Die schlechte Nachricht: Was die Bibel nicht ist
Die Bibel ist nicht von Gott geschrieben worden
Für viele Menschen ist die Bibel ein heiliges Buch, denn es geht darin um Geschichten, die Menschen mit Gott erlebt haben. Gott redet in der Bibel. Immer wieder heißt es: »So spricht der Herr.« Also, schließen viele messerscharf, ist die Bibel nicht von Menschen geschrieben, sondern von Gott. Dieses Buch, so sagen sie, ist wahrer als andere Bücher. Widerspruch gegen dieses Buch verbietet sich von selbst. Was hier drin steht, ist ewige Weisheit und Wahrheit.
Wenn Sie das auch so sehen, werden Sie von biblify your life enttäuscht. Enttäuscht im wahrsten Sinne des Wortes: Die Täuschung ist zu Ende. Nein, die Bibel wurde von Menschen geschrieben. Hier haben sie ihre Erfahrungen mit Gott aufgezeichnet.
Die Wende der Aufklärung
Unsere Vorfahren (vor fünf bis zehn Generationen) haben eine entscheidende Entdeckung gemacht: die Aufklärung, den »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Es war die Befreiung von einer eingebildeten Fessel. »Wage, dich deines Verstandes zu bedienen!«, rief der deutsche Philosoph Immanuel Kant den Menschen damals zu. Traut euren Zweifeln! Lasst euch nicht das Nachdenken verbieten! Damit begann eine geistige Revolution, die wir heute kaum noch nachvollziehen können. Für uns ist es selbstverständlich geworden, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Wir prüfen Tatsachen selbst nach. Für einen Gelehrten des Mittelalters war das anders. Da galt die Aussage des großen Aristoteles, dass eine Fliege acht Beine hat, mehr als die eigene Beobachtung – die stets nur auf sechs Beine kam.
Die Entdeckung des menschlichen Geistes in der Aufklärung ist durchaus vergleichbar mit der Entdeckung eines neuen Kontinents. Man kann die Entdeckung Amerikas oder Australiens nicht wieder rückgängig machen. Genauso wenig können wir Menschen hinter die Aufklärung zurück, sosehr wir uns das manchmal wünschen. Wir wissen es alle wirklich: Ein Gesetz ist von Menschen verfasst worden. Die Bibel ist von Menschen geschrieben. Und wenn jemand behauptet, die Schreiber der Bibel hätten jedes einzelne Wort von Gott direkt diktiert bekommen, dann ist ebendiese Behauptung auch wieder nur von Menschen aufgestellt worden. Die Wahrheit eines Buches, eines Textes, eines Gesetzes erweist sich nicht durch irgendwelche Geschichten über ihre übersinnliche Entstehung, sondern durch die Wahrheit und den Vollzug dieses Textes im wirklichen Leben. Ein Gesetz muss sich bewähren. Ein Buch über Gott muss den Alltagstest bestehen.
Die heimliche Herrschaft der alten Männer
So etwas gibt es nicht nur bei der Bibel. Untersuchen Sie eine x-beliebige hierarchische Struktur in einer Firma, einer Behörde, einem Staat, einem Verein oder sonst irgendwo, und Sie werden feststellen: Am Ende gibt es irgendwo ein Buch, ein Gesetz oder eine Sammlung von Schriften, die zur letztgültigen Instanz erklärt wird – Bhagawadgita, Koran, Grundgesetz, Vereinssatzung, Unternehmensgrundsätze. Der Clou an dem Ganzen: Es sind natürlich nicht die Gesetze oder die Buchstaben auf dem Papier, die diese Sammlung zu etwas Absolutem machen. Es ist immer, ohne Ausnahme, eine Gruppe von Menschen, die ihren Absolutheitsanspruch auf das Buch projizieren und ihn damit begründen möchten. Bei genauer Analyse wird es noch klarer: Am Ende sind es stets ein paar alte Männer, die dieses Buch, dieses Gesetz oder was auch immer zur Festigung ihrer Herrschaft verwenden.
Das gilt übrigens auch für jede Sekte, für jede radikale Gemeinschaft, für jede ideologische Bewegung. Offiziell wird sie zusammengehalten durch eine ganz große Idee, eine gigantische Weltverbesserungsmission oder einen glühenden Glauben. Forscht man aber weiter, stößt man früher oder später auf einen alten Mann, der den Laden mit Hilfe eines von ihm verbissen vertretenen Lehrgebäudes zusammenhält. Die Gemeinschaft hat nur eine Chance, wenn sie diesen alten Knaben stürzt oder ihn wenigstens mit Hilfe kluger junger Männer und Frauen zum Umdenken bringt.
Der Trick mit dem Selbstbeweis
Um Kritiker solcher Systeme zum Verstummen zu bringen, werden kuriose Tricks benutzt. Einer der erfolgreichsten: Irgendwo in dem heiligen Buch steht, dass es ein heiliges Buch ist und damit die letztgültige Wahrheit darstellt (was bei unserer christlich-jüdischen Bibel erstaunlicherweise gar nicht der Fall ist: Nirgends wird in ihr behauptet, sie sei auf übersinnliche Weise entstanden). Die in christlich-fundamentalistischen Kreisen vehement vertretene These von der »Verbalinspiration« der Bibel ist keine Idee der Bibel. Dass jedes einzelne Wort (verb) vom Heiligen Geist Gottes (spirit) diktiert worden wäre, ist eine der armen Bibel nachträglich aufgepfropfte Idee.
Eine derartige Argumentation ist im Übrigen so beweiskräftig, wie wenn Sie auf einen goldfarben angestrichenen Eisenklotz schreiben: »Das ist echtes Gold!« Aber so unfassbar windig diese Art von Selbstbeweis auch ist, in der Vergangenheit hat sie verblüffend gut funktioniert. Ich bin jedoch überzeugt: So funktioniert das heute nicht mehr.
Das herbe Erbe der Aufklärung: Projektion
Wir haben es durchschaut. So, wie wir auch vieles andere durchschaut haben. Der entscheidende Grundgedanke der Aufklärung lässt sich am griffigsten mit einem modernen Begriff erklären: Projektion. Wie mit einem Beamer strahlen wir unsere eigenen Wünsche und Vorstellungen auf einen anderen Menschen oder ein Objekt – und meinen, dadurch wäre dieser Mensch oder dieser Gegenstand ein anderer geworden. Je bunter und lebendiger das Video ist, das wir auf der Projektionsfläche ablaufen lassen, umso bunter und lebendiger kommt uns die Fläche vor. Aber sie bewegt sich nicht, zumindest nicht so, wie wir es wollen.
Ein harmloses Beispiel für Projektion ist der Umgang mit Haustieren. Findet jemand seinen Hund hinterlistig oder seine Katze traurig, so sind das menschliche Gefühle, die auf das Tier projiziert werden. Für das instinktive Verhalten des Tieres taugen solche Beschreibungen nicht. Der Hund bellt, weil er sein Revier verteidigt und nicht, weil er damit sein Herrchen ärgern will. Die Katze hängt herum, weil sie müde ist, und nicht wegen einer vermeintlichen depressiven Stimmung.
Die aufgeklärte Liebe
Wenn sich zwei Menschen verlieben, findet dabei eine Menge Projektion statt. Deswegen verlieben wir uns am liebsten in einen Menschen, den wir noch kaum kennen, denn dann eignet er sich ideal als Projektionsfläche für unsere eigenen Träume. Psychologen nennen das die »narzisstische Entdeckung«: Der Liebende findet im Geliebten jene Eigenschaften, die er sich selbst so sehnlich wünscht. Wie Narziss, der sich unsterblich in das wunderschöne Antlitz verliebte, das er in der glatten Oberfläche des abendlichen Teiches erblickte. Das heißt nicht, dass es keine wahre Liebe gäbe. Aber es ist wichtig, den Anteil der Selbstverliebtheit in jeder Verliebtheit zu kennen.
Im weiteren Verlauf einer Paarbeziehung wird fleißig weiterprojiziert. Was einen in Krisenzeiten am einst so geliebten Partner nervt, sind in Wahrheit meist die eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen. Sie an sich selbst wahrzunehmen, ist schwierig. Aber auf den anderen projiziert, stehen sie einem überdeutlich vor Augen. »Du bist so egoistisch!«, sagt der Mann zu seiner Frau, die ganz in Haus und Kindern aufgeht und keine Zeit hat für ihn – und sieht nicht, dass er selbst der Egozentriker ist. Er sieht die Beziehung zu seiner Frau vor allem unter dem Aspekt, was dabei für ihn herausspringt. Das gleiche Phänomen gibt es auch mit vertauschten Rollen.
Eltern finden in ihren Kindern wieder, was sie sich selbst so sehr wünschen – oder was sie so abgrundtief hassen. Menschen kaufen sich ein bestimmtes Auto, weil sie ihre eigenen Träume auf das große Stück lackiertes Metall projizieren. Aus dem gleichen Grund funktionieren Mode, Marketing und Werbung.
Ist die ganze Welt nur Projektion?
Den Vogel in Sachen Projektion schoss ein trockener Gelehrter aus Königsberg ab, der entlegensten Ecke des damaligen Königreichs Preußen. Der Philosoph Immanuel Kant trieb den aufklärerischen Gedanken der Projektion auf die Spitze. In seiner Erkenntnistheorie lässt sich Kant darüber aus, dass wir über die Außenwelt eigentlich überhaupt keine Aussage machen können. Was uns so selbstverständlich als Realität erscheint, nimmt ein anderer Mensch möglicherweise völlig anders wahr. Der dreidimensionale Raum etwa, in dem wir die Gegenstände um uns herum wahrnehmen, ist selbst nicht Gegenstand unserer Wahrnehmung. Er ist etwas, das wir dieser Welt hinzufügen. Genau so verhält es sich mit der Zeit: Die Zeit selbst können wir nicht empfinden, wir leben immer nur im Moment der Gegenwart. Für uns finden die Ereignisse in einer zeitlichen Reihenfolge statt, wir sind an die Beschränkungen der Zeit gebunden. Aber damit ist nicht garantiert, dass es der Wirklichkeit ebenso ergeht. Es sind durchaus Wesen denkbar, die diesen Beschränkungen auf Raum und Zeit nicht unterworfen sind. Wesen, die diese Welt ganz anders wahrnehmen.
Diese auch heute noch reichlich schräg anmutenden Gedanken wurden auf erstaunliche Weise bestätigt durch die moderne Physik. Albert Einstein und Werner Heisenberg entdeckten, dass der beobachtende Mensch keineswegs nur von außen die Dinge ansieht. Er verändert sie durch seine Beobachtung! Als sich...