„Die Lebensphase Jugend ist nicht frei vom gesellschaftlichen Kontext definierbar.”
(Mansel & Hurrelmann 1991, S. 10)
Es gibt kaum einheitliche Aussagen und Definitionen von Soziologen, Pädagogen und Psychologen über das Jugendalter. Je nach unterschiedlichem Kontext und theoretischer Deutungsperspektive wird Jugend mal in ihrer Funktion für die Gesellschaft gesehen, mal als Generation, die den sozialen Wandel beschleunigt etc. Verschiedene Definitionen tragen somit Verschiedenes zum Verständnis dieser Phase bei. Jugend gilt dennoch als eine Phase im Lebenslauf, in der biologische, psychologische und soziale Veränderungen gehäuft auftreten (siehe 3.2). Die Jugendzeit gilt als krisenhaft verlaufendes Lebensalter und als eine Entwicklungsphase mit spezifischen Problemen. Oft wird in diesem Zusammenhang von der „Sturm und Drang-Periode” gesprochen. Die Probleme von Jugendlichen werden insofern oft verallgemeinert und undifferenziert als Normalzustand für diese Zeit abgetan (vgl. Zimbardo & Gerrig 2003, S. 493).
Ebenso vielfältig wie die Veränderungen sind die dafür verwendeten Begrifflichkeiten sowie die zeitliche Abgrenzung. Die drei Kernbegriffe „Jugend”, „Pubertät” und „Adoleszenz” stellen nach Fend weniger subsumierende Altersphasen dar, noch sind sie voneinander klar abzugrenzen. Eher weisen sie auf unterschiedliche Betrachtungsweisen und Forschungstraditionen hin: „Soziologen sprechen von der Jugend, Psychologen von der Adoleszenz und Biologen von der Pubertät.” (Fend 2003, S. 22) Stehen die biologisch/körperlichen Veränderungen im Mittelpunkt der Betrachtung, wird im Allgemeinen von Pubertät gesprochen. Die psychischen und sozialen Veränderungen, die während der Phase des Jugendalters eintreten, bezeichnet demgegenüber der Begriff der Adoleszenz. Auch wenn eine solche Differenzierung im weiteren Zusammenhang hilfreich ist, ist zu betonen, dass beide Erscheinungen (körperlich und psychosozial) sich gegenseitig beeinflussen, durchdringen und nur schwer voneinander zu trennen sind (vgl. Nissen 2002, S. 322).
„Die Adoleszenz beginnt in der Biologie und endet in der Kultur.”
(Herbert 1989, S. 15)
Das Jugendalter ist eine Lebensform zwischen Kindheit und Erwachsensein. Dabei wird die Jugendzeit mal als Übergangsperiode (Groen & Petermann 2002, S. 88) und mal als eigenständige Lebensphase (Böhnisch 1992, S. 159f.) bezeichnet. Die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter sind dabei nicht immer trennscharf. Jugend ist ein Zeitabschnitt mit fließenden Übergängen. Relativ eindeutig kann der Beginn der Jugendzeit durch das biologische Geschehen der Geschlechtsreife festgesetzt werden, wobei dieser Zeitpunkt individuell sehr unterschiedlich sein kann. Die Geschlechtsreife bei den Jungen ist durch den ersten Samenerguss (Pollution) gekennzeichnet. Bei den Mädchen tritt diese, in der Regel ein bis zwei Jahre früher, durch die erste Menstruation ein (Menarche). Die Variationsbreite innerhalb eines Geschlechts beträgt bis zu vier Jahren. Der Zeitpunkt der Geschlechtsreife setzt immer früher ein, d.h. es findet eine Vorverlagerung (Akzeleration) der Jugendphase ein: „[...] mittlerweile bekommen Mädchen mit 12, 13 Jahren ihre erste Periode. In ein, zwei Generationen könnte die erste Blutung schon bei zehnjährigen normal sein.” (Kahlweit 2006, S. 9) Dieter Baacke weist darauf hin, dass mit der biologischen Verfrühung auch ein früherer kognitiver Entwicklungsstand und letztlich auch die soziale Verfrühung Hand in Hand gehen (vgl. Baacke 2003, S. 46). Das Ende des Jugendalters ist weniger durch ein biologisches Kriterium auszumachen. Der Übergang in das Erwachsenenalter wird nicht an Altersmarken, sondern an Funktionsbereichen, Rollenübergängen und Kriterien sozialer Reife festgemacht. Aus psychologischer Sicht endet die Jugendzeit, wenn die Entwicklungsaufgaben in den entsprechenden Lebensbereichen bewältigt sind. Aus soziologischer Perspektive endet die Jugendzeit mit dem Hineinwachsen in entsprechende Rollen wie z.B. die Rolle im Beruf, in Partnerschaft und Familie, als Konsument und als politischer Bürger. (Vgl. Grob & Jaschinski 2003, S. 18) Da es große individuelle Unterschiede im Zeitpunkt des Auftretens solcher Veränderungen gibt, sind Kriterien zur Festlegung des Anfangs und Endes der Adoleszenzphase auf diese Weise sehr fragwürdig und wenn überhaupt eher pragmatisch gerechtfertigt. Das Kinder und Jugendhilfegesetz bietet dagegen eine klare begriffliche Abgrenzung des Jugendalters. Im Sinne des SGB VIII §7 Begriffsbestimmungen (1) 2. ist Jugendlicher, „wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.” (Jugendrecht 2003, S. 20)
Ob man jetzt das Jugendalter zwischen 13 und 18 (Baacke 2003, S. 23) oder zwischen 10 und 20 Jahren (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2002, S. 507) ansiedelt bzw. eingrenzt, entscheidend bleibt neben den o.g. Aspekten immer der Fokus der Betrachtung sowie deren Begründung.
Schon seit längerer Zeit zeigt sich eine Ausweitung des Zeitabschnittes der Lebensphase Jugend. Im Vergleich zu früher hat sich diese Phase auf Kosten der Kindheits- und Erwachsenenphase ausgedehnt. Das Jugendalter überhaupt als eigenständige Phase der Entwicklung des Menschen gibt es erst seit der Zeit der Industrialisierung. Durch eine systematische Ausbildung der Jugendlichen (Einführung einer allgemeinen Schulpflicht und einer berufsschulischen Ausbildung) ersetzten diese, die bis dahin übliche Kinderarbeit und unqualifizierte Arbeit von Erwachsenen. Vor dieser Zeit gab es praktisch keine eigenständige Periode und der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenalter vollzog sich ziemlich abrupt durch Übergangsrituale (Initiationsriten). (Vgl. Schäfers & Scherr 2005, S. 19ff.)
Neben der bereits erwähnten Vorverlagerung (siehe 3.1.2) ist auch eine zeitliche Ausdehnung der Jugendphase nach hinten feststellbar. So hängen z.B. gesteigerte Anforderungen und Bedürfnisse nach systematischer beruflicher und schulischer Ausbildung mit einer gesteigerten Verweildauer im Bildungssystem und somit mit einer Verlängerung der Jugendphase zusammen. Ebenso wird die Familiengründung nach hinten datiert. (Vgl. Baacke 2003, S. 47) Spekulierte Gründe für die Vorverlagerung der Pubertät sind u.a. die Umstellung der Ernährung, veränderte Stresseinwirkungen auf den Körper, Reizzufuhr durch die moderne Zivilisation etc. (Vgl. Fend 2003, S. 111) Nicht nur aufgrund der zeitlichen Ausdehnung der Jugendphase sondern auch aufgrund vieler heterogener Verhaltensweisen Jugendlicher erscheint es sinnvoll, Jugend nicht nur als Übergangsphase sondern vielmehr als eigenständige Lebensphase mit fließenden Übergängen zu sehen (vgl. Böhnisch 1992, S. 160f.). Die sogenannte Verlängerung der Jugendphase kann durch die sich stellenden Entwicklungsaufgaben (siehe 3.3) mit größeren Schwierigkeiten verbunden sein. Diese zu bewältigen, mit den einhergehenden Konflikten, erhöhen in Folge das Risiko für psychische Auffälligkeiten. (Vgl. Petermann & Kusch & Niebank 1998, S. 218)
Das Jugendalter ist durch einschneidende biologische, psychologische und soziale Veränderungen geprägt. Diese sind nicht isoliert, sondern vernetzt zu betrachten. Dies möchte ich zunächst mehrdimensional anhand von vier Bereichen darstellen.
Mit dem Beginn der körperlichen Reifung treten tiefgreifende Veränderungen ein, welche sich im Wesentlichen aus den veränderten Prozessen des hormonellen und des zentralen Nervensystems ergeben. Als die wichtigsten Hormone, die diese Veränderungen in Gang setzen, sind beim männlichen Geschlecht die Androgene und beim weiblichen das Östrogen zu nennen. Das rasante körperliche Wachstum ist dabei nur ein Aspekt dieser Entwicklungsspanne. Neben den Veränderungen der Statur (Körpergröße, -gewicht und -proportionen) entwickeln sich auch die primären- (Penis, Hoden bzw. Gebärmutter) sowie die sekundären Geschlechtsmerkmale (Brustentwicklung, Schambehaarung, Stimmveränderung, Bartwachstum etc.). (Vgl. Fend 2003, S. 102)
Auch das Gehirn bleibt von all diesen Veränderungen nicht verschont. So belegen Hirnforscher wie der Amerikaner Jay Giedd, „das das Gehirn kurz vor und während der Pubertät einen Wachstumsschub durchläuft und noch einmal zu einer Art Baustelle wird, in der stark umgebaut und neu vernetzt wird.” (Kahlweit 2006, S .9).
Mädchen nehmen diese Phase häufig kritischer wahr als Jungen, was zu einem negativen Selbstbild führen kann. Erwähnenswert erscheint hier beispielhaft die unterschiedliche Entwicklung des Muskel- und Fettanteils der Geschlechter. Ein vergleichsweise rascher Fettzuwachs bei Mädchen zu Beginn der Pubertät kann, auch aufgrund von kulturellen Schönheitsdefinitionen, zu einer kritischen Selbstbetrachtung führen. Die körperlichen Veränderungen wirken sich auf die Körperzufriedenheit, auf den Selbstwert, auf Verstimmungen und letztlich auf das Verhalten der in diesem Falle überwiegend...