1. Erika Mitterer, »An Rainer Maria Rilke (Es war ein warmer Tag)«, 30. 4. 1921
An Rainer Maria Rilke
Es war ein warmer Tag; in einem Garten
Saß ich, zwischen den weißen Orchideen
Es war in mir ein sehnendes Erwarten
Als sollt' am selben Tag ich Wunder sehn.
Und bald erklangen Worte, glockenreine,
So fremd und meiner Seele doch bekannt;
Es war, als riefe aus den Worten eine
Die größer sei, doch irgendwie verwandt.
Was war es? Eine wundervolle Weise
Von Liebe und vom Tode; Melodien
Die nie ich noch gehört; so sacht und leise
Und doch so männlich stark und göttlich kühn.
Nimm' heut' meine Begeistrung; zwar ich sende
Dir nur banale Worte; doch fürwahr
Sie loht in mir; es zittern meine Hände —
Ich schreib dem Dichter, der so wunderbar . . .
2. Erika Mitterer, »Einem Dichter (Rilke)« und Briefgedichtentwurf, Frühjahr 1922
Einem Dichter (Rilke)
Verschwiegnen Klanges einen Bronnen tief
Hast aus dem Meer der Schönheit du gerettet
Du, nach dem lange Gottes Stimme rief
Hast Licht an Nacht und Nacht an Licht gekettet
Was andre säten und was niemals sie
Geerntet haben, weil sie müde waren —
Du hattest Zeit und du versagtest nie
Und hast des Erntens schwere Lust erfahren
Die Früchte reifen nun in unserm Schoße
In den du, uns vertrauend sie gesenkt . . . .
– — — Und wir begreifen jetzt die übergroße
Tiefheilge Liebe, die uns Gott geschenkt.
3. Erika Mitterer, »Rilke (Wohl, das ergreift dich)«, 4. 12. 1922
Rilke.
Wohl, das ergreift dich: dies aus Trümmern sprießen
Von schweren Blumen, die kein Wind berührt.
Und du erschauerst ahnend, weil man spürt:
Zuerst gestorben um dann zu genießen.
4. Erika Mitterer, »Das Buch der Bilder (Rilke)«, zwischen dem 21. 1. und 21. 2. 1923
Das Buch der Bilder (Rilke)
Von irgendwo aus dämmernden Gründen
Blickt einer her mit kristallenem Blick.
Ich bin ganz eingeengt in mein Sein —
Und doch: in diesem Augenblick münden
Unzählige Schicksale, Leid und Glück
Und Fremder Gefühle in mich ein.
Sieh, alles dies kommt irgendwoher
Und geht alles irgendwo hin.
Und dein Leben ist wie das Jener so schwer
Und ebenso dunkel sein Sinn
Und du stehst wie vor einem Wald:
Seine Tiefen sind unerhört reich;
Doch seine dunklen Gründe sind kalt —
Und die Farben der Wiesen sind weich.
Vielleicht gehst du hinein; und dann
Ist alles ohnegleichen.
Vielleicht kamst du auch nie heran —
Und doch: was je dein Leben sann,
Das stand in seinem Zeichen.
5. Erika Mitterer, Briefentwurf an Rainer Maria Rilke, am oder kurz vor dem 14. 2. 1924
Oft habe ich nur den einen Wunsch: wenn Sie nur ganz Vergangenheit wären. Sehr vergangen, so daß alles Äußerliche und Wirkliche nicht mehr da ist, außer in seinen inneren Beziehungen. Der Dichter müßte zeitlos sein. Es müßte ausgeschlossen sein, daß man liest — er vertrat sich letzten Dienstag den Fuß. Oder er heiratete die Tochter des Herrn Soundso.
Sie waren bis jetzt zeitlos für mich, weil ich nichts von Ihnen wußte — als daß Sie leben . . . und das, was Sie selbst sagen. Deshalb versetzte es mich in namenlose Bestürzung, in einem Buch Ihren Namen zu lesen . . . irgendwie, ganz alltäglich und vertraulich. Berge traten zwischen uns mit ein paar Worten. Grenzenloses Entferntsein durch ein bißchen alltägliches Näher-sein anderer.
Der aus wunderbaren Traumländern Ausgeschlossene hat nicht die Kraft, seine Phantasie vor dem Schwelgen in jenseitigen Vorstellungen zu behüten. Ich las weiter — meine Spannung wuchs. Ich ertrage es nicht — ohne den Versuch die Berge zu verdrängen. Mir kam es zum erstenmal klar zum Bewußtsein — Sie leben. Und ich mußte alles daransetzen, um ein — Ich lebe von Ihnen zu erreichen.
Verstehen Sie — versuchen Sie zu verstehen. Verstehen Sie, daß es Verrat ist, daß es Dinge gibt, die für Einen »Kunst« sind, im Sinne irgend etwas Schönen, Freudigen, Erhebenden. Und für den Andern Leben, Impuls, Religion — Ich.
Ich weiß nicht, was ich von Ihnen will. Irgendetwas, was keiner kaufen kann um ein paar tausend Kronen. Auch nicht, um es nur von außen, ganz außen zu betrachten. Etwas ganz Unverkäufliches. Wenn Sie lächeln, ist das schon mehr, als wenn tausend sich rühmen können, Sie gesehn zu haben.
Und ärgern wirst Du Dich nicht. Du hast viel, und die ganze Welt. Aber es darf kein Gott, der allmächtig ist, eine Seele belächeln, die nichts will, als Vater sagen dürfen — statt Herr. Denn sie ist seine Jugend, die er verstößt und seiner Güte bestes Gut.
Erika Mitterer
Wien I. Hegelgasse 7.
6. Erika Mitterer, Tagebucheintrag, 14. 2. 1924
Endlich wieder ich vor mir selbst. Und ziemlich erregt. In den letzten Wochen schlief und wachte ich mit Rilkes Fürstenkind — mit und ohne Moissiaufführung. Und nun kam mir ein Buch in die Hände — Briefe Paula Becker-Modersohns, in denen Rilke oft, aber nebensächlich vorkommt. Es hat mich sehr erregt; es kommt immer wieder etwas, was mich beunruhigt. Jetzt wurde es mir klar, daß er lebt — lebt, und nicht nur in Gedichten. Und dann zu lesen: Gestern Rainer Maria Rilke — ein feiner Lyriker . . . Oder: Gestern machten Rilkes Gegenbesuch. Oder in einem Brief an Clara Westhoff: Ja lieber Rainer Maria Rilke ich hetzte gegen Sie und Ihre bunten Siegel, die Sie nicht nur auf Ihre feingeschriebenen Briefe drücken . . . .
Die Widmung des Fürstenkindes entdeckte ich erst jetzt.
Ich schrieb einen Brief . . .
Sonst ist es sehr schön auf der Welt. Jeden Tag eine kleine Überwindung und ein reicher werden dadurch — wie beim Skifahren.
Melitta ist sehr lieb. Sie weiß jetzt, wie gern ich sie habe und tut mir viel zulieb. Gestern als ich nach Tisch schlief und dann erwachte, war sie bei mir. Ich habe es fast lieber, wenn sie so zu mir kommt, um mich zu erfreuen, als wenn sie um ihretwillen kommt und meinetwillen. Ich glaube noch immer, sie überschätzt mich oder schätzt mich falsch. So bin ich so ruhig und geborgen.
Das Handeln fällt mir schon leichter. Aber es ist immer noch: Und Lebens — Liebe — Wonnetrunkne Lieder — Und ein Nirwanatraum, sehr süß, zuletzt.
Ich habe Rilke geschrieben, daß ein allmächtiger Gott, der eine Seele verstößt, die Vater sagen möchte, statt Herr seine Jugend verrät und seiner Güte höchstes Gut.
Wenn ich nur die Adresse hätte . . . . ich bin im Stand und schreibe nichts als: Rilke, Prag.
7. Erika Mitterer, Brief an Rainer Maria Rilke, Wien, 25. 5. 1924
»Einzig das Lied überm Land
heiligt und feiert.«
Sieh: das Buch fällt schon auf! Oh du großer Erlöster!
Durchs Leben Erlöster — dir kann nichts geschehn.
Hinter dir schlossen sich dunkelnde Klöster —
Stießen hinaus dich in blühn'de Alleen.
Haben wir Maße für unsere Freude?
– Alles, was froh ist, ist ganz. Doch es wird
Wie ein in sich schon bewegtes Getreide
...