinen Epos schildert er Gretel vorausblickend so:

Und schnell gewann die Herzen
die Schwester frohgemut,
mit heitrem Sang und Scherzen,
ein frisches, frommes Blut.

Sie war die stets Bewährte,
von aller Welt Begehrte,
man war ihr herzlich gut.

Dann gehen die beiden in die Welt hinaus, genießen die Freuden an des Lebens goldenem Baum. Aber dann brechen Jammer und Not, Hass und Krieg über sie herein.

Das Mägdlein sitzt am Fenster,
geknickt und flügellahm,
sieht hässliche Gespenster,

Zorn, Reue, Sorg und Gram.

Die Falschheit macht ihr Grauen,
die ihr ihr fromm Vertrauen
als böse Hexe nahm.

Ehrliche Maid!

Du kennst nun die boshafte Welt;
nun hol dir Trost in deinem Leid
vom Himmelszelt.

»Ende gut – alles gut« ist der letzte Abschnitt überschrieben:

Nun zeige sich des Glaubens Kraft!

Fällt ein Reif auf des Frühlings Blüte,
dann schafft des Baumes gesunder Saft
statt großer Fülle größre Güte.

Hänsel wird – wie sollte es anders sein? – Pfarrer. Und Gretel?

Und bald wird ihre Hochzeit sein,
dann sollt ihr sie als Pfarrfrau grüßen.

Schließlich:

Was wir erzählt, ist alt und neu, lasst’s gelten als Prophezeiung:

Auch uns schafft Gottes Vatertreu in aller Not Hilf und Befreiung.

Pfarrhauslyrik. Und immer ein Stück riskanter Prophetie dabei. Mutter Marie schreibt dazu:

»Gretels Schicksal hat er richtig prophezeit. Sie hat aber in ihrem ersten Lebensvierteljahr den Eltern viel Sorgen gemacht, da sie als 16-wöchiges Kind von den Geschwistern den Krampfhusten erbte und dann so elend wurde, dass niemand, auch der Arzt nicht, an ihr Aufkommen glaubte. Doch gottlob nach und nach erholte sie sich und war in Jahresfrist ein dickes, blondes Mädele geworden, der Liebling aller und von den großen Schwestern gut gepflegt und gehütet. Ja, Johanna wurde sogar ihre Patin.«45

Und bald schreibt ihr Vater von ihr: »Margarete ist immer munter und die Beherrscherin des Hauses.«46

Wie hat Gretel ihre Kindheit erlebt? Selbst hat sie fast nie davon berichtet. Das war nicht ihr Stil, sie hat sich ihr Leben lang um andere und um anderes gekümmert. Sie hat als zehntes Kind ihrer Eltern am Leben der Familie teilgenommen. Dennoch haben wir von ihr wenigstens eine stichworthaft kurze Beschreibung ihrer Jugend. Wir verdanken sie ihren beiden »kanadischen« Enkelkindern Claudia und Monica Schneider, den Töchtern von Hermann und Gundula, die heute in Torrance bei Los Angeles wohnen. Wohl zu Weihnachten 1985 haben sie ihrer Großmutter ein 70 Seiten starkes Buch geschenkt, das fast nur aus Fragen besteht, welche die Leserin selbst beantworten soll. Gretel Schneider hat sich darauf eingelassen und handschriftlich auf alle gestellten Fragen – es sind etwa 160 – geantwortet. Der Titel des Buches lautet: »Grandmother Remembers« (Großmutter erinnert sich). Ihm entnehmen wir, wie sie selbst im Rückblick ihre Kindheit und Jugend sah.

Sie berichtet, dass sie als junges Mädchen von 1910 bis 1913 in Wildberg zur Schule ging, von 1914 bis 1920 in Tübingen. Dass sie dabei Französisch und Englisch gelernt habe. Ihre Ambition sei die deutsche Literatur und Dichtung gewesen. Sie habe gern schöne Gedichte auswendig gelernt. »Zu Hause sollte ich mich in den fröhlichen, christlichen Geist unseres Hauses einfügen.« Die Eltern hätten strikt auf gemeinsame Gottesdienstbesuche, sonntägliche Spaziergänge, auch auf tägliche Morgen- und Abendandachten Wert gelegt. Der Vater habe sie gelehrt, die Musik hoch zu schätzen; er habe selbst Querflöte gespielt. An Gesellschaftsspiele im Familienkreis, etwa Quartett, denkt sie noch gern...

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